Traktat: Die Kunst des Verzeihens
Die Kunst des Verzeihens
von Br. Andreas GRUSS
In dieser Betrachtung bedarf es zu Beginn einer Worterklärung. Zum einfacheren Verständnis nennen wir den, dem man nicht verzeiht, von dem man sich enttäuscht, hintergangen oder betrogen sieht den „Schuldner“, weil er einem eine Wiedergutmachung schuldet. Wir selbst begeben uns in die Rolle des „Betrogenen“, desjenigen, der nicht verzeiht. Wir werden nun folgend sehen, was es mit dem Betrogenen und dem Schuldner auf sich hat.
Ein weiser Mann, namens Jesus, verkündete in der Bergpredigt: Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, tut Gutes, denen, die euch hassen ....! Und in Römer 12,17 steht zu lesen: Wenn euch jemand Unrecht tut, dann zahlt es ihm nicht mit gleicher Münze heim.
Man soll also nicht gleiches mit gleichem vergelten. Die negative Energie, die wir darauf verwenden, würde unbedingt auf uns zurückfallen. Nicht unterwürfig und winselnd wie ein Hund soll man dem Feind begegnen und ihm aus Schwäche oder Angst verzeihen. Eher aus Stärke und Weisheit. Es zeugt von besonderer Größe und innerer Schönheit, zu verzeihen. Nur Kleingeister verzeihen nicht, sie haben die Welt nicht erkannt. Nicht Verzeihen ist eine Form der Intoleranz, die selbst großen Denkern und Wissenschaftlern anhaftet. Deshalb nenne ich es auch „Die Kunst des Verzeihens“. Als Kunst bezeichne ich es, weil es eine Fertigkeit ist, die nicht jedem gegeben ist. Aber ähnlich wie bei einem Künstler sind die Grundbegriffe zu lernen. Der Begabte wird die Kunst eher und perfekter beherrschen als der weniger Begabte. Letztendlich ist aber kein Meister vom Himmel gefallen und ein Erlernen ist für jeden unumgänglich.
Klassische Beispiele für derartige Konfliktsituationen finden wir in der Partnerschaft, der Ehe und Freundschaft: zu wenig redet man offen miteinander, der Alltagstreß belastet die Kommunikation und die Gefühle. Ein Wort gibt das andere und treibt die Aggressionen in die Höhe. Die Zuwendung und das aktive Zuhören fehlen. Man glaubt dies oft bei einem anderen Partner zu finden. Wird der Seitensprung dann erkannt, sucht man nicht nach dem wahren Grund , sondern baut Gefühle von unverzeihlicher Enttäuschung und Haß auf. Häufig sind es aber nur Kleinigkeiten und unbedachte Worte, die den Partner oder Mitmenschen verletzen und die irgendwann die Schmerzgrenze überschreiten. Immer mehr Gerichtsverfahren wegen Nichtigkeiten (Grenzstreitigkeiten, der Hahn, der morgens kräht, der hohe Baum, der so viel Laub in Nachbars Garten fallen läßt und das Licht nimmt u.v.m. ) vergiften das Miteinander. Es ist oft die gegenseitige Zuweisung von Schuld, die die Kontrahenten immer weiter auseinander rücken läßt.
Heftige Worte, verbale Aggression dringen tief in das Gefühlsleben ein. Man fühlt sich ungerecht behandelt und die Verfehlungen des Schuldners laufen zu einem untolerierbarem Maß auf. Die Wut darüber läßt einen nicht mehr los, der Magen wird sauer und dreht sich einem um, die Atmung wird kürzer und heftiger, die Adern schwellen an, Unruhe erfaßt den ganzen Körper. Wir kennen diese Gefühle, Gefühle, die einem die Lebensfreude nehmen.
Die notwendige Aufmerksamkeit im Berufs- und Alltagsleben läßt nach, um einer tiefen Verzweiflung Platz zu machen. Krankheiten verschiedenster Art bringen dies zum Ausdruck. Magengeschwüre, Migräne, Fett- und Magersucht, Abhängigkeit von Nikotin, Alkohol und Drogen, Nervosität, Herzrasen, allgemeine Kreislauf¬beschwerden, Leberkarzinom, Arthritis, Zahnfäulnis, Sehschwäche, Grauwerden und Ausfall der Haare, Rheuma und Gicht und noch viel mehr können Folge von Haß, dem Unvermögen zu Verzeihen, sein. So wird der Betrogene doppelt geschädigt, erstens durch das Verhalten des Schuldners und zweitens durch den Haß, den er in sich selbst keimen läßt. Verzeihen ist somit auch Selbstschutz. Wenn wir nicht verzeihen, bleibt das Geschehene haften und bohrt solange in unseren Eingeweiden bis wir im Inneren gänzlich verbrennen. Solange man nicht verzeiht, verleiht man seinem Schuldner Macht über sich. Man ist gefangen in seiner Verbitterung, man denkt ständig an den, dem man nicht verzeiht. Dies raubt Ruhe und Kraft. Entbindet euren Schuldner von seiner Schuld und durchschneidet damit das belastende Band zwischen euch beiden.
Verzeihen heißt, den göttlichen Plan, der hinter allem steht zu erkennen und vor allem zu akzeptieren. Dieser Plan kann bedeuten, sich mit einer Person oder einem Umstand auseinanderzusetzen, an dieser Aufgabe zu wachsen und zu reifen. Dies wiederum kann ich aber nur, wenn ich diese Aufgabe erkenne und verarbeite.
Verzeihen heißt nicht alles hinzunehmen, als Schicksal, das unbeeinflußbar ist. Eine lethargische Schicksalsergebenheit ist absolut fehl am Platze. Vielmehr wird eine klare Beurteilung abverlangt, eine logische Analyse, wenn wir so wollen. Aufgrund derer sind wir in der Lage, den Plan, der hinter allem steckt, zu erkennen. Wir verzeihen somit dem Menschen, der es nicht anders weiß, der den Plan noch nicht begriffen hat.
Deshalb muß ich nicht in masochistischer Selbstzerstörung den Schuldner zu bekehren versuchen. Ich muß ihn nicht lieben, aber seine Seele muß ich achten. Ich verzeihe ihm, um mich selbst zu befreien und keinen Haß in meinem Herzen zu begraben. Sollte der Schuldner jedoch Vernunft annehmen, Einsicht zeigen und sich entschuldigen, so darf man sich dem nicht versperren. Allzu oft fühlt sich der Uneinsichtige Schuldner jedoch im Recht. Er fühlt sich in seinem Handeln bestätigt, weil der andere ja nicht verzeiht, nie verziehen hat. Paradox, aber hier liegt oft die Entschuldigung des Täters. Merkt der Uneinsichtige aber, daß man ihm verzeiht ist er total aus der Bahn geworfen, er kann die eigentliche Schuld nicht mehr von sich weisen, sie lastet nun allein auf ihm. Verzeihen ist also auch ein Abweisen von Schuld oder Mitschuld. Man setzt den Schuldigen in Handlungszwang, ihm obliegt es nun, seinen wahren Charakter zu zeigen. Zeigt er Reue und Einsicht, wird dem Betrogenen das Verzeihen erleichtert.
Verzeihen sollte also nicht ein einseitiger Prozeß sein. Vielmehr bedeutet das Verzeihen einerseits und das sich Entschuldigen andererseits, Fehler zuzugestehen, eigene wie die des anderen. Keiner von uns ist vollkommen und man selbst ist mit viel Schuld beladen. Deshalb führt ein ernsthaftes Verzeihen auch zur Vergebung der eigenen Fehler. Wer verzeiht, wer seinem Schuldner oder Schuldigen vergibt, dem wird verziehen, heißt es sinngemäß im „Vaterunser“. Nur, wenn wir Menschen verzeihen lernen, lernen wir zu lieben. Somit ist die Kunst des Verzeihens ein Baustein der Liebe. Diese wiederum ist der Schlüssel zu einer besseren Welt.
Lerne zu verzeihen und du wirst frei von der Last des Hasses, die dich zernagt (Andreas GRUSS)