Gedicht: Zum Eingang
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Gedicht: Zum Eingang
Gedicht von Friedrich Rückert, 1821.
- Mache deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!
- Wie das Maß er hat genommen, nimm die Kelle, baue recht!
- Nicht um deine Mitgesellen sorge, wie sie mögen baun;
- Dafür laß den Meister sorgen, deine Stelle baue recht!
- Frage nicht, was mühsam heute deine Hand gefügt, wie bald
- Wohl im Sturm der Zeiten wieder es zerschelle, baue recht!
- Laß nicht deinen Unmut fragen, welch Bewohners Ungeschmack
- Künftig die von dir gebaute Wand entstelle, baue recht!
- Gärtner, dem der Grund zum Mörtel und zur Kell' ein Spaten dient,
- Rühr' dich, und den Bau der Erde treu bestelle, baue recht!
- Bau' die Formen der Gewächse, gründe Pflanzen und vertilg'
- Unkraut, daß in Weg dem Kraut es sich nicht stelle, baue recht!
- Ordne deine blüh'nden Staaten, freu' dich der Bevölkerung.
- Beet' und Pfad' und auch die Leitung jedem Quelle baue recht!
- Fischer, dem das Meer zum Acker und zum Pflug ein Nachen dient,
- Furche tief das Beet der Fluten, deine Welle baue recht!
- Fleug, Weltteile zu verknüpfen, Schiff, und laß den Handel blühn!
- Handel, deine Mess' und Bude, Wag' und Elle, baue recht!
- Laß vom Recht und von der Liebe, König, dir den Thronsaal baun!
- Bau' den Giebel frei und luftig, und die Schwelle baue recht!
- Wenn die Eintracht Häuser bauet, die die Zwietracht niederreißt:
- Eintracht, komm, nimm unsrer Zwietracht Trümmerfälle, baue recht!
- Kleinlich ist der Staaten Fachwerk vor dem ew'gen Bau der Welt:
- Komm, Weltweisheit, Weltengeistes Baugeselle, baue recht!
- Die Vergangenheit der Schöpfung bau' uns aus den Trümmern auf,
- Und die Zukunft der Geschichte baue helle, baue recht!
- Löse du die Sprachverwirrung, die den Bau ins Stocken bringt;
- Daß Idee den Plan des Meisters her uns stelle, baue recht!
- Sichre, stille, ungestörte Architektin, o Natur,
- Baue fort nach unbewußtem Kunstmodelle, baue recht!
- Bau' die stolzgewölbte Kuppel deines Saals, o Himmel, wo
- Mit Musik sich ewig drehen Sphärenbälle, baue recht!
- Sonnenbahnen und Milchstraßen, der Planeten Wohnungen,
- Die vier Häuser für des Mondes Wechselschnelle, baue recht!
- Baue die Korallenriffe und die stille Muschelbank,
- Heil'ges Meer, und der kristallnen Grotten Helle baue recht!
- O Baumeister an den Flüssen, Biber, daß der Menschenwitz
- Von dir lerne, deine Bauten ohne Kelle baue recht!
- Eure schwebenden Paläste baut, ihr Vögel, unterm Ast!
- Künstlerbiene, die sechseck'ge Honigzelle baue recht!
- Bau' die Gruft nach rechtem Maße für der Chrysalide Schlaf,
- Raup'! und deine dunklen Flügel, o Libelle, baue recht!
- Bau' dich hoch, o Königskerze, brenn' in Blüten still hinan!
- Lilie, deines Kronenleuchters Fußgestelle baue recht!
- Auf Gerüst der Blätter schwebend, Blume, bau' dein Heiligtum,
- Duftverhüllter Liebespaare Brautkapelle baue recht!
- Bauet selbst, ihr Balsamstauden, euch zum Opferduftgefäß!
- Dich dem Moschus zum Behältnis, o Gazelle, baue recht!
- Unbewußte Dichterseele, Nachtigall, o baue dir
- Deine Kehle, daß sie lieblich Liebe gelle, baue recht!
- Liebe, bau' dein Rohr der Flöten, daß es Sehnsucht atme; bau',
- Andacht, deine Orgel, daß sie Himmel schwelle, baue recht!
- Frühlingsprediger! Amphion der Natur! daß Herz an Herz
- Der Gemeinde, Stein der Kirch' an Stein sich stelle, baue recht!
- Bau' die musikal'sche Leiter der Gedanken himmelan,
- Freimund! deiner Liederwogen Tongefälle baue recht!
- Geist der Liebe, Weltenseele, Vaterohr, das keine
- Stimme überhöret der dich lobenden Gemeine!
- Eine Reihe Dankgebetes, Lobgesangs ein Faden
- Zieht sich hin vom Duft des Morgens zu des Abends Scheine.
- Eine Reihe Lobgesanges, Dankgebets ein Faden
- Zieht sich hin vom Duft des Abends zu des Morgens Scheine.
- Eine Schnur, woran geordnet dir zum Preise hangen
- Aller Himmel Sterne, samt den Blüten aller Haine.
- Eine Schnur, woran das Meer die Perlen seiner Andacht
- Und der Erdgrund reihet seiner Inbrunst Edelsteine.
- Gib, daß in das Lobgeweb', das neu die Schöpfung täglich
- Dir aus tausend Fäden wirkt, ich wirken dürf' auch meine!
- Der du gabest, dich zu loben, eine Stimme jedem
- Leben von der lichten Sonne bis zum dunklen Steine!
- Gib, daß diese Seele auch durch der Gebetesflammen
- Schürung dir die innere Lebendigkeit bescheine!
- Laß im Psalmenstrom der Schöpfung, in der Weltenmeere
- Großen Hymnenwogen mit hinschwimmen diese kleine!
- O Natur, mit deinem Hauche läutere die Seele,
- Daß sie wiederhalle rein dein Glockenspiel, das reine!
- Gib, daß in den großen Einklang deiner Stimmen jedes
- Menschenherz harmonisch schmelze, ob es jauchz', ob weine!
- Weltenohr! vor dem gesungen vom Beginn der Zeiten,
- Die Jahrhunderte herab, viel Dichter im Vereine
- Ihrer Saiten Widerspruch ist vor dir ausgeglichen;
- Ihre hunderttausend Stimmen hörest du als eine.
- Laß in deinem Abendwinde Rosen säuseln über
- Eines jeden, der dir sang, nun schlummernde Gebeine!
- Laß den freien Dichtermund hier deinem Lobe dienen,
- Bis in Engelzungen dort sich freier mischet seine!