Österreich 1938-1945: 692 Freimaurer wurden Opfer des Nazi-Terrors
Österreich 1938-1945: 692 Freimaurer wurden Opfer des Nazi-Terrors
Verfolgt, vertrieben, ermordet
Als die Nazis Österreich 1938 okkupierten, gab es dort etwas mehr als 800 Freimaurer. Sofort setzte der SS-Terror ein: Verhaftungen und Verbote. Viele Freimaurer, vor allem die jüdischen, mussten emigrieren, manche wurden verschleppt oder begingen Suizid, mehr als hundert wurden bis 1945 ermordet. Im Haus der ‚Großloge von Österreich’ in Wien erinnert ein Relief daran. Von Rudi Rabe.
Das Relief des Wiener Metall- und Steinkünstlers Talos Kedl ist aus geschweißtem und patiniertem Kupferblech. Maße: 70 mal 70 Zentimeter.
Motiv: Die Nazis wollten den in der Freimaurersymbolik wichtigen ‚Tempel der allgemeinen Menschenliebe’ (‚Tempel der Humanität’) zerstören. Das ist ihnen weitgehend gelungen. Und doch blieben ein paar festgefügte Mauersteine übrig: Auf diesen konnten die Freimaurer nach dem Terror wieder aufbauen.
Das Relief ist ein Auftragswerk der Forschungsloge ‚Quatuor Coronati’ der ‚Großloge von Österreich’.
Großmeister Georg Semler bei der Enthüllung: „Ein wichtiges Symbol gegen das Vergessen, ein Mahnmal für die nachfolgenden Generationen.“
Wenn die Statistik sagt, Anfang 1938 gab es in Österreich etwas mehr als 800 Freimaurer, müsste sie eigentlich präzisieren, es gab noch (!) 800. Dieses ‚noch’ ist im Sinne der historischen Genauigkeit wichtig, weil es fünf Jahre vorher fast zweieinhalbmal so viele waren: etwa 1900. Der Rückgang auf deutlich weniger als die Hälfte hatte zwei politische Ursachen: 1933 putschte sich in Österreich unter Engelbert Dollfuß eine katholisch-faschistische Diktatur an die Macht; sie beseitigte Demokratie und Rechtsstaat. Wie durch ein Wunder wurde die Freimaurerei zwar nicht verboten, sie wurde jedoch überwacht, und Freimaurer waren irgendwie verdächtig; Beamte mussten austreten. Die zweite Ursache lag im politisch Atmosphärischen: Die sich in ganz Kontinentaleuropa ausbreitenden totalitären Ideologien (Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus) waren alle freimaurerfeindlich. Die Folge: Der gesellschaftliche Mainstream wandte sich überall gegen die Freimaurer. Beide Ursachen führten in Österreich dazu, dass die Logen ab 1933 hunderte Brüder verloren und nur noch wenig Nachwuchs bekamen. Viele mussten schließen: Beim Nazieinmarsch am 13. März 1938 gab es daher nur noch an die 800 Brüder und außerhalb Wiens keine Loge mehr.
Allerdings: Im Vergleich zum jetzt folgenden Nazi-Terror waren die schweren Jahre davor - man könnte fast sagen – harmlos. Den Soldaten der deutschen Wehrmacht folgten SS-Sonderkommandos aus Berlin; eines war für die Freimaurer zuständig. Sofort wurden die Logen durchsucht, ausgeraubt und zugesperrt. Freimaurerische Spitzenfunktionäre wurden verhaftet und verhört, ein großer Teil der Brüder wurde in die Emigration getrieben. Viele von denen, die ausharrten und nicht emigrierten, bezahlten das später, nachdem die durchorganisierte Mordmaschinerie in den Vernichtungslagern angelaufen war, mit dem Leben.
Ein österreichisches Spezifikum: Viele Freimaurer waren Juden, viel mehr als etwa in Deutschland. Von den 800 Verbliebenen waren es sogar mehr als zwei Drittel, weil bei den Austritten in den Jahren davor Mitglieder mit katholischem oder anderem christlichen Hintergrund und nationalistisch Gesinnte weit überwogen. Das ist wichtig zu wissen, weil die Zahl der 692 Opfer sonst nicht verständlich wäre. Die Nazis haben nämlich Freimaurer im allgemeinen nicht verfolgt weil sie Freimaurer waren. Sie haben sie benachteiligt und schikaniert, aber vertrieben oder ermordet haben sie nur jene, die nach den Nazi-Gesetzen Juden waren, oder wenn sie in ihnen politische Gegner sahen. Das Freimaurersein kam dann erschwerend hinzu. Das ändert nichts daran, dass die 692 Brüder aus welchen Gründen auch immer Opfer der Nazis wurden.
Die Zahl 692 wurde erst 2014 dank der Forschungsarbeit von Günter Kodek klar. Er hat ja in seinem monumentalen sechsbändigen Werk nicht nur die Geschichte der österreichischen Freimaurerei seit ihren Anfängen chronologisch beschrieben sondern auch alle zehntausend Mitglieder vom 18. Jahrhundert bis 1985 Name für Name aufgelistet. Auf dieser Basis konnte Robert A. Minder, Konventsarchivar des österreichischen York-Ritus und ehemaligen Großarchivar der ‚Großloge von Österreich’, dann die 692 Nazi-Opfer und ihre Schicksale ebenfalls Name für Name identifizieren:
- 561 Brüder konnten/mussten ihre Heimat verlassen und emigrieren: die meisten nach England oder in die USA.
- 101 Brüder wurden bis 1945 ermordet: die meisten in Konzentrationslagern.
- 16 Brüder wurden verschleppt, ihr weiteres Schicksal ist unklar; man muss von ihrer Ermordung ausgehen.
- 13 Brüder begingen Suizid.
- Der damalige Großmeister Richard Schlesinger wurde nach dem Einmarsch sofort verhaftet. Er war bereits schwerkrank und starb wenige Wochen später in SS-Haft nach unterlassener Hilfeleistung an einer Lungenentzündung.
Damit sie nicht vergessen werden, hat die österreichische 'Quatuor Coronati’ die nun folgende Kodek-Minder-Liste in einem Sonderdruck herausgegeben. Hier also die Namen der 692 österreichischen Freimaurer, die 1938 bis 1945 zu Opfern des Naziterrors wurden. Bei vielen müssen wohl noch Angehörige mitgedacht werden, deren Namen uns nicht bekannt sind: