Traktat: Begegnungen mit Rintelner Freimaurern

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Traktat: Begegnungen mit Rintelner Freimaurern

Königliche Kunst 1776 bis 1976

Von Uwe Kurt Stade

Prolog, oder wie es gewesen sein könnte

{Alle Namen und Logenämter sind durch gedruckte oder handgeschriebene Mitgliederverzeichnisse verbürgt, die Quellen sind seriös. Diese Geschichte des Prologs und Epilogs ist fiktiv, das freimaurerische Ritualgeschehen vor und nach der Tempelarbeit ist dagegen originär. Das entsprechende Mitgliederverzeichnis von 1824 der Loge „Wilhelm zum Nesselblatt“ liegt mir als verbürgte Kopie vor.

Wir schreiben das Jahr 1824. Trotz sommerlicher Wärme an diesem Donnerstagabend des 24. Juni gehen mehrere festlich schwarz gekleidete, distinguierte Herren gemessenen Schrittes unauffällig durch die Straßen Rintelns. Es sind Freimaurer, die zu einer Johannisfestarbeit, dem Höhepunkt eines Freimaurerjahres in ihren Tempel der 1814 wieder gegründete Freimaurerloge Wilhelm zum Nesselblatt streben. Sie wollen heute ihr Rosen- oder auch Johannisfest feiern. Es ist vielleicht die letzte Möglichkeit zu einer solchen Feier, denn es zeichnet sich auch in unserer hessischen Exklave mehr und mehr ab, dass Landgraf Wilhelm die Freimaurerei wegen einer angeblich von Freimaurern angezettelten Verschwörung und seines schon fast pathologischen Franzosenhasses, in ganz Hessen verbieten wird. Die Brüder des Beamtenrates haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um auch wirklich alle Brüder der Loge zu diesem Fest zusammen zu bekommen.

Umso höher sind die Erwartungen der Brüder, wie sich Freimaurer untereinander anreden, an dieses jährlich stattfindende Fest der Rosen. Alles ist von den Stewards, den Dienenden Brüdern und dem Zeremonienmeister aufs Sorgfältigste vorbereitet worden.

Die gesamten von den Freimaurern heute Abend genutzten Räume werden mit Rosen geschmückt sein, und nach der Tempelarbeit werden sie gemeinsame eine fröhliche Tafelloge feiern. In einem ungeschmückten Abstellraum stehen bereits Kisten und Koffer zur Aufnahme freimaurerischer Utensilien nach dieser Arbeit für den Abtransport bereit. Man hat Bedenken, dass die Staatsgewalt diese beschlagnahmen könne und wird sie auf die verschiedenen Privathaushalte verteilen.

Die Dienenden Brüder Heinrich Koch, Thorschreiber und Ferdinand Mesembrinck, Schneidermeister, beide aus Rinteln, hatten viel vorzubereiten. Nach und nach füllen Männer die Räume. Zuerst trifft Professor Franz Wilhelm Kahler aus Rinteln ein; er ist seit 1820 Vorsitzender dieser Loge, der Meister vom Stuhl, nachdem er vorher schon einige Jahre stellvertretender Meister war. Sein Amt hat er von Carl Henr. Gottlieb Wigand, Prediger aus Weibeck, später Apelern, nach freier Wahl aller Brüder übernommen. Mit ihm kommt sein Freund Dr. phil. Caspar Garthe, Mathematiklehrer am hiesigen Gymnasium. Beide sind Ehrenmitglieder des Apothekervereins in Norddeutschland von 1820. Einige Minuten später erreicht Kahlers Stellvertreter im Logenamt, Friedrich Meyer, Commercien-Assessor in Rinteln, die Gruppe. Unter dem Arm Kopien der Logenrituale für diese Festarbeit, sie sind bestimmt für die handelnden Brüder Beamten des Fest-Rituals.

Der Logenmitbegründer Obrist Carl Wilhelm Sittich von Westphalen, ehemaliger Rintelner Stadtkommandant, jetzt pensionierter kurhessischer Obrist in Karlshafen und Joh. Heinrich Eskuchen, Commissions-Rath zu Kassel, ein Verwandter des gleichnamigen Rintelner reformierten Predigers von 1734-1755 und Ehrenmitglied der Loge, begleitet von Ludwig Boclo, dem Rektor des Gymnasiums in Rinteln, treffen lauthals diskutierend an der Garderobe ein, entledigen sich der Staubmäntel und gehen, weiterhin diskutierend in die freimaurerisch geschmückten Räume. Wir wissen nicht, wes Themas diese Diskussion war. Aber Carl v. Westphalen ist heute in seiner Eigenschaft als Repräsentant der Grossen Mutterloge von Churhessen hier. Er ist mit einer schweren Ehrenkette geschmückt. Die anderen Herren sind langjährige ordentliche Mitglieder in verschiedenen Ämtern dieser Rintelner Loge.

In einer etwas abgeschiedenen Ecke des sich angliedernden Restaurants sitzen schon seit dem frühen Nachmittag die Herren Adolph von Trott, Capitain bei der Jäger-Garde in Kassel, J. Christian Mooyer und Ferdinand Osterwald bei einem Kaffee mit Cognac. Sie reisten schon gestern an, schliefen hier im Hotel. Mooyer ist Oeconom zu Burguffeln bei Kassel und Osterwald Lieutenant im 3ten Linienregiment zu Marburg. Sie kennen sich schon länger, reisen immer einen Tag vorher an.

C.H.G. Wigand, jetzt Prediger in Apelern, der ehemalige Meister vom Stuhl, trifft zu Fuß ein, er hatte tagsüber Besuche in Rinteln getätigt.

Draußen rollen die ersten Kutschen auswärtiger Mitglieder an. Die Bückeburger Mitglieder haben gemeinsam eine Droschke gemietet. Nacheinander steigen aus der Kutsche die Herren Clem. Theodor Cäsar, Privatier, Prediger Fr. Wilhelm Köchling, der Bückeburger Hofmusicus Küster und sein Kollege Georg Martin Lübke.

Mit den Sporen verheddert sich Hauptmann Philipp Heinrich Funk in der Treppenschnur der Kutsche und stolpert fast. Hoffentlich haben es nicht zu viele gesehen. Er hatte seinen schwarzen Anzug über dem rechten Arm und keine Hand frei, sich festzuhalten, denn die linke Hand lag ja am Säbel. Es ist kein distinguierter Anblick, einen Offizier ohne Haltung stolpernd zu beobachtend. Ehe sich hilfreiche Hände regen, hat sich der Erste Steward der Loge gefangen; mit geradem Rücken tritt er ins Haus.

Aus der nächsten Kutsche steigt zuerst der Prediger Gottlieb Christian Kahler aus Segelhorst, dann Amtmann Philipp Schuhmacher und Christian Gottwerth Meine, Dr. der Medizin. Sie sind alle drei in Oldendorf zuhause. Unterwegs haben sie C.W.E. von Bartel, Forstmeister in Schaumburg aufgelesen. Die Pferde dampfen, man scheint flott unterwegs gewesen zu sein.

Mit Schwung öffnet sich nun die Tür und schneidig, zackig hat Rintelns Platzmajor Carl Philipp Brinkmann in voller Ausgeh-Uniform seinen „Auftritt“. Er ist bei der heutigen Festarbeit der Zeremonienmeister. Bei einer Aufnahme hat er auch das Amt des Vorbereitenden Bruders, doch heute gibt es keine Aufnahme, es wird Johannisfest gefeiert. Sein Adjutant, ein Name ist nicht überliefert, 2 Schritte hinter ihm, trägt dessen dunklen Anzug über dem Arm und den Zylinder in der Linken. Der Major wird sich nun erst einmal umziehen. Der Adjutant sitzt später in Uniform die ganze Zeit, während hinter verschlossenen Türen Loge gehalten wird, als Wache vor der Tür. Gleich hinter dem Major erscheint Hauptmann Carl Schorre, Rentmeister der Stadt Rinteln. Sein Auftritt ist etwas unauffälliger.

Die Obernkirchner Kutsche hält und es steigen aus, der Churhessische Bergrath zu Obernkirchen, Carl Fröhlich, bei der Tempelarbeit der Erste Aufseher, Ludwig Bradt, Stifts-Amtmann, Ludwig H. von Colson, Ober-Berginspektor, Wilhelm Drucker, Obernkirchner Amts-Aktuar und der Prediger Friedrich Kahler. Bruder Dietrich Wittlich, Mitbegründer der Loge und heute Berginspektor zu Stadthagen logierte bei seinem Kollegen Fröhlich, wurde als Fahrgast von Obernkirchen mitgenommen.

Nun gesellt sich auch Dr. med. J.F.L. Wilhelmi aus Rinteln zur Gruppe der Brüder, sucht die Nähe von Hauptmann Funk, denn Wilhelmi als Zweiter Steward hat eng abgestimmt mit dem Ersten Steward seine Ritualpflichten zu erfüllen. Gemeinsam treten nun die Herren Dr. phil Eduard Jacobi, Lehrer am Gymnasium und Rudolph Osterwald, Lehrer an der Töchter-Schule ein und begrüßen den fast unbemerkt eingetretenen Forstverwalter und Regierungsprocur in Rinteln, Philipp Carl Süß, der Erste Aufseher der Loge. Logenmeister Franz Wilhelm Kahler atmet erleichtert auf, alle 11 Brüder, die für diese Festarbeit benötigt werden, sind vollzählig anwesend; fehlt nur noch ein Musikus. Nun kann er ganz beruhigt mit den letzten Vorbereitungen, die nur ihm kraft seines Amtes zustehen, beginnen. Er fordert durch leichtes Kopfnicken Bruder Meyer auf, die Kopien für die handelnden Beamten zu verteilen, damit sich jeder noch ein wenig vorbereiten kann. Eigentlich sollte jeder seinen Text auswendig kennen, doch darauf verlässt sich Prof. Kahler nicht – es soll rundherum ein wunderbares und auf- und erbauendes Johannisfest werden.

Der Vorraum füllt sich, völlig Außer Atem erscheint Ludwig König. Er ist Rentmeister in Blomberg und den ganzen Weg geritten. Er wird nach der Arbeit bei seinem befreundeten Amtsbruder Carl Schorre aus Rinteln übernachten, ebenso wie Bruder Conrad Deichmann, Amtmann aus Rodenberg, der schon seit gestern in Rinteln weilt. Deichmann war einige Jahre Sekretär der Loge, hatte 1819 Ludwig Boclo im Amt abgelöst, der das Amt in diesem Maurerjahr nun wieder innehat. Nachdem nun auch Franz Heinze, Musiker aus Kassel sein Instrument aus dem Nebenraum geholt, ziehen sich die drei Musikanten zu einer Probe in den Keller zurück. Sie wollen heute versuchen, die Arie aus der Zauberflöte „In diesen heilgen Hallen kennt man die Rache nicht.“ instrumental würdig zu interpretieren. Das wird nicht einfach, denn sie spielen ja nur selten zusammen.

Mit einer einspännigen Gig erreicht Heinrich Reinicke; Oeconom in Helpensen bei Hameln, das Lokal. Er hat schlechte Wegverhältnisse zwischen Rumbeck und Hohenrode vorgefunden. In Exten konnte er zudem wegen landwirtschaftlicher Arbeiten den Weg durch das Exterfeld nicht nehmen. Er musste die regulären Straße verlassen und an der Exter entlang querfeldein fahren. Neben ihm hält die Kutsche von Postmeister J. Christian Mirbach aus Rodenberg. Er kommt immer allein, versteht sich nicht besonders gut mit Bruder Deichmann.

Mittlerweile befinden sich mehr als 50 Männer im Raum; das Stimmengewirr ist laut. Aus einer Tür des Raumes, der heute zum freimaurerischen Tempel ausgeschmückt wurde, tritt der Zeremonienmeister in ritueller Kleidung, ein weißes Schurzfell umgebunden, eine blaue Halsschärpe mit dem Emblem seines Logenamtes um den Hals, weiße Handschuhe an den Händen und auf dem Kopf einen Zylinder. In der Hand trägt er einen zwei Meter hohen, wunderschön gedrechselten Stab, klopft damit dreimal kräftig auf.

Sofort verstummen die Stimmen. Mit befehlsgewohnter Stimme fordert Zeremonienmeister Brinkmann die Männer auf, sich „maurerisch zu bekleiden“; weiter: „Auf Geheiß des ehrwürdigen Meisters bitte ich Sie, sich schweigend auf eine Johannis-Festarbeit vorzubereiten!“