Die ‚Zauberflöte’ als Freimaurer-Oper

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Dies ist das Kapitel über die 'Zauberflöte' aus dem Buch von
Heinz SICHROVSKY:
"MOZART, MOWGLI, SHERLOCK HOLMES -
Die königliche Kunst in Musik und Dichtung der Freimaurer"
Löcker-Verlag, Wien 2013.

Wir danken dem Autor, dass er diesen Text für das Freimaurer-Wiki zur Verfügung gestellt hat.


Im Bann des fürchterlichen Bruders

Die Aufführung war schlecht, die öffentliche Wahrnehmung kläglich, die künstlerische Bilanz eine Katastrophe. Und doch haben die Salzburger Festspiele in ihrer Geschichte selten Erhellenderes produziert als die Oper „Das Labyrinth“ im Sommer 2012. Der Theaterdirektor und Librettist Emanuel Schikaneder hatte anno 1798 an der von ihm mit-elaborierten „Zauberflöte“ noch einmal kassieren wollen, eine Fortsetzung gedichtet, das Resultat dem namhaften Komponisten Bruder Peter von Winter ausgehändigt und wieder die Rolle des Papageno übernommen. Als das vor 214 Jahren erfolgreiche Werk nun in Salzburg wieder zur Diskussion gestellt wurde, übte es frappante Wirkung aus: Theoriegebäude stürzten ein, Analysen implodierten. Mit einem Mal war auch die „Zauberflöte“ wieder, wofür man sie stets gehalten hatte, ehe es Mode wurde, ihr Subtexte aufzuladen, unter deren Last nicht nur fast jeder Regisseur, sondern auch das Werk zu kollabieren drohte: ein mittelmäßiges und zudem konfuses Libretto, das seine Faszination und Stringenz ausnahmslos Mozarts Musik verdankt. „Das Labyrinth“ evozierte beim Betrachter jene Formel, die künftig leicht auch den Umgang mit der „Zauberflöte“ bestimmen könnte: Schikaneder minus Mozart ist Mist.

Auf die in Konvoluten von Fachliteratur verbreiteten Theorien zur politischen und philosophischen Beschaffenheit der „Zauberflöte“ soll hier nicht eingegangen werden, auch nicht auf freimaurerische Deutungsabstrusitäten, die im Werk Geheimcodes zwischen dem 18. und dem 30. Grad des Schotten-Hochgradritus ausgemacht haben wollen: Weder Schikaneder noch sein Chefdramaturg Karl Ludwig Giesecke, der sich mehrfach der Autorschaft rühmte, wären fachlich in der Lage gewesen, zu solchen Mysterien vorzudringen.

Der 1751 im bayrischen Straubing geborene Schikaneder wurde am 2. Oktober 1788 in die Regensburger Loge „Die Wachsende zu den 3 Schlüsseln“ aufgenommen. Schon am 4. Mai des folgenden Jahres nahm er über ultimative Aufforderung Zwangsurlaub vom Logengeschehen, an dem er sich schon bisher nur selektiv beteiligt hatte. Angenehm wären zwar die „seltenen“ Besuche des Bruders Schikaneder gewesen, „unangenehm und auffallend“ hingegen die kursierenden öffentlichen Gerüchte, wurde er brieflich bedeutet. Was war geschehen?

Schikaneder, damals für kurze Zeit Direktor des Fürstlichen Hoftheaters zu Regensburg, soll sich eine Kühnheit wahrhaft olympischem Ausmaßes geleistet haben. Auf dem schmucken Wasserschloss Train residierte die Gattin des Fürsten Carl Anselm von Thurn und Taxis, seine gewesene Mätresse, eine geborene Elisabeth Hillebrand. Der Regent hatte mit Ungeduld das Ableben seiner verstoßenen ersten Ehefrau erwartet, um die entschlossen agierende Tochter eines Marktlieferanten endlich heiraten zu können. Auch dem Hoftheaterdirektor mag die Anmut der Selfmade-Durchlaucht nicht entgangen sein, denn die Frequenz seiner Besuche auf Schloss Train wurde alsbald zum Gesprächsthema. Zur nämlichen Zeit wandte sich die Dienstmagd Maria Stecker an die Gerichte: Sie wäre von Schikaneder geschwängert worden. Der ergriff daraufhin unter falschem Namen die Flucht nach Wien und übernahm das Freihaustheater auf der Wieden, wo er zwei Jahre später die „Zauberflöte“ herausbrachte. Mit ihm flohen die Stützen des Regensburger Ensembles, unter ihnen Benedikt Schak, der nachmals erste Tamino, und der Uraufführungs-Sarastro Franz Xaver Gerl, den die Magd Maria Stecker als Verdächtigen in nämlicher Sache ebenfalls vor Gericht zitiert hatte. Der Geselle Schikaneder betrat nie wieder eine Loge. Er starb 1812 in geistiger Umnachtung. Seine rechte Hand Karl Ludwig Giesecke wiederum, 1761 als Johann Georg Metzler in Augsburg geboren, war erst 1790 in die „Gekrönte Hoffnung“ aufgenommen worden.

Soviel zu Theorien, ein masonischer Gelegenheitshallodri und ein Greenhorn hätten 1791, kurz vor der Liquidierung der letzten Wiener Logen, Mysterien aus den seit sechs Jahren verbotenen Hochgraden in ein Singspiel eingebracht.

Das Ritual in der „Zauberflöte“

Die Wahrheit ist weit weniger spektakulär: Das Libretto der „Zauberflöte“ ist, woraus sich auch seine innere Unlogik und Widersprüchlichkeit erklärt, ein Konglomerat, gespeist aus einer Unzahl an Quellen. Unter ihnen auch das in Abschriften erhaltene Ritual der „Großen Landesloge von Österreich“, der seit 1784 sämtliche Wiener Logen unterstanden. Sie alle arbeiteten nach dem so genannten „Zinnendorf-System“.

Erster und markantester Ritualbestandteil der „Zauberflöte“ ist die Priesterfanfare, die zuerst in der Ouvertüre erklingt und dann, „röchelnde Posaune“ genannt, an den Eckpunkten des Initiationsvorganges wiederholt wird. Sie imitiert die Hammerschläge des Meisters vom Stuhl und der beiden Aufseher während der Tempelarbeit.

Das „Zinnendorf-Ritual“ kannte dafür nur einen Rhythmus, der in allen drei Graden angewandt wurde. Er wird in den historischen Dokumenten mit dem Versmaß des Anapästs, kurz – kurz – lang, beschrieben.

Da man auf einem Holzpult aber keinen langen Ton erzeugen kann – dazu bräuchte es einen Resonanzraum –, wurde nach dem zweiten Schlag oft eine Pause eingelegt, um den dritten, langen hervorzuheben. Die Anweisung im Ritual lautete: „Die ersten beiden Schläge kurz aufeinander, und den letzten etwas langsamer, oder später.“ So formte es sich in Mozarts Gehör zu einem Gebilde, dessen Wiedererkennungswert eindeutig ist, wenn man die Hammerschläge in der beschriebenen Art ausführt: Mozart verlängerte den zweiten Ton, er komponierte den „dreimaligen Akkord“ aus der Perspektive des Praktikers, und jeder Freimaurer verstand ihn.


Sichrovsky-Zauberflöte.jpg


Erster Aufzug, 15. Auftritt.

Taminos freimaurerische Initiation beginnt, wenig überraschend, mit der Sprecher-Szene. Vor ihm liegen drei Tempel. „Weisheit“ und „Vernunft“, die Namen der ersten beiden, sind geläufiger freimaurerischer Bestand. Weniger bekannt ist die masonische Bedeutung der Natur, die im historischen Ritual als fundamentales demokratisches Prinzip erklärt wird: „Daseyn, Mitdaseyn, Annäherung, Gleiches, Ungleiches, (...) Schwäche, Kraft“ würden in der Natur eins. Die Bruderschaft wäre gegen üble Einflüsse immunisiert, denn: „Nie wird Irreligion, Afterphilosophie, und Hinterlist in selbe einschleichen, weil eine Weisheitsschule blos aus aufrechten Verehrern Gottes in der Natur, aus Freunden ächter Tugend, und abgesagten Feinden aller Laster und verkehrten Leidenschaften bestehen kann.“ Die Natur ist auch Gegenstand der Mozart’schen Freimaurergesänge „Dir, Seele des Weltalls“ und „Maurerfreude“.

Im Besonderen strebten die Illuminaten das „Natur- und Vernunftrecht“ an: „Aufgeklärte Vernunft" sollte den natürlichen Zustand der Freiheit und Gleichheit aller Menschen wiederherstellen, um am Ende den Staat überflüssig zu machen. Die Tempel in der „Zauberflöte" sind zum Dreieck geordnet: Natur und Vernunft streben von den Seiten zur Spitze, ergeben also mitsammen die übergeordnete freimaurerische Tugend der Weisheit.

Die drei Knaben weisen Tamino in die Grundtugenden ein, die aus der griechischen Stoa in die Freimaurerei importiert wurden: „Sei standhaft, duldsam und verschwiegen.“ Das historische Aufnahmeritual kommt lobend auf die „Standhaftigkeit“ des Suchenden zu sprechen, der sich während eines kurzen Abschnitts der Zeremonie ins Stadium des „Leidenden“ (also Duldenden) emporgearbeitet hat, ehe er am Ende als neues Mitglied in den Bund aufgenommen wird. Vor dem „Richterstuhl der Verschwiegenheit“ wird ihm dabei der Schwur unbedingter Diskretion abgefordert.

„Weisheit“, „Stärke“ und „Schönheit“ sind die drei Ideale, auf die sich die Brüder während jeder Logenarbeit einschwören. In der Sprecherszene weiß sie der an die Tempelpforte pochende Tamino noch nicht zu benennen: Er charakterisiert sie mit den Synonymen „Klugheit“, „Arbeit“ und „Künste“ und lobt: „Wo Tätigkeit thronet und Müßiggang weicht, bewahrt seine Herrschaft das Laster nicht leicht.“ Im historischen Aufnahmeritual mahnt der Meister vom Stuhl den neuen Bruder, „das menschliche Herz gegen Anfälle der Laster zu vermauren, und zu verkitten, welche Arbeit vielleicht hinlänglich ist, einen rechtschaffenen Maurer täglich zu beschäftigen.“

Aus dem Tempel der Weisheit tritt der „Sprecher“ hervor, im Logengebrauch auch „Redner“ genannt und heute für die Einhaltung der Regeln verantwortlich. In Taminos Fall übernimmt er die Aufgabe eines „Informators“: Der führt mit Aufnahmewilligen ein erstes Gespräch, um sich ein Bild vom Charakter und den Absichten des Kandidaten zu machen.

Erster Aufzug, 19. Auftritt.

Tamino und Papageno stehen vor Sarastro und sollen den Weg der Initiation beschreiten: „Führt diese beiden Fremdlinge in unsern Prüfungstempel ein, bedecket ihre Häupter dann – sie müssen erst gereinigt sein.“ Reinigungsrituale kennt die klassische Freimaurerei zwar nicht, doch vom bedeckten Haupt wird alsbald die Rede sein.

Zweiter Aufzug, 1. Auftritt.

Die Priesterschaft berät über die Eignung Taminos. Der Sprecher, dem der Prinz eben erst als unreifer, atemlos impulsiver, von Emotion und Vorurteil getriebener Mensch begegnet ist, bringt seine Einwände vor und wird überstimmt. In der Freimaurerei heißt der Vorgang „Ballotage“, die Abstimmung wird mittels weißer und schwarzer Kugeln vorgenommen. Dass Tamino an der „nördlichen Pforte“ der Aufnahme harrt, erinnert daran, dass die Lehrlinge während der rituellen Arbeit an der Nordseite des Tempels sitzen.

Zweiter Aufzug, 2. Auftritt.

In der maurerischen Realität bereiteten sich die Suchenden jetzt in der „dunklen Kammer des stillen Nachdenkens“ meditierend, umgeben von Todessymbolen, auf das Aufnahmeritual vor. Tamino und Papageno werden in einen „kurzen Vorhof des Tempels“ gebracht. Ihre Köpfe sind jetzt, korrekterweise, noch unverhüllt. Es ist finster, „eine schreckliche Nacht“, wie Tamino feststellt. „Ihr Fremdlinge, was sucht oder fordert ihr von uns?“ forscht der Sprecher, der die beiden mit einem zweiten Priester examiniert. Diese Fragen stellte im historischen Ritual der „dunklen Kammer“ der Bürge, der den Suchenden zum Bund gebracht hatte. In der Oper übernehmen die Priester zusätzlich parodierend die Aufgaben des so genannten „fürchterlichen Bruders“, der in der historischen Maurerei die Unerschrockenheit des Probanden testen sollte. Sie singen das alberne Bänkellied „Bewahret euch vor Weibertücken“, und es existiert kein freimaurerisches System der Welt, in dem solcher Unsinn auch nur thematisiert würde, geschweige denn „des Bundes erste Pflicht“ wäre. Endlich drohen sie mit „Tod und Verzweiflung“, all das grob zweistimmig und in sinnwidrig beschwingtem Ton, in der karikierten Erleuchtungstonart C-Dur und am Schluss slapstickartig vom Pathosinstrument Posaune nachgeäfft. Im Ritual ist dem „fürchterlichen Bruder“ folgendes vorgeschrieben: „Er gibt sich alle ersinnliche Mühe die dienlichsten und dringendsten Ausdrücke zu gebrauchen, dem Suchenden damit abzuschröcken, indem er ihn die größten Schwierigkeiten, Hindernisse vorbildet.“ Hat er ihn davor gewarnt, sich „auf Ihre ganze übrige Lebenszeit unglücklich machen zu wollen“, knirscht er noch: „Gehen Sie, ich überlasse Sie dem unglücklichen Schicksal, welches Sie so oft verdient haben“, ehe er den Suchenden mit verbundenen Augen in den Tempel führte.

Zweiter Aufzug, 6. Auftritt.

So geschieht es auch in der „Zauberflöte“. Mit Säcken über dem Kopf werden Tamino und Papageno zur ersten Prüfung geführt. Ihre Wertgenstände – die ihnen von der Königin der Nacht überantworteten magischen Musikinstrumente – mussten sie abgeben, wie es auch in der freimaurerischen Praxis üblich war, um den Suchenden auf die Nichtigkeit materieller Güter zu verweisen. In der Realität betraten die Probanden jetzt, von ihren Bürgen geleitet, mit verbundenen Augen den Tempel, den sie in rituellen Prüfungszeremonien dreimal umrundeten. Diese so genannten „drei Reisen“ nahmen andeutungsweise auch schon die (erst Jahre später Realität werdenden) Initiationsrituale in den Gesellen- und den Meistergrad vorweg. Mozart und Schikaneder aber beschleunigen den Vorgang aus dramaturgischen Gründen: Am Ende der dritten Reise ist der Suchende Tamino bereits Meister.

Über den Verlauf der ersten Reise verrät die Oper nichts, an ihrer Stelle steht eine Auseinandersetzung mit den Drei Damen der nächtlichen Königin. Sicher ist, dass Papageno versagt, Tamino aber glänzend bestanden hat. „Heil dir, Jüngling! Dein standhaft männliches Betragen hat gesiegt!“, lobt der Sprecher. Im historischen Ritual stellt der Meister vom Stuhl fest: „Mein Herr! Ihr ehrlicher Name und gutes Gerücht, Ihre bekannte Tugend und männliches Betragen, ihre auf eine gute Meinung von uns und Vertrauen zu uns gegründete Folgsamkeit, in denjenigen, was bereits geschehen ist – und noch geschehen wird, bestärken uns zu glauben, daß (...) allein ein rühmlicher Hang mit einer zur Tugend, Treue und Ehre bekannten Gesellschaft näher als gewöhnlich verbunden zu werden, Sie hierher gebracht.“

Zweiter Aufzug, 13. Auftritt

Ausführlich ist die zweite Umrundung des Tempels beschrieben, die zweite Reise, die hier mit dem Beförderungsritual zum Gesellen zusammengezogen wird. „Beherrsche dich selbst“ lautet die Anforderung an diesen Grad, und Beherrschung unter unmenschlichen Umständen ist Tamino und Papageno auferlegt: Sie dürfen mit Pamina nicht sprechen und riskieren damit deren Selbstmord, da sie Taminos Liebe erloschen glaubt. Papageno übersteht diese Prüfungsrunde nicht und wird bis an sein Ende uneingeweiht verbleiben. Die Erzeugung des Donners, der ihn dabei mehrfach straft, wird in einem anderen Ritual der Mozart-Zeit präzise vorgeschrieben: „Man schlägt 2 oder 3mal geschwind hinter einander mit beyden Händen den von dünnem Holz verfertigten, etwan drei Fuß grosen, Rahmen, auf welchem vier Bogen Papier, so in der Mitte wohl zusammen geleimt sind, ausgespannet worden.“

Zweiter Aufzug, 28. Auftritt.

Der dritte freimaurerische Grad, der des Meisters, ist der Anforderung „veredle dich selbst“ verschrieben. Er wurde über ein ernstes, nachdrückliches Ritual erreicht: Der Geselle starb einen symbolischen Tod, ehe er als neuer Mensch auferstand. Damals ging das mit barockem Aufwand in Szene. Schon in der Aufnahmezeremonie wurden überdies die vier Elemente bemüht: Der mit verbundenen Augen seiner Wege gehende Suchende wurde mit Wasser bespritzt, mit Erde beworfen, mit einer Luftpumpe traktiert und mit einer Fackel erschreckt. Überdies musste er aus diversen Dialogen schließen, dass ein Brandeisen heiß gemacht würde, um ihn am Ende der Zeremonie zu zeichnen (wovon keine Rede war).

Einen wahren Todesweg legt in der „Zauberflöte“ Pamina zurück, die durch Taminos Schweigen an den Rand des Suizids getrieben wird. „O gold’ne Ruhe! kehre wieder!“, fleht das Paar, als es für kurze Zeit wieder zusammengeführt wird. „Wahre Freyheit, und Seelenruhe betrachtet jeder, welcher diesem Orden angehört, als das einzig Gute, welches er nicht ausser sich suchen muss“, belehrt das alte Ritual.

Den Weg des Todes verkörpern in der „Zauberflöte“ auch die beiden Geharnischten, die den Tempel der dritten und letzten Prüfungsrunde bewachen. Sie kündigen Läuterung auf Leben und Tod durch „Feuer, Wasser, Luft und Erden“ an (die Prüfung wird dann aus dramaturgisch nachvollziehbaren Gründen auf die Hauptelemente Feuer und Wasser beschränkt). „Tamino ist leicht angezogen, ohne Sandalen“, lautet die Szenenanweisung. Damit wird auf die historische Initiationszeremonie verwiesen: Der Suchende musste den Tempel mit entblößter Schulter und zum Pantoffel niedergetretenem linkem Schuh umrunden, Symbole des Erkennens der eigenen Unvollkommenheit.

Zweiter Aufzug, 30. Auftritt.

„Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“ heißt es zum glücklichen Ende der Oper. Das entspricht dem „großen Licht“, dem Höhepunkt der freimaurerischen Aufnahmezeremonie: Die Bürgen zogen den Suchenden nach der dreimaligen Umrundung des Tempels die schwarzen Binden von den Augen, und im zuvor dämmrigen Raum erstrahlte das Licht in voller Stärke. Die drei Grundtugenden, die Tamino in der Sprecherszene noch mit „Weisheit, Arbeit und Künste“ umschrieben hat, werden nun vom Chor in heiterer Gelassenheit, ohne Jubelpathos, bei den richtigen Namen genannt: „Es siegte die Stärke und krönet zum Lohn die Schönheit und Weisheit mit ewiger Kron.“

Die anderen Quellen.

Um das dramaturgische Chaos der „Zauberflöte“ zu begreifen und als solches zur Kenntnis zu nehmen, muss man sich vergegenwärtigen, dass Opern und Singspiele damals Jahr für Jahr zu Aberdutzenden im Eilverfahren gefertigt, abgespielt und weggeworfen wurden. Vor allem aber muss man auch die anderen Quellen kennen, die da, weitgehend ungebahnt, mit dem maurerischen Ritual zusammenflossen.

1. „Ueber die Mysterien der Aegyptier“

erschienen im „Journal für Freymaurer“, erster Jahrgang, erstes Vierteljahr, „als Manuskript gedruckt für Brüder Meister des Ordens, herausgegeben von den Brüdern Meister der Loge zur Wahren Eintracht im Orient von Wien, 5784“. Nach nicht-masonischer Zeitrechnung bezeichnet das den Jänner 1784, fast ein Jahr vor Mozarts Aufnahme. Den zugehörigen Vortrag hielt der führende Illuminat Ignaz von Born, Meister vom Stuhl der – vom Geheimorden komplett unterwanderten – Loge „Zur wahren Eintracht“. Die seriöse Ägyptologie nahm ihren Anfang erst mit Napoleons Ägypten-Feldzug. In dessen Verlauf wurde 1799 der Stein von Rosette entdeckt, der die Entzifferung von Hieroglyphentexten ermöglichte. 15 Jahre davor war der Vortragende Born also auf Mythen und Überlieferungen angewiesen, und auch die schönte er erheblich: „Ägypten“ war das illuminatische Codewort für Österreich, und Born suggerierte, das grausame Pharaonenreich wäre ein Ort der Weisheit, der Wissenschaft und der Gerechtigkeit gewesen. Der Historiker Diodorus, auf den sich Born mehrfach beruft, berichtet noch von barbarischen Strafritualen gegen Elternmörder (wer sein Kind tötet, kommt hingegen glimpflich davon). Born verschweigt diese Details und entwirft ein Modell des idealen freimaurerisch-illuminatischen Staates. Sarastros Sonnenreich ist Borns „Ägypten“.

2. „Diodor’s von Sicilien Historische Bibliothek“,

geschrieben im 1. Jahrhundert vor Christus in griechischer Sprache, war dafür die Grundlage. „Dann wird die Erd ein Himmelreich und Sterbliche den Göttern gleich“, jubelt der Chor in der „Zauberflöte“, und die drei Knaben heben dieses radikaldemokratische Avancement später nochmals hervor. Es beruht auf dem Osiris-Mythos, wie ihn Diodor überliefert: Der Götterkönig Osiris war zunächst ein Sterblicher und wurde aufgrund seiner Verdienste erhöht. Diodors zweite ideale Gestalt ist der Pharao Sesostris, „welcher größere und herrlichere Thaten, als früher Alle, verrichtet haben soll“. Hier ist Sarastro angelegt, der „Abgott“ des Sonnenreichs. Bei der Geburt des Sesostris habe dessen Vater alle an demselben Tag zur Welt gekommenen Knaben sammeln und nach den höchsten Kriterien ausbilden lassen. Dank brüderlicher Liebe wäre so ein Weltreich der Wissenschaft, der Kunst, der Gerechtigkeit und der Ruhe erstanden. „O goldn’ne Ruhe! kehre wieder!“, flehen Tamino und Pamina auf dem Höhepunkt des Prüfungsrituals das goldene Zeitalter herbei.

3. „Über Isis und Osiris“,

geschrieben im 1. Jahrhundert nach Christus vom Griechen Plutarch. Das ägyptischen Geschwister-und Ehepaar Osiris und Isis ist eine untrennbare, mythologische Einheit. Osiris verkörpert das handelnde, gestaltende, männliche Prinzip der Sonne, Isis das weibliche, reflektierende des Mondes. Über den Tod hinaus kann keines ohne das andere sein: Als Osiris ermordet wird, setzt Isis die Leichenteile zusammen und wird noch mit dem Gott Horus schwanger. Dieses „Stirb und Werde“ ist auch der Inhalt des dritten freimaurerischen Grades. In der griechischen Mythologie entspricht Osiris dem Sonnengott Helios, seine Schwester und Ehefrau Isis der Mondgöttin Selene. Hier haben Sarastro, der Herr über das Sonnenreich, und die Königin der Nacht ihren Ursprung. Bei Plutarch wird auch schon eine Schlange zerstückelt wie zu Beginn der „Zauberflöte“, und Isis trägt Hörner, die der Mondsichel der Königin der Nacht entsprechen.

4. Heliodor, „Die Abenteuer der schönen Charikleia“.

In diesem Roman aus der griechischen Spätantike hat das für einander bestimmte „hohe Paar“ Pamina und Tamino seinen Ursprung. Theagenes und Charikleia gelangen durch Todeserlebnisse zu einander. Unter anderem besteht Charikleia eine Feuerprobe, und wie Pamina ist sie entschlossen, mit dem Geliebten bis ans Ende zu gehen: „Weil es der Wille der Gottheit ist, dass ich Leben und Tod mit diesem Manne teile.“ Am Ende werden die beiden im Namen der Sonne und des Mondes vom König Hyspades mit dem Zeichen der Macht belehnt. So wie Tamino und Pamina durch Sarastro mit dem „siebenfachen Sonnenkreis“.

5. Lucius Apuleius, „Der goldene Esel“.

Apuleius von Madauros, der um 150 nach Christus im heutigen Algerien lebte, verfasste da ein singuläres Werk: Zehn Kapitel lang ein Schelmenroman explizit sexuellen Inhalts, wandelt es sich im elften Kapitel zu einem der großartigsten Initiationstexte der Literaturgeschichte. Zwischen diesen Extremen changiert inhaltlich auch die „Zauberflöte“. Der Ich-Erzähler Lucius, in dessen Namen die Licht-Thematik schon angelegt ist, wurde unglücklich in einen Esel verwandelt und erfährt im letzten Kapitel die Erlösung durch die Mondgöttin Isis, die nachts dem Meer entsteigt.

Das „prächtige Gewand“ der Königin der Nacht scheint da beschrieben: „Es umhüllte sie ein Mantel von blendenden Schwärze (...). Sowohl auf der Verbrämung als auf dem Mantel selbst flimmerten zerstreute Sterne, in deren Mitte der Vollmond in seiner ganzen Pracht glänzte.“ Lucius taucht sieben Mal unter – „Sie müssen erst gereinigt sein“, heißt es in der „Zauberflöte“ – und wird dann erlöst. Dabei sind drei Oberpriester behilflich, deren einer einen Palmzweig in Händen hält wie die „drei Knaben“ in der „Zauberflöte“.

Der erlöste Lucius wird Priester, indem er eine Initiation in drei Graden erlebt. Er geht dabei „bis an die Grenzscheide zwischen Leben und Tod“ wie der Freimaurer in der Erhebungszeremonie zum Meistergrad. Und wie Tamino und Pamina während der Wasser- und Feuerprobe: „Nachdem ich alle Elemente durchfahren hatte, kehrte ich wiederum zurück. Zur Zeit der tiefsten Mitternacht sah ich die Sonne in ihrem hellsten Licht leuchten.“

6. „Geschichte des egyptischen Königs Sethos“

von Abbé Jean Terrasson. Der Fantasy-Roman des 1750 verstorbenen französischen Altphilologen ist eine der wesentlichsten Quellen der „Zauberflöte“, Borns und der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts. Das vom Bruder Matthias Claudius ins Deutsche übersetzte Werk schildert die Initiation des ägyptischen Prinzen Sethos, aus dem dann Tamino wurde. Bei beiden steht am Anfang des Wegs der Kampf mit einer Schlange. Sethos aber wird keineswegs ohnmächtig, sondern fängt das Reptil, das sich mit philosophischer Gelassenheit in sein Schicksal fügt, mit Hilfe einer Maschine.

Sarastros Arie „O Isis und Osiris“ ist hier fast wörtlich vorweggenommen:

„Oh, Isis, Göttin der Ägypter, gib deinen Geist dem neuen Diener, der soviel Gefahren und ::Beschwerlichkeiten überstanden hat, um vor dir zu erscheinen. Mache ihn aus sich reich in den ::Proben seiner Seele und lehre sein Herz deine Gesetze, damit er würdig werde, zu deinen ::Geheimnissen zugelassen zu werden.“

In der„Zauberflöte“ lautet das:

„O Isis und Osiris, schenket
der Weisheit Geist dem neuen Paar!
Die Ihr der Wand’rer Schritte lenket,
stärkt mit Geduld sie in Gefahr.
Laßt sie der Prüfung Früchte sehen,
doch sollten sie zu Grabe gehen,
so lohnt der Tugend kühnen Lauf,
nehmt sie in euren Wohnsitz auf!“

Am Ende steht eine Wasser- und Feuerprobe, angekündigt mit einer Inschrift, die bis ins Detail dem Choral der beiden Geharnischten entspricht:

„Wer diesen Weg alleine geht, und ohne hinter sich zu sehen, der wird gereinigt werden durch das ::Feuer, durch das Wasser und durch die Luft, und wenn er den Schrecken des Todes überwinden ::kann, wird er aus dem Schoß der Erde wieder herausgehen und das Licht wiedersehen, und er wird ::das Recht haben, seine Seele zu der Offenbarung der Geheimnisse der Göttin Isis gefaßt zu ::machen.“

Auch hier herrscht aufklärerische Gelassenheit: Mit etwas Logik und Geschick sind sowohl der glühende Rost als auch der vom Nil abgeleitete Kanal ohne Schaden zu bezwingen.

Die Geharnischten in der „Zauberflöte“ formulieren es so:

„Der, welcher wandert diese Strasse voll Beschwerden,
Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden;
Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,
Schwingt er sich aus der Erde Himmel an. –
Erleuchtet wird er dann im Stande seyn,
Sich den Mysterien der Isis ganz zu weih'n.“

Der „Sethos-Roman“ übte auf die Freimaurerei solchen Einfluss aus, dass sich wesentlich auf ihm das Hochgradsystem der „Afrikanischen Bauherren“ begründete. 1770 – 14 Jahre vor Borns Vortrag und 21 Jahre vor der „Zauberflöte“ – taucht das Zitat zur Wasser- und Feuerprobe wörtlich im Konstitutionsbuch der „Bauherren“ auf, einer phantasievoll fabulierten Stifterlegende namens „Crata Repoa“.

Terrassons Werk hat auch kühne Theorien auf den Weg befördert: Der Prinz unterliegt hier anfangs einer, dem Ritual immanenten, gründlichen Desillusionierung – so wie Tamino sie erlebt, als er an der Tempelpforte erfährt, dass die Königin der Nacht nicht gut und Sarastro nicht böse ist. Zudem treten die Frauen der Priester als Versucherinnen an, um den Probanden mit erotischen Instrumentarien vom Weg der Tugend zu verlocken. Gehören womöglich die Königin und die drei Damen zum rituellen Personal? Das würde erklären, weshalb die von der Königin entsandten drei Knaben den Initiationsvorgang schützend begleiten. Auch dass die Königin und ihre Dienerinnen im Sonnentempel praktisch ein und ausgehen und sogar zur „dunklen Kammer“ Zutritt finden, wäre damit schlüssig. Klar, dass Bruder Schikaneder ob solcher Komplikationen zusehends den Faden der Handlung verlor und nicht mehr wusste, wer hier gut oder böse war, die „Weiber“ zum Finale aber vorsichtshalber „zerschmettert, zernichtet“ in „ewige Nacht“ schickte.

7. „Dschinnistan, oder auserlesene Feen- und Geistermärchen,

teils neu erfunden, teils übersetzt und umgearbeitet“ ist eine zwischen 1786 und 1789 von Christoph Martin Wieland herausgegebene Märchensammlung. Zwölf der 19 Geschichten formulierte Wieland selbst, vier sein Freund Hildebrand von Einsiedel und zwei sein Schwiegersohn August Jacob Liebeskind. Auf dieser Sammlung beruht zum weitaus größten Teil die Handlung der „Zauberflöte“. Kein Wunder, dass sich die drastisch-plakativen Gut-und-Böse-Befunde der Märchen mit den philosophisch-theologischen Initiationstexten der anderen Quellen nicht zur Einheit fügen wollten.

Den größten Anteil an der Geschichte hat „Nadir und Nadine“, Wielands Nachdichtung des französischen Märchens „Der Zauberer oder: Der Ring der Gewalt“. In der Gestalt zweier Paare ist da schon ein Großteil des Personals der „Zauberflöte“ angelegt: Die für einander bestimmten und nach schweren Prüfungen zu einander gelangenden Lichtgestalten Nadir und Nadine bilden das hohe Paar. Dazu kommen ein guter und ein böser Bruder, die einen mörderischen Kampf um die Herrschaft austragen. Dem Guten wurde vom Vater ein Ring, das Symbol der Macht, vererbt, was den Bösen noch aggressiver macht: so wie die Königin der Nacht, die nicht verwinden kann, dass ihr verstorbener Gatte nicht ihr, sondern Sarastro den „siebenfachen Sonnenkreis“ vermacht hat.

Hier tritt auch der „sehr häßliche schwarze Sklave“ Thorgut auf, der die Augen zu seiner heimlich liebenden Gebieterin Farsana erhebt und, zur Rede gestellt, Monostatos’ Arie „Alles fühlt der Liebe Freuden“ antizipiert: „,Warum das nicht’, antwortete der Schwarze; ,bin ich etwa nicht so gut als ein anderer?’“ Als sie ihn abweist, wird er erst zudringlich und dann aggressiv und denunziert sie endlich bei ihrem Gebieter, der gleichfalls erotische Ansprüche an sie stellt. Damit sind die Probleme Paminas und die Umtriebe des Monostatos soweit umfassend beschrieben.

Gleichfalls von Wieland ist das Märchen „Der Stein der Weisen“. Der verkörpert diesmal das Machtsymbol, um das König Mark von Cornwall – übrigens ein Enkel des durch Tristan gehörnten Isolden-Gatten – einen harten Kampf austragen muss.

„Die klugen Knaben“ von August Jacob Liebeskind verweisen unmittelbar auf die drei Knaben in der „Zauberflöte“. Auch sie sind zu dritt, und sie werden von den Einwohnern ihres Landes in allen Fragen um Hilfe gebeten.

„Lulu oder Die Zauberflöte“, gleichfalls von Liebeskind, erzählt von einem Prinzen und seiner folgenschweren Begegnung mit der Fee Periphrime. Sie händigt ihm eine Flöte und einen Ring aus und schickt ihn zu bösen Magier Dilsenghuin, um ihr den von ihm geraubten Feenstrahl, den „siebenfachen Sonnenkreis“ der „Zauberflöte“, zurückzubringen. „Zur Belohnung ist dem Sieger das Beste, was ich habe, beschieden“, sagt sie, und das Beste ist ihre Tochter.

In „Neangir und seine Brüder, Argentine und ihre Schwestern“ wird einem jungen Mann von einem Unbekannten das Bildnis eines jungen Mädchens ausgehändigt, so wie Tamino Paminens Bild durch die Königin der Nacht. Wie Tamino begibt er sich auf die Suche, um die ihm Vorbestimmte zu finden. Dabei befeuert ihn ein Trank wie Papageno, dem es im „Herzenskämmerlein“ brennt, seit er „gekostet diesen Wein“. „Aber so erklärt mir doch alle diese Rätsel“, fordert er, so wie Tamino den Sprecher bittet: „Erklär dies Rätsel, täusch mich nicht!“. Und wie der Sprecher antwortet der Unbekannte: „Alles ist mir nicht erlaubt zu sagen.“

8. „Oberon“ von Christoph Martin Wieland.

Als das romantische Heldengedicht in zwölf Gesängen 1780 erschien, war Wieland von seiner späten Aufnahme in den Bund noch 29 Jahre entfernt (auch „Dschinnistan“ gab er als Nicht-Freimaurer heraus). Und in der Tat transportiert das sprachlich sublime, inhaltlich betörend unkorrekte Versepos kein masonisches Gedankengut. Es geht um den Kreuzritter Hüon von Bordeaux, der von Karl dem Großen den folgenden Auftrag bekommt: Er soll dem Kalifen von Bagdad vier Backenzähne ausbrechen, eine Handvoll Haare aus dem Bart reißen, den Schwiegersohn umbringen und die Tochter entführen. Der Elfenkönig Oberon reicht helfend die Hand, indem er Hüon ein magisches Horn überantwortet. Das ist geeignet, jeden Feind zum Tanzen zu bringen wie Papagenos Glockenspiel. Hüon und die Kalifentochter Rezia finden einander als ideales Paar, und in Begleitung des Helden reist der Knappe Scherasmin, die komische Gestalt der Handlung, das Pendant Papagenos.

9. Vor kurzem entdeckte der bedeutende Ägyptologe und Mozart-Forscher Jan Assmann

auch noch das Märchen „Der Zauberkönig“ des Franzosen Louis de Mailly, der ein unehelicher Sohn Ludwigs XIV. war. Hier ist die Entführung der Prinzessin durch den hochgesinnten Herrscher ebenso angelegt wie ihre Befreiung durch den Prinzen.

10. und 11. Stilbildend für die „Zauberflöte“

waren außerdem zwei musikdramatische Erzeugnisse früherer Herkunft: Zum Initiationsspiel „Thamos, König in Ägypten“ von Tobias Philipp von Gebler, der später Meister vom Stuhl in der „Neugekrönten Hoffnung“ wurde, schrieb Mozart 1773 die Bühnenmusik. „Tamino“ bedeutet „kleiner Thamos“. Und 1790 kam im Freihaustheater auf der Wieden „Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel“ nach Wieland heraus, eine Gemeinschaftsarbeit Mozarts und Schikaneders mit den nachmaligen „Zauberflöte“-Protagonisten Schak (Tamino), Gerl (Sarastro) und Johann Baptist Henneberg, der von Mozart das Dirigat der Reprisen übernahm. Hier ist das lustige Paar Papageno / Papageno angelegt, und die ihnen zugedachten Passagen komponierte Mozart selbst.

Aus der Quellenlage erklärt sich die Handlung der „Zauberflöte“ also folgend: Sarastro und die Königin der Nacht sind gleichzeitig 1.) die ideale göttlich-mythologische Einheit Isis und Osiris und 2.) das feindlich um die profane Macht ritternde Brüderpaar aus „Nadir und Nadine“. Hier entspricht Sarastro dem edlen und die Königin dem verworfenen Bruder. Gerade umgekehrt liegen die moralischen Verhältnisse in 3.) „Lulu oder die Zauberflöte“. Da das Libretto keinerlei Anstrengung zur Auflösung dieser Widersprüche unternimmt, lavieren die beiden in der Oper auf offener Szene zwischen Gut und Böse. Das Konstrukt des Widersinns soll 4.) durch das freimaurerische Ritual zusammengehalten werden. Das aber kollidiert 5.) hoffnungslos mit dem einander bestimmten „hohen Paar“ aus „Charikleia“ und anderen Quellen. Damit Tamino und Pamina in der Oper dennoch zu einander und auf den Thron des Sonnenreichs gelangen können, wird die Frau überraschend in die letzte freimaurerische Initiationsrunde geschleust, wodurch wiederum die beiden Geharnischten in Erklärungsnotstand geraten. „Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht“ behaupten sie apodiktisch und gegen alle Gepflogenheiten des Männerbundes.

An der Herausforderung, über diesem Flohmarkt der Motive und Zitate ein den Gesetzen der Statik verpflichtetes Gebäude zu errichten, wären auch andere Talente als Schikaneder und Giesecke gescheitert. Mozart konnte es. Aber der hatte zur nämlichen Zeit auch das ungestaltete philosophisch-theologische Manifest „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ in ein perfekt gebautes Kunstlied verwandelt (Details im vorhergehenden Kapitel). Vielleicht wendet sich die professionelle Aufmerksamkeit, die der „Zauberflöte“ seit mehr als 220 Jahren zuteil wird, im Lichte all dieser Erkenntnisse doch wieder Mozarts Musik zu.


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