Johann Moritz Schwager
Johann Moritz Schwager
Der Aufklärer auf dem Lande Politik, 16.02.2010, Matthias Korfmann
Soest. Ein Theologe aus Soest erzählt die Geschichte des westfälischen Aufklärers Johann Moritz Schwager . 200 Jahre lang war der fleißige Landpfarrer in Vergessenheit geraten, jetzt konnte sein Werk „exhumiert“ werden.
Sie waren große Aufklärer, und sie hatten große Bühnen: Immanuel Kant in der Akademie der Wissenschaften, John Locke in der Royal Society, Jean-Jacques Rousseau im vorrevolutionären Frankreich. Aufklärung ist große Philosophie: wie geschaffen für glänzende Metropolen und vornehme Zirkel. Wir denken an Paris, Berlin, London und am allerwenigsten an die Provinz. Aufklärung auf dem Lande? Na, dorthin wird sie wohl zu allerletzt gekommen sein.
„Stimmt nicht“, sagt Frank Stückemann. Der evangelische Theologe hat einen Aufklärer „ausgegraben“, der in der westfälischen Provinz zuhause war, im beschaulichen Jöllenbeck bei Bielefeld. Einen Landpfarrer, der mehr Bauern als Professoren um sich hatte. Einen Wortführer liberalen Denkens, der „mitten in der Knüste“ wirkte: Johann Moritz Schwager (1738 – 1804).
Wir würden Schwager heute einen „Worcaholic“ nennen. Er füllte Zehntausende Seiten. als Journalist, politischer Prediger, Schriftsteller. Frank Stückemann, selbst ein Landpfarrer in der Soester Börde und gebürtiger Jöllenbecker, hat Schwagers literarisches Vermächtnis aus den Bibliotheken geholt und daraus seine Doktorarbeit gemacht: „Johann Moritz Schwager; ein westfälischer Landpfarrer und Aufklärer ohne Misere. Sie wurde von der Universität Münster mit magna cum laude beurteilt und ist im Bielefelder Aisthesis-Verlag als Band 36 der Veröffentlichung der Literaturkommission für Westfalen erschienen.
Stückemann hat das Werk seines, wie er sagt „zu Unrecht vergessenen Amtsbruders“ aus dem 18. Jahrhundert regelrecht exhumiert: selbstständig erschienene Werke, Artikel aus alten Periodika, anonyme Zuweisungen, Rezensionen und Handschriften, alles in allem mehr als 30000 Seiten aus 30 Bibliotheken und Archiven.
„Schwager war eine Art Anti-Kant. Einer, der den Leuten aufs Maul geschaut und sich seiner bäuerlichen Umgebung angepasst hat. Er wusste, dass er sich, um seine Botschaft gut vermitteln zu können, ebenso dem Studium des gemeinen Mannes wie dem Studium der Bibel widmen musste“, erklärt Stückemann.
Seine Botschaft, das war vor allem geistige Aufgeschlossenheit, Neugier und Toleranz. Den seinerzeit auch in Westfalen so verbreiteten Pietismus, die protestantische Frömmigkeitsbewegung, hatte Schwager als seinen Gegner ausgemacht. „Geistige Enge, Bildungsferne, Denkfaulheit konnte der Pfarrer, Freimaurer und Aufklärer Schwager nicht ertragen“, sagt Stückemann. Von der Kanzel und mit der Feder verbreitet Schwager ein geradezu liberales Menschenbild: Geschöpfe Gottes sind unterschiedslos zu achten, auch Juden und Muslime; der Mensch ist in der Lage, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Im Teufelsstreit ergreift Schwager eindeutig Partei und will aufräumen mit der Vorstellung von einem Teufel, der in den Weltenlauf eingreift. Übersetzungen, Buchbesprechungen sowie ein „Versuch zur Geschichte der Hexenprozesse“ stellen die Weichen zur vergleichenden Religionswissenschaft wie zur Volkskunde. Schwager versucht sich sogar als Volksmediziner und unterstützt die Einführung der Pockenimpfung.
Dass der umtriebige und kritische Pfarrer zu Jöllenbeck sich nicht überall Freunde machte, liegt auf der Hand. Und dennoch hatte er zumindest eine Zeitlang mächtige Fürsprecher. Der König kannte ihn und schrieb ihn 1780 als „würdiger, lieber Getreuer“ eigenhändig an: „Mir gereicht es zu besonders gnädigstem Wohlwollen, und Euch zur wahren Ehre, dass Ihr den wahren Zweck Eures geislichen Lehramts zu erfüllen sucht, echte und wahre Patrioten zu bilden, und meine dortigen Untertanen auf ihr wahres Wohl aufmerksam zu machen.“
Schwagers dreibändiger Schlüsselroman „Leben und Schicksale des Martin Dickius“ (1775/76) ist eine Satire auf die Bildungsnenitenz von Pietismus und Erweckung sowie auf das kleinstbürgerliche Milieu: Der völlig ungeniale Titelheld Dickius soll auf Wunsch seiner Mutter Theologe werden. Nachdem er mit Ach und krach durch die Lateinschule gehievt worden ist, ersetzt er als Student den universitären Studiengang durch Frömmelei. Die Ersparnisse seiner Eltern werden verzehrt, ebenso deren Haus und Grundstück. Dickius fällt dreimal durchs Examen und endet als Schulmeister in Rumpelsdahl.
„Schwagers Dickius setzt dem Archetypus der bigotten Borniertheit, der ungeistigen Geistlichkeit und des Frömmlertums ein höchst aktuelles Denkmal“, urteilt Stückemann. „Der evangelikale Fundamentalismus ist bis heute eine schwere Hypothek für die protestantische Kirche.“
Der Bochumer Arzt und Schriftsteller Karl Arnold Kortum (1745 – 1824) nahm Schwagers „Dickius“ aufs Korn und schrieb als pietistischen Gegenentwurf die von Wilhelm Busch illustrierte „Jobsiade“. Kortum hatte wenige Jahre nach Schwager das Dortmunder Archigymnasium besucht. Die Wege der so unterschiedlich denkenden Autoren hatten sich mehrfach gekreuzt.
640 Seiten hat Frank Stückemann über Johann Moritz Schwager geschrieben. Mit Herzblut und mit wachsendem Respekt vor dem in Vergessenheit geratenen Landpfarrer: „Er hatte keine Menschenfurcht, er zeigte Zivilcourage, er mochte die einfachen Leute in seiner kleinen Stadt. Von seiner Persönlichkeit her war er ein Luther.“ Ein größeres Kompliment kann ein evangelischer Theologe wohl kaum vergeben.
Quelle: Zeitung "Der Westen"