Stolberg: Freimaurerlieder: Unterschied zwischen den Versionen

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Fröhlich tönt der Becher Klang
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Lieblich schallt ein Rundgesang
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Nach der Väter Weise!
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:Freunde, freut euch alle!
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:Freunde, trinket alle!
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Traute Brüder, schenket ein!
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Stosset an, und trinkt den Wein!
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Winde schwanke Reben mir
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Um das Haar; ich winde
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Epheu um den Becher dir,
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Winde diese Blumen mir
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In das Haar; ich winde
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Epheu um den Becher dir,
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Freundliche Selinde!]
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:Laß den Becher rauschen,
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:Wenn die Mägdlein lauschen,
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:Ob wir Küsse tauschen.
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Traute Brüder, schenket ein!
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Stosset an, und trinkt den Wein!
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Du dort, schenke [1784: Aber schenket] mäßig ein!
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Denn Erfahrung lehret,
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Scherz und Freude scheucht der Wein,
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Wenn er uns bethöret.
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:Ach, sie fliehn erschrocken
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:Aus zerstörten Locken
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:Von geworfnen Brocken!
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Traute Brüder, schenket ein!
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Stosset an, und trinkt den Wein!
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Wer mit Gegenliebe liebt,
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Freue sich von Herzen;
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Wen sein Mädchen noch betrübt,
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Hoffe Trost nach Schmerzen;
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:Freund, beim Rosenbecher
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:Leert vielleicht dein Rächer
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:Amor seinen Köcher!
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Traute Brüder, schenket ein!
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Stosset an, und trinkt den Wein!
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Neue Freuden gehn mir auf,
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Glatter wird die Stirne,
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Leicht wird meines Blutes Lauf,
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Leichter [anderswo: Heller] mein Gehirne!
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:Seht, die Gläser blinken!
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:Selbst die Mädchen [anderswo: Mägdlein] winken,
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:[1784: Brüder, seht sie winken]
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:Noch einmal zu trinken.
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Traute Brüder, schenket ein!
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Stosset an, und trinkt den Wein!
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===Der wahre Traum. Eine Ballade.===
 
===Der wahre Traum. Eine Ballade.===
 
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Version vom 26. Juni 2014, 16:08 Uhr

Stolberg: Freimaurerlieder

Ausarbeitung von Roland Müller

Christian und Friedrich Leopold, Grafen zu Stolberg:

Sechs Freimaurerlieder, 1774-1778


siehe:
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Stolberg-Stolberg,_Friedrich_Leopold_Graf_zu
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Stolberg-Stolberg,_Christian_Graf_zu


Heinrich Christian Boie (Hrsg.): Gedichte der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung 1779;

weitere Aufl. Frankfurt und Leipzig 1781;
Carlsruhe bey Christian Gottlieb Schmieder. 1794; auch noch 1821;

spätere Ausgabe:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg. Hamburg 1820, bei Perthes und Besser; auch 1827


1779, 56-57

An meine Geschwister.

 (Friedrich Leopold)
1774
Auch in:
Allgemeines Gesangbuch für Freymäurer, 1784, 139-140 (mit einer neuen dritten und vierten Strophe)
mit dem Titel: Menschenfreude
Vollständiges Gesangbuch für Freimaurer. 1801, 289 (die Strophen zwei und drei sind stark verändert, die vierte ist von 1784 übernommen)


Wir wollen unser Lebenlang
Uns süssen Freuden weihen!
Der Wiese Duft, der Waldgesang
Soll immer uns erfreuen!
Uns grünen Saaten, Trift und Hain,
Uns rauschen Wasserfälle,
Uns mahlt des Himmels Wiederschein
Roth, weiß und blau die Quelle.
[1801: des Himmels farb’gen Widerschein
zeigt spiegeln uns die Quelle.]

Aus Blumenkelchen lächelt uns
Der süsse Blick der Freude!
Wir sehen ihn, und freuen uns
Wie Lämmer auf der Weide!
[1784: uns reift der Baum, der Weinstock uns,
uns blöckt und brüllt die Weide]
Es danket unser frohe Blick
Dem Gott, der uns ins Leben
Gerufen, und so manches Glück
Aus Vaterhuld gegeben!

So wallen wir auf sanfter Bahn
Der Freude stets entgegen!
Uns lächelt mancher gute Mann,
Und giebt uns seinen Segen!
Auch ist der Freunde Zahl nicht klein,
Die gern sich an uns schließen,
Wie selig ist's, ein Mensch zu seyn
Und Freundschaft zu genießen!

O daß wir alle Hand in Hand
Durchs Leben könnten gehen,
Und unser liebes Vaterland
Mit Thränen wiedersehen!
Und an dem Ziele noch zugleich
(So wolle Gott es lenken!)
Mit Ruhe, reifen Früchten gleich,
Das Haupt zur Erde senken!


1784: neue dritte und vierte Strophe:

So wallet stets die sanfte Bahn
Der weisen Freude, Brüder!
Liebt jeden frommen, guten Mann,
und herzt ihn treu und bieder;
und eilt dem Dürft’gen, den ihr seht,
wer er auch sey, entgegen,
und reichet ihm – noch eh‘ er fleht,
reicht ihm von euerm Segen!

Denn selig ists, ein Mensch zu seyn,
und sich an Menschen schliessen,
vom Hunger Dürft'ge zu befrey‘n,
und Menschennoth versüssen,
und, wann [1801: wenn,] an guten Thaten reich,
wir unser Ziel erreichen,
mit Ruhe, reifen Früchten gleich,
das Haupt zur Erde neigen.


1801: neue zweite und dritte Strophe:

 Aus Blumenkelchen lächelt uns
ihr Morgenduft entgegen;
Feld, Baum und Weistock tragen
uns den reichsten Aerntesegen.
Drum singe Dank ein jeder Blick
dem Gott, der uns ins Leben
gerufen, und so volles Glück
als Vater uns gegeben.

Doch wißt, .es ist die Freudenbahn
nicht bloß für euch, ihr Brüder! —
führt, sie zu wandeln, jeden an,
der fromm ist, treu und bieder;
und eilt dem Dürft'gen, den ihr seht,
sey wer er sey, entgegen,
und theilt mit ihm — noch eh' er fleht,
gern euren Freudesegen.


1779, 99-101

Freimäurerlied

bei der Aufnahme eines neuen Bruders
(Friedrich Leopold)
1775
Auch in:
Nachtrag zu: Freymäurer-Lieder. 1780, 22-24,
mit dem Titel: Aufnahmelied.
Allgemeines Gesangbuch für Freymäurer, 1784,125-126;
mit dem Titel: Aufnahmelied
Vollständiges Gesangbuch für Freimaurer. 1801, 257-258.


Wackre Brüder, stimmet an,
Auf! begrüßt den braven Mann,
Der in unsern [1780: unserm] freien Orden
Eben aufgenommen worden;
Der nicht weis, wie ihm geschah,
Ob der Wunder, die er sah!

Lieber Bruder, freue dich!
Wir auch freun uns inniglich.
[1801: Bruderherzen segnen dich.]
So [1801: Wenn] du als ein Maurer handelst,
Auf [1780: Und] der Weisheit Pfade wandelst;
Hüllet mit der Zeiten Lauf
Neue Wahrheit dir sich auf!

Senke, Bruder, nicht den Blick
In die Finsternis zurück;
Forsche [1801: dringe] tiefer in die [1780: der] Wahrheit;
Von der Dämmrung geh zur Klarheit;
Wandle sicher; strauchle nicht,
Bis du fleugst von Licht zu Licht!
[1801: durch die Dämmerung zur Klarheit!
Durch die Nacht zum reinsten Licht
wandle muthig, wanke nicht.]

Sei getrost, und achte nicht,
Was der Thor und Heuchler spricht;
Sie, die uns im Finstern[1801: mit Bosheit] richten,
Lügen an die Wahrheit dichten,
[1801: streben Wahrheit zu vernichten]
Was gehn einen braven Mann
Alle Splitterrichter an?

Merke [1780, 1784 und 1801: Höre] was die Weisheit spricht:
»Thue Recht, und zittre nicht!«
Ob ihm tausend Feinde dräuen,
Wird der Redliche nichts scheuen;
Weichet weder links noch rechts,
Fühlt sich göttliches Geschlechts.

Bruder, gieb uns deine Hand,
Unsrer Freundschaft Unterpfand!
Unser Bündniß zu erneuen
Soll sich unser Bruder freuen!
Maurer, schenkt die Gläser voll!
Trinkt auf unsers Bruders Wohl!


1779, 131-134

Lied an einen Freimaurer bei seiner Aufnahme

 (Christian)
1775
Auch in:
Heinrich August Ottokar Reichard: Freimäurer-Lieder, 1776, 83-86
Allgemeines Gesangbuch für Freymäurer, 1784, 94-95;
mit dem Titel: An einen Freymäurer-Bruder bey seiner Aufnahme
Vollständiges Gesangbuch für Freimaurer. 1801, 181 (ohne die dritte und vierte Strophe)

1.
Mit Beben, wie die Freude bebet,
Und dankbar segnend dein [Reichard: sein] Geschick,
Von kühner Ahndung [1801: Ahnung] neu belebet,
Voll Bruderliebe Herz und Blick;

2.
So, Bruder, tritt in unsre Mitte
So schwör den schauervollen Eid,
Und jeder ist nach Maurersitte,
Dein Herzensfreund zu seyn bereit;

[1801: So, Bruder, tritt in unsre Mitte,
in unser Heiligthum herein,
und jeder wird nach Maurer Sitte,
Dein Führer und dein Bruder seyn.]

3.
Und willig, Habe, Blut und Leben,
Nimm diesen Bruderkuß zum Pfand!
Für dich und jeden hinzugeben,
Der sich, wie du, mit uns verband.

4.
Auch dir sey Habe, Blut und Leben
Zu theur für deine Brüder nicht,
Mit Freud' und Demuth es zu geben,
Das, Bruder, ist des Maurers Pflicht!

5.
Ach! [1801: Denn] rauh und steil sind unsre Pfade,
Und harte Kämpfe kämpfen wir;
Fliehst du den Kampf, fliehst du die Pfade,
Dann wehe! wehe! wehe! Dir.
[1801: dann wehe, junger Bruder, dir!]

6.
Getrost! du fliehst sie nicht! Beginne
Mit Mut und Vorsicht deine Bahn,
Und dringe zu des [1784: durch des; 1801: auf des] Gipfels Zinne,
Zu der nur Hochgeweihte [1801: Auserwählte] nahn.

7.
Die Stärke stütze deine Rechte,
Wenn machtlos sie im Streite ficht;
Des Irrsals und des Zweifels Nächte
Erhelle dir der Weisheit Licht.

8.
Schon sank die Hülle! Sieh, es winket
Dir fern [Reichard: schon] Aurorens junger Schein,
Doch grauer Nebel wallt und sinket
Und hüllt in Dämmerung dich ein!

9.
So wallte Nebel einst, und deckte
Des Tempels Heiligthum; es bebt
Der Söhne Levi Schaar; sie schreckte
Gott, dessen Schauer sie umschwebt.

10.
Da schwiegen Psalter [1801: Harfen], schwiegen Lieder;
Da flehte Salomon; da goß
Ein Strom des Lichtes sich hernieder,
Der in des Weisen Seele floß.

11.
So quill‘ [1801: quell] auch dir des Lichtes Quelle,
Ergieß' im vollen Strome sich,
[Reichard: In vollem Strom ergieß sie sich,]
Verscheuche [Reichard: Verscheuch die] Nebel, und erhelle
Und kräftig‘ und belebe dich!

12.
Wohl dir, in unsrer Brüder Kreise [Reichard: Brüderkreise]!
Wohl uns! wir feiern diesen Tag!
Ihm folge, nach der Väter Weise,
Ein froh bekränzter Abend nach.

13.
Bey unserm Freudenmahl' erneue
Der volle Becher unser Band;
Die Freud' erschein' uns! [Reichard: erschein‘, und] Wahrheit, Treue,
Und Sittsamkeit [anderswo: Und edle Zucht] an ihrer Hand!

14.
Dann schallen festlich unsre Lieder,
Wir trinken ferner Brüder Glück,
Und blicken auf bedrängte Brüder,
Und lindern freudig ihr Geschick.


1779, 137-139

Rundgesang

(Friedrich Leopold)
1775

Auch in:
Allgemeines Gesangbuch für Freymäurer, 1784, 55 (ohne die 2. und 4. Strophe);
mit dem Titel: Rundgesang

Fröhlich tönt der Becher Klang
Im vertrauten Kreise;
Lieblich schallt ein Rundgesang
Nach der Väter Weise!
Freunde, freut euch alle!
Freunde, trinket alle!
Singt mit lautem Schalle:
Traute Brüder, schenket ein!
Stosset an, und trinkt den Wein!

Winde schwanke Reben mir
Um das Haar; ich winde
Epheu um den Becher dir,
Lächelnde Belinde!

[andere Version:
Winde diese Blumen mir
In das Haar; ich winde
Epheu um den Becher dir,
Freundliche Selinde!]
Laß den Becher rauschen,
Wenn die Mägdlein lauschen,
Ob wir Küsse tauschen.
Traute Brüder, schenket ein!
Stosset an, und trinkt den Wein!

Du dort, schenke [1784: Aber schenket] mäßig ein!
Denn Erfahrung lehret,
Scherz und Freude scheucht der Wein,
Wenn er uns bethöret.
Ach, sie fliehn erschrocken
Aus zerstörten Locken
Von geworfnen Brocken!
Traute Brüder, schenket ein!
Stosset an, und trinkt den Wein!

Wer mit Gegenliebe liebt,
Freue sich von Herzen;
Wen sein Mädchen noch betrübt,
Hoffe Trost nach Schmerzen;
Freund, beim Rosenbecher
Leert vielleicht dein Rächer
Amor seinen Köcher!
Traute Brüder, schenket ein!
Stosset an, und trinkt den Wein!

Neue Freuden gehn mir auf,
Glatter wird die Stirne,
Leicht wird meines Blutes Lauf,
Leichter [anderswo: Heller] mein Gehirne!
Seht, die Gläser blinken!
Selbst die Mädchen [anderswo: Mägdlein] winken,
[1784: Brüder, seht sie winken]
Noch einmal zu trinken.
Traute Brüder, schenket ein!
Stosset an, und trinkt den Wein!


1779, 244-254

Der wahre Traum. Eine Ballade.

 (Christian)
1778
Auch in:
(jeweils nur die ersten zwei Strophen)
Allgemeines Gesangbuch für Freymäurer, 1784, 141;
mit dem Titel: Für den wahren Maurer
Vollständiges Gesangbuch für Freimaurer. 1801, 294
Maurerische Gesänge für die Loge Archimedes zu den Drei Reißbretern in Altenburg. 1804, 290-291

Wundersam, durch Dunkelheiten,
Geht, allheilige Natur,
Deines Zaubertrittes Spur;
Ahndend ]1801 und 1804: ahnend] folgen die Geweihten;
Aber sieh, es irren, gleiten
Klüglinge, die selbst sich leiten,
Die des Dünkels Irrwischschein
Zieht in Sumpf und Pfuhl hinein.

Wohl mir, Göttin, daß zu deiner
Hochbeglückten Jünger Schaar,
Als die Mutter mich gebar,
Du mich lasest, von gemeiner
Bahn mich führtest, zu geheimer
Weisheit Pfad, wo heller, reiner
Jeder Wahrheit Urborn quillt,
Und des Forschers Schmachten stillt.

Bald, als Feuersäul‘, erhebet
Sich dein Haupt gen Himmel; wir,
Voll Begeist‘rung, folgen dir
In die Himmel, neu belebet;
Bald, als Wolkensäul', umschwebet
Heilig Dunkel uns; dann bebet
Ahnungsschauer, der uns mild
Lockt in Edens Duftgefild.

Oft, um mütterlich zu walten,
Lehr' und Warnung zu verleihn,
Wenn Gefährlichkeiten dräun,
Muth und Glaub' in uns erkalten,
Bei der Rechten uns zu halten,
Hüllst du dich in Traumgestalten,
Lispelst, in des Schlummers Ruh,
Offenbarungen uns zu.

So noch gestern. – Freunde, hören
Sollt ihr staunend, was geschah,
Welches Traumgesicht ich sah;
Eu'r Vertrauen zu vermehren,
Soll euch dieser Handschlag schwören,
Daß ich euch nicht will bethören,
Wahrlich dieser Traum nicht sei
Ein Gespinnst der Phantasei.

Als ich sanft und schlummernd ruhte,
Alles Kummers unbewußt,
Wol auf meines Weibes Brust,
Horcht, da kam mit hohem Mute,
Wie entsproßt aus edlem Blute,
Zu der Eich', an der ich ruhte,
Schön gewappnet, angethan
Nach der Ritter Brauch, ein Mann;

Reichte traulich mir die Rechte,
Traulich schlug ich drein, alsdann
Seine Red' er so begann:
»Müßig ruhst du hier? Ich dächte,
Lieber, kämst mit mir; ich möchte
Wetten schier, wohin ich brächte
Dich, da soltest du gestehn,
Daß du nie so was gesehn.«

Sonder Säumen thät ich wallen
Mit dem Ritter, der mich bald,
Wo am dunkelsten der Wald
Schattete, bald, nach Gefallen,
Leitete durch Felsenhallen,
Bald durch Trümmer wild verfallen,
Dann der schroffen Kluft entlang,
Dann bedroht vom Klippenhang.

Endlich langten wir zur Stelle,
Zu des Ritters Fehdeschloß,
Das ein Zwinger rund umschloß;
Brücken, Warten, Zinnen, Wälle,
Pforten, Stein so Pfost' als Schwelle,
Sicherten für Uberfälle
Diese Burg; als wir davor,
Schloß von selbst sich auf das Thor.

Aus dem Thore schlich zur Linken,
Unterirdisch, wüst' und bang,
Ein gewölbter Niedergang;
Unterm Fuß, so thät‘s mir dünken,
Sah ich Leichensteine blinken;
Aengstlich folgt' ich, sahe sinken
Eine Fallthür; Leichenduft
Athmete die grause Gruft.

Särge standen hier die Fülle.
Einer, schön von Marmelstein,
Hatt' ein eigen Kämmerlein.
»Hier in dieses Grabes Stille,«
Sprach der Ritter, »ist mein Wille,
Daß du sehest, Freund, die Hülle
Des Gebeins, einst weich und warm,
Ach! des Weibs in meinem Arm!«

Auf des Todtenmahles Mitte
War, von Silber, glatt und schön,
Ein gediegner Kelch zu sehn.
»Sage, Ritter, sag', ich bitte« – –
Zürnend blickt' er, winkt' und litte
Nicht zu enden, stieg drei Tritte,
Gab den Kelch mir, sah mich an:
»Zittre nicht! Du bist ein Mann!«

Kaum hatt' er den Kelch gegeben,
Als es in dem Wunderding
Brausend an zu gähren fing
Und mit Macht herauszustreben,
Gleich als ob der Traube Leben
Perlte drinnen; sich erheben
Thät alsbald der weiße Schaum
Höher denn des Kelches Saum.

Aus dem Schaumgesprudel stiegen
Holder Blümlein drei heraus,
Wanden sich in einen Strauß;
Schaum und Gährung sanken, schwiegen.
Schwebend sich im Kelche wiegen
Sah ich Ros' und Veilchen, schmiegen
Sich um beide, unschuldweiß,
Das geliebte Kind des Mais.

Hold und lieblich duftend, blühten
Meine Blümlein; plötzlich gohr
Schaumgezisch im Kelch empor;
Sausend stieg's, verschlang mit Wüten
Meine Blümlein; drauf versprühten
Gischt und Blasen, ängstlich mühten,
Ach! nicht lieblich, wie zuvor,
Meine Blümlein sich hervor.

Aschenfarb und welk, verblichen
Jede Schöne, süßer Duft
Nun verkehrt in Grabesluft!
Todesschweiß und Schauer schlichen,
Ob dem bangen, fürchterlichen
Anblick, über mich; entwichen
Wär ich schier. Der Rittersmann
Sah's und hub zu reden an:

»Einst hatt' ich ein Weib! Besingen
Thät kein Dichter je ein Weib,
Schön, wie sie, an Seel und Leib;
Keinem Maler (hundert gingen
Stolz zum Werke!) thät's gelingen,
Sie auf Leinewand zu bringen;
Sie nur malte fein und glatt
Einst sich auf ein Rosenblatt.

Einst hatt' ich ein Weib!« (Es bebten,
Als er's seufzte, perlenklar,
Thränen an der Wimper Haar.)
»Lieb' und Gegenliebe lebten
In uns; Ruh und Wonn' umschwebten
Uns, und Heiterkeit; die webten
In des Lebens Ungemach
Süsse Freuden, Nacht und Tag.

Dennoch, ach! der Weiber Herzen
Sind ein Räzel allzumal! –
Fand sie Freude [später: Kurzweil] manchesmal
Ihren trauten Mann zu schmerzen,
[später: Mir zu brüten Sorg' und Schmerzen,]
Kalt zu küßen, kalt zu herzen,
Und der Liebe sein zu scherzen.
[später: Leicht mit meiner Ruh' zu scherzen,]
Meiner Liebe! warm und treu,
Immer alt und immer neu!«

Immer thät das Wunder währen
In dem Kelch; es saußte, stieg,
Blühte, welkte, braußte, schwieg.
»Was dies Sträuslein sei, dies Gähren,
Sollst du,« sprach er, »staunend hören.
Dieser Kelch faßt meine Zähren,
Die der Liebe Freudendrang,
Und auch Gram, vom Auge zwang!« –

Da erwacht' ich bebend. Sehen
Thät ich, statt des Traumes Bild,
Nur mein Weiblein süß und mild.
Ihres Odems leises Wehen,
Ihres Busens sanftes Blähen
Hieß mein Beben schnell vergehen.
Deine Warnung, Nachtgesicht,
Dank der Liebe! schreckt mich nicht!




Das nachfolgende Gedicht erst in Gesammelte Werke, 1820, 113 und 1827, 113:
Es entstand auf der Schweizer Reise 1775 angesichts des Rheinfalls (7. Juni),
siehe: Deutsches Museum,
Erster Band, Jänner bis Junius 1776, 192;
Erstes Stück, Jänner 1780, 37; und
Siebentes Stück. Julius 1780, 5

An die Natur.

<poem>

(Friedrich Leopold)

Auch in: Vollständiges Gesangbuch für Freimaurer, 1801, 238 (eingefügt ist eine neue dritte Strophe) Lieder-Buch für die Große Landes-Loge von Deutschland zu Berlin, 1832, 268

Süße, heilige Natur, Laß mich geh'n auf deiner Spur, Leite mich an deiner Hand, Wie ein Kind am Gangelband!

Wenn ich dann ermüdet bin, Sink' ich dir am Busen hin, Athme [1801 und 1832: sauge] süße Himmelslust Hangend an der Mutterbrust.

[1801 neue Strophe eingefügt: Süß, Natur, süß schmeckest du! Dem fließt reine Wonne zu, der sich dir, Natur, vertraut, Segen ihm vom Himmel thaut.]

Ach! [1801 und 1832: O,] wie wohl ist mir bei dir! Will dich lieben für und für; Laß mich geh'n auf deiner Spur, Süße, heilige Natur! <poem>


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Ausgearbeitet von Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2015 / All rights reserved - ESOTERIK von Dr. phil. Roland Müller