Von Menschliebe und Bruderliebe
Von Menschliebe und Bruderliebe
Bearbeitung: Roland Müller
Rede am Johannis-Feste 1743 zu Berlin
Der neu-aufgesteckte Brennende Leuchter des Freymäurer-Ordens, 1746
328-335
siehe bereits
Rede,
welche am Johannis-Feste 1743 n der grossen Loge der Frey-Maurer zu Berlin gehalten worden.
In:
Anhang Zum Constitutionen-Buch Der Frey-Maurer, 1743, 141-148.
Der sich selbst vertheidigende Freymaurer, 1744, 187-194 (beide Male mit geringfügig andere Schreibweise und ohne den letzten kurzen Absatz)
Eine nachdenckliche Rede, welche am Johannis-Feste in der grossen Loge der Freymaurer zu Berlin ist gehalten worden.
Meine Brüder, die Liebe ist die alleredelste Levdenschafft des vernünfftigen Menschen, als wodurch sich im gemeinen Leben der ordentliche Gebrauch der Vernunfft insonderheit känntlich machet: Denn unsere vernünfftige Handlungen, sowohl sinnliche als moralische, haben entweder unsere eigene als anderer Wohlfahrt zum Endzweck, und also fliesten dieselben auch entweder aus Liebe zu uns selbst, oder zu andern.
Die vernünfftigen Heyden haben in dieser Absicht die Liebe unter ihre Gottheiten gezehlet, und dafür gehalten, daß die gantze Welt dadurch regieret würde: Und diß letztere ist auch eine richtige Wahrheit. Wenn wir auch nicht einmahl auf die Grundsätze der Religion sehen wolten, nach welchen wir beständig auf die Liebe zu im höchsten Wesen verwiesen werden, aus welcher unsere moralische Handlung, und also auch die Liebe zu andern Menschen, fliessen soll: So ist es doch nöthig, daß wir neben uns auch andere unsers gleichen lieben: denn alle Treue, aller Glaube, alle Vertraulichkeit, alle Ehrerbietung, so wir andern beweisen, beruhet auf diesen Grund, da ausser demselben alle Verbindung unter der menschlichen Gesellschafft zerfallen müste. So ist es natürlich, sich selbst zu lieben .Denn der Mensch ist eine gesellige Creatur.
Er kan auch unmöglich vor sich selbst allein ohne einige Beyhülffe anderer bestehen, und also ist das gesellschafftliche Leben unumgänglich. Dieses aber kan nicht anders unterhalten werden, als durch Liebe der Menschen unter einander, dahero auch die Liebe der Verbindungs-Affect genennet wird, wodurch die Gemüther mit einander vereiniget und verbunden werden.
Diese Verbindung erstreckt sich nun theils überhaupt auf alle Menschen; theils insonderheit nach dem Unterscheid unserer Mitbürger in der Welt, mit welchen wir zu thun haben, auf gewisse Personen und Umstände.
Diese beyderley Arten der Liebe wollen wir etwas genauer betrachten. Nemlich die Pflicht der Liebe überhaupt, soll sich gegen alle Menschen offenbaren, ohne Absicht der Nation, des Standes, des Geschlechts, der Religion und anderer Umstände, die sonst ein Unterscheid machen können. Es ist genug hierzu, wenn er nur ein Mensch, ein vernünffliger Mensch ist; Denn in dieser Absicht haben alle, welche Menschen sind einerley Wesen, und sind untereinander verbunden durch die Bande der Natur. Es scheinet auch, daß der grosse Werckmeister dieses Erdcreises hierauf bey den vernünfftigen Menschen sein besonderes Absehen gerichtet habe: Denn wir sehen so viele Creaturen neben uns auf den Erdboden, die zwar alle von einev Art zu seyn scheinen, doch aber aus unzehlichen Geschlechtern bestehen, deren jedes wiederum eine besondere Art ausmachet. Zum Exempel, viererfüssigen Thiere sind in so ferne von einer Art, daß sie alle vierfüßig sind. Sie sind aber nicht von Einem vierfüßigen Thiere fortgepflantzt, sondern ein jedes Geschlechte von einem besondern seiner Art. So auch die gefiederten Thiere sind ihrer allgemeinen Art nach einander gleich, sie sind aber nicht alle von Einem Vogel entstanden, und sind auch in ihren Geschlechtern auf unzehlige Weise von einander unterschieden.
Die Menschen aber haben durchgängig eine allgemeine Gleichheit unter einander. Sie haben einen gleichen Ursprung, sind alle gleicher Natur und Wesens, und der allergröste hat keinen andern Eingang und Ausgang dieses Lebens, als der Geringste. Alle seynd von einem ersten Menschen und also aus einem Blute entsprossen, Actor. 17. was können wir vernünfftiger und billiger daraus schliessen, als daß sie zu einer aufrichtigen Liebe, und zu einer wahren Einigkeit, natürlich mit einander verbunden sind?
Es kan dieser Wahrheit niemand widersprechen, er müsse denn der eignen Überzeugung widerstreiten. Wir sehen ja gerne, daß uns jederman liebet, und uns Merckmahle der Freundschafft giebet. Andere haben eben dergleichen Neigung von Natur, und was wir denn wollen, daß andere uns erweisen sollen, das müssen wir in gleicher Masse beobachten, mithin bleibt die allgemeine Liebe der Menschen gegen einander natürlich, vernünfftig und billig.
So allgemein aber diese Verbindung, so ist es doch unmöglich, daß man alle Menschen auf einerley Art, und in gleichen Graden solle lieben können: Sondern diese allgemeine Pflicht zertheilet sich in verschiedene Stuffen und Veränderungen. Und daher ist also die besondere Liebe entstanden, die man einigen Menschen vor den andern schuldig ist. Vernünfftige und wohlgeartete Leute, beobachten dieses im gemeinen Leben ohne vorgeschriebene und erlernte Regeln: Wir halten uns verbunden, allen Menschen unsere Liebe zu bezeugen: Aber doch denen Lands-Leuten, die unserer Nation und Landes-Art sind, mehr als Ausländern. Ferner denen die uns bekannt, mehr als blos Fremden; denen die unsere vertraute Freunde sind, noch mehr als blosen Bekandten: Und unsern Anverwandten und Bluts-Freunden, mehr als angenommenen Freunden; Ja man siehet dieses täglich auch in dem gemeinen Wesen, so wohl an den von einander unterschiednen Gewercken und Zünfften; als auch von besondern Gesellschafften, die zu einem gewissen Endzweck aufgerichtet sind.
Man beweißt eine gehörige Freundschafft gegen alle Menschen, aber eine besondere Liebe gegen seine Mitglieder. Dahero dieselben sich mit einer gewissen Zärtlichkeit Brüder zu nennen pflegen. Und diese besondere Neigung hat ihren Grund, und ist so wenig zu tadeln, daß sie vielmehr vor eine vernünfftige und billige Pflicht zu achten ist.
Meine Brüder! ich glaube nicht, daß jemand unter uns ist, der nicht dieses alles zugestehet, so wollen wir auch diese gantze Wahrheit auf uns selbst ziehen. Wir sind verbunden, allen Menschen, nach möglichsten Kräfften Freundschafft und Liebe zu erweisen, uns seibsten aber unter einander am meisten; die wir vie! genauer mit einander verknüpfft sind. Wir haben unter uns eine verbundene Gesellschafft, eine Gesellschafft, deren sich die grösten und angesehensten Personen nicht schämen. Eine Gesellschafft, welche die Neugierigkeit vieler tausend Menschen aufmercksam macht: Eine Gesellschafft aber auch, welche durch Einigkeit und Liebe vornehmlich unterstützt wird.
Was kan uns also zu unserer eigenen Erhaltung mehr angelegen seyn, als das Letztere zu beobachten? Wollen wir aber auf diesen Grund uns eine beständige Dauer bauen, so müssen wir uns auch ein untrügliches Regelmaaß nehmen, nach welchen wir unsere Vereinigung abmessen. ES muß unter unsern Gliedern eine wahre Aufrichtigkeit, ohne falsche geschminckte Absichten herrschen. Unsere Liebe gegen einander, muß sich äussern in würcklichen Bezeugungen, damit wir uns unterscheiden von Wort-Freunden, welche die gröste Gesellschafft der Welt ausmachen. Die Neigung zu unsern Brüdern, muß beständig seyn, daß wir unser Band nicht zerreissen, sondern immer fester knüpfen.
Nach diesen Regeln, wird unter den Gliedern unserer Gesellschafft kein Umstand vorfallen können, da wir nicht allezeit die Pflicht unserer Verbindung sollen wahrnehmen. Unser gantzes Wesen bestehet aus einem unsterblichen Geiste und aus einem vergänglichen Leibe. Beyde sind der Inbegriff unserer brüderlichen Liebe. Finden wir einen Bruder, dessen Seele und Geist einem ungebaueten Lande gleichet, welches wüste ist, so müssen wir suchen seinen Verstand aufzuklären, und seinen Willen zur Tugend zu leiten. Stehet sein Leib und Leben in Gefahr, so müssen wir alles mögliche anwenden, ihn zu erhalten. Leyden unsere Brüder an ihrer Ehre und guten Namen, so müssen wir ihnen dieses edle Kleinod nach Möglichkeit retten, und gegen alle unbillige Urtheile vertheydigen. Begehet einer unserer Brüder einen unversehenen Fehler, so müssen wir nach der Liebe urtheilen, und so viel die Billigkeit zulässet, ihn entschuldigen, in Erinnerung, daß wir andern selber, nicht überall frey sind. Gerät ein Bruder, ohne Verschulden in Noth und Dürfftigkeit, so müssen wir seinen Mangel abhelffen, und gerne alles mögliche zu seiner Aufnahme beytragen.
Dieses ist ein Abriß der Freundschaft und Liebe, die den Gliedern unserer Gesellschafft anständig und rühmlich, und womit eine grosse Anmuth verbunden ist. Sollte eine Gesellschafft aufgerichtet werden, die eine vorgeschriebenes Gesetz hätte, sich einander anzufeinden: zu verfolgen, zu unterdrücken, einander aufzureiben: So würde solches unerträglich seyn, und niemand würde solches lange ausdauren, er müste denn alle Menschlichkeit abgeleget haben.
Hier aber ist eine stete Beruhigung, andere zu lieben, und »wiederum geliebt zu werden. Eine Beruhigung, welche die mancherley Beschwerden, die uns sonsten zufallen können, mit einer gesetzten Standhafftigkeit übertragen hillft, und die Erfahrung giebt hiervon diesen lebhafften Eindruck: Wie angenehm ist es, wenn sich Brüder lieben?
Mich deucht, meine Brüder, ihr seyd alle von dieser Wahrheit eingenommen. Mich deucht, ihr seyd alle überzeugt, daß eine solche Vereinigung uns viele Vorzüge giebt. Mich deucht, ich mercke an einem jeden die zärtliche Empfindung von dieser so angenehmen Verbindlichkeit unserer Gesellschafft. Ich meines Theils werde diesen Vorwurff als eine beständige Richtschnur nehmen, mit meinen Brüdern umzugehen: Und ich versichere von allen ein gleiches. Hiermit werden wir auch der Nachwelt ein Beyspiel geben können, wie sich Brüder aufrichtig lieben und ehren müssen
Jedoch ich gedencke hierbey auf etwas zurück. Wir erfreuen uns über unsere Vereinigung, und wir entschliessen uns, dieselbe unverbrüchlich zu halten. Woher haben wir aber diese Freyheit? Und da unsere Brüder an vielen Orten in den Augen der Unverständigen als Mißgeburten verabscheuet, und ihre unschuldigen Absichten durch mancherley Beunruhigungen unterbrochen werden, woher geniessen wir also die Ruhe, so uns unterstützt? Ist es nicht unser Allerdurchlauchtigster und Großmächtigster König, der von keinen blinden und Pöbelhafften Wahn eingenommen: Ein König, bey welchen Klugheit und Großmuth das Ruder führen: Ein König, der sich sowohl der Gemächer als Reiche zu bemeistern weiß. und der vor tausenden würdig war, daß wir seines Schutzes und seiner Gnade geniessen.
Dieses Erlauchte Oberhaupt, dem die Gottheit selbst etwas Erhabnes eingedruckt, ist der Schirm, unter welchem wir uns sicher versammlen, und das Grosse, das in dem Königlichen Blute dieses glorwürdigen Monarchen herrschet, hat sich auf unsere Gesellschafft allermildest erstrecket. Was ist billiger, als daß wir von solcher hohen Huld, bey dieser Gelegenheit ein öffentliches Zeugniß abstatten, und die brennende Begierde der allertreusten Danckbarkeit dadurch zu Tage legen? Wir können dieses nicht anders verrichten als durch heisse Wünsche.
So wünschet denn mit mir, meine Brüder! Der gröste Beherrscher der Welt, beschirme, diesen seinen grossen Stadthalter auf Erden; Er befestige seinen Königlichen Thron; Er beglücke seine Waffen; Er zertrete seine Feinde, und erweitere seine Reiche; Er messe Ihm ein Ziel in einer langen Reihe von Jahren, die in einen unverrückten Wohlergehen begriffen sind, und setze Ihn der spätesten Nachwelt als ein Fürbild grosser Könige, und zu einem Muster grosser Helden. Es lebe der kluge, der gnädige, der grosse Friedrich, König von Preussen!
Ich thu noch dieses hinzu: Es werde unter ihm Lichte in der Welt, und die Frevheit fange wieder an, wie vormahls zu floriren. Der König des Himmels würdige Ihn seiner Gnade, und seines Dienstes, auf daß Er wider die Machten der Finsterniß bestehen könne, welche anjetzo bald möchten über Ihn Gewalt bekommen. Denn alles Ding währt seine Zeit: Gottes Liebe in Ewigkeit.