Traktakt: Freimaurerei und Gott - Wie verträgt sich das?
Inhaltsverzeichnis
Traktakt: Freimaurerei und Gott - Wie verträgt sich das?
von Jürgen Scheffler
Vorwort
Der folgende Artikel erschien auf dem Blog "hagenunterwegs.wordpress" als Teil einer dreiteiligen Reihe zum Thema "Freimaurertum und Gott". In dieser Reihe näherten sich im Februar und März 2017 die Freimaurer und Blogger - Jürgen Scheffler, Rene Schon und Hagen Unterwegs - dem Thema aus drei ganz unterschiedlichen Richtungen. Ziel war es, aufzuzeigen, über welche Vielfalt und Bandbreite das Freimaurertum bei diesem polarisierenden Thema verfügt.
Freimaurerei und Gott - Wie verträgt sich das?
Um es vorweg zu nehmen – nach meiner Meinung, gar nicht.
In der deutschen Freimaurerei gibt es neben anderen kleineren Zweigen 2 Zweige mit höheren Mitgliedszahlen.
Zum einen wäre da der FO (Freimaurerorden), der sehr religiös aufgestellt ist. Hier wird im Ritual gebetet und auch Jesus Christus als der Große Meister angesehen. Ich will und kann mich zu den Gepflogenheiten dieses Ordens nicht äußern, ist auch gänzlich nicht meine Welt.
Der zweite, sicherlich größte Bereich der Freimaurerei in Deutschland, ist die sogenannte humanitäre Freimaurerei AFuAM (Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland) hier bin ich Mitglied und stütze meinen nachfolgenden Text nur auf diesen Bereich.
Bewusst werde ich auch nicht auf die Hochgrade, die man heute „weiterführende Grade“ nennen soll, eingehen – ich lehne sie einfach ab, da sie nach meiner Meinung in die gänzlich falsche Richtung weisen und mit Freimaurerei nichts mehr zu tun haben.
EINLEITEND ERST EINMAL ETWAS GESCHICHTE:
Die Freimaurerei entstand aus den alten Bauhütten des Mittelalters und nicht, wie sie wohl oft lesen werden, aus den alten Dombauhütten. Warum die Freimaurerei immer wieder den Dombauhütten zugesprochen wird, bleibt mir ein Rätsel und ist wohl dem Versuch der Zuordnung zur christlichen Religion geschuldet. Entgegen der geschätzten max. 50 Dombauhütten in Deutschland stehen sicherlich tausende Bauhütten in denen die alte Steinmetzbruderschaft aktiv war. Man kann sicherlich davon ausgehen, dass jede mittlere und große Stadt mindestens eine Bauhütte hatte, einfach, weil spätestens seit der Zeit des Hochmittelalters (beginnend etwa Mitte des 13. Jahrhunderts) sehr viel in Stein gebaut wurde. Dazu gehörten neben den imposanten Dombauten, Kirchen und Schlössern natürlich auch die Bauten der Alltagsarchitektur wie Rathäuser, große Bürgerhäuser sowie Stadtmauern, Burgen und andere Befestigungseinrichtungen. Auch hier wurden alle möglichen Mittel der damaligen Baukunst eingesetzt, um möglichst imposante und wehrhafte Gebäude zu errichten, die den gesellschaftlichen Stand ihrer Eigentümer und der Städte widerspiegelten. In dieser Zeit erstarkten die Steinmetzbruderschaften und deren Bauhütten bis ihre Sonderstellung um 1731 mit dem endgültigen Verbot durch Kaiser Karl VI endete.
Nahezu zeitgleich entstand die spekulative Maurerei, die Freimaurer, wie wir sie heute noch kennen.
Man sollte auch noch betrachten, dass zur Zeit der alten Bauhütten in unserem Land noch Leibeigenschaft herrschte. Niemand durfte ohne Erlaubnis sein Land verlassen. Lediglich den Mitgliedern der Steinmetzbruderschaften wurde, sicherlich nicht uneigennützig, eine eigene Gesetzbarkeit und Reisefreiheit gewährt.
Man stelle sich jetzt einmal vor, dass diese Reisenden mit dem Wissen, was sich nicht nur auf die Steinmetzkunst beschränkte, aus aller Herren Länder in diesen Bauhütten abstiegen. Sie hatten in diesen dunklen Zeiten, in dem noch die „Heilige“ Inquisition mit ihren Gottesurteilen, Folter und Hexenverbrennungen tobte, sicherlich sehr viel, was den Kirchen sicherlich nicht gefallen haben dürfte, zu berichten. Das ging natürlich nur in „gedeckten“ Räumen, den Bauhütten, in denen man sich vor nicht willkommenen Gästen durch geheime Zeichen, Wort und Griff schütze.
JETZT EIN WENIG SPEKULATION:
Leider ist aus dieser Zeit kaum etwas schriftlich überliefert, aber man kann versuchen, seine Schlussfolgerungen hieraus aus logischen Schlüssen zu ziehen.
Ich stelle mir diese Bauhütten als ziemlich raue und sicherlich auch nicht gerade saubere Arbeitsunterkünfte vor, was natürlich zur Frage führt, warum strebten gegen Anfang des 18. Jahrhunderts sogar Adlige und das Großbürgertum in diese, zu dieser Zeit natürlich nur noch spekulativen Bauhütten der Freimaurer, warum wurden die Bauhüttentraditionen überhaupt fortgesetzt?
Religion und deren Rituale können es nicht gewesen sein, denn die fand man zuhauf in den Kirchen dieser Zeit. Ich vermute einmal, es war der freie Geist, der aus den Bauhütten ausstrahlte. In dieser spekulativen Freimaurerei versuchte man damals, seine Ideale von einer freien, humanitären Gesellschaft am fiktiven Bau nachzubilden. Man übernahm die gedeckten Räume in die man nur Zugang bekam, wenn man die geheimen Zeichen, Worte und Griffe beherrschte. Man versucht den fiktiven Bau, der heute allgemein als der Tempel der Humanität für eine humane Gesellschaft bezeichnet wird, durch Rituale und Botschaften die bedingt vergleichbar den Graden der alten Bauhüttentradition aufgebaut sind, zu festigen. In den alten Bauhütten gab es nur Lehrlinge und Gesellen wo hingegen der Meister immer aus den Reihen der Gesellen gewählt wurde. Das änderte sich im Laufe des frühen 18. Jahrhunderts.
DER BRUCH IM LEHRGEBÄUDE DER SPEKULATIVEN FREIMAUREREI:
Neben der spekulativen Freimaurerei entstand gegen Ende des 17. Jahrhunderts das Rosenkreuzertum. Ein sehr christlich und mystisch aufgebauter Orden, der den neu entstehenden Freimaurerlogen arg zu schaffen machte. Zur Abwehr entwickelte man einen neuen Grad in der Freimaurerei, den Meistergrad, der entgegen dem Lehrlings- und Gesellengrad nichts mehr mit den alten Bruderschaften zu tun hatte und auch sehr viele christliche und mystische Elemente enthielt. Für mich war das der eigentliche Bruch im Lehrgebäude, an dem nach meiner Meinung die Freimaurerei bis heute zu leiden hat.
Man wendete sich von der möglicherweise in den alten Bauhütten vorhandenen Streitkultur gegen alle Restriktionen aus Glaubensfragen und Obrigkeitsdenken wieder ab und wurde zahm, sehr zahm wie man aus den „Alten Pflichten“ dem bis heutige gültigen Gesetz der Freimaurer von 1723 leicht erlesen kann.
GOTT, RELIGION UND DEREN BEGRIFFLICHKEITEN IN DER FREIMAUREREI DER GEGENWART
Inhaltlich wurde, wie bereits oben erwähnt, ein Meistergrad in die Freimaurerei integriert, der mit dem eigentlichen Lehrgebäude eines Steinmetzes überhaupt nichts zu tun hat. Zusätzlich wurden den alten Bauhütten im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff Dombauhütten zugewiesen. Auch aus den Bauhütten, den ursprünglich gedeckten Räumen wurden die Tempel und aus den eigentlichen, symbolisch nachzubildenden Arbeiten der alten Bauleute wurden demnach zwangsläufig Tempelarbeiten.
Stellt man sich eine alte Bauhütte vor, könnte man sich leicht eine etwas schmuddelige, einfache Hütte mit einem großen Reißbrett in zentraler Stelle voller Zeichnungen und Zeichenwerkzeuge zur Erstellung dieser Zeichnungen vorstellen.
Heute ist dieses Reißbrett, sicherlich ehemals der Arbeitsplatz des Meisters der Bauhütte (des Architekten) zu einem Altar geworden. Auf diesem liegen dann als Zeichnungen für den symbolischen Bau festgeschriebene „Heilige“ Bücher und die Werkzeuge des Meisters oder des Architekten, der den symbolischen Bau in Ordnung bringt, der Zirkel und das Winkelmaß. Überträgt man diese Symbolik in den fiktiven Bau scheint klar zu werden, die Grundlagen für eine humane Gesellschaft sind maßgeblich aus heiligen Büchern zu holen – Ich empfinde dies als eine Katastrophe und vermute mal, die alten Steinmetzen würden dem niemals zustimmen können.
Ein ganz wichtiges Symbol für die reguläre Freimaurerei darf hier natürlich nicht vergessen werde. Das ist der „Große Baumeister aller Welten“.
Die „reguläre“ Freimaurerei hat sich weltweit den „Gesetzen“ der Englischen Großloge untergeordnet, in der klar definiert ist, dass eine reguläre Loge einen „Großen Baumeister aller Welten“ sowie ein bestimmtes „Heiliges Buch“ anzuerkennen hat. Leider kann, oder womöglich will sie sich aus diesem religiös definierte Zangengriff nicht befreien. Sie hält vehement an alten Traditionen fest, oder an das, was sie dafür hält.
So hat man in der humanitären Freimaurerei sicherlich Probleme, diesen Begriff des „Großen Baumeisters aller Welten“ zu definieren und zuzuordnen. Wenn man ihn liest, fällt einem natürlich direkt nur Gott ein. Diesen Gottesbezug will man allerdings in dieser offensichtlichen Form nicht aufrechterhalten, das wäre ja konträr einer rein humanitären und auf Wissen basierenden Freimaurerei. Kurzum deutet man um, man beschreibt diesen Begriff als ein „Schöpferisches Prinzip“ was sich jeder selbst definieren darf. Ein „Schöpferisches Prinzip“ in einem Tempel, in den heiligen Hallen, bei einer Tempelarbeit mit Altar und „Heiligem Buch“? Und, man dankt diesem „schöpferischen Prinzip“ sogar und bittet es an bestimmten Ritualstellen um Hilfe. Hier erscheint mir der FO (Freimaurerorden) mit seiner definierten christlichen Ausrichtung sehr viel ehrlicher.
Zugegeben, bei mir hat es etliche Jahre gedauert, bis ich diese Ungereimtheiten für mich erkannt hatte. Ich habe in der Vergangenheit etliche Jahre mit mir, den Ritualen, den Symbolen, meinen Freimaurer-Brüdern und der Freimaurerei insgesamt gerungen. Freimaurerei war für mich wichtig, da sie eine global organisierte Bruderschaft ist, die sich als Gegenpol zur globalen Wirtschaft- und Finanzwelt aufstellen könnte. Leider möchte sie das offensichtlich nicht, obwohl es dringend erforderlich wäre.
Ich hatte immer gedacht, eine der riesigen Vorteile der Freimaurerei ist das Gespräch, das Streitgespräch auf Augenhöhe mit Brüdern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und sozialen Schichten. Das findest man sonst nirgendwo und unsere so hochgelobte Streitkultur wird auch immer wieder auf Gästeabenden besonders betont. Was soll das denn, wenn wir dies nicht nutzen wollen?
Tiefer, aufgezwungener Glaube hat im tiefsten Mittelalter der Menscheit weit über tausend Jahre Entwicklung gekostet und sehr viel Leid gebracht. Die Freimaurerei tut gut daran, ihre Grundlagen aus der Moderne, aus der Wissenschaft zu beziehen. Wissen heißt nicht unbedingt Recht zu haben. Wissen heißt lediglich eine Theorie zu haben, die wissenschaftlich beweisbar oder wenigstens logisch schlüssig ist. Eine wissenschaftliche These schreit, ganz anders als ein Glaube, nach Gegenthese. Wissenschaft will Wissen schaffen und ist daher immer auf der Suche nach neueren Erkenntnissen. Nach Thesen, die bessere Argumente haben. Das passt gut in die Freimaurerei, wie ich sie mir vorstelle.
Auch zugegeben, auf der Webseite von AFuAM hat sich in den letzten paar Jahren sehr viel getan. Von mir immer wieder kritisierte Textpassagen sind gänzlich verschwunden. Die Webseite stellt sich heute durchaus sehr modern dar, aber an den nach wie vor religiösen Kern, da geht man tunlichst besser nicht heran.
Es wird darauf hingewiesen, dass in den Logen verschiedene Facetten der Ausprägung von Freimaurerei zu finden sind, löst sich aber nicht von den „Alten Pflichten“ von 1723 und versucht einmal „Neue Pflichten“ zu deklarieren. Das passt nicht zusammen, was man leider oft erst nach vielen Jahren Freimaurerei bemerkt.
Ein Satz auf dieser Webseite hat es mir besonders angetan: „…Freimaurer wissen zwar nicht, wie eine menschliche Welt im Einzelnen auszusehen hat, denn sie verzichten darauf, gesellschaftlich-politische Utopien zu formulieren….“. Hier ist der Begriff „Utopien“ allein schon negativ konnotiert – warum eigentlich? Möchte man damit etwas besonders negativ betonen? „Visionen“ passt hier deutlich besser und wäre sicher angebracht gewesen.
Hätte ich damals so eine Bemerkung auf der Webseite von AFuAM gelesen, ich wäre niemals Freimaurer geworden. Es ist für mich eine regelrechte Aufgabe, eine Kapitualtion vor dem großen Plan der Gestaltung einer humanen Gesellschaft. Der symbolische Bau einer humanen Gesellschaft der „Tempel der Humanität“ hat für die Freimaurerei offensichtlich keine Bedeutung mehr.
Auch heißt es bei uns im Ritual „Wir bauen den Tempel der Humanität ….. die Steine, deren wir bedürfen, sind die Menschen“. Dies scheint mir ein Hinweis auf alle Menschen – die eingeschlossen, die nicht Freimaurer sind. Die Frage ist lediglich, wer erstellt den Plan, wer ist der Architekt dieses symbolischen Baus? Wenn der Meister keine eigenen Zeichnungen mehr auflegt, sondern mit seinem Zeichenwerkzeug auf ein „Heiliges Buch“ verweist, kommt da wieder einer dieser ominösen Götter ins Spiel? Das kann und darf es nicht sein, wir müssen uns unsere Welt selbst gestalten – wir sind die Meister und wir erstellen die Zeichnungen nach denen der symbolische Bau erfolgt.
Ich habe als Ziel der freimaurerischen Arbeiten immer den symbolischen Bau als den Bau einer menschlichen Welt verstanden. Wo bleibt dieses Ziel? Ist dieses Ziel bewusst aufgegeben worden, weil es niemals eine Bedeutung im Lehrgebäude der symbolischen Freimaurerei hatte? Weil der Meistergrad nicht angefasst werden darf und dieses religiös Mystische, dieses Spiel zwischen Leben, Tod und Auferstehung unbedingt erhalten werden muss?
Wie wollen wir eine menschliche Welt gestalten ohne uns bewusst mit diesen gesellschaftlich-politische Utopien zu beschäftigen und im Idealfall sogar zu definieren. Bei allen Irrtümern, die daraus entstehen können, es würde sich viel leichter in einer global organisierten Runde von gleichdenkenden Brüdern und wer mag, auch mit Schwestern erreichen – viel besser als allein.
Die Freimaurerei in ihrer Verzahnung zu diesen alten Glaubensvorstellungen versagt da meines Erachtens vollständig. Sie kann sich einfach nicht lösen und ich, wie einige Brüder in meinem Umfeld, haben die Hoffnung für Erneuerung bereits aufgegeben.
Für mich ist es unglaublich, dass wir uns nach wie vor anmaßen, in der Tradition des Humanismus und vor allem der Aufklärung zu stehen. Es kann sein, dass wir in den Zeiten der Aufklärung stehen geblieben sind (was ich sogar bestreiten möchte, da die Aufklärung Fortschritt wollte) – aber ist das tatsächlich sinnbringend in der heutigen Zeit?
In der Tradition stehend, heißt für mich, die fortschrittlichen Gedanken dieser Zeit weiter zu entwickeln und nicht in dieser Zeit verhaftet zu bleiben. Es ist noch nicht lange her, da wurden den jungen interessierten Herren in meiner Loge gesagt „Wir, die Freimaurer, verstehen unter Tradition nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Ist das etwa auch so ein weiterer abgedroschener, sinnentleerter Spruch ohne Bedeutung?
JÜRGEN SCHEFFLER
REFERENZEN:
- Man siehe hierzu auch meine schon ein paar Jahre alten Ausführungen für eine mögliche Freimaurerei der Zukunft:
https://www.moderne-freimaurer.de/cms/WS_Reform-der-Freimaurerei-notwendig-Historie.html
- Grundsätzliches und weiterführende Gedanken zum Gottesglauben habe ich jüngst hier geschrieben:
https://www.moderne-freimaurer.de/cms/NS_Von-Gott-und-der-Welt.html
Siehe auch
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