Alfred Schmidt: Bacons Haus Salomonis
Alfred Schmidt: Bacons Haus Salomonis
Über den schwärmerisch-spekulativen Ideen sind die
Tendenzen
naturwissenschaftlichen Denkens nicht zu vergessen,
die sich in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
immer
stärker durchsetzen; sie werden zunehmend
wichtiger für das sich herausbildende Selbstverständnis der
humanitären Maurerei. Bacon, ein Herold der Zeitenwende,
stellt seine antischolastische Philosophie in den Dienst
fortschreitender
Kultur und Aufklärung, die er mit fortschreitender
Herrschaft des Menschen über die Natur gleichsetzt.
Empirisches
Studium der Tatsachen, das sich an Experimenten
orientiert,
zwingt die Natur dazu, die vom methodischen
Beobachter
an sie gerichteten Fragen zu beantworten. Gott
und die Unsterblichkeit der Seele bleiben wissenschaftlicher
Erkenntnis entzogen. Sie sind Sache des Glaubens. Andererseits
entrichtet Bacon dem alchemistischen Zeitgeist einen
gewissen Tribut; er verehrt die Weisheit der Kabbala, weshalb
seine Schriften rosenkreuzerische Motive enthalten.
238
Mit den Rosenkreuzern verbindet Bacon die Abneigung gegen den Papismus, Gewissenszwang und konfessionelle Eiferer; ihnen gegenüber hat der Staat seine Selbstständigkeit zu wahren. Erwähnenswert als Keimform freimaurerischen Denkens ist Bacons Nova Atlantis von 1638, die fantastisch ausgemalte Schilderung des idealen Gemeinwesens Bensalem, das über wissenschaftlich-technische Errungenschaften verfügt, die der Zeit weit vorauseilen. Als die bedeutsamste Tat des Königs dieses utopischen Inselreichs bezeichnet Bacon „die Gründung oder Einrichtung eines gewissen Ordens oder einer Gesellschaft“, die er das „Haus Salomons“239 nennt.
Es soll der „Erforschung und Betrachtung der Geschöpfe Gottes“ 240 dienen, das heißt der den Menschen förderlichen „Erkenntnis des wahren und inneren Wesens aller Dinge“241. Deutlich wird die okkult-magische Herkunft der Konzeption Bacons, wenn er den Zweck der „Gründung“ des „Hauses Salomons“ in der „Erkenntnis der Ursachen und Bewegungen sowie der verborgenen Kräfte in der Natur und (in der) Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen“242 erblickt. Wie Fludd und Comenius ist auch Bacon davon überzeugt, dass das enorme Fortschreiten des Wissens, das er voraussagt, etwas mit dem tausendjährigen Reich zu tun hat.
Quellenangaben
- 238 Zum Verhältnis Bacons zum Rosenkreuzertum cf. Frances A. Yates, Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes, Stuttgart 1975, S. 129-140. – Die Autorin bestreitet den modernen, pionierhaften Grundzug des Bacon‘schen Denkens nicht, macht aber darauf aufmerksam, dass Bacons Konzeption „aus der Magie und Kabbala der Renaissance hervorging. ... Seine große ‚Wiederherstellung' der Erkenntnis war auf eine Rückkehr zum Zustand Adams vor dem Sündenfall gerichtet, einen Zustand reiner und sündenfreier Verbindung mit der Natur und der Erkenntnis ihrer Macht. ... Auch Bacons Wissenschaft ist noch zu einem Teil okkulte Wissenschaft. Unter den Themen, denen er nachgeht, sind natürliche Zauberkraft, Astrologie, die er in einer erneuerten Form zu finden sucht, Alchemie, von der er tief beeinflußt war, ... und andere Gegenstände, die von denen, die die moderne Seite Bacons unterstreichen wollten, einfach ignoriert wurden“ (ibid., S. 130).
- 239 Francis Bacon, Neu-Atlantis, in: Der utopische Staat, hrsg. von Klaus J. Heinrich, Reinbeck bei Hamburg 21962, S. 193.
- 240 Ibid.
- 241 Ibid., S. 194.
Siehe auch:
- Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
- Alfred Schmidt
- Rezension: Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
- Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte
- Philosophiegeschichtliche Aspekte der Idee einer Natur- oder Vernunftreligion
- Deismus
- Klaus-Jürgen Grün
- Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort
- Bernhard Beyer