Nazi Paul Heigl: Freimaurer-Helfer wider Willen

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Nazi Paul Heigl: Freimaurer-Helfer wider Willen

Der lange Weg der Wiener Freimaurer-Bibliothek


Aus alten Zeiten zwei freimaurerische Exlibris: links vor 1918 die Grenzloge 'Zukunft' und daneben die 'Großloge von Wien', wie sich die heutige 'Großloge von Österreich' ab 1918 nannte.

Der Sammelleidenschaft des Nationalsozialisten Paul Heigl ist es zu verdanken, dass ein großer Teil der Bücher aus der Bibliothek der ‚Großloge von Österreich’ die Kriegswirren überstand. Als Hitler 1938 Österreich besetzte, ließen die deutschen Behörden sofort alle Logen schließen und auch deren Bibliotheken nach Berlin bringen. Kurz danach wurde der Nazi Paul Heigl Direktor der Wiener Nationalbibliothek. Er war ein Freimaurerfeind, zugleich aber ein Sammler freimaurerischer Literatur, und es gelang ihm, die Bücher wieder nach Wien zurückzuholen. Dadurch wurden sie vor der zweiten Beschlagnahme bewahrt: 1945 von den siegreichen Sowjets, welche alle Freimaurerbücher aus Berlin nach Moskau transportierten, wo sie bis heute im Militärarchiv verwahrt und wohl auch bleiben werden (2015). Von Rudi Rabe.

Quelle: Der folgende Text ist die gekürzte und leicht veränderte Fassung eines Artikels, den Wolfgang Nimmerrichter für den Jahresbericht der österreichischen Forschungsloge ‚Quatuor Coronati’ verfasste.
Wolfgang Nimmerrichter ist ein Forscher und Sammler in Sachen freimaurerische Literatur. Er befasst sich auch mit den Veränderungen, die durch die Digitalisierung auf die freimaurerischen Bibliotheken zukommen und weiter zukommen werden. Das Freimaurer-Wiki dankt dem Autor für das Copyright.


Gustav Kuess beschreibt in seiner Geschichte der Wiener Großlogenbibliothek den Raub der Bücher durch die Gestapo. Tatsächlich hatte noch am 12. März 1938, dem Tag des Einmarschs der Nazi-Truppen in Österreich, ein Kommando der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes die Räumlichkeiten der Großloge von Wien in der Dorotheergasse besetzt und alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Sowohl das Archiv als auch die Bibliothek der Großloge sowie deren Vermögen, aber auch die Unterlagen, Bibliotheken und Finanzmittel aller 22 Wiener Logen wurden geraubt.

Die Nazis waren nicht nur an den Mitgliederlisten und organisatorischen Unterlagen interessiert, sie benötigten auch Materialien zur Ausstattung eines Museums mit angeschlossener Sonderbücherei über die „freimaurerische Weltverschwörung“ in Berlin. Daher wurden die beschlagnahmten Schriften und Dokumente unverzüglich verpackt und ab dem 16. März per Bahn nach Berlin verschickt. Dort wurden sie in den ebenfalls beschlagnahmten Räumlichkeiten der ‚Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland’ in Berlin-Schöneberg in der Eisenacher Straße zwischengelagert.

Paul Heigl, General-Direktor der (Österreichischen) National-Bibliothek (1938-1945)

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Paul Heigl wurde am 29. April 1887 in Marburg an der Drau (heute: Maribor in Slowenien) geboren, und er starb am 8. April 1945 in Wien durch Suizid: Das ist der Tag als die sowjetischen Truppen zur endgültigen Einnahme Wiens ansetzten.

Heigl hatte in Graz Geschichte und Geografie studiert. 1927 veröffentlichte er eine antisemitische Schrift mit dem Titel „Aus der Werkstatt der Freimaurer und Juden im Österreich der Nachkriegszeit“ (Pseudonym Friedrich
Hergeth). 1933 trat er der damals in Österreich verbotenen NSDAP und der SS bei, wo er bald Karriere machte: 1938 Obersturmbannführer, 1942 SS-Standartenführer (Oberst).

Beruflich machte er ebenfalls schnell Karriere in österreichischen Bibliotheken: zuletzt an der Universitätsbibliothek in Wien. Schon 1934 brach diese jedoch ab: Heigl wurde wegen seiner heimlichen Nazi-Mitgliedschaft wegen hochverräterischer Betätigung verhaftet, aber schon Anfang 1935 vom deutschen Reichserziehungsministerium für die Universitätsbibliothek Greifswald angefordert. Und so schoben ihn die Österreicher Mitte 1935 nach Deutschland ab. Heigls Rechtsvertreter war übrigens der spätere kurzzeitige österreichische Nazi-Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart (11. bis 13. März 1938; wurde nach dem Krieg in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher angeklagt und 1946 hingerichtet).

Heigls Karriere setzte sich in Nazi-Deutschland fort: Schon nach wenigen Wochen wurde er von Greifswald nach Berlin zur Preußischen Staatsbibliothek versetzt. Und nach dem Anschluss Österreichs kehrte er 1938 nach Wien zurück und wurde Generaldirektor der Nationalbibliothek.

Heigl setzt die Rückführung der Bücher von Berlin nach Wien durch

Der neue Bibliothekschef war gegen die Freimaurer aber seit seiner Studienzeit ein begeisterter
 Sammler freimaurerischer
Schriften. Er
war über die Verbringung der
beschlagnahmten österreichischen Freimaurer-Literatur
nach Berlin entsetzt und verärgert. Sofort begann
er die Rückführung der Bücher nach Wien zu betreiben, mit dem Ziel, sie seiner National-Bibliothek einzuverleiben. Dabei kam ihm zugute, dass er kurz zuvor zum „Freimaurer-Referenten“ des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ ernannt worden war. Unter Hinweis auf diese einflussreiche Position gelang es Heigl tatsächlich, die Bücher wieder nach Wien zu bekommen. Seine Bibliothek übernahm die Kosten.

Mitte 1938, also schon wenige Monate nach dem Raub, trafen 35 Buchkisten zu jeweils 100 Kilogramm wieder in Wien ein. Nur ein kleiner Teil der Bücher wurde aber in den Katalog der National-Bibliothek aufgenommen, der größte Teil wurde separat gelagert und von Heigl und seinen Vertrauten ausgewertet. Die Bücher dürften nach dem erhofften Endsieg für eine Dauerausstellung über den „Triumph des Nationalsozialismus über die verjudete Freimaurerei“ bestimmt gewesen sein.

Wurden alle Bücher aus Berlin zurück geliefert?

Wahrscheinlich nicht. Der Schriftverkehr zwischen Heigl und dem Leiter des Deutsch-Ausländischen Buchtauschs, Adolf Jürgens, legt nahe, dass sich Teile nach wie vor in Berlin befunden haben könnten. Vermutlich wurde die Sammlung bei der in Berlin durchgeführte Sichtung durch das Sicherheitshauptamt dezimiert. Auch eine in München ausgerichtete Ausstellung über den „Raubstaat England“ wurde mit Exemplaren aus der österreichischen Großlogen-Bibliothek und Unterlagen aus dem Großlogen-Archiv versorgt. Ebenso dürften Dubletten aus der Sammlung entfernt und anderen nationalsozialistischen Einrichtungen überlassen worden sein.

Der glühende Nationalsozialist Heigl nahm die Niederlage des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg persönlich und entzog sich am 8. April 1945 durch Selbstmord mit einer Überdosis Schlafmittel seiner Verantwortung.

Restitution nach 1945: Die Österreichische Nationalbibliothek ziert sich

Schon kurz nach Kriegsende bemühte sich die wiedereingesetzte Großloge von Wien im eigenen Namen und im Namen der ehemals angeschlossenen 22 Wiener Logen um die Rückgabe der ihr geraubten Güter. Nachdem sie am 6. Dezember 1945 die Bewilligung zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit erlangt hatte, ersuchte Großmeister Karl Doppler am 4. Juli 1946 die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) um Restitution des in der Nationalbibliothek „deponierten Eigentums“ und forderte die ÖNB auf, ihr die „Büchereien und Zeitschriftensammlungen der Großloge von Wien auszufolgen.“

Es folgte zweieinhalb Monate Schweigen. Am 10. September 1946 übermittelte Großmeister Doppler eine Erinnerung an die Nationalbibliothek, auf welche die ÖNB innerhalb von zwei Wochen reagierte: mit hinhaltendem Widerstand durch Bezweiflung des Rechtsanspruchs der Großloge und die Einschaltung weiterer Behörden. Doch die Großloge ließ nicht locker, und nach einigem Hin und Her setzte sie sich 1947 durch.

Die Nationalbibliothek bestätigte der von ihr selbst eingeschalteten Finanzlandesdirektion, „daß die Bibliothek der Großloge von Wien in der nationalsozialistischen Zeit durch die Gestapo der Nationalbibliothek überwiesen wurde. Die mehrere 1000 Bände umfassende Bibliothek ist noch zur Gänze vorhanden und kann nach Zustimmung der Finanzlandesdirektion ohne Schwierigkeiten dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.“

Die wiedererstandene 'Großloge von Österreich' setzt sich durch

Am 10. November 1947 stellte die Finanzlandesdirektion Wien den Bescheid zur Rückstellung zu. Drei Monate benötigte die ÖNB noch, um alle Bücher zu sammeln und ein Übergabeverzeichnis anzulegen, aber am 5. Februar 1948 fand dann endlich die langersehnte Übergabe statt, der Deputierte Großmeister Otto Ronge nahm 26 Kisten mit den Werken der Großlogenbibliothek in Empfang. Die fast zwei Jahre langen Bemühungen um die Rückgabe wurden ganz unspektakulär mit einer einfachen Übergabebestätigung besiegelt.

Bei der Durchsicht zeigte sich, dass wesentliche Teile der geraubten Bestände fehlten. Während die Bibliothek der Großloge von Wien mehr oder weniger komplett retourniert wurde, fehlten die Werke der geraubten Logenbibliotheken weitgehend. Ausgenommen waren lediglich die Bücher der Loge ‚Humanitas’, die von der Österreichischen Nationalbibliothek im Konvolut zurückgegeben wurden. Die ansehnliche, gut dokumentierte und wertvolle Sammlung der Loge ‚Zukunft’ tauchte auch in der Folge nicht mehr auf und galt seit 1948 endgültig als verschollen.

Die freundliche Zusammenarbeit zwischen Österreichischer Nationalbibliothek und Großloge von Österreich besteht nach wie vor. In unregelmäßigen Abständen restituiert die Nationalbibliothek freimaurerische Werke an die Großloge.

Die Digitalisierung macht’s möglich: Neue Spuren nach München

Zwei Bücher aus der von den Nazis 1938 geraubten Bibliothek der Wiener Loge ‚Zukunft’: Beide sind derzeit noch im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek (2015).
So etwas konnte praktisch erst entdeckt werden nachdem die Bibliotheken ins Netz gingen: der "Fluch" der Digitalisierung.
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Bei meinen Forschungen über digitalisierte freimaurerische Literatur im Internet fiel mir nach einiger Zeit Erstaunliches auf. Immer wieder stieß ich auf gescannte Bücher, die den Eigentumsstempel der Loge ‚Zukunft’ aufwiesen. Recherchen ergaben schnell, dass alle diese Bücher in der Bayerischen Staatsbibliothek in München gescannt worden waren.

Die ehemalige Bibliothek der Loge ‚Zukunft’ ist gut dokumentiert: In der digitalen Sammlung befindet sich unter der Signatur 14160-D ein aus der Grenzlogenzeit stammendes „Verzeichniss der Bücher, welche Eigenthum der Loge Zukunft in Pressburg sind“. Fast alle Bücher aus der Bayerischen Staatsbibliothek mit dem Eigentumsstempel der Loge ‚Zukunft’ scheinen in diesem Verzeichnis auf. Damit stellt sich die Frage: Wie kamen die bislang rund 30 von mir eindeutig identifizierten Werke aus dem Eigentum der Loge ‚Zukunft’ in den Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek? Möglicherweise wurden sie den Münchnern aus Berlin für die Ausstellung über den „Raubstaat England“ überlassen.

Nach 75 Jahren ein „Deja vu“ mit der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB)

Während mit der Österreichischen Nationalbibliothek seit Jahrzehnten ein gutes Einvernehmen herrscht, begann die Auseinandersetzung mit der Bayerischen Staatsbibliothek München über die Rückgabe der geraubten Bücher erst 75 Jahre nachdem sie unrechtmäßig in den Besitz der Staatsbibliothek gekommen sind.

Auf ein erstes Restitutionsansuchen der ‚Großloge von Österreich’ und der Loge ‚Zukunft’ im März 2013 stellte sich die Bayerische Staatsbibliothek taub. Drei Monate ohne jedes Lebenszeichen der BSB veranlassten den Großbibliothekar zu einer etwas forscheren Vorgangsweise, und er ersuchte die Bayern „die Großloge von Österreich in kurzem Wege wissen zu lassen, ob die BSB dieses Schreiben erhalten hat bzw. wie Ihre Institution sich die Erledigung der Angelegenheit vorstellt. ... In Wiederholung der Grundaussage unseres Schreibens teile ich Ihnen ferner mit, dass die Großloge von Österreich und die Loge ‚Zukunft’ eine außergerichtliche Bereinigung anstreben, doch sind wir nicht gewillt, diese Angelegenheit durch Verschweigen auf sich beruhen zu lassen.“

Plötzlich kam Bewegung in die Sache und die Bayerische Staatsbibliothek bat schon vier Tage später um Entschuldigung für die Verzögerung und bekundete gleichzeitig, die Rückgabe in die Wege leiten zu wollen. Es wird allerdings um Geduld gebeten. „Derzeit arbeitet eine Kollegin ehrenamtlich an einer Identifizierung weiterer Bestände aus Freimaurerbibliotheken. Insofern sind uns Ihre Hinweise hochwillkommen, da Sie uns damit sehr helfen, diese Werke ausfindig zu machen. Wir haben bereits begonnen, den von Ihnen übersandten Katalog anhand unserer Bestände zu überprüfen. Wir hoffen, diese Prüfung bis zum Frühherbst dieses Jahres (2014) abgeschlossen zu haben. Eine Rückgabe der Werke (ist) selbstverständlich.“

2015: Die Bayern geben sich willig ... aber Wien wartet noch

Die Großloge von Österreich ist nicht die einzige Freimaurer-Organisation, die von der BSB Rückstellungen begehrte. In der BSB befanden und befinden sich nämlich auch andere von den Nazis geraubte Freimaurerbücher: konkret von der Münchner Loge ‚Zum aufgehenden Licht an der Isar’. Sie waren einfach aufzufinden, da die Bibliothek über diesen Bestand ein Verzeichnis aus dem Jahr 1933 besitzt und die meisten dieser Bücher einen Eigentumsvermerk enthalten. Da diese Loge nach dem Krieg nicht mehr wiedergegründet wurde, wandte sich die BSB an den Distrikt Bayern der ‚Großloge der Alten und Angenommenen Maurer von Deutschland’. Am 8. November 2013 wurden dem Distrikt 136 identifizierte Titel übergeben. Er reichte die Bücher an das Deutsche Freimaurer-Museum in Bayreuth weiter. Die bereits digitalisierten Werke sind weiterhin in der BSB verfügbar.

Bei der Übergabe der Bücher wurden von der Bayerischen Staatsbibliothek weitere Rückgaben an „Freimaurerlogen aus Deutschland und Österreich“ angekündigt. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Rückgabe dürfte also vorhanden sein. Hoffen wir, dass diesen Worten irgendwann auch Taten folgen.

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Siehe auch

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