Traktat: Ursache, Wirkung und das Fest der Liebe

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Ursache, Wirkung und das Fest der Liebe

Wenn vor vielen Jahren, wie es in Deutschland vor bald schon 20 Jahren einmal geschah, mittags um 12 Uhr die Sonne hinter dem Mond verschwunden war und es dunkel wurde, mag manch ein Zauberer seine Sonnenmaske aufgesetzt und den Sonnentanz vollführt haben. Während er sich dabei in Trance getanzt hatte, trat die Sonne wieder hervor und es ward Licht.

Dem Zauberer und seinem Volk wird kein Zweifel aufgekommen sein, dass sein Tanz die notwendige Ursache für die Wiederkehr der Sonne ist. Die Ausübung von Ritualen transportiert stets auch eine Theorie der Kausalität. Im religiösen Denken schreiben Menschen unter Anderem dem bloßen Aussprechen von Worten eine kausale Wirkung in der Welt zu; wer sich eher zur Astrologie hingezogen fühlt, hält die Konstellation der Tierkreiszeichen und der Planeten für die Ursache menschlichen Schicksals; und wem VooDoo-Praktiken sympathischer sind, der schreibt auf eine Stoffpuppe den Namen seines Feindes und ist fest davon überzeugt, diesem Schmerzen bereiten zu können, wenn er die Puppe mit spitzen Nadeln piesackt.

Auch die Ausübung freimaurerischer Rituale transportiert eine Theorie der Kausalität. Aber diese ist aus dem Zweifel an der Wirksamkeit der geschilderten Praktiken hervorgegangen. Im Ritual der Freimaurer werden Worte gesprochen, Handlungen vorgenommen und Szenen abgespielt, die allesamt keine explizite, sondern ausschließlich übertragene Bedeutung haben.

Schon allein die Aufforderung des Meisters vom Stuhl an den Aufseher, „Sieh nach, wer da ist!“, hat nicht die Bedeutung eines Befehles, der zu Ausführung kommen soll. Denn schließlich weiß der Meister vom Stuhl, der ja der Vorsitzende des Vereins einer Freimaurerloge ist, wer jetzt aufgenommen wird. Nicht minder deutlich sind die barocken Formen der bei einer Tafelloge ausgesprochenen Toasts. In ihnen wird nichts Neues mitgeteilt. Aber etwas Besonderes geschieht dabei dennoch.

Es ist das Nicht-Ausgesprochene. Jede Unterbrechung der einzelnen Gänge der Mahlzeit ist durch die Tat der Vollzug der Einbindung sozialer Verhältnisse in den Prozess der Nahrungsaufnahme. Kein Teilnehmer an einer Tafelloge gewinnt bei dieser Einbindung sozialer Beziehungen in den Ablauf eines Banketts den Eindruck, als sollten durch magische Zauberkräfte die Verbindungen innerhalb einer Gesellschaft hergestellt werden.

Vielmehr vermittelt das Erlebnis eine stärkere Wahrnehmung für die Wirkung von Praxis: Indem wir uns in der Praxis üben, anderer zu gedenken, gewinnen sie größere Präsenz in unseren Gedanken. Nun stehen Weihnachten und der Jahreswechsel im Zeichen der Liebe. Während eine Kirche den Anspruch erhebt, die Geburt ihres Gottes zu feiern, können wir uns ebensogut vollkommen säkular an den Festtagen erfreuen. Bleiben sie doch als das Fest der Liebe stets auch die Erinnerung daran, dass wir uns nicht zuletzt dadurch zu liebenswerten Menschen bilden, indem wir uns in Liebenswürdigkeit üben.

Freimaurerische Rituale vermitteln ein Gespür für die schöpferische Kraft der Praxis: wenn wir eine humanere Welt wünschen, müssen wir uns in der Praxis der Humanität üben. Und Freimaurer müssen da nicht weniger üben als andere Menschen. Sie geben durch ihre Rituale nur ein sichtbares Sinnbild ab, dass wir durch Arbeit die Welt verändern, nicht durch fromme Gebete, magische Riten oder zauberhafte Deutung der Sterne und Planeten. Freilich bleibt es jedem selbst überlassen, auch andere Auffassungen von kausaler Wirkung in sein Weltbild einzutragen. Allein, dies hat dann bloß nichts mit Freimaurerei zu tun.


Klaus-Jürgen Grün

-Meister der Loge-

November 2014