Rezension: Volker Ritters, Anna Mika - Meisterwerke mit der rituellen verborgenen Geometrie rekonstruiert

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Bergen bekannte Gemälde maurerische Botschaften?

Rezension von Br Roland Müller


Volker Ritters, Anna Mika: Meisterwerke - mit der rituellen verborgenen Geometrie rekonstruiert aus Symbolen des Freimaurer-Ordens: Hamburger Kunsthalle.
Philosophisch-urreligiöse Aussagen in den Kunstwerken von Meister Bertram; L. Cranach d. J.; Rembrandt van Rijn; J. Steen; D. Teniers d. J.; F. Boucher; Ph. O. Runge; C. D. Friedrich; G. F. Kersting. Norderstedt: Books on Demand 2008.


Das ist ein kurioses Buch. Auf 350 Seiten werden ein Dutzend Gemälde aus der Zeit von 1380 bis 1835 auf eine „Verborgenen Geometrie“ hin analysiert. Auch wer eine Ahnung sowohl von Kunstgeschichte als auch Freimaurerei hat, findet nicht leicht den Zugang zu den Erläuterungen des Hamburger Pädagogen und Kunsthistorikers Volker Ritters (Freimaurer) und seiner Kollegin Anna Mika. Auch die sprachliche Fassung, die textliche Gestaltung und die zahlreichen Zeichnungen sind ungewohnt.

Von Ur-Religion, ägyptischen Mysterien und Freimaurerei

Grundlage der Interpretation der Szenen auf den Gemälden sind die Rituale der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland, also des christlich orientierten „Freimaurer-Ordens“. Diese werden in einem fast 50seitigen Einführungsteil zurückgeführt auf die ägytischen Mysterien (24-29) oder die Ur-Religion, z. B. den „indo-tibetischen Schlüssel des nördlichen Mahayana-Buddhismus“ (17), wo „Atma, Osiris, Meta-Geist als höchstes Prinzip“ die höchste Gottheit meint (18). „Beide ‚Übungsarten’ oder Einweihungswege (in der Ur-Religion und im Freimaurer-Orden/ FO) streben den vollkommenen Menschen an, der zum Spirituellen hin offen sei“ (20).

Oder etwas ausführlicher: „Beide ‚Übungsarten’ (die ‚Königliche Kunst’, al-kymia, Alchemie, als ‚Umwandlung/ Umformung’ bei der Ur-Religion – und im Logen-Ritual des Freimaurer-Ordens als ‚Umwandlung/ Formung’ und ‚Verwandlung: Neuschöpfung oder Wiedergeburt’) streben zur Erlösung des göttlichen Funkens oder Kernes der Seele aus der Bestimmung (Beeinflussung, Lenkung) durch irdische Begierden und Gelüste zur Freiheit des Geistes und zur freien Rückkehr der Seele (der spirituellen Erfahrung) in die Einheit mit der Weltseele“ (30).

Eine wichtige Grundlage der freimaurerischen Symbolik ist ferner die Bibel. So kann man etwa - bereits in die Geheimnisse der Geometrie eingetaucht - formulieren: „Der kurzgefasste Weg des Einzuweihenden soll also vom Westen zum Süden zum Norden zum Osten führen. Im Norden wird er aufgerichtet (freimaurerisch Aufrichtung, kirchenchristlich Auferstehung). Beim Übergang vom Norden zum Osten wird er erhoben (freimaurerisch Erhebung, kirchenchristlich Himmelfahrt). Am Übergang vom Norden zum Osten liegt gelegentlich ein bedeutsamer Ort (T, für Transzendieren/ Überschreiten), der den Übergang erleichtert (etwa durch die Bildung der Proportion von ‚1 zu 2’ auf dem linken oberen Arm des Andreaskreuzes, welches die Proportion der Oktave ist und einen Oktavsprung erzeugt, womit eine ‚Verheissung der Erlösung’ gemeint ist), eben ein ‚Sprung nach oben“ (39).


Über geometrische Differenzierungen

Im folgenden erläutern die Autoren weitere geometrische Differenzierungen: •„Die Handgriffe verraten, welches Thema der Einzuweihende speziell bearbeiten soll“ (39). •Das „magische Dreieck“ besteht aus dem Logenmeister (der für Gott steht), dem 1. Aufseher (der für die Vernunft steht, die mit der Lotwaage den waagrechten Baugrund prüft) und dem 2. Aufseher (der für das Gewissen steht, das sich wie ein Senkblei von oben in mich hineinsenkt). •Lehrling, Geselle und Meister machen insgesamt eine Reise über „12 Stufen der Wandlung“. „Es ist so, als wenn Gott über 12 Stufen (mit Aussagen zur Schöpfung und zur Rückkehr zu Ihm) zu mir spräche, auf jeder Stufe in der Form des Dreiecks“ (47). •Der Kubus schliesslich „ist ein Symbol für Gott, für Jesus Christus und für das Ziel eines vollkommenen Menschen“ (50). •„Gelegentlich können am Ende der Arbeit (wenn die Kuben gefunden sind) deren Mitten oder P12-Punkte untereinander oder mit anderen zentralen Punkten (etwa der Mitte des magischen Dreiecks) in Kreisschlägen verbunden werden, wodurch weitere, zusammenfassende Beziehungen gefunden werden können“ (56).

Die Einführung bricht abrupt ab. Ganz am Schluss des dicken Bandes (421-424) geben die Autoren im Anhang unter „Definitionen“ und „Abkürzungen“ eine brauchbare systematische Zusammenstellung der „Verborgenen Geometrie“, wie sie sie sehen. So ist etwa ein „Gral“ ein „energieaufnehmender Kubus – mit der y-förmigen Innenfigur und mit der einstrahlenden Doppelschwingungs-Figur“; und die „solare Robe“ ist „der aufgeladene Gral, der Energiekörper im Lichtschacht, der Neue Leib für die Himmelfahrt“ (421).

Zur Analyse von Gemälden

Und nun vertreten die Autoren die Auffassung, dass einige Maler in ihre Werke derartige Symbolik haben einfliessen lassen: Bertram, Cranach und Rembrandt lange vor der Zeit der modernen Freimaurerei, François Boucher, Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich als - alle drei: angebliche, d. h. nicht bestätigte - Freimaurer. Bei den Werken handelt es sich fast ausschliesslich um die Darstellung von Menschengruppen.

Als Beispiel sei die Analyse des Gemäldes „Der Angler“ herausgegriffen, das der französische Rokoko-Maler François Boucher um 1760 malte. Die Autoren verwenden fast 70 Seiten und über 40 Zeichnungen darauf nachzuweisen, dass der Maler einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der schwedischen Freimaurerei (von welcher der FO eine Abspaltung ist) hatte. Das liest sich etwa so verklausuliert:

„Dagegen soll hier folgend gezeigt werden, dass sich Schweden mit dem Bildprogramm Bouchers (1758-62) für die schwedische, christliche, symbolische Freimaurerei als das Ursprungsland der symbolischen Freimaurerei zu erkennen gibt, - und dass Bouchers Mentmore-Bilder (1758-1762) dem Aufbau der 2. und 3. Ordensstufe und der diese Stufe vereinigenden Landesloge (also dem vollständigen Ausbau des Schwedischen Systems 1756-1760) vorausging“ (275).

Was das Bild selbst betrifft, werden die Personen und ihre Handlungen allegorisch erklärt: „Der Angler (ist Boucher), die Frau an seiner Seite (ist Baron Scheffer), die stehende Zofe (ist die ‚Grosse Mutter’), der Trauben essende Knabe (ist König Adolf Fredrik), das angelnde Mädchen (ist die Witwe, der Orden), der stürmische Knabe (ist der/ jeder Freimaurer). Die Handlung besteht im Vorzeigen und Vermitteln des ‚Fisches’ von den ‚alten Erwachsenen’ in Frankreich/ Paris zu den ‚jungen Erwachsenen’ in Schweden/ Stockholm“ (289-291; siehe auch 236f). Mit diesem Bild also hat Boucher „freimaurerisches Geheimwissen (über die Einweihung in die Kleinen Mysterien)“ an die Schwedische Grosse Landesloge weitergegeben. Die symbolische Aussage dieses Bildes wurde in der „Verborgenen Geometrie“ nach Schweden transportiert (226).

Was wurde transportiert? „Im ‚Angler’ führt der Einweihungsweg zum geometrischen Kubus/ Gral, der seine Schwingung (Kraft) in den mit einem roten Tuch verdeckten, gegenständlichen Kubus hinein gibt. Damit wird diesem Stein die Bedeutung des ganzen Weges und des geometrischen Kubus gegeben: Die verhüllende Decke wird von ihm fortgezogen. Er wird ent-deckt und damit offenbar, er wird für den Interpreten geometrisch“ (413).


Viel Scharfsinn, Lektüre und Fleiss

Fazit: Die Autoren haben enorm viel Scharfsinn, Lektüre und Fleiss in ihre Analysen gesteckt. Das umfangreiche Ergebnis ist zumindest diskussionswürdig (direkt) und ausserordentlich informativ (indirekt).