Traktat: Toast auf das Vaterland 2015
Toast auf das Vaterland 2015
Anmerkung der Redaktion: Der Verfasser ist der Redaktion bekannt. Wir veröffentlichen diesen Text in einer Zeit agressivster Polarisierung. Deckung bekommt eine neue Bedeutung in einem Land, das glaubte, seine braune Vergangenheit bewältigt zu haben.
Ein Toast auf das Vaterland ist standardisierter Bestandteil vieler Tischrituale. Der nachstehende Toast wurde anläßlich des Stiftungsfestes der Loge "Lessing Frankfurt am Main" am 18. Oktober 2015 gehalten.
Liebe Gäste, geliebte Brüder,
ein Toast auf das Vaterland ist eine schwierige Aufgabe, gerade für mich, der in einem osteuropäischen Land jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs während des Kalten Krieges geboren wurde und der mittlerweile ein deutscher Staatsangehöriger geworden ist.
Vaterland!
Vaterland fühlt sich männlich an. Vaterland kann blutrünstig sein. Vaterland ist gerade in Deutschland –aber nicht nur - auch ein missbrauchter Begriff. Dafür wurden schreckliche Kriege begonnen. So halte ich es lieber mit dem Namensgeber der Loge Lessing:
„Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären, und genau wüssten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhört.“
Auch ich habe während des Kalten Krieges für mein osteuropäisches Vaterland ein Jahr lang Dienst an der Waffe geleistet, für ein Vaterland allerdings, dessen damalige Ideologie und Grundwerte ich nicht teilte. Im schlimmsten aller Fälle hätte ich trotzdem gegen ein demokratisches Land, wie zum Beispiel Deutschland, kämpfen oder gar sterben müssen.
Die Zeitenwende am Ende der 1980er Jahre schwemmten mich und meine Frau nach Deutschland. Wir fanden hier eine neue... Heimat.
Heimat!
Heimat fühlt sich weiblich an.
Heimat bietet Schutz, wie der Schoß einer Mutter. Heimat ist ein Ort der Geborgenheit, der freien Entfaltung, ein Ort der Liebe.
Heimat kommt von „Heim“, von Haus.
In diesen Tagen starren wir Bewohner dieses ‚deutschen Hauses’ wie versteinert aus den Fenstern und betrachten die Welle von heimatlosen Flüchtenden. Es sind überwiegend Menschen, die die Wahl haben zwischen Dienst an der Waffe für ihr Vaterland, - jedoch für welche Seite? Es scheint nur schlechte zu geben – oder Flucht. Pest oder Cholera. So oder so, sie verlieren alle ihre Heimat.
Als Freimaurer sind wir bestrebt am Tempel der Humanität zu arbeiten. Man kann den Begriff Tempel auch herunterdeklinieren auf das Wort „Gebäude“ oder „Haus“ oder Heim... Heimat.
Heimat wird, in diesem Sinne, Humanität.
Und das ist es, was all die herumirrenden „Heimlosen“ suchen: Menschlichkeit.
Wir Freimaurer glauben auch noch an einen ganz besonderen Mörtel: die wahre, reine Menschenliebe. Und auch dieser Mörtel fehlt den Menschen, um Ihre Heime wieder aufzubauen, egal ob auf den hoffentlich bald befriedeten Ruinen ihrer Vaterländer oder wo auch immer. Ihre Heimat finden....
In diesem Sinne würde ich uns Freimaurern wünschen, die Geduld nicht zu verlieren, wenn es mit dem Bau nur schleppend vorangeht und dass wir über diese Heimatlosen nicht zu streng und vorschnell urteilen.
Mit Eurer Erlaubnis würde ich daher heute nicht auf das Vaterland anstoßen, sondern viel lieber auf alle verlorenen und neu gefunden Heimaten!
Auf die Heimat!