Traktat: Trauerloge
Trauerloge des Distrikts Hamburg der GL AfuAM am 20.11.2014
Uwe Hansen
Loge ROLAND Nr.489
Leben mit Verantwortung
Ich will in dieser Arbeit, in der es um die Trauer und das Gedenken an die Brüder geht, die uns in den ewigen Osten vorangegangen sind, über Verantwortung im Leben sprechen. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, doch heißt es in unserem Trauerritual nicht: „Aber was wären wir ohne die Werkleute, die vor uns am Bau arbeiteten, die das Fundament unsres Lebens schufen?“
Auf manchem Grabstein in Norddeutschland und vielen auf meiner Heimatinsel Finkenwerder ist ein Ausspruch Gorch Focks zu lesen:
„ Baben dat Leben steiht de Dood! Man baben den Dood steiht wedder dat Leben!“
„Über dem Leben steht der Tod! Aber über dem Tod steht wieder das Leben“
Zum Leben und zur Gedankenwelt des Freimaurers gehört, sich gedanklich mit der Endlichkeit des menschlichen Lebens, mit dem Tod, auseinanderzusetzen. Schon im Aufnahmeritualtext zur 3. Reise des Suchenden heißt es:
Ihre Hand berührt Erde. Von ihr ist unser Körper genommen und in ihren Schoß kehrt er zurück. Darum nutzen Sie Ihre Zeit, um Ihre Fähigkeiten zu erkennen, sie sorgfältig auszubilden und sich ihrer mit Weisheit zu bedienen. Vergessen Sie nicht, dass ihr Körper Wohnsitz und Werkzeug eines unsterblichen Geistes ist!
Im Angesicht der Bedeutung, die wir in unseren Ritualen diesen Fragen beimessen, verwundert es mich gelegentlich, wie wenig Zeit unsrer freimaurerischen Arbeit wir darauf verwenden, uns gemeinsam auf diese Forderung zu besinnen. Empfinden wir es, wie die meisten Menschen, als unangenehm, uns damit zu befassen, wie wir es mit dem Sterben halten? Sich damit zu befassen, würde uns dazu führen, die Gewissheit der Vergänglichkeit nicht zu verdrängen, sondern zu reflektieren.
Letztendlich ist aber die Frage nach dem Umgang mit dem Tod, wie es ein Kommentator der, inhaltlich sehr ernst und des Parlamentes würdig, im Deutschen Bundestag geführten, Debatte über die Sterbehilfe, schrieb: „ …. nicht zu trennen von weiteren, die ebenfalls kein Politiker, kein Stellvertreter, kein Arzt, sondern nur jeder für sich selbst beantworten kann: „Wie hältst Du es mit dem Leben?!
Ich meine, dass Trauer und Gedenken - an unsere Brüder, aber auch in der Welt außerhalb unsrer Freimaurerei �- uns auch immer dazu bringen, über die Frage nachzudenken, ob wir als Menschen in der Spanne unseres Lebens, unter den Umständen, die es für uns bereit hielt, Verantwortung übernommen haben.
Mensch sein, das heißt Verantwortung fühlen, sich schämen beim Anblick einer Not, auch wenn man scheinbar keine Mitschuld an ihr hat, stolz sein auf den Erfolg der Kameraden, seinen Stein beitragen im Bewusstsein, mitzuhelfen am Bau dieser Welt!
schreibt Antoine de Saint Exùpéry in seinem Buch „Wind Sand und Sterne“. Könnten diese Worte des Dichters, von dem wir nicht wissen, ob er Bruder war, nicht auch ein freimaurerisches Motto sein und uns leiten, wenn wir über uns, die königliche Kunst und unsere Verantwortung für die Gesellschaft nachdenken?
Ich denke, wir machen es uns manchmal zu einfach damit, indem wir als Freimauerer das Übernehmen von Verantwortung nur auf die Freimaurerei an sich begrenzen. Diese ist doch auch darauf ausgerichtet, im einzelnen Bruder eine positive Veränderung zu bewirken und ihn so auch zu einem besseren Bürger für die Gesellschaft werden zu lassen. Wir sollten und können zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen, wenn wir die in den Logen gelebten und erlernten Prinzipien Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit auf unser Leben in der Welt außerhalb unsrer Logen übertragen. Das kann in unserer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft bedeuten, immer dort Verantwortung übernehmen zu müssen, wo es notwendig ist. Es sollte uns aber zumindest dazu bringen, all den Menschen vorurteilsfrei zu begegnen die in unsrer Gesellschaft Verantwortung übernommen haben, sei es im Staatsgefüge, im, kirchlichen Bereich oder in den großen Verbänden. Dieses vorurteilsfreie Begegnen muss uns nicht davon abhalten, differenziert zu urteilen. Es führt aber zu mehr Nachdenken und mehr Nachdenklichkeit und eventuell auch zu besseren Ergebnissen im Sinne des Ganzen.
Ein Ergebnis könnte die Erkenntnis sein, gelegentlich, vielleicht auf Zeit, als Bürger (ich zitiere hier sinngemäß Prof. Manfred Lahnstein aus seinem Vortrag zum 5. Internationalen Freundschaftsessen der Freimaurer) einmal selbst „Verantwortung für die „res publica“ über über den Gang zur Wahlurne und eine ausreichende Steuerehrlichkeit hinaus“ zu übernehmen. Quelle: „ Von den Grenzen der Duldsamkeit- Kulturelle Identität und Verfassungspatriotismus“ Vortrag von Prof.Dres.hc. Manfred Lahnstein5. Internat. Freundschaftsessen der Hamburgischen Freimaurer
Es muss uns nachdenklich stimmen, dass der Politik und Politikern und Politikerinnen anscheinend zunehmend weniger zugetraut wird, die Interessenkonflikte, die in einer demokratischen Gesellschaft, die aus vielen Millionen von Menschen mit individuellen Interessen vorhanden sind zu lösen. Wo aber sonst, als in unseren demokratisch gewählten kleinen und großen Parlamenten in den Gemeinden, den Städten, Kreisen, Ländern, der Bundesrepublik und Europas gibt es die Möglichkeit, zu einem Interessenausgleich zu kommen. Stattdessen feiert das Gründen von Bürgerinitiativen fröhlichste Urstände und beschäftigen Verbandsklagen unsere Gerichte in allen Instanzen. Ich bezweifle ob das wirklich immer etwas mit „mehr Demokratie“ zu tun hat. Liegt es nicht vielleicht auch daran, dass viel zu weniger Bürger auch nur zeitweise, zur, Übernahme von öffentlichen Ämtern und Verantwortung bereit sind? Wenn es das Ziel der Freimaurerei ist, aus guten Männern bessere zu machen, könnte es nicht auch geboten sein, zur Übernahme von Verantwortung in der „res publica“ zu ermuntern?
Ich zitiere noch einmal Professor Lahnstein, der in seiner damaligen Rede an einen Vortrag des großen humanistisch jüdischen Philosophen Karl Popper erinnerte:
„Ich glaube, dass unsere abendländische Zivilisation, trotz allem, was man mit vielem Recht an ihr aussetzen kann, die freieste, die gerechteste, die menschlichste, die beste ist, von der wir aus der Geschichte der Menschheit Kenntnis haben. Sie ist die beste, weil sie die verbesserungsfähigste ist! Quelle: „ Von den Grenzen der Duldsamkeit- Kulturelle Identität und Verfassungspatriotismus“ Vortrag von Prof.Dres.hc. Manfred Lahnstein5. Internat. Freundschaftsessen der Hamburgischen Freimaurer
Mir gefällt auch die zutiefst freimaurisch klingende Erklärung des “kritischen Rationalismus“ Poppers; sie könnte Brüdern eine Hilfe sein. wenn sie sich engagieren:
„Ich kann mich irren und du kannst recht haben. Aber wenn wir uns bemühen, dann können wir gemeinsam der Wahrheit etwas näher kommen. Der kritische Rationalismus ist also die Haltung eines Menschen, der nicht schnell die Hoffnung aufgibt, aus Argumenten und Erfahrungen zu lernen und durch die Bereitschaft seine Fehler zu korrigieren, so etwas wie Übereinstimmung mit anderen zu erreichen. Dies gilt besonders bei Fragen, was wahr und falsch ist vieleicht auch dann, wenn grundsätzliche Interessen und Forderungen aufeinander prallen. Quelle: Br. (Dr.) Ulrich Cichy in TAU Zeitschrift der Forschungsloge Quatuor Coronati Nr. II 2013 Zu einem sichtbaren Erfolg er Übernahme maurerischer Verantwortung:
Meine Brüder, als mich unser sehr ehrwürdiger Distriktsmeister vor mehreren Wochen bat, an diesem Tage die Zeichnung aufzulegen, war mir im ersten Moment noch nicht bewusst, in welchem zeitlichen und historischen Kontext unsre Zusammenkunft in diesem November 2014 stattfindet. Vor wenigen Tagen, am 9. November feierten wir den 25. Jahrestag des Falls der Mauer, ein Ereignis das Europa veränderte. Bundestagspräsident Lammert sagte in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 07. November „Der Mauerfall beschleunigte durch die Symbolkraft der Bilder und des Ortes den Zerfall der alten Welt des kalten Krieges und des Ost-West-Konfliktes und führte binnen knapp eines Jahres zur deutschen Einheit.“ Wir erlebten in allen Medien nachdenkliche und euphorische Rückblicke, die uns zum Einen das Glück jener Tage im November 1989 in Erinnerung brachten und sich zum Anderen mit der seither geschaffenen Wirklichkeit im geeinten Deutschland und erweiterten Europa befassten.
Wenn wir als Freimaurer auf die Zeit seither zurückblicken, und uns fragen: „Wo haben wir unseren Stein beigetragen? “, dann dürfen wir stolz auf viele Brüder und Logen der ehemaligen Bundesrepublik verweisen, die schon bald nach dem Mauerfall eine besondere Verantwortung übernahmen. Sie belebten die Freimaurerei in den Neuen Bundesländern, aber auch in anderen osteuropäischen Ländern, die sich im Zuge von Glasnost und Perestroika aus der sowjetischen Vormundschaft befreiten. Viele der Brüder, die daran beteiligt waren und so freiwillig Verantwortung übernahmen, sind uns schon in den ewigen Osten vorangegangen. Wenn wir von der ‚Kette der Herzen, die bleibt‘ sprechen, sind sie bei uns und sollten wir ihrer gedenken. Denn es ist, - wenn man die Presseberichte und auch die Berichte in unsren eigenen Publikationen, über die Arbeit der mit ihrer Hilfe gegründeten Bauhütten verfolgt -, nicht von der Hand zu weisen, dass durch sie vielerorts der „wohltätige Einfluss der Maurerei“ erkennbar wird.
Dies ist, meine ich, ein Beispiel für das, was durch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, bewirkt werden kann, in diesem Falle auch zu unserem, der Freimaurerei, eigenen Nutzen.
Unsere Gesellschaft braucht auch und gerade jetzt einmal wieder auf allen Ebenen Menschen, die bereit sind, sich der Verantwortung für ein gedeihliches Zusammenleben zu stellen. Wir erleben, dass Europa und damit in erster Linie die wohlhabenden Länder Nordeuropas zum Fluchtziel tausender Menschen wird. Und wir erleben in diesen Wochen, dass in unsrem Lande die Hydra der Intoleranz, unter Ausnutzung der Freiheitsrechte unserer Verfassung, dagegen ihr hässliches Haupt erhebt. Und wir erleben einerseits, dass sich Menschen über Berichte der menschenunwürdigen Behandlung empören, andererseits aber auch die rasche Bildung von „ Nicht in meiner Nachbarschaft - Initiativen“, wenn eine menschenwürdige Unterkunft für Flüchtlinge eingerichtet werden soll. Hier gilt es, Unrecht als solches zu benennen, zu helfen und dazu beizutragen, den öffentlichen Diskurs zu versachlichen und wenn möglich auch praktisch zu helfen. Dazu sind auch wir Freimaurer als einzelner Bürger im öffentlichen Diskurs aufgefordert, nachdem es zu den uns allen bewussten Prinzipien der Freimaurerei gehört, dass es bis hin zur United Grandlodge, keine Instanz gibt, die Meinungsäußerungen für die Freimauerei als solche abgeben kann und darf.
Nach meiner Meinung scheuen wir in den Logen zu oft die geistige Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen unserer Zeit. In der Scheu vor Konflikten und unter Berufung auf die alten Pflichten umgehen wir gern alle Fragen, die in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen. Setzen wir uns z.B. in der Freimaurerei geistig mit den Ursachen des Fundamentalismus auseinander? Vielleicht warten gerade unsere muslimischen Brüder darauf, uns die Vielfalt der islamischen Kulturen zu erläutern? Hier haben wir eine gemeinsame Verantwortung. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass in unsrem Lande die Möglichkeit des friedlichen Nebeneinanders von Menschen verschiedenster Herkunft der wissentlich geschürten, unbegründeten Angst vor Überfremdung zu Opfer fällt. Das darf und muss uns nicht davon abhalten, uns auch mit den Gefahren des Fundamentalismus auseinander zu setzen. Dabei sollte uns unsere maurerische Erfahrung davor bewahren, nicht zu erkennen, dass fundamentalistisches Denken und Handeln in vielen Formen und Denkrichtungen auftritt.
Sehr ehrwürdiger Distriktsmeister liebe Brüder: Viele der Brüder, deren wir in unseren Trauerlogen gedenken, haben in ihrem Leben, ganz im Sinne des zitierten Ausspruchs von Karl Popper gewirkt. Sie haben sich, wie es in den ersten beiden Absätzen des Gelöbnisses unsrer Großloge AFuAM heißt: „ der Humanität aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft gewidmet“ und ; „demgemäß ihre Pflichten gegenüber ihrer Familie, ihrem Land und der Gemeinschaft aller Menschen gewissenhaft erfüllt“ Wie könnten wir sie und ihr Andenken besser ehren und bewahren, als ihrem Beispiel zu folgen und ein Leben mit Verantwortung anzustreben?
Ich schließe meine Zeichnung mit Worten unseres 93 jährigen Ehrenmitgliedes der Loge Roland, Br. Mehmet Fuat Akev, der in Istanbul lebt, ein Gründer und Ehrenmitglied der dortigen, in französischer Sprache arbeitenden, Loge Humanitas ist und hofft, im März kommenden Jahres sein 65. Maurerjubiläum mit uns feiern zu können.
Er schrieb sie 1996 nach seinen eigenen Worten als sein: „gewissermaßen Philosophisches Testament“:
Nach meinem Empfinden entfaltet sich das Paradies des Maurers in seinem G e w i s s e n. Und wenn der Maurer sich gewissenhaft seiner Verantwortung gegenüber dem Orden bewusst ist, wenn er gesucht und gefunden hat, wenn er sich dem gemeinsamen Ideal angenähert, seine Pflichten als Mensch un Maurer erfüllt hat, dann ist er gut darauf vorbereitet, eine Welt zu verlassen, die er ein wenig besser zu machen sich bemüht hat. Er wird seinen Nachfolgern ein Königreich hinterlassen, das von seiner Arbeit geprägt und für alle Menschen lebenswerter sein wird.