Traktat: “Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung
“Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung
Noch einmal zu “Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung
Vieles wurde schon zu Klaus-Jürgen Grün's jüngstem Buchbeitrag “Wörter machen Götter”
gedacht, gesagt und geschrieben. In einschlägigen online-Foren in teils polemischem, teils
verbittertertem, aber auch mit durchaus analytischem Ton dekonstruiert, anderenorts als
notwendige, gar längst überfällige Publikation gepriesen, übersteigt die Resonanz auf dieses
Werk bei Weitem alles, was freimaurerischen Schriften in den letzten Jahren an
Aufmerksamkeit zuteil werden durfte. Die Freimaurerei in Deutschland besitzt nun auch zu
guter Letzt, wie es scheint, ihre ganz eigenen “satanischen Verse”, über die logen- und
lehrartübergreifend kontrovers gestritten werden darf.
So mag berechtigterweise die Frage gestellt werden, warum sich noch eine weitere
schriftliche Stellungname anschickt, in das schillerndbunte Gedränge von Rede und
Gegenrede zu Br. Grün's “Hetzschrift” (offizielle Verlautbarung der Vereinigten Grosslogen
von Deutschland) einzufallen. Zwei Überlegungen haben Verf. hierzu bewogen: zum Einen
vertritt Verf. die Überzeugung, das kontroverse Themen nicht unter einem Mangel an
kritischem Diskurs leiden sollten, zum Anderen ist die freimaurerische Identität des Verf.
durch langjährige, aktive Mitarbeit in der regulären türkischen Maurerei geprägt, die eine
alternative Perspektive auf die causa Grün möglich erscheinen lässt.
Der zweigeteilte Titel des Werkes ist Programm. Der Dreiklang “Wörter machen Götter”
paraphrasiert den -durchaus spannend dargebotenen- Versuch des Autors, mithilfe einer aus
historischer Religionskritik, Sprachanalyse, Philosophie und Sozialpsychologie gespeister
Methodik die wortgebundenen Rituale der Freimaurerei als einen geschichteten
Läuterungsprozess zu klassifizieren, welcher die brüderliche Gemeinschaft auf eine
diesseitige, jeglicher eschatologischer Knabenmorgenblütenträume beraubte
Lebenswirklichkeit einnorden soll. Die Hölle ist leer, und alle Teufel sind hier. Und diese sind,
ebenso wie Götter, Engel, Elfen, oder die hehre Seele an sich eben nur gesprochene oder
geschriebene Lautgebilde ohne wahrhaftige Substanz oder immanentem Wahrheitsgehalt.
Die rituellen Übungen dienen somit einzig und allein dem Zweck, die je nach soziokultureller
Konditionierung mehr oder minder stark ausgeprägten transzendenten Filter zu entfernen,
und den Blick für die Belange unserer Welt zu schärfen, und nur dieser einen, die einer nach
derzeitiger Methodik möglichen wissenschaftlichen Prüfung ihrer Wirklichkeit und somit
Wahrhaftigkeit standzuhalten vermag. Und worüber man nicht sprechen kann -man vernimmt
das Raunen Ludwig Wittgensteins- darüber sollte man bitte tunlichst schweigen.
Der kämpferische Zusatz “Der symbolische Bund der Freimaurer und seine Feinde” ist nicht
ohne Grund einem Werk Karl Poppers entlehnt, dem wohl einflussreichsten
Wissenschaftsphilosophen des vergangenen Jahrhunders, der auch von Br. Grün ausgiebig
zitiert wird und neben dem Familientherapeuten und Kommunikationstheoretiker Paul
Watzlawick einer der Grundpfeiler seiner Überlegungen ist. Die “Feinde” sind jedoch in
vorliegendem Fall sehr konkret gefasst, wird doch dem Freimaurerorden bzw. seinem
Dachverband, der Grossen Landesloge von Deutschland -bzw. aller v.a. im skandinavischen
Raum beheimateten christlich geprägten Freimaurerlogen- nicht nur ihre freimaurerische
Legitimiät abgesprochen, sondern die gesamte Organisation gleich einem Kehrrichthaufen
als klandestine Christussekte entsorgt. Ein bitteres Kainsmal, das, einmal eingebrannt, nur
schwer zu revidieren ist.
Diese Sezierung der Ordensmaurerei erfolgt im Gegensatz zu Br. Grüns durchaus
anregenden Einlassungen zur semiotischen Dimension der Freimaurerei in einer ermüdend
polemisch-redundanten Art, die das Lesevergnügen erheblich schmälert. Beherzt Br. Grün im
“semiotischen” Teil seiner Arbeit noch die von Karl Popper eingeforderte Klarheit der Sprache
und Kohärenz im Argumentationsfluss, nimmt der eingeflochtene Sturmangriff gegen den
Freimaurerorden mit zunehmender Dauer bald ehrenrührige, bald hysterische Züge an,
verliert aber in seinem Verlauf durch die geradezu gebetsmühlenartige Wiederholung der
immergleichen Streitpunkte erheblich an Schlag- und Überzeugungskraft. Bei manchem
Leser mag dies eine vom Autor gewiss ungewollte Solidarisierung mit dem so arg
gescholtetenen Ordensbund bewirken.
Letztendlich ist die Grün'sche Exegese des Rituals nur eine von vielen möglichen Lesarten
freimaurerischer Tempelarbeit. Die Reduktion des Symbols auf ein jeglicher Spiritualität
entkleidetes Schattenspiel mag für einige Brüder ein reizvolles Unterfangen, für andere
Brüder in den Kolonnen jedoch unbefriedigend sein. Durch die bewegten Zeiten
freimaurerischen Wirkens in dieser Welt schrieb und schreibt niemand -kein Dachverband,
keine Gruppe und kein Individuum- der Ritualgemeinschaft eine präzise Ausdeutung vor, wie
das innere Erleben bzw. die emotionale wie intellektuelle Synthese der Arbeit vonstatten
gehen soll.
Hierbei ist interessant zu beobachten, das die strikt laizistisch agierende und jedweder
Frömmelei gewiss unverdächtige Freimaurerei in der Türkei im Jahreslauf eine ausgeprägte
Hinwendung zu dezidiert spirituellen Themen offenbart. Ein Blick in das von der Grossloge
der Freien und Angenommenen Maurer in der Türkei herausgegebene Periodikum “Mimar
Sinan”, in der sämtliche in regulären türkischen Logen aufgelegte Zeichnungen innerhalb
einer Arbeitsperiode minutiös mit Titel und Datum vermerkt sind, belegt dies nachhaltig. An
der Diesseitsbezogenheit der türkischen Brüder besteht nach Meinung des Verf. trotzdem
kein Zweifel, auch wenn sich eine nicht geringe Anzahl aktiver türkischer Freimaurer dem
Bektaşi-Orden, Sufismus oder Schamanismus verbunden fühlt, ja sogar Ämter in den vorab
genannten Glaubensgemeinschaften bekleidet. Wogegen andere mit nur einer kielbreit
Abstand am alternativlosen Atheismus entlangnavigieren. Oder als Rabbi der örtlichen
jüdischen Gemeinde in Ankara vorstehen. Zur Tempelarbeit findet man sich dann in trauter
Einigkeit zusammen. Ein von Br. Grün skizziertes Paradigma ist nach Einschätzung des Verf.
den meisten Brüdern hier in der Türkei -und wohl nicht nur hier- vollkommen fremd. Was die
hiesigen Logen nicht daran hindert, intensive und fruchbare Beziehungen zu einer Vielzahl
von Bauhütten im Ausland zu unterhalten, die weltanschaulich gewiss ähnlich heterogen
aufgestellt sind.
Persönliche Erfahrungen mögen im Argumentationstrang Klaus-Jürgen Grüns keine
Gültigkeit besitzen, jedoch hatte Verf. bei seinen zahlreichen Heimatreisen mehrmals die
Gelegenheit, rituellen Arbeiten des Freimaurerordens auch in den höheren, von Br. Grün
aufgrund seiner Lehrinhalte gesondert kritisierten Stufen beizuwohnen. Eine freimaurerischer
Lehrinhalte komplett fernstehende, sektierische Ritualistik konnte nicht erkannt werden. Eine
Gehirnwäsche fand nicht statt. Verf. verliess den Tempel, ähnlich wie nach vollrichteter Arbeit
in den Johannisgraden humanistisch orientierter Logen, mit einem Gefühl der Erbauung und
Gewissheit, die Zeit wohl genutzt zu haben.
Insgesamt hatte Verf. bislang sowohl diesseits als auch jenseits des Bosporus nie das
verstörende Erlebnis, bei seinen Logenbesuchen auf weltabgewandte, pietistische Brüder im
Büßergewand zu treffen. Vielmehr ist die Diesseitsbezogenheit des Bruderbundes das allzeit
verbindende Element, gepaart mit der tiefen Überzeugung, durch Taten unsere Heimat Erde
aktiv mitzugestalten, zu erhalten und ihren Lebenswert zu mehren. Und genau in diesem
Punkt ist der irrlichternde, in “Wörter machen Götter” als negatives Leitmotiv eingeführte
hypothetische Bruder mit seiner verschlagen-intimen Affinität zum Numinosen ein ebenso
wertvoller Baustein für den Tempel der Humanität: Denn ob die oft zitierte “Verschwörung
zum Guten” mithilfe eines von Br. Grün skizzierten Symbolverständnisses geschieht, oder
durch ein bewusstes oder unbewusstes Hineingeheimnissen religiöser oder transzendentaler
Motivik, ist für den sichtbaren Erfolg freimaurerischen Tuns letztendlich vollkommen
belanglos.
PD Dr. Thomas Zimmermann
Der Autor ist Archäologe und lehrt an der Bilkent Universität in Ankara