Lichtenauer Erklärung

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Lichtenauer Erklärung

zu dem Dialog Katholische Kirche und Freimaurerei vom 5. Juli 1970

In der Ehrfurcht vor dem Großen Baumeister des Universums erklären wir: 

Die Freimaurer haben keine gemeinsame Gottesvorstellung. Denn die Freimaurerei ist keine Religion und lehrt keine Religion. Freimaurerei verlangt dogmenlos eine ethische Lebenshaltung und erzieht dazu durch Symbole und Rituale. Die Freimaurer arbeiten brüderlich gebunden in ihren selbständigen Bauhütten (Logen) unter souveränen Großlogen im Glauben an die Bruderkette, die die Erde umspannt. Die Freimaurer huldigen dem Grundsatz der Gewissens-, Glaubens- und Geistesfreiheit und verwerfen jeden Zwang, der diese Freiheit bedroht. Sie achten jedes aufrichtige Bekenntnis und jede ehrliche Überzeugung. Sie verwerfen jede Diskriminierung Andersdenkender. Die Gesetze der Großlogen der Welt untersagen den Logen die Einmischung in politische und konfessionelle Streitfragen.

I. Im 12. und 13. Jahrhundert stehen die Prediger der Kirchen vor der fatalen Notwendigkeit, sich mit den verschiedenen Sekten und religiösen Bewegungen kämpferisch auseinanderzusetzen. Die Rechtgläubigkeit gewinnt entscheidende Bedeutung. Bald aber kommt es zu der misslichen Entwicklung, dass nicht selten innerkirchliche Reformgruppen mit außerkirchlichen in einen Topf geworfen und darin verbrannt werden. Das konfessionelle Zeitalter bestärkt dann den alten Hang neu, sehr verschiedenartige Gruppen von Menschen mit einem Schimpfnamen aburteilbar zu machen. Diese Praxis wird bis ins frühe 20. Jahrhundert beibehalten. Sie trifft auch die Mitglieder des Freimaurerbundes, wie früher die Juden getroffen worden sind und wie – leichtfertig aber folgerichtig – die Parallele mit dem Wort von der Freimaurerei als der Synagoge des Satans gezogen werden kann. Damit hat – ohne es zu wollen – auch die Römisch-katholische Kirche dem Nationalsozialismus und dem Faschismus Parolen für die Freimaurerverfolgung geliefert. Seit der Zeit ist im deutschsprachigen Raum Antifreimaurerei eine böse Gewohnheit jener Intellektuellen geworden, die versuchen, Schicksalsschläge für ein Land als Schuld der Freimaurer hinzustellen, um sich selbst davon freisprechen zu können. So wird eine Psychose erzeugt, gemischt aus Furcht, Haß und Verfolgungswahn, die etwa der antiklerikalen oder der antisemitischen entspricht.

II. Wir bekennen, dass auch auf Seiten der Freimaurerei Fehler gemacht worden sind. Die Schuld einzelner oder von Gruppen darf aber nicht der Gesamtheit angelastet werden. Darum erwarten wir, dass die Vorurteile vergangener Jahrhunderte und deren teils schreckliche Auswirkungen nur noch der Historie angehören.

III. Konventionalität und Vorurteile gehen Hand in Hand und keine Konventionalität ist hartnäckiger als die religiöse. Die Folge davon ist, daß die Kluft zwischen dem konventionellen Christentum und der unheimlich schnell sich wandelnden menschlichen Gesellschaft, damit auch die Freimaurerei, unmerklich, aber stetig tiefer und bedenklicher wird. Das deutlich erkannt zu haben, ist eines der großen Verdienste des II. Vatikanischen Konzils, bedauerlicher Weise, ohne daß aus dieser Erkenntnis Folgerungen bezüglich der Freimaurerei gezogen worden sind.

IV. Der heutige Mensch erfährt seine Situation als Zerrissenheit, als Selbstzerstörung und Sinnlosigkeit. Aus dieser Erfahrung erhebt sich die Frage nach einer Wirklichkeit, in der die Selbstentfremdung seiner Existenz überwunden wird, also auch einer Wirklichkeit der Toleranz, der Versöhnung und der neuen Hoffnung. Die Krise, in der sich die menschliche Gesellschaft heute befindet, trägt einen radikalen Charakter; sie erfasst alles. Die Menschheit, die aus dieser Krise hervorgehen wird, wird darum eine neue und andere Menschheit sein, die an der Gottesfrage nicht vorbei gehen kann. Das gilt ebenso für die Freimaurerei, auch wenn sie keine Religion ist. Dennoch fordert sie das sittliche Verantwortungsbewusstsein, das sie von ihren Mitgliedern verlangt, in Ehrfurcht vor dem Großen Baumeister des Universums.

V. Was die großen Religionen immer mehr miteinander verbindet, ist die zunehmende, weltweite Bedrohung ihrer Existenz durch Verneinung der Menschenwürde und Menschenrechte und durch pseudoreligiöse Ideologien. Die Begegnungen des Papstes Paul VI. mit den Oberhäuptern anderer Religionen sind dafür Beweis. Auch die Freimaurerei steht in dieser Krise und weiß sich darum allen Kräften verbunden, die aus Überzeugung kämpfen gegen Vorurteile, Zwang, Unterdrückung und Programme, die Wahrheit vortäuschen. VI. Wir wissen um die alten Gegensätze, die lange genug zur Verurteilung der Freimaurerei geführt haben. Es hat keinen Sinn, diese Gegensätze am Leben zu erhalten. Daher haben wir die Aufnahme eines Dialogs aufrichtig begrüßt, der bei allen bestehenden Unterschieden die Kräfte der Übereinstimmung lebendig gemacht hat. Wir haben das „Ja“ zum Menschen als Basis des Dialogs wohl verstanden.

VII. In dem Dokument über den Dialog mit den Nichtglaubenden heißt es: „Die Verschiedenheit in sich geschlossener Systeme ist dann kein Hindernis für den Dialog, wenn in einem bestimmten System Wahrheit und Werte entdeckt erden; das aber ist auch bei der größten Meinungsverschiedenheit möglich. Auch dann, wenn die Partner einen verschiedenen Begriff der Wahrheit haben und in den Prinzipien der Vernunft nicht übereinstimmen, kann man versuchen, zu einer Übereinkunft zu gelangen.“ Wieviel mehr als bei den Nichtglaubenden ist aber Ursache zu einem Gespräch und Hoffnung auf ein gutes Ende bei denen, die sich im Jahr 1723 die noch heute gültige, zeitlose Grundlage der „ALTEN PFLICHTEN“ gegeben haben: „Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen, und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner noch ein bindungsloser Freigeist sein. In alten Zeiten waren die Maurer in jeden Land zwar verpflichtet, der Religion anzugehören; die in ihrem Land oder Volk galt; heute jedoch hält man es für ratsamer, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen, und jedem seine Überzeugung selbst zu überlassen. Sie sollen also gute und redliche Männer sein, von Ehre und Anstand, ohne Rück-sicht auf ihr Bekenntnis oder darauf, welche Überzeugungen sie sonst vertreten mögen. So wird die Freimaurerei zu einer Stätte der Einigung und zu einem Mittel wahre Freundschaft unter den Menschen zu stiften, die einander sonst ständig fremd geblieben wären.“

VIII. Es ist für die von der Katholischen Kirche „getrennten Brüder“ – die Freimaurer – daher unbegreiflich, dass die Gesetze der Kirche sie verurteilen, während die Gesetze der Großlogen jedem Katholiken gestatten, Mitglied einer Freimaurerloge zu werden, ohne daß seinem Glauben und seinem Bekenntnis ein Schade oder ein Schimpf geschieht oder geschehen darf.

IX. Wir sind der Auffassung, daß die päpstlichen Bullen, die sich mit der Freimaurerei befassen, nur noch eine geschichtliche Bedeutung haben und nicht mehr in unserer Zeit stehen. Wir meinen dies auch von den Verurteilungen des Kirchenrechtes, weil sie sich nach dem Vorher gesagten gegenüber der Freimaurerei einfach nicht rechtfertigen lassen von einer Kirche, die nach Gottes Gebot lehrt, den Bruder zu lieben.

Lichtenau, den 5. Juli 1970

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