Traktat: Fortsetzung eines Dialoges, der nie stattgefunden hat
Fortsetzung eines Dialoges, der nie stattgefunden hat
Ein Bruder Meister befragt einen Bruder Meister
Mein Bruder, Du sagst, deine Erwartungen, welche Du an Deinen Beitritt zu Deiner Loge knüpftest, wurden ent¬täuscht.
Ich glaubte, mich einem Bunde hinzugeben, welcher nicht nur nimmt, sondern auch gibt und dies ohne großes Aufsehen oder Heraushebung einzelner Handlun¬gen.
Erkläre Dich!
Bei der Beantwortung der drei Fragen führte ich aus, was die Loge von mir erwarten könnte und was ich von der Loge erwar¬ten könnte.
Nie ist mir widersprochen worden, auch mein freimaureri¬sches Lernen und Leben bestätigte meine Auffassung. Die Brüder nahmen mein Engagement als angenehm und arbeitserleichternd hin, aber auch nichts dessen was ich unwi¬dersprochen als meine Erwar¬tungen formulierte, trat ein.
Was erwartest Du von Deiner Loge, den Brüdern?
Eigentlich erwartete ich, auf Brüder zu treffen, die in der Arbeit an sich, also an ihrem "Rauen Stein", ein gehöriges Stück weitergekommen sind und mir - von ihren Erfahrungen be¬richtend - bei der Behauung meines Steines helfend unter die Arme greifen würden und natürlich auch umge¬kehrt. Statt dessen traf ich Brüder an, denen oft bronzene oder silber¬ne Ehrenzeichen, denen der gesellschaftliche Kontakt mit den "oberen Maurer¬kreisen" stets vordergründig erwähnenswert schien, die unbequemen und bohren¬den Fragen ausweichen; schlichtweg gesagt, die sich eigentlich selbst genug sind.
Sind es den alle Brüder, auf die Du trafst, waren nicht auch Brüder unter Ihnen, die Deinem Ideal entsprachen oder dem Ideal eines Freimau¬rers nachstrebend bemüht waren?
Aber ja! Natürlich traf ich diese Brüder. Sie sind mir Vorbild und der brüderliche Kontakt zu Ihnen ist mein erklärtes Ziel, weiß ich doch, dass man sich immer nur nach den Besten orientie¬ren soll. Leider hatten auf meine entsprechenden Kontaktversuche die meisten dieser Brüder eine wirklich plausible Erklärung für ihren Zeitmangel.
Bist Du nicht ein wenig ungerecht, wenn Du Deine eigene Ungeduld als Maßstab ansetzt und Dein persönliches Tempo bei der fortschreitenden Arbeit an Dir von Deinen Brüdern einfach ebenso verlangst?
Vielleicht, aber wurde ich nicht erst Suchender im wahrsten Sinne des Wortes und dann ein Freimaurer, weil ich ein gestandener Mann mit einem gedanklichen Entschluss, mehr, als nur Durch¬schnitt zu sein, war? Hatte ich nicht den Hunger nach Selbstver¬besserung und gaben mir nicht Schriften, Vorträge, Gespräche an Gästeabenden usw. konkrete Hinweise darauf, dass mit der Hilfe der Brüder zu rechnen sei? Zumindest aber erfahrene Freimaurer mir bei meinem Versuch der Glättung meines Steines zur Seite stehen würden? Ich kann das alles doch nicht ganz und gar falsch ver¬stan¬den haben und mit Tempo hat das m.E. garnichts zu tun. Ich ver¬suche eigentlich nichts anderes, als meine Zeit bei der Arbeit am „Rauen Stein“ mit Weisheit einzuteilen, wie im Ritual gefordert.
Du verlangst zuviel, mein Bruder! und ungefragt erhält man wenig Antwort!
Ich glaube nicht, dass nur kluge Fragen kluge Antwor¬ten nach sich¬ ziehen; liegt doch in der freimaurerischen Lehre eine ordentli¬che Portion Sendungsbewusstsein und daraus abgeleitet, verbunden mit dem ehrlichen Wunsch, an sich zu arbeiten. Ist es da zu viel erwartet, dass mich ein erfahrener Bruder beiseite nimmt und mich auf meine mangelnden Fortschritte in den Bemühun¬gen der Selbst¬vervollkommnung anspricht, vielleicht auch nur Denkanreize gibt?
So hielt ich es mit den mir anvertrauten Personen, die ich im profanen Leben auszubilden hatte; und auszubilden im Rahmen der hehren Ziele der Freimaure¬rei war und bin ich, als Meister allemal und immer noch.
Warum fragtest Du nicht danach?
Diese Frage habe ich erwartet und will Dir antworten mit der resignierenden Erkenntnis, dass wer viel fragt, nach gewisser Zeit seine Ansprechpartner offensichtlich strapaziert, unbequem wird und dann meistens nur eine schnell in die Hand gedrückte Schrift zu erwarten hat. Die Grundtugend der Geduld zu einem Gespräch scheint bei vielen Brüdern dem Trend der Zeit gewichen zu sein, dass nur derjenige wichtig ist, der keine Zeit hat.
Du sprachst anfangs von Deinem Engagement und Deinem Ein¬satz so, als erwartetest Du Lohn.
Ja, ich erwartete Lohn und bekam ihn reichlich: „Ich bin zufrie¬den“. Mein Lohn an der Arbeit mit schwierigen Themen war, dass ich etwas lernte, etwas erkannte, wieder ein Stück mehr von mir erkannte. Doch ich war allein. Die führende Hand meines Bürgen fehlte mir, ich suchte mir maurerischen Zuspruch, wo ich ihn bekam. Ich kann mich allerdings dieses Eindruckes nicht erwehren: Viele meiner Brüder kommen nur noch in die Loge um - wie im Theater oder Kino - von dem vortragenden Bruder unterhalten zu werden. Die anschließenden brüderlichen Gespräche zu dem Vor¬trag/ Zeich¬nung sind meist entsprechend kurz (lästig?), aber der Beifall stark, die Komplimente groß, mit dem unausgesprochenem Wunsch nach einem weiteren unterhaltsamen Abend im Kreis der Brüder als Fluchtburg vor der profanen Welt.
Das wäre wahrhaftig ein kläglicher Lohnzuschlag. Mehr An¬reiz für den einzelnen Bruder gäbe eine breitere Mitgestaltung des geistigen Lebens einer Loge durch viele Brüder, die damit uns an ihrer Erkenntnis teilhaben lassen.
Gut, so lerntest Du die unterschiedlichen Reifestufen der Menschen kennen. Es klingt aber durch, du machtest mehr, als Deine Brüder. Vereinfache ihnen die Kritik, ohne selbst Mittelpunkt der Kritik sein zu wollen.
Selbstverständlich findet sich auch in einer Gemeinschaft wie eine Loge die ganze Palette menschlicher Temperamente, Cha¬raktere und verschiedene Grade der Einsatzbereitschaft wieder. Wie schön! die Alten Pflichten haben dieses so gewollt. Ich akzeptiere aber für mich nicht (dort hat meine Toleranz eine Mindestanforderungsschwelle) die innere Einstellung des „Wer handelt, macht sich schuldig; deswegen warte ich erst einmal, was da auf mich zukommt“. NEIN, ich halte es mit Marc Aurel: „Schuld/ Unrecht hat/ tut oft derjenige, der etwas nicht tut; nicht nur derjenige, der etwas tut“. Die Loge ist für mich der ideale Tummelplatz, um frei von gesellschaftlichen Zwängen durch das brüderliche Vertrauen, die Angst vor der Verantwortung verlieren zu üben
Nun weiß ein jeder, dass sich nach einer gewissen Zeit der Beschäfti¬gung mit einer Sache der anfänglichen Euphorie eine Zeit der vor¬übergehenden Resignation folgt, weil sich ein schneller Erfolg nicht rechtzeitig einstellt. Ist es nur diese Phase, die Du durchmachst? der sogenannte maure¬rische Tiefpunkt? Prüfe Dich!
Ich habe mich dies als lebenserfahrener Mann schon gefragt. Sind Höhen und Tiefen nicht normal? bin ich vielleicht nur egoi¬stisch in meinen Erwartungen an meine Brüder? Sollte man über¬haupt fordern oder gilt die Toleranz auch ganz besonders in dieser Richtung? Auf diese Fragen wollte ich eigentlich in der Loge Antworten finden, Hilfe bei den Brüdern. Da bin ich nun schon seit einigen Jahren ein Bruder Meister, aber ich fühlte und fühle mich manchmal nicht an der Hand des Bruders geführt, wie seinerzeit im Tempel bei meiner Aufnahme.
Niemals werde ich die eindringlichen Worte des zweiten Aufsehers bei den aller¬ersten drei Reisen vergessen, niemals den Anblick der Bru¬derket¬te bei der Lichtgebung, aber auch niemals das Gefühl des Ver¬trauens. Mein Vertrauen war ebenfalls grenzen¬los, besonders die Freude, mit Brüdern der gleichen Zielsetzung gemeinsame Arbeit tun zu können.
Mit Tiefen und Höhen in der von Dir oben genannten Art konnte ich dabei nicht rechnen und will es auch heute nicht. Die Arbeit höret niemals auf.
So ist Dein Wunsch also, dass die Brüder zurückfinden soll¬ten auf die eigentliche Freimaurerarbeit unter Vernachläs¬sigung liebgewordener Gewohnheiten?
Auch das ist es nicht allein, aber Rückbesinnung auf die eigent¬lichen Ziele der Maurerei, die praktizierte Brüderlichkeit und die unermüdliche Arbeit an mir und meinem „Rauen Stein“ sehe ich als das Ziel meiner maureri¬schen Bemühungen. Woran sollst Du erkennen, dass ich ein Freimaurer bin? Wirk¬lich nur an Zeichen, Wort und Griff?
So arbeite an Dir und Deine Enttäuschung wird sich nur auf Dich beziehen!
Meine Enttäuschung bezieht sich ausschließlich auf mich selbst, weil ich gern mehr noch tun zu können glaube, aber dazu bin ich allein zu schwach.
Folgendes, nach modernen lehrpädagogischen Gesichtspunkten nicht mehr so ganz haltbares Zitat möchte ich dazu wiedergeben:
„Nun muss jeder einräumen, dass uns nichts mehr belehrt als der Umgang. Zwar tragen auch Bücher viel zur Bildung des Gei¬stes bei; aber da sie nur durch die Augen in die Seele drin¬gen, drücken sie sich dort viel weniger tief ein als die lebendi¬gen Gesprä¬che, die mit der Luft zu den Ohren getragen werden und sich leichter in den Geist einschmei¬cheln, fester in ihm haften.
Mag man auch ganz laut lesen; obwohl man sich selber hört, bleibt es doch immer nur ein Sprechen mit den Augen; nur durch den Gesichtssinn faßt der Lesende auf, was er liest. Die Ohren nehmen unser eigenes Organ nicht in sich auf, während sich die Laute eines anderen Mundes ihnen vollkommen ein¬prä¬gen.
Wie wir uns selber nicht machen, ver¬mögen wir uns auch nicht selber zu bil¬den. Andere müssen unsere Lehrer sein, wenn wir lernen wollen. Mögen es nun die Toten sein, die uns durch ihre Bü¬cher, oder die Lebenden, die uns durch ihre Reden unter¬rich¬ten, in jedem Falle brauchen wir andere Menschen dazu.“
NS:
Verehrter brüderlicher Leser, dieses Gespräch wurde nicht etwa aufgezeichnet, um anzuklagen sondern um die Gefühle darzulegen und zu vermitteln, die mich bewegen und um meine eigenen, zugegebenermaßen nicht gerade idealen Erfahrungen weiterzugeben.
Der eigentliche und mir wichtigste Grund für diese Niederschrift jedoch ist, dass ich erreichen möchte, dass wir über maurerische Verantwortung gegenüber unserem Nachwuchs mit¬einander ins Gespräch kommen.