Traktat: Freimaurereien im Lichte der Geschichtserfahrungen verschiedener Zeiten

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Freimaurereien im Lichte der Geschichtserfahrungen verschiedener Zeiten —
Von den Gefühlen in der Anfangszeit und ein Versuch von Skizzen des Weges bis ins Hier und Jetzt

Dies ist der vollständige Text zum deutlich gekürzten Vortrag, den ich am 28.10.2023 zur 41. Jahresversammlung der Forschungsvereinigung Frederik in Wuppertal gehalten habe. Viel Spaß auf dieser kleinen Zeitreise! (Robert Matthees)

Meine lieben Geschwister, vielen Dank für die Einladung zu eurer Tagung. Uns Freimaurerinnen und Freimaurer verbindet ein common myth, eine gemeinsame, erlebbare Erzählung, die uns irgendwie verbindet.[1] Wie sich das Erlebnis und die Wirkung derselben im Laufe der Zeiten gewandelt hat, das ist mein Thema. Wenn wir genau hinschauen, sind es sogar mehrere Komponenten, die in bedeutungstragenden Schichten zusammentreffen. Durch sie werden Erlebnisse in den verschiedenen Spielarten der Freimaurerei, in den verschiedenen Freimaurereien, ermöglicht. — Den Plural habe ich mir bei Br. Manuel Pauli abgeschaut, an dieser Stelle herzliche Grüße nach Berlin.[2] Der Plural hilft mir, die Vielfalt der Landschaften besser zu fassen. — Was ich mit “verschiedenen Schichten” und “Erlebnisse ermöglichen” meine, das wird gleich deutlich werden.

In meinem Vortrag möchte ich zum Einen überlegen, wie wir historische Erlebnisse am besten in ihrer Fremdheit und Andersheit fassen können, um einseitige, positivistische Betrachtungen zu vermeiden. Dafür wollen wir uns anfangs einen kleinen Werkzeugkasten zusammensuchen, der uns hilft, genau dies zu tun. Denn trotz vermeintlich allgemeingültiger Werte und zeitloser Freimaurersymbole, so bin ich überzeugt, hinterließen diese stets zeitenspezifische Abdrücke. Es geht mir also nicht nur um das, was geschehen ist, sondern vielmehr darum, wie es sich angefühlt haben mag, wie es erfahren und erlebt worden ist. Danach probieren wir den Werkzeugkasten aus: Wie es die Unterüberschriften im praktischen Teil erahnen lassen, geht es darin keineswegs um eine lückenlose Darstellung der Entwicklung der Freimaurereien, nicht um eine Galerie, die in großen historischen Gemälden versucht, einen gesamten Werdegang nachzuzeichnen. Es ist vielmehr eine temporale Spielweise, auf der wir kurz Platz nehmen werden, um ein paar geschichtliche Schnappschüsse zu betrachten, Polaroid-Fotos statt Gemälde, wenn ihr so wollt. Vor allem soll uns der Übergang von einem vormodernen Erleben hinein in die Moderne beschäftigen. Ich denke, das passt ganz gut zu unseren Themen: frühe Rituale usw. Danach bewegen wir uns zurück ins Hier und Jetzt, denn historische Auseinandersetzungen sind immer auch Gegenwartsarbeit, “ein Einwirken auf unser heutiges Bild der Welt”, wie der Geschichtstheoretiker und Historiker Lucian Hölscher so schön sagt.[3]

Methodisches (Werkzeugkasten)

Zeitfiguren à la Lucian Hölscher

Wenn wir Geschichten erleben oder nacherleben, sie greifen, ihr kennt das, so strukturieren wir Zeit. Wir verleihen ihr Form, Verkörperung, Richtung und Bewegung. Die Mittel, mit denen wir das tun, nennt Lucian Hölscher “Zeitfiguren”. In seinem neuesten Buch “Zeitgärten” hat er 2020 eine Vielzahl dieser temporalen Metaphern zusammengetragen: Da gibt es Zäsuren, Brüche usw.


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Epoche / Abfolge & Ungleichzeitigkeit

  • Zeitperiode zwischen zwei geschichtlichen Zäsuren
     
  • konstituiert (in der Regel) inhaltliche Gleichzeitigkeit
     
  • bestimmt Entfernungen durch/zu Vor- und Nachgeschichte
     
  • andere Namen: “Jahrhundert”, “Zeitalter”, “Zeitraum” usw., bspw.:
    - “Epoche Friedrich II.” (Wekhrlin, 1779)
    - “Jahrhundert der Aufklärung”

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Denkt einfach mal an euren letzten Urlaub: Der hatte einen Beginn und auch ein Datum, an dem er wieder vorüber war, oder? In der Historik nennen wir sowas auch “Epoche”. Das ist eine Zeitfigur. Was zwischen An- und Abreise passiert, das gehört zum Urlaub, und natürlich gibt’s auch ein Davor und Danach, bspw. die Reiseplanung im Internet oder das Anschauen von Urlaubsfotos, das nachwirkt, Postkarten, die Freunde überraschen, oder die gewonnene Bräune. Wenn es um die inhaltliche Bestimmung dieser Epochen geht, so übertreiben wir indes manchmal. Wir neigen zu Generalisierungen, Auslassungen oder Verortungen. Dies führt nicht selten zu Idealisierungen oder eben zum Ausblenden ganzer Tendenzen. Darum sollten wir hier immer etwas vorsichtig sein, wenn wir bspw. vom “Jahrhundert der Aufklärung” oder ähnlichem sprechen. — War dies tatsächlich die einzige Tendenz? Spoiler: Sie ist es nie.


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Epoche / Abfolge & Ungleichzeitigkeit

  • ab 1800 Flut neuer Epochenbezeichnungen, oft geschichtsphilosophisch als -ismen beladen, d.h. als Zeiträume mit (vermeintlich) dominanter Tendenz, bspw.:
    - “Humanismus” (Niethammer, 1808)
    - “Liberalismus” (Metternich, 1819)
    - “Sozialismus” (England, Zeitschrift New Moral World, 1837)

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Epochenbeschreibungen richten sich auch keineswegs nur an die Vergangenheit. Besonders ab dem 19. Jahrhundert verstecken sich in ihnen gerne auch zukunftsgerichtete Ideologien, die das Erleben in den jeweiligen Zeiten mitbestimmen, die sogenannten -ismen. Dazu später mehr.


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Zeitgeist / Gleichzeitigkeit

  • “Geist” seit Alters her ein göttliches Prinzip im Inneren der Dinge, einen Gesamtzusammenhang konstituierend
     
  • Übertragung des esprit in die Geschichte
    (Montesquieu, 1748; Voltaire, 1756)
     
  • Schaffung einer Gleichzeitigkeit, Entfernung aufhebend
     
  • Fortschritt, Entwicklung, Zielgerichtetheit
    (bspw. Lessing, 1780; Hegel ,1806)
     
  • verbundene Neologismen: Zeitgenosse, Zeitbedürfnis, Zeitgemäßheit

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Verbunden damit ist die Zeitfigur des “Zeitgeists”, den wir explizit oder implizit als spürbar empfinden. Im Urlaub war dies vielleicht die ausgelassene Stimmung am Zielort. — Vor allem seit Montesquieu und Voltaire werden ganze Völker und Nationen gerne als Gemeinschaften verstanden, die von einem eigenen esprit bestimmt seien. Durch das Prinzip der Gleichzeitigkeit können so auch räumlich sehr entfernte Begebenheiten aufeinander bezogen werden, denn sie erscheinen ja als im Inneren miteinander verbunden. Einen Blick auf die eigentliche Pluralität der Landschaften kann dies natürlich wieder versperren, indem bspw. nur einzelne Entwicklungen als “noch zeitgemäß” betrachtet werden. Ich denke hier an die “Erziehung des Menschengeschlechts” von Lessing (1780) oder an Hegel, bei dem nicht Napoleon zu Pferde saß, sondern der “Weltgeist” — bzw. die “Weltseele”, wie es im Originalzitat heißt.[4]


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Zeitschichten / Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

  • Bedeutungsebenen in unterschiedlicher Tiefe und Geschwindigkeit
     
  • wahrgenommene inhaltliche Unterschiede führten teils zur chronopolitischen Abwertung ganzer Kulturen, bspw. “alte” und “junge” Völker (Schlözer, 1772)
     
  • Gefahr eines chronozentrischer Kolonialismus
    (Fabian, 1983; Landwehr, 2012)

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Sicher habt ihr bereits schon einmal von der “Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen” gehört. Vielleicht sagten im Urlaub Mitreisende in überhöht eurozentrischer Manier: “Hmm, manches hier wirkt wie aus der Zeit gefallen?” — Nicht alles, nur manches: Ernst Bloch spielt viel mit dieser temporalen Metapher.[5] Koselleck, auf den wir gleich kommen werden, hat sich indes eher von Wilhelm Pindler anregen lassen, als er die Idee der Zeitschichten für sich entwickelte.[6] In unterschiedlicher Tiefe und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen sich bedeutungstragende Ebenen, wenn ihr so wollt. Sie treffen in einer Art polyphonen Zusammenspiel in den jeweiligen Geschichten zusammen und ermöglichen so die Erlebnisse. Wir machen dazu gleich noch zwei Beispiele. Diese Zeitfigur kann durchaus einen chronozentrischer Kolonialismus in sich verbergen, zumindest wenn sie dazu dient, ganzen Kulturen einen pauschalen Nachholbedarf zu attestieren, da nur die eigene Kultur als Schicht im Gefüge der Welt als auf der “Höhe der Zeit” empfunden wird.[7] Zuletzt hat sie Achim Landwehr als solches gelesen. Auch hier ist also Vorsicht geboten.

Ihr merkt bereits an diesen wenigen Beispielen: Die Art und Weise, wie wir Geschichten erleben, mit Zäsuren, Umbrüchen, Fixsternen, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit usw. ist nicht immer ganz einfach und objektiv. Zeitfiguren eröffnen immer einen Raum für kritische Betrachtung. Sie sind dabei keineswegs nur erzähltheoretische Elemente, sondern vielmehr “Formen der Sinnbildung” überhaupt, die bestimmen, wie wir “Welt” erleben.[8] Sie wirken dabei nicht nur in der Zeit, sondern strukturieren durch ihren figurativen Charakter immer auch unseren Raum.


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Erinnern / doppelte Zeitebene

“We have rarely considered
the ideological nature of temporal concepts
which inform our theories and rhetoric.”


(Fabian, J.: Time and the Other, 1983, S. xii.)

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Diese wenigen Beispiele hier sollten indes erstmal ausreichen, um unseren Werkzeugkasten mit der Idee zu füllen, dass wir Zeiten nicht immer einfach so und objektiv betrachten. Vielmehr gibt es subjektive Strukturelemente, die dabei eine Rolle spielen. — Dass die Idee eines vermeintlich neutralen Standpunkts schwierig ist, wissen wir ja eigentlich spätestens seit Wittgenstein.[9]

Darum dürfen wir das “Wir” — oder das “Ich” — in unseren Betrachtungen nie implizit lassen, erklärt Johannes Fabian, ein Kulturanthropologe.[10] Das bedeutet: Wir dürfen uns selbst in unserem Leben und unseren Betrachtungen nicht verschweigen, um uns unserer eigenen Perspektive darin bewusst zu werden. Ansonsten folgen einseitige Betrachtungen, welche die Pluralität verfehlen. Durch diesen Gedanken wird die Art und Weise des Erinnerns selbst zur Zeitfigur, zur Art und Weise des Erlebens, die wir perspektivisch und kritisch immer mitdenken müssen. Wie genau das “Wir” oder “Ich” in unsere temporalen Betrachtungen einfließt, hat Hölscher durch die Zeitfiguren untersucht.

Ziel unserer Betrachtungen sollten facettenreiche, historische Prismen sein, temporale Polyphonien, welche die einstigen Geschichten in ihrer Fremdheit und Andersheit zu uns sprechen lassen. — Wie dieser Perspektivenreichtum zu erreichen sei? Da sind wir schon bei Koselleck. Der Name dürfte einigen bekannt sein, besonders durch seine Dissertation “Kritik und Krise”, in der er auch Logen usw. berührt.[11] Heute greife ich eher auf den späten Koselleck zurück. Sein Ansatz lässt sich vermutlich am besten als “hermeneutischer Existenzialismus” beschreiben.[12] — Klingt vielleicht abstrakt: Wir machen das aber gleich wieder ganz praktisch.

Hermeneutischer Existenzialismus à la Reinhart Koselleck

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Schnellschluss beim positivistischen Zurückprojizieren:

  1. FM bedeutet X
    [Bitte aktuelles Verständnis freimaurerischer Ideale einfügen;
    Beispiel: alle Menschen sind Brüder unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion]

     
  2. Bruder/Schwester Y war FM
     
  3. Darum strebte Y nach X

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War irgendein Mensch irgendwann Bruder oder Schwester, so oft der Schnellschluss, gerne auf Gästeabenden, so muss er oder sie doch über die gleichen Ideale verfügt haben, die wir heute mit der Freimaurerei verbinden, da er oder sie ja der Freimaurerei — im Singular — angehört hat. Wir merken: Das passt so nicht. — Wie dann?

“Alles menschliche Leben konstituiert sich aus Erfahrungen”, sagt Koselleck, und diese Erfahrungen wandeln sich im Laufe der Zeiten.[13] Soweit einfach, oder? “Aber der Wandel ist nur begreifbar”, erklärt Koselleck weiter, “wenn sich die allgemeinen, die strukturellen Bedingungen dieses Wandels wiederholen.” Das ist, glaube ich, nicht mehr ganz so selbstverständlich. Damit die geschichtlichen Erlebnisse nicht nur ein wirres Rauschen ergeben, könnten wir sagen, bedarf es eines Rahmens, einer Art Bedeutungshorizont, in dem wir sie begreifen. Wir machen dazu gleich zwei Beispiele. “Nur auf dem Hintergrund sich wiederholender Bedingungen lassen sich überhaupt Veränderungen registrieren und erfassen”, sagt Koselleck abschließend.

Das Fragen und das Aufspüren dieser Bedingungen konkreter Geschichten findet sich in Kosellecks Lebenswerk. Eine große, einheitliche Theorie historischen Wissens hat er uns nie hinterlassen, dagegen eine Vielzahl von Essays und Einzelwerken, die sich durch wunderbar facettenreiche historische Bilder auszeichnen. Ich wiederhole: Bei all dem geht es gerade keineswegs nur um erzähltheoretische Fragen, nicht nur um die Art und Weise, wie wir Geschichten erzählen, auch nicht nur um rein sprachliche Hermeneutik, wie sie bspw. Hans-Georg Gadamer verstanden hat.[14] Denn, so ergänzt der Historiker und Koselleck-Biograf Stefan-Ludwig Hoffmann ganz wunderbar: “Geschichte ist immer mehr, als Sprache begreifen kann [bspw. Hoffnungen, Ängste, Absurdes usw. im direkten Erleben], und Begriffe enthalten stets mehr, als sich historisch ereignet [bspw. Freiheit, Klassenkampf usw.]. [...] Für Koselleck verwiesen die sprachlichen Quellen auf eine Welt jenseits des Textes, auf anthropologische, vorsprachliche Bedingungen geschichtlicher Erfahrungen, die eigene Wiederholungsstrukturen besitzen”, so Hoffmann.[15] Es geht also um Strukturen, die unser Erleben der Welt selbst betreffen.[16] Um diese zu greifen und zu verstehen, möchte ich zuerst ein paar weitere Begriffe, temporale Metaphern, in unseren Werkzeugkasten packen.


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Wir packen in unseren Werkzeugkasten:

  • Signatur einer Generation
     
  • Erfahrungsraum
     
  • Erwartungshorizont
     
  • Zeitschichten

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Die “Zeitschichten” sind uns bereits bei Hölscher kurz begegnet. — Was bedeuten sie?

Koselleck geht nicht von einer eindimensionalen Zeit aus, die ohne Brüche voranschreitet und vielleicht sogar auf ein Ziel der Geschichte hinauslaufen würde, wie es bspw. die alten Aufklärer oder marxistische Geschichtsphilosophen geglaubt haben. Vielmehr sei jedes menschliche Erleben von Generationsbrüchen gekennzeichnet, die das Erinnern unterbrechen und immer eine Vor- und Nachgeschichte erzeugen. Hierdurch entstehen ganz automatisch neue und unterschiedliche Perspektiven auf die Welt, die uns voranschreiten lassen, ja, es entstehen Generationserfahrungen, die sich als Signaturen abzeichnen.[17] Wir alle kennen bspw. die Rede von der Nachkriegsgeneration. Ich selbst bin ein Wendekind aus Ostdeutschland und bin in den sogenannten Baseballschlägerjahren groß geworden. Am Hinterkopf erinnert mich noch heute eine Narbe, vielleicht als besondere Signatur, an diese doch spezielle Zeit.

Unser jeweiliger Erfahrungsraum ist dabei von dem gekennzeichnet, was sich im zeitlichen Schichtgefüge darbietet. Vor allem von dem, was wir jeweils als Vergangenheit und als überholt betrachten, evtl. besonders in der Pubertät, als auch von dem, was wir erhoffen, was uns als Ideal erscheint, als Utopie, auch das, was wir paradigmatisch einfach von der Welt erwarten; kurz: von all dem, was uns im Erwartungshorizont begegnet.[18]

Drei Begriffe haben es somit in unseren Werkzeugkasten geschafft: Der Erfahrungsraum, der von Generationserfahrungen geprägt ist, und der Erwartungshorizont. Wenn wir jetzt eine vergangene Person, vielleicht einen Bruder betrachten, nehmen wir einmal Herder, so lohnt es sich, nicht mehr nur nach der Vergangenheit zu fragen, also nach der Gegenwart von Bruder Herder. Vielmehr können wir auf das schauen, was Bruder Herder als das Alte empfunden hat, auf die vergangene Vergangenheit, und auf das, was er erhoffte, also auf die vergangene Zukunft, und natürlich auch auf das, was sich tatsächlich ereignete, auf die vergangene Gegenwart. Es sind nämlich nicht nur wir, die zurück und nach vorn blicken, wie wir gerade bei der Zeitfigur des “Erinnerns” bemerkt haben, sondern auch das jeweils Betrachtete. Hierdurch entstehen facettenreiche temporale Bilder, ja, Prismen, Bilder von Personen und Momenten, die eine Herkunft haben, eine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ― und die nicht nur da sind und handeln und auf die wir positivistisch alles projizieren, was uns irgendwie lieb und wichtig erscheint. Kurz: Es entstehen Bilder von Erlebnissen im Lichte der Signaturen von Generationen.[19] Erfahrungsraum, Erwartungshorizont und Generationserfahrung packen wir also in unseren Werkzeugkasten, wir spielen gleich damit. Koselleck nannte dies auch die Wiederholungsstruktur “Früher und Später”, auf die es sich immer zu schauen lohne.[20] ― In ihr bewegen sich verschiedene Zeitschichten. Was bedeutet das?

Wie wir schon erwähnten, waren für Koselleck geschichtliche Ereignisse keineswegs Begebenheiten, die sich eindimensional auf einem Zeitstrahl ereignen. Vielmehr dachte Koselleck wie Johann Gottfried Herder, dass jedes Ding sein eigenes Maß der Zeit in sich trage.[21] Um ein Ereignis zu fassen, gilt es daher, die in ihm wirkenden Schichten zu analysieren. Denn diese sind meist unterschiedlich alt und bewegen sich in unterschiedlicher Tiefe und Geschwindigkeit. Zwei Beispiele:

Wuppertal-2023 01-Hochzeit.jpg

Denkt jetzt bitte einmal an eine Hochzeit.[22] Hat hier schon einmal irgendjemand geheiratet? Cool, wie oft? 🙂 Super. Was passiert bei einer Hochzeit, welche Schichten spielen eine bedeutungstragende Rolle? ― Mir kommt da zum Beispiel eine institutionelle Ebene in den Sinn, denn hierzulande wird eine Hochzeit ja standesamtlich beglaubigt. Auch anderswo, wie hier auf dem Foto in der Londoner Hammersmith & Fulham Town Hall. Diese bürokratische Schicht ist zeitlich gesehen vielleicht eher jünger als andere, die auch zum Tragen kommen, oder? Welche anderen Schichten kommen euch in den Sinn? [ganz kurz diskutieren] Mir sind die Folgenden beim Erstellen der Folien eingefallen:


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Hochzeit / Schichten:

  • religiöse Tradition (bspw. katholisch)
     
  • Bräuche (bspw. Zersägen eines Baumes, Autokorsos usw.)
     
  • Familientradition (“Helbing ― Hamburgs feiner Kümmel seit 1836”)
     
  • gesellschaftliche Werte (bspw. ästhetische Vorlieben, Einstellungen zu Homosexualität usw.)
     
  • rechtliche Institutionen (bspw. Beglaubigung durch Standesamt, Anerkennung ausländischer Ehen)

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Es gibt häufig eine religiöse Tradition, wir zersägen manchmal Bäume als Teil lokaler Bräuche, gesellschaftliche Werte spielen eine zentrale Rolle und natürlich der Termin beim bereits erwähnten Standesamt. Ein vielschichtiger Unterbau ist also vonnöten, um das einmalige Erlebnis einer Hochzeit zu ermöglichen. Ein spannender Gedanke, oder? Wir erinnern uns an das Zitat: “Wandel ist nur begreifbar, wenn sich die allgemeinen, die strukturellen Bedingungen dieses Wandels wiederholen.” Wenn sich hier eine Schicht schneller bewegt, bspw. die gesellschaftlichen Werte, so kann dies in anderen Schichten für Irritationen sorgen und macht den Wandel sichtbar ― temporale Polyphonie, meine lieben Geschwister.

Ein ähnliches Beispiel ist die Loge. Wir sind hier gerade bei der Loge “Zur Bruderkette im Wuppertal” zu Gast. Schaue ich sie mir wie die Hochzeit an, so kommen mir wieder viele Schichten in den Sinn.


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Loge / Schichten:

  • Historische Abstammung aus UK (imagined community)
     
  • Großlogengeschichte
     
  • Logengeschichte (inkl. Außenwahrnehmung / lokales Umfeld)
     
  • Satzung beim Amtsgericht
     
  • Großlogenreglement
     
  • jährliche Feste, Beamtenpositionen usw.

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Wir haben eine irgendwie geartete Abstammung aus UK, wir haben die Großloge, das lokale Umfeld, eine Satzung, bürokratische Vorgaben, jährliche Feste, einen Beamtenrat usw. Dieses gesamte Schichtgefüge ist vorhanden und wirksam, um einmalige Erlebnisse in der Loge ― wie bspw. Aufnahmen in die Freimaurerei der G.L.L.v.D. ― in ihrer Wiederholbarkeit zu ermöglichen. Ihr merkt, Geschichte bleibt heute keineswegs mehr eine nur geradlinige, universalistische Angelegenheit. Vielmehr sind es Geschichten, die zusammentreffen und uns in einer Art Prisma erscheinen, wenn wir uns mit Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften im Lichte ihrer Wiederholungsstrukturen auseinandersetzen.[23]

Neben der Wiederholungsstruktur “Früher und Später” schaute Koselleck besonders auf die Wiederholungsstruktur “Innen und Außen”, also auf wahrgenommene Grenzen, Grenzüberschreitungen, Zugehörigkeitsgefühle usw. Andere Oppositionspaare dieser Wiederholungsstruktur sind “Freund und Feind”, “Geheim und Öffentlich” ― für uns vielleicht besonders relevant ―, als auch so etwas wie “Sieger und Besiegte”.[24]

In Bezug zum Erleben können wir somit immer fragen: Aus welchen dieser Strukturbereiche operieren wir gerade. Und um welche weiteren Perspektiven können wir das Betrachtete anreichern? Wenn wir dies nicht tun, folgen facettenlose, einseitige Darstellungen, die das Erleben des Anderen und Entfernten in der Regel eher verstellen, als es in seiner Vielschichtigkeit begreiflich zu machen. Das werden wir im praktischen Teil merken.

Übrigens: Der Universalismus der Aufklärung, so Koselleck, habe geglaubt, die Unterscheidung von “Innen und Außen” durch den großen Kollektivsingular der “Menschheit” überwinden zu können.[25] Dies führte jedoch nur zu weiterer politischer Aufladung, besonders infolge der weiteren Ideologisierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Nicht selten wurden politische Gegner gänzlich aus dem Bereich des Menschlichen ausgeschlossen und zu Unmenschen erklärt. Kein solcher Kollektivsingular, vielmehr Pluralität sei dagegen die Grundbedingung menschlichen Handelns. Und diese führe immer wieder dazu, dass sich stets ein “Innen und Außen” einstelle. ― Auch darum liebäugle ich grundsätzlich mit Begriffen im Plural.

Ebenso schaute Koselleck auf die Wiederholungsstruktur “Oben und Unten”, oder wie es bei Hegel heißt: auf Herr und Knecht, oder bei Marx und Engels: auf Bourgeois und Proletarier.[26] Denn trotz voranschreitender Freiheiten und größerem Wohlstand stellen sich immer wieder Unterschiede im Sozialen ein, so Koselleck. ― Spricht gerade ein hanseatischer Kaufmann zu uns, der in den Kolonien ein Vermögen erwirtschaftete und sich mit Br. Hagenbeck den Logenraum teilt, der vielleicht gerade seine neueste Völkerschau organisiert, oder ist es eher ein Br. Ferdinand Freiligrath, dessen politische Hoffnungen in den Jahren nach 1848 jäh enttäuscht worden sind? Oder ist es gar eine Teilnehmerin aus Hagenbecks Völkerschau? Perspektiven spielen eine gewaltige Rolle, meine lieben Geschwister.


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Wir packen in unseren Werkzeugkasten:

  • Signatur einer Generation
     
  • Erfahrungsraum
     
  • Erwartungshorizont
     
  • Zeitschichten

Früher und Später, Innen und Außen, Oben und Unten

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Mit den Strukturen Früher und Später, Innen und Außen, Oben und Unten lassen sich vergangene Geschichten prima auf ihre einstigen Erlebnisse hin abklopfen, besonders in Kombination mit der Metapher der Zeitschichten und der Begriffe Erfahrungsraum und Erwartungshorizont. Wir packen darum all das direkt und gut greifbar in unseren Werkzeugkasten, denn gleich spielen wir damit.


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Weitere Wiederholungsstrukturen:

  • geografische und klimatische Vorbedingungen, auch Urbanität usw.
    (Sprechen wir von einer Loge im ländlichen Raum oder in einem industriellen Ballungsgebiet?)
     
  • wissenschaftliche Paradigmen (bspw. Evolution)
     
  • Institutionen (bspw. in Hinblick auf Arbeit und Recht, aber auch Großlogen usw.)
     
  • Begriffe, deren Wahrnehmung und Bedeutung sich wandeln
    (bspw. Demokratie, Freiheit, Volk usw.)
     
  • Ereignisse selbst

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Daneben gibt es natürlich noch weitere Kategorien, die ebenso geschichtliche Wiederholungsstrukturen darstellen ― nicht alle davon stammen von Koselleck.[27] Da gibt es klimatische Vorbedingungen und so etwas wie Urbanität oder Ländlichkeit. Es gibt wissenschaftliche Paradigmen, Institutionen, Begriffe, die wir verwenden usw. All diese Wiederholungsstrukturen prägen Generationserfahrungen. Sie bewegen sich in unterschiedlicher Tiefe und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in den Geschichtserfahrungen verschiedener Zeiten, wie die Strömungen im Mittelmeer, um einmal eine Metapher von Fernand Braudel zu verwenden.[28] ― Das war relativ viel Theorie, lasst uns jetzt damit spielen!

Praktisches (Schnappschüsse)

Von Käse und Würmern zu frühen Logen in Deutschland

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Den praktischen Teil möchte ich mit einem Schnappschuss aus der vormodernen Mikrogeschichte beginnen. Kennt hier jemand Domenico Scandella, auch bekannt als Menocchio? Menocchio war ein italienischer Müller. Er wurde 1599 im Alter von 67 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt.[29] Ein Müller auf dem Scheiterhaufen: Wie kam es dazu?

Die Vormoderne in Europa war eine Zeit geprägt von starken Dogmen, aber vor allem auch eine Zeit lebendiger Legenden und einer reichen, lange übersehenen Volkskultur. Als Menocchio lebte, konnten ca. Dreiviertel der Bevölkerung weder lesen noch schreiben.[30] ― Wir bewegen uns hier gerade perspektivisch etwas im “Oben und Unten”, ihr merkt das? ― Nicht so Menocchio: Menocchio war sehr belesen und dies führte letztendlich dazu, dass er sich irgendwann der Inquisition gegenübersah. Denn er hat nicht nur viel gelesen, sondern sich auch viele Gedanken gemacht.


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“lch habe gesagt, dass, was meine Gedanken und meinen Glauben anlanget,
alles ein Chaos war, nämlich Erd', Luft, Wasser und Feur durcheinander.
Und jener Wirbel wurde also eine Masse,
gerade wie man den Käse in der Milch macht,
und darinnen wurden Würm', und das waren die Engel.”


(Ginzburg: Der Käse und die Würmer, 2020, S. 30.)

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Im Verhör musste er dann seinen Glauben offenbaren. Und was uns darin begegnet, was uns dieser bäuerliche Heraklit uns hier offenbart, das ist ganz wunderbar: ein göttliches Chaos, eine Art Urwirbel, die vier Elemente und eine herrliche Begriffswelt aus einem sehr entfernten Erfahrungsraum: “Und jener Wirbel [aus den vier Elementen] wurde also eine Masse, gerade wie man den Käse in der Milch macht, und darinnen wurden Würm', und das waren die Engel.”[31] Er geht dann noch auf Jesus ein usw.

Was für eine tolle Kosmologie, oder? Ein Käse mit Würmern! Auf den ersten Blick wirkt sie simpel und schlicht. Aus heutiger Sicht könnten wir diese Äußerungen leicht als naiv abtun. Doch sie zeugen von einer entfernten Welt, in der die Kosmologie noch eng mit den Welterfahrungen verknüpft war, in der die Welterfahrungen noch nicht ― wie heute ― säkularisiert waren. Dem Historiker Carlo Ginzburg, der sie untersucht, erscheint diese Welt — Zitat — “wie durch einen Erdspalt”, so fremd und anders wirke das Erleben in dieser Tiefenschicht.[32] Was für eine schöne Zeitfigur! Und — wie ich finde —: ein wunderbarer Einstieg in diese entfernten Zeiten. Denn auch wenn ich mir die Volksdichtungen so anschaue, die bspw. Br. Robert Burns für uns aus dem alten Schottland erhalten hat — nach Stevenson ja das Ursprungsland der Freimaurerei —, so erkenne ich da durchaus Parallelen.[33]

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Als sich die moderne Freimaurerei in London in den 1720er Jahren um Montagu, Desaguliers & Co. zu festigen begann, sah die Welt natürlich bereits etwas anders aus, allein schon durch die geografische Entfernung zu Menocchio. In England hatte Newton 1687 seine “Principia” veröffentlicht, die Royal Society florierte, wissenschaftliche Journale und Disziplinen bildeten sich — neue Paradigmen und säkulare Erklärungsrahmen zeichneten sich, ganz schmal, evtl. bereits am Horizont ab.[34] Doch bis sie ihre Wirkung in der Welterfahrung der Menschen entfalteten, auch in großen Kreisen, sollten noch viele Jahre vergehen. Es trifft die Sache daher vielleicht ganz gut, wenn Newton von Michael White nicht als einer der ersten Wissenschaftler, sondern vielmehr als letzter Zauberer betitelt wird.[35] Das Welterlebnis ähnelte im Großen und Ganzen noch sehr jenem, das Ginzburg im Erdspalt erscheint: Vielleicht — für uns — nicht mehr ganz so fremd und fern, doch weiterhin durch und durch geprägt durch ein Erleben innerhalb der christlichen Heilsgeschichte. — Worin zeichnet sich dieses Erleben aus? Nehmen wir dafür unseren Werkzeugkasten zur Hand.

In vielen Essays umreißt Koselleck den Übergang in die Moderne und vor allem den Unterschied zum Geschichtserlebnis in der Zeit davor: Schauen wir auf das “Erfahren” und “Erwarten”, so erscheint uns beides in vormodernen Zeiten als kaum getrennt.

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Wörter wie Fortschritt, Beschleunigung und Zukunft finden sich eher noch gar nicht in den schriftlichen Zeugnissen. — Kennt ihr den Ngram Viewer von Google? Dieser gibt die Häufigkeit von Wörtern an, mit der sie im Gesamtliteraturkanon zu bestimmten Zeiten auftauchen.[36] Wir sehen, so richtig geht es mit der Zukunft erst ab den 1750ern bzw. nach 1800 los.

Zuvor hatten in Europa die grundlegenden Ordnungen und Gewalten trotz Kriegen und Hungersnöten Bestand. Ein steter Wandel im Sozialen, im Technologischen und im Politischen setzte erst später ein, zumindest hierzulande keineswegs bereits zur Geburt der Freimaurerei, oder sogar davor. Die Zukunft wurde noch nicht als offen empfunden, erklärt Koselleck. Blicke ich innerhalb der christlichen Heilsgeschichte in Richtung dessen, was wir seit der Moderne als weltlichen Erwartungshorizont empfinden, so erscheint mir dort die göttliche Apokalypse als Ende der Geschichte, und dies betraf auch das weltliche Empfinden. Auch Newton hat im Jahr 1704 noch ein Datum für die Apokalypse berechnet. Ein Großteil seiner Texte befasst sich mit Prophezeiungen und biblischen Themen.[37]

Mein Ziel besteht in der Vormoderne somit in einem gottgewollten Leben, in der Ausbildung meiner Moral, vornehmlich darin, ein guter Teil der Gemeinde zu sein, und nicht darin, diese sonderlich umzugestalten. In meiner Hoffnung, im Erwartungshorizont, zeigt sich allenfalls die Aussicht auf eine göttliche Heilung und Reinigung der Welt. Das goldene Zeitalter befindet sich hier noch nicht säkularisiert in der Zukunft, das ich durch Reformen usw. im Weltlichen als erreichbar empfinde, sondern vor allem in der Vorstellung einer paradiesischen Vergangenheit — oder eben ganz und gar im Jenseits. Die gehegte Erwartung falle somit mit der gemachten Erfahrung im Wesentlichen zusammen, so Koselleck. Oder wie Hölscher es formuliert: Die Zukunft wurde noch nicht als Dimension gesellschaftlicher Selbstorganisation verstanden.[38]

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Hölscher erklärt, das vormoderne Geschichtsempfinden sei mit einem Barockgarten vergleichbar gewesen und bringt dabei das Beispiel von Bossuet und seinem Versuch einer Universalgeschichte.[39] Wie ein Barocker Garten sei bei diesem die Weltgeschichte eingeteilt in klare Abschnitte und Gebiete, in sieben heilsgeschichtliche Äonen zwischen Weltschöpfung und Weltende.


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  1. Adam oder die Erschaffung der Welt
     
  2. Noah oder die Sintflut
     
  3. Abraham oder die Berufung des heiligen Volks
     
  4. Moses oder das geschriebene Gesetz
     
  5. Salomo oder die Errichtung des Tempels
     
  6. Kyrus oder das Ende der babylonischen Gefangenschaft
     
  7. Die Geburt Christi

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Von der Beletage des Schlosses lassen sie sich überblicken, gleich dem festen Blick des Schöpfers. Das Ende der Welt und die Wiederkehr Christi schien noch nah und begrenzten das Geschichtsempfinden und damit auch das Welterlebnis samt Weltentwürfen — ganz wie die Außenmauern eines barocken Gartens. “Gott hat alles wohl geordnet, und die Könige sind bestimmt, diese Ordnung zu erhalten”, so fasst Hölscher Bossuet zusammen.[40] Eine Offenheit der Landschaft und einen Blick in einen freien Erwartungshorizont suchen wir hier noch vergebens. Dies unterscheidet sich fundamental von Geschichtserlebnissen ab der Moderne.

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Auch in den frühen Zeugnissen der Logen finden wir genau dies wieder. So zeichnet Anderson bspw. die Geschichte der Freimaurerei in seinen 1723er “Constitutions” bis zu Adam zurück und spricht 1738 von “Grand Master Moses”.[41] Wenn dies heute als bloße Legendenbildung oder als vermeintliche Überbleibsel der gotischen Quellenherkunft betrachtet wird, so verkennt dies meines Erachtens den Kern der Sache. Es war vielmehr der geschichtliche Bedeutungsrahmen, in dem sich Anderson & Co. noch ganz bewegten.

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Diesen Rahmen zeigen auch einige der Reaktionen auf die “Constitutions”, wie bspw. das “Briscoe Pamphlet”, wahrscheinlich aus dem Jahr 1724. Darin kritisiert ein Bruder Andersons Entstehungsgeschichte scharf, nicht jedoch, weil sie zu legendenhaft oder nicht faktisch genug sei, sondern weil sie ihm an vielen Stellen als biblisch nicht korrekt erscheint.[42]

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Von einem Erleben innerhalb dieses Geschichtsempfindens zeugen auch die ersten Zeugnisse, die ich aus Deutschland kenne — hier einmal ein Foto aus Hamburg. Kommen wir zuerst zur Außensicht. Diese soll uns heute bis 1743/44 beschäftigen. Warum? Ganz einfach: Aus den Jahren 1742-1744 liegen mir die vier ersten bekannten Logenreden aus Deutschland vor, die für uns die dazugehörige Innensicht bilden werden. Wir bewegen uns hier also in der Wiederholungsstruktur “Innen und Außen”, oder “Geheim und Öffentlich”, ihr merkt das.

Allgemein lässt sich sagen, dass besonders ab 1736 die Freimaurer in diversen Periodika in Deutschland im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Im selben Jahr erschien auch die erste deutsche Übersetzung von Pritchard, d.h. der 1730er Rituale der Premier Grand Lodge.[43]

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Spannend ist da bspw. ein Artikel aus dem Jahr 1736, in dem sich der Autor offenbar über die Namensgebung noch ganz im Uneinen war oder vielleicht auch eine geografisch bereits weite Verbreitung der Freimaurer unterstreichen wollte: Sind es nun Frey-mäurer, Francs-Massons, Free-Masons oder Frey-Metzelers?

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Im Historischen Jahr-Buch sind 1738 die Freimaurer gleich mehrfach Thema: Wir lesen bspw. vom Verbot in Hamburg, wir lesen vom Papst und auch von einer Rede, die ein Freimaurer in Paris gehalten habe. Das ist eine Übersetzung der Rede von Ramsay.[44] Zwei Jahre zuvor erschien hier bereits eine Übersetzung der “Old Charges”, der “Alten Pflichten”.[45] Kurz: Die Freimaurerei fand in Deutschland durchaus ab 1736 in gelehrten Kreisen statt. Sie ließ sich in der Tat nur schwer übersehen. Und ich zeige hier gerade wirklich nur einige wenige Rosinen.


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“Freymäurer [...]. Die Glieder derselben verhehlen ihre Absichten und Anordnungen
mit einer verwunderungswürdigen Verschwiegenheit.
Ihre Versammlungen pflegen sie Logen zu nennen, und befinden sich
viele vornehme Europäische Prinzen und Herren in dieser Gesellschaft.”


(Reales Staats-, Zeitungs- und Conversations-Lexicon, 1739)

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1739 erhalten wir sogar einen Lexikoneintrag. Darin wird die Verschwiegenheit genannt, die Versammlungen in “Logen” und es wird betont, dass bereits “viele vornehme Europäische Prinzen und Herren” Mitglieder in dieser Gesellschaft seien.[46] — Gute Werbung, oder? Mein Interesse hätte es jedenfalls geweckt. Apropos Werbung:

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Das alles ging so weit, dass ab 1743 sogar eine Monatsschrift zur Geschichte erscheint, deren Autor das Branding als “Freimaurer” nutzt, offenbar um das Interesse der Käuferschaft zu erhöhen. Freimaurer bauen Gefängnisse für die Laster und Tempel für die Tugenden, so erklärt der Autor die Wahl des Titels. Freimaurerei als Markenkern: In Deutschland ab 1743, meine lieben Geschwister![47]

Ich bin jedenfalls eine Vielzahl öffentlicher Publikationen durchgegangen, um das “Außen” abzustecken. Hier seht ihr meine Liste an öffentlichen Texten bis 1743, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.


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  1. Buch “Die Zunfft der Freyen-Mäurer”, 1736, URL: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/download/pdf/1176845 — Übersetzung von Pritchard (damit eigentlich eher “Intern”).
     
  2. Von den berufenen Frey-mäurern, Francs-Massons, Free-Masons oder Frey-Metzelers. In: Acta historico-ecclesiastica, 1736, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10022844?page=1118,1119.
     
  3. Historisches Jahr-Buch, 1736 (1737), S. 720 ff, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541401?page=800,801 — über FM in Holland inkl. Geschichtsabriss, Zusammenfassung der Constitutions und Übersetzung der Alten Pflichten.
     
  4. Frey-Mäurer Gesellschaft. In: Europäischer Staats-Secretarius, 1737, S. 1029-1032, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10916665?page=1114,1115.
     
  5. Buch “Gründliche Nachricht von den Frey-Maurern”, 1738, URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10839003.
     
  6. Acta historico-ecclesiastica: oder gesammelte Nachrichten von d. neuesten Kirchen-Geschichten, 1738, S. 1050-1071, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10022845?page=1050,1051. — Fokus auf prominente Mitglieder, Geheimhaltung wird kritisch gesehen, Verbot in Frankreich wird thematisiert usw.
     
  7. Außerlesene Merckwürdigkeiten von alten und neuen theologischen Marckschreyeren, 1738, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10777268?page=158,159.
     
  8. Historisches Jahr-Buch, 1738, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541403?page=1100. — Freimaurer sind hier gleich mehrfach Thema.
     
  9. Hübner, J.: Reales Staats-, Zeitungs- und Conversations-Lexicon, 1739, S. 2267, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541381?page=1154,1155.
     
  10. Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, 09.11.1741 — über Ausschluss Frauen in FM (URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10538790_00819_u001?page=6,7) & Bewerbung der Constitutions (URL: https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10538790_00007_u001?page=30).
     
  11. Fassmann, D.: Das neueste Gespräch in dem Reiche derer Lebendigen zwischen dem Herrenhutischen Herrn Grafen von Zinzendorff, und einem Freymäurer, 1741, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11226271?page=52,53.
     
  12. Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, Vorrede, 1742 — Erwähnung der Schrift “Verteidigung der Freimaurer” (URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10538791_00007_u001?page=38).
     
  13. Die Neue Europäische Fama, 1742, S. 595 ff., URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10405513?page=636,637 — Logenleben in Bayreuth & Verteidigung/Würdigung.
     
  14. Kurzgefaßter Auszug der neuesten Weltgeschichte, 1743, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541321_00213_u001?page=14,15 — Bericht Portugal, Inquisitionsgericht.
     
  15. Buch “Schutz-Schrifft für dem Orden der Frey-Mäurer”, 1743, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10446626?page=,1.
     
  16. Der aufmerksame Freymäurer In und um Deutschland sowohl im Feld, als am Hof, ab 1743, URL: https://www.google.de/books/edition/Der_aufmerksame_Freym%C3%A4urer_In_und_um_De/GQlhAAAAcAAJ.

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Ein paar Rosinen haben wir bereits kurz betrachtet. Ich würde mich freuen, wenn jemand diese Liste weiterführt, transkribiert oder ähnliches. Das wäre sicher ein tolles Projekt!

Die Außenperspektive zur Anfangszeit kann nach meinem jetzigen Wissensstand mit folgenden Punkten umrissen werden:


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Außenperspektive zur Anfangszeit:

  • Anfeindungen von kirchlicher Seite
    (Ist das nicht alles gegen die Religion?)
     
  • Betonung des Geheimnisses und der Tugenden
     
  • Edle und hohe Herren
     
  • Treffen in Logen (Begriffsfindungen)
     
  • Constitutions & Co. wurden gedruckt und auf deutsch verstanden

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Es gab Anfeindungen von kirchlicher Seite. Das Geheimnis wird betont und bildet zusammen mit den Tugenden eine Art Markenkern. Ebenso finden edle Herren Erwähnung und ganz allgemein geht es um Begriffsfindungen und -klärungen, wie bspw. die Treffen in “Logen”. Was ist das eigentlich? Und dann schreibe ich auf der Folie noch: Die “Constitutions & Co. wurden gedruckt und auf deutsch verstanden”. Was meine ich mit dem letzten Punkt, “auf deutsch verstanden”? Ich denke da zum Beispiel an das Paper “Über Gott und Religion” von Impens, das auch hier bei Frederik 2016 in deutscher Übersetzung erschienen ist.[48] Impens legt darin wunderbar dar, dass die postulierte Religionsfreiheit in den “Constitutions” in UK offenbar noch lediglich den verschiedenen christlichen Kirchen galt. Dies erscheint auch nicht verwunderlich, da Juden in England bspw. von 1290 bis 1656 überhaupt nicht geduldet waren, sondern erst wieder Fuß zu fassen begannen, wie bspw. Cooper 2020 ausführt.[49] In Deutschland erschienen die “Constitutions” nun auf Deutsch, in einem anderen Umfeld. Von Unschärfen in der Übersetzung einmal abgesehen, wurden die Worte hier überhaupt in einer lokalen Konnotation gelesen, die teils sofort deutlich frühaufklärerischer wirkte. Dies können wir gleich auch bei einem Beispiel aus der Innensicht erkennen.


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Intern / Logenreden:

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Um die Innensicht abzustecken, habe ich nach frühen deutschen Logenreden gesucht. Natürlich gibt es auch Protokolle und Statuten, die auch hoch interessant, aber eher mechanisch sind. Stand heute umfasst meine Sammlung vier Reden aus den Jahren 1742 bis 1744 und ein Gedicht aus dem Jahr 1745. An dieser Stelle daher auch wieder meine Bitte: Falls jemand noch andere frühe Reden kennt, also sagen wir mal bis 1745, vielleicht 1750, bitte unbedingt her damit!


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“Dieser so wünschenswerthe Zweck [der Freimaurerei] besteht überhaupt darin,
daß wir durch tugendhafte Nacheiferung nach allem streben,
was gut ist und ehrbar, daß wir gemeinsam an unserer Glückseligkeit wirken,
und daß wir insbesondere anmuthig und nützlich die Stunden der Ruhe und Erholung bei uns zubringen,
welche der Erquickung beides, des Leibes und des Geistes, gewidmet sind.”


(Br. Steinheil, Frankfurt, 1742)

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Br. Steinheil erkennt bspw. 1742 i.O. Frankfurt den Zweck der Freimaurerei in der tugendhaften Nacheiferung und im Streben nach allem, was gut und ehrbar sei. Es gehe um Glückseligkeit, Stunden der Ruhe und Erholung, und um Erquickung des Leibes und des Geistes.[50] Ein aufklärerisches Nach-Vorne-Streben finden wir in seiner Rede noch nicht, eher ein inneres Erbauen, als ein äußeres Umbauen der Gesellschaft, wie es uns später begegnen wird. — Ich denke da bspw. an Br. Herder, der 1793 ausruft: “Die Denkart macht den Menschen, nicht die Gesellschaft; wo jene da ist, formt und stimmt sich diese von selbst.”[51] Steinheil klingt hier noch ganz anders.


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“Überhaupt gehet die Pflicht der Liebe auf alle Menschen
ohne Absicht der Nation, des Standes, des Geschlechts, der Religion

und anderer Umstände, die sonst einen Unterschied machen könnten.”


(Br. Lamprecht, Berlin, 1743)

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Ebenso ist die Konnotation bei Br. Lamprecht 1743 i.O. Berlin. Er spricht von Treue, von Glaube, von Liebe und Geselligkeit. Außerdem finden wir bei ihm eine der wunderbaren frühaufklärerischen Interpretationen der Alten Pflichten, die ich gerade erwähnt habe. Die Pflicht der Liebe gelte für alle Menschen und zwar ungeachtet von Nation, von Stand, Geschlecht, Religion usw. Denn alle Kreaturen seien verbunden durch die — Zitat — “Bande der Natur” des großen “Werkmeisters”.[52]


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“Die ersten Jahre unserer Welt gaben mir schon ein ansehnliches Verzeichniß
von erhabenen und weisen Vorgängern, die, mit vereinigten Kräften,
die Stuffen zu dem Gipfel unserer Kunst hinangestiegen.
Die folgenden waren hierin noch fruchtbarer.
Und die itzigen Tage beweisen dieses mit unzähligen und geheiligten Exempeln.
Dreymal beglückte Zunft! Unschätzbarer Orden! [...] Du blühest ewig!”


(Br. Alardus, Hamburg, 1744)

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Bei Alardus entdecken wir 1744 i.O. Hamburg wortwörtlich noch ein wunderbares Schreiben innerhalb der christlichen Heilsgeschichte. So spricht er von “erhabenen und weisen Vorgängern”, die seit den ersten Jahren unserer Welt die Kunst gefördert haben, und spricht auch von “unzähligen und geheiligten” Beispielen aus seiner vergangenen Gegenwart.[53] Es ist eine wunderschön überschwängliche Rede, die im Grundton natürlich sehr an Andersons “Constitutions” erinnert.

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Auch in Halle geht es 1744 um die sittliche Veredelung und Heilung der Welt und darum, den Geist bei jeder Gelegenheit zum weisen Baumeister des Himmels und der Erden emporzurichten.[54]

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Aus Braunschweig liegt uns vom Johannisfest 1745 eine Rede in Gedichtform vor. Auch hier geht es um Tugend, um Einheit, um Geist und Kraft. Über den Freimaurer heißt es: “Voll Andacht ist sein Herz, voll Nachdruck sein Gebet: [...]/ Sein Herz sucht immerfort der weisen Allmacht Willen/ Mit eifrigem Bemühn im Leben zu erfüllen.”[55]

Die frühen Logenreden zeugen somit durchaus von Kosellecks skizzierter Weltsicht. Es geht in ihnen um sittliche Veredelung, um Brüderlichkeit, ja, darum sind sie teils durchaus auch bereits frühaufklärerisch zu lesen, bspw. in der inneren Überbrückung von Standesunterschieden, zumindest klingt dies bei Br. Lamprecht in Berlin an. Wirklich hart formulierte Fortschrittsgedanken fehlen ihnen indes noch völlig. Der ganze Tenor erscheint darum noch etwas fremd, etwas starr, weniger greifbar als spätere Zeugnisse, eben als würden die Reden von den einstigen Brüdern zum Großteil noch in den fest umschlossenen Mauern und Ordnungen eines Barockgartens vorgetragen werden.

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Um noch einmal das Wort von Hölscher zu verwenden: Die Zukunft wurde noch nicht vollständig als Dimension gesellschaftlicher Selbstorganisation verstanden. Vielleicht erscheinen sie uns deshalb heute in Teilen — wie Ginzburg sagt — wie durch einen Erdspalt.

Vielleicht sind auch diese Fremde und Andersheit im Erleben Gründe dafür, dass die Geschichte der Freimaurerei hierzulande gerne erst ab dem Peak der deutschen Aufklärung erzählt wird — und nicht bereits mit einem Blick auf vormodernes Erleben. Dabei ist dieser so wunderbar erhellend, wie ich finde, vor allem in Bezug auf das Studium und das Nachempfinden früher Rituale. Ich denke, das passt ganz gut den aktuellen Themen hier und irgendwie auch ganz gut zur DNA des Freimaurerordens. Denn in diesem geht es ja ebenfalls vornehmlich um ein inneres Erbauen und nicht um äußere Bausymbolik, wie bspw. später bei Schröder. Ihr habt hier im Text übrigens ganz viele Fußnoten, um einige Wege noch weiter zu verfolgen. Weiter geht’s!

Hinein in die Moderne (1789 bis 1830 und danach)

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In den Jahren ab 1750 passierte viel — und bald auch vieles gefühlt immer schneller. Thomas Cook sticht 1768 im Auftrag der Royal Society in See, um den Durchgang der Venus vor der Sonnenscheibe auf Tahiti zu beobachten. An Bord hat er neben Wissenschaftlern zusätzlich noch viele Soldaten. Vielleicht kann uns seine Seefahrt sinnbildlich erscheinen für dieses Zeitalter der Imperien, für den Drang nach weiterer Erkundung und Beherrschung der Welt, ja, für die Verzahnung aus Wissenschaft, Forschungsdrang und europäischen Kapitalismus.

Koselleck erscheinen diese Zeiten als Sattelzeit in die Moderne. Es ist für ihn das Jahrhundert des Durchbruchs zur modernen Welt, das er zwischen 1750 und 1850 ansiedelt.[56] Erwartungshorizont und Erfahrungsraum seien hier durch die auseinanderbrechende Relation von gemachter Erfahrung und gehegter Erwartung gekennzeichnet. Es ist eine Zeit großer Umbrüche und Säkularisierungen:

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  • 1789 wird in Frankreich der weltliche Herrscher einer zuvor göttlichen Ordnung entmachtet.
  • Bereits 13 Jahre davor veröffentlicht Adam Smith in “Wealth of Nations” (1776) seine Theorie von der unsichtbaren Hand des Marktes, die für Wohlstand sorge, wenn man ihr nur Freiheit lasse.[57]
  • Im gleichen Jahr wurde die Unabhängigkeitserklärung in den Vereinigten Staaten unterzeichnet.

Um nur einige Beispiele zu nennen.

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Hölscher schreibt, der enge, klar gegliederte und abgeschlossene Barockgarten sei bereits zu einem englischen Landschaftsgarten geworden, als Schiller im Jahr 1798 seine Antrittsvorlesung als Geschichtsprofessor hält.[58] Kein Blick mehr von der Beletage, sondern viele Perspektiven waren jetzt möglich. Keine Mauern begrenzen das Umfeld, vielmehr gleiten die Blicke hinein in offene Landschaften — und vor allem in einen offenen Horizont. Dort, wo innerhalb der christlichen Heilsgeschichte noch die feste Erwartung auf eine göttliche Apokalypse lag, auf ein göttliches Ende der Zeiten, locken jetzt weltliche Vorstellungen von einer besseren Welt.

Koselleck sagt — ein ganz wichtiger und spannender Punkt! —, die christliche Vorstellung der Apokalypse, die das Ende der Geschichte in göttlicher Hinsicht beschreibt, wurde in der Aufklärung schlichtweg säkularisiert.[59] Die Zeit konnte sich nämlich nun auch weltlich auf ein Ende der Geschichte zubewegen, bei den Aufklärern vornehmlich durch Überwindung der Unmündigkeit in allen Bereichen.[60] Ich denke hier bspw. an die “Erziehung des Menschengeschlechts” von Lessing.[61] Ähnliches ist natürlich auch Adam Smiths bereits erwähnte unsichtbare Hand des Marktes oder die Vorstellungen im Politischen während der Französischen Revolution. Das christliche Heilsversprechen wurde säkularisiert und geschichtsphilosophisch in eine offene Zukunft projiziert, d.h. postuliert als weltlicher Sinn und Zweck der Geschichte. — Ein spannender Gedanke, oder? “Die neue Zeit [...] begreift die Gegenwart und die Vergangenheit ausschließlich aus der Antizipation einer auf Erlösung zielenden Zukunft heraus”, so Hoffmann.[62]

Schnell war so im spätaufklärerischen Kollektivsingular auch die Rede vom Zeitgeist, von Zeitgenossen und von Zeitgemäßheit. Dies führte zu weiterer Ideologisierung, besonders im Lichte des sozialen Wandels:


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Epochen als -ismen (einige Beispiele):

  • “Humanismus” (Niethammer, 1808)
     
  • “Liberalismus” (Metternich, 1819)
     
  • “Sozialismus” (England, Zeitschrift New Moral World, 1837)
     
  • “Feminismus” (Frankreich, Rede von Hubertine Auclert, 1882)

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Aus den Ständen sind Klassenunterschiede geworden, aus dem Pöbel das Proletariat, um nur einige Beispiele zu nennen.[63] “Früher und Später”, “Innen und Außen”, “Oben und Unten” gewannen hier ganz neue Perspektiven.

Diese verschiedenen Gruppierungen fanden sich natürlich auch in den Logen wieder. Während es in Deutschland vor allem großbürgerlich und im Sinne einer nationalen Einigungsbewegung zuging, da eben der einheitliche politische Handlungsraum noch fehlte, entstanden bspw. in Frankreich Großlogen mit teils vielfältiger politischer Konnotation.[64] Ich denke da gerade an die Grande Loge Symbolique Écossaise, für die ab 1880 Fragen der sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt standen.[65]

In unserem Nachbarland gesellte sich auch schon bald ein weiterer -ismus hinzu: 1882 wurde in Frankreich erstmals das Wort “Feminismus” verwendet. Im selben Jahr, am 14. Januar 1882, fand auch Sr. Maria Deraismes im Ritual der soeben erwähnten Grande Loge Symbolique Écossaise den Weg in eine zuvor rein männliche Freimaurerloge.

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Hier habe ich ihr im Mai 2022 mal ein paar Blumen vorbeigebracht.

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In der Rede, die Sr. Maria nach ihrer Aufnahme beim Bankett in der Loge “Les Libres Penseurs” i.O. von Le Pecq, vor den Toren Paris, gehalten hat, betont sie die Solidarität zwischen den Menschen als natürliches, unumstößliches Gesetz. Als Folge dieser Aufnahme entstand später der Internationale Gemischte Freimaurerorden “Le Droit Humain”. Noch heute heißt es im Artikel 1 unserer Konstitution:

“Mit der Ausrufung des DROIT HUMAIN will der Orden, dass Männer[n] und Frauen weltweit in gleichem Maße soziale Gerechtigkeit zuteil wird, im Kreise einer Menschheit, die in freien und geschwisterlichen Gesellschaften organisiert ist.”[66]

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Der Horizont wurde offen beim Blick in eine freie Zukunft und die Weltentwürfe wurden vielfältiger. Vorstellungen, wie diese Zukünfte aussehen und wie sie erreicht werden sollten, unterschieden und unterscheiden sich stark. Die -ismen bestimmten fortan deutlich, was Brüdern und Schwestern im Erwartungshorizont erschien. Generell kam es zu weiterer Individualisierung, die Medienlandschaft explodierte mit dem Zeitungsdruck im Prisma aller -ismen.

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Einige hier kennen vielleicht Br. Ferdinand Freiligrath. Er publizierte wenige Tage nach der ersten Frankfurter Nationalversammlung 1848 sein berühmtes, enttäuschtes, aber hoffnungsvolles Gedicht “Trotz alledem”. Es erschien in einer vor Karl Marx mit herausgegebenen Zeitung — übrigens zutiefst und wortwörtlich inspiriert von “A Man's A Man For A' That” von Br. Robert Burns.[67] Br. Ferdinand wurde am 14. Mai 1842 in der Loge “Zum wiedererbauten Tempel” i.O. Worms zum Freimaurer auf- und angenommen. Der Loge sei er aus politischen Gründen indes wohl eher fremd geblieben, schreiben zumindest Lennhoff und Posner.[68] Irgendwie ist er für mich ein Sinnbild für die aus den verschiedenen -ismen resultierenden Spannungsfelder, die fortan natürlich auch das Leben und Erleben in den Logen mitbestimmten.

Zusätzlich zu den -ismen gab es des weiteren künstlerisch-soziale, ja, ideengeschichtliche Präferenzen, die bspw. in Literatur und Kunst aufkamen, heute würden wir vielleicht sagen: verschiedene Lifestyle-Elemente. Sie umrissen und umreißen ebenfalls deutlich den Erfahrungsraum und den Erwartungshorizont.

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Ich denke da an die Romantik, an das Schweifen in die Ferne, um sich selbst zu finden. Vielleicht betraf dies auch die Motivation, mit der einige Menschen den Weg in die weiterführenden Grade gesucht haben. Später ist daraus der Konsumismus geworden, wo es beim Reisen schließlich weniger um die Selbstfindung, sondern eher um den Konsum möglichst vieler Eindrücke geht.

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Im Biedermeier indes zelebrierten die Menschen den Rückzug ins Private. Ursprünglich bezeichnete das Wort nur einen Möbelstil, bald jedoch auch die bürgerliche Lebensweise allgemein, besonders in der Zeit zwischen Napoleon und der bürgerlichen Revolution, also in den Jahren 1815, vom Wiener Kongress, bis 1848. Politisch wird für diese Periode das Wort “Vormärz” verwendet.

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Kurz: Es passierte viel in der Welt. Änderung und Wandel waren die neue Norm. Das Auseinanderbrechen von Erfahrungsraum in Erwartungshorizont in der Moderne ging mit einer unglaublichen Beschleunigungserfahrung einher, die noch immer anhält. Sinnbildlich hierfür kann uns die Eisenbahn erscheinen.[69] 1835 eröffnete die erste Verbindung in Deutschland. In den Jahren davor, selbst im alten Rom, brauchte ein Reiter stets die gleiche Zeit, um einen Brief von A nach B zu bringen. Jetzt synchronisierte die Eisenbahn den Takt der miteinander verbundenen Städte.

Nur noch ein abschließender Gedanke zum Erleben und Erfahren in der Moderne: Denn irgendwie wurde nicht nur der Horizont in die Zukünfte offener, auch der Blick in die Vergangenheit. Ich bringe diesen Schnappschuss vor allem für einen kleinen lokalen Bezug. Das gehört sich so, denn schließlich sind wir heute in Wuppertal zu Gast und hier lebte einst Br. Carl Fuhlrott.[70]

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An seinem Bild sehen wir schön — mit Bezug zum Lifestyle —, dass sich mittlerweile auch der schwarze Anzug als Kleidungsstil durchgesetzt hat. Br. Carl gründete 1846 den heutigen Naturwissenschaftlichen Verein Wuppertal und so kam es, dass ihm 1856 einige Knochenfragmente gebracht wurden, die Arbeiter für die Überreste eines Höhlenbären hielten.

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Das hier ist ein handbemalter Abguss der damals gefundenen Schädeldecke. Br. Fuhlrott erkannte indes die echte Bedeutung und schloss auf einen “urtypischen” Vertreter unserer eigenen Gattung. Wir nennen sie heute Homo neanderthalensis. Die Beschreibung der Neandertal 1-Knochen als fossilen Menschen lieferte später Indizien für die Gültigkeit von Darwins Evolutionstheorie in Bezug zum Homo sapiens. Sie löste große Diskussionen über das Alter der Menschheit aus.[71] Zur Debatte standen die biblischen 6.000 Jahre.[72] In einem 1865 veröffentlichten Vortrag geht Fuhlrott bereits von einer mindestens 100.000-jährigen Menschheitsgeschichte aus.[73] — Hierdurch kam es, wie ich finde, in Folge zu einer zusätzlichen Säkularisierung und zwar zu einer Säkularisierung beim Blick in die Vergangenheit.

Diese Schnappschüsse zeigen: Es fand eine enorme Verwissenschaftlichung in allen Bereichen statt, wie auch bspw. die Sitzungsprotokolle von Br. Fuhlrotts Naturwissenschaftlichen Verein zeigen. Gleichzeitig erfolgte eine Verweltlichung der Zeit, besonders mit Blick auf die Zukunftsentwürfe, auf Geschichtsphilosophien, auf Ideologien, ja, auf common myths. Und all dies bestimmte fortan ebenso den Erfahrungsraum, in dem sich die Logen befanden. Durch all das verloren auch viele der alten Orientierungspunkte und Ordnungen an Halt und Bedeutung. Es waren Zeiten der Suche und des Wandels, die mit der Moderne begannen und die als solche im 19. Jahrhundert sicher noch viel stärker empfunden worden sind, als wir dies heute tun.

Es waren natürlich auch Zeiten großer Irrungen und Ungerechtigkeiten. Darum liegt mir der nächte Schnappschuss besonders am Herzen, vor allem als Freimaurer aus Hamburg, dem Tor zur kolonialen Welt.[74]

Weltbruderkette trifft auf Kolonialismus

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Wenn ich diese Überschrift lese, denke ich zum Beispiel an Br. Jules Ferry, der am 28. März 1884 als französischer Premierminister vor dem Parlament erklärte, das koloniale Reich sei ein Recht der überlegenen Rassen.[75] Er war ein sehr aktiver Freimaurer. Aus diesem -ismus heraus, aus dem Kolonialismus, bekundet er, die sogenannten zivilisierten Rassen hätten die Pflicht, die vermeintlich unterlegenen Rassen zu zivilisieren. Sehr eurozentrisch und viel zu selbstbewusst glaubten wir an die eigene, europäische Weisheit und attestierten anderen Ländern eiskalt und ungeachtet ihrer Kulturen einen pauschalen Nachholbedarf. Darauf gründeten wir Rechte, die noch heute für unglaubliche Verwerfungen in der Welt sorgen.

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Ich denke hier auch an Br. Francis Galton, den britischen Naturforscher und Vater der Eugenik, der Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen.[76] Er prägte diesen Begriff 1883, wurde für seine Forschungen sogar zu Sir Francis Galton, und, ja, er gab der Ausbeutung und Ausrottung vermeintlich unterlegener Menschen eine damals wissenschaftliche Rechtfertigung. Ich habe einmal gelesen, dass es erst Hitler brauchte, um dieses Hirngespinst zu entzaubern, doch das trifft keineswegs die Realität. Denn bis in die 2000er Jahre wurden noch Menschen auf der Grundlage ebendieser Ideen zwangssterilisiert.[77] Eine entfesselte Wissenschaft kann nie Ethik, Moral und Menschenrechte ersetzen.

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Ich denke auch oft an den Hamburger Carl Hagenbeck. Genau genommen wohne ich keine 15 Minuten von seinem Tierpark entfernt, der noch heute in Familienbesitz ist. Das Geld für den Auf- und Ausbau stammte jedoch zum großen Teil aus den Völkerschauen, die Hagenbeck organisierte.

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In diesen schärfte er den kolonialen Blick der Besucherinnen und Besucher. In seiner Biografie schreibt er stolz, dass er der erste gewesen sei, der diese Völkerschauen in der — Zitat — “zivilisierten Welt” eingeführt habe.[78] Wir sind hier ganz deutlich im “Innen und Außen”. Manche Menschen behaupten heute, Völkerschauen seien doch einfach so etwas wie Trachtenvorführungen gewesen. Doch diese Sichtweise erscheint extrem schwierig, denn da war natürlich das Framing im Zoo neben den wilden Tieren, da waren Falschdarstellungen — wie hier im Bild der Verweis auf einen vermeintlichen Kannibalismus aus dem Jahr 1931 von Hagenbecks Söhnen — und da waren die medizinischen Untersuchungen. Denn es ging ja auch um Wissenschaft:

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Hier seht ihr bspw. das Zitat eines renommierten Mediziners, der seinerzeit eine Untersuchung an Hagenbecks Feuerländerinnen vornehmen wollte. Ich lese das nicht vor. Die Untersuchung konnte erst nach dem Tod der Frauen erfolgen, da sie sich zu Lebzeiten zu sehr gewehrt haben. Eine vermutete, affenartig vergrößerte Klitoris fand er nicht.[79] Die Feuerländerinnen und Feuerländer galten als unterste Zivilisationsstufe, ja, als Urmenschen. Niemand hier sprach ihre Sprache. Nachfahren erheben noch heute schwere Vorwürfe.[80] Carl Hagenbeck stellte am 20. Februar 1913 einen Aufnahmeantrag in der Loge Absalom.[81] Zur Aufnahme kam es anscheinend nicht mehr, denn Hagenbeck verstarb keine zwei Monate später. Sein Sohn, Br. Heinrich, fand indes den Weg in die Loge und leitete zusammen mit seinem leiblichen Bruder Lorenz das Unternehmen.[82] — All das wirkt sehr entfernt. Greifbarer wird es irgendwie, wenn ich diese Postkarten hier in die Hand nehmen.

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Die waren bei den Hagenbeck-Völkerschauen scheinbar der große Renner — in allen Sprachen. — Völkerschauen wurden übrigens nicht aus ethischen oder moralischen Gründen abgeschafft, sie wurden uninteressant durch die Erfindung des Fernsehens.

Was ich damit zeigen möchte: Von der Idee einer weltumfassenden Bruderkette auf gleicher Ebene — oder Unioskette, wie sie bei uns heißt —, die wir heute gerne auch bis in alle Ewigkeit in die Vergangenheit projizieren, davon waren wir lange noch Horizonte entfernt. Noch zur 300-Jahrfeier der englischen Freimaurerei im Hamburger Michel wurde Br. Hagenbeck der Presse gegenüber stolz als ein großer Hamburger Freimaurer genannt, sogar sein Vater, der offenbar nicht einmal Freimaurer war. Heute, einige Jahre der Dekolonialisierung später, erwähnt ihn fast keine Logenhomepage mehr. Ich finde jedoch, Verschweigen oder Canceln kann auch kein Weg sein. Lieber sollten wir uns den Vergangenheiten ehrlich stellen. Erinnern kann weh tun und darf weh tun. Erinnern sollte aber vor allem facettenreich sein, um den einstigen Wirklichkeiten gerecht zu werden, besonders um sie in ihrer Fremdheit und Andersheit zum Hier und Jetzt zu erahnen. Nur so werden vergangene Geschichten zur wirklichen Gegenwartsarbeit.

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Allein aus Hamburg könnte ich noch viele weitere Beispiele mit Bezug zu Freimaurerlogen bringen. Da wäre bspw. noch Br. Heinrich von Ohlendorff , der ein riesiges Vermögen mit dem Abbau und Verkauf von Guano-Dünger aus Peru machte.[83] Da die Sklaverei dort seit Mitte des 19. Jahrhunderts verboten war, nutzte er für die Arbeit unter beißendem Ammoniakgeruch Lohnsklaven aus den chinesischen Kolonien. Über die Jahre fanden so um die 87.000 Menschen ihren Weg nach Peru, einige schafften ihn sogar wieder zurück. Viele Hamburger erinnern dagegen nur das Claudius-Zitat, “Habe immer etwas Gutes im Sinn”, über dem Ausgang der alten Ohlendorff-Villa, in der sich heute ein Cafe und Kulturzentrum befinden — schwierig![84]

Meine lieben Geschwister, einseitige Idealisierungen sollten wir genauso vermeiden wie Verheimlichen oder Canceln, finde ich. Facettenreiche, historische Prismen helfen uns dagegen, Diskurse und neue Bedeutungsräume zu eröffnen. Denn was wir hier gerade gemacht haben, war nichts anderes, als die gewohnte freimaurerisch-idealisierende Betrachtung von Hagenbeck, Ohlendorff & Co. um eine Außenperspektive zu ergänzen. Natürlich spielte auch Kosellecks “Oben und Unten” eine Rolle, aber auch das “Früher und Später”. Denn — Hand aufs Herz — die Geschichten fordern vor allem von uns als Zurückblickenden facettenreichere und differenziertere Betrachtungen, als sie in den damaligen Zeiten vielleicht möglich waren. Ja, auch unsere jetzigen Ideale und Vorstellungen werden einst derart betrachtet werden — und ganz sicher wird es irgendwann einen Zeitpunkt geben, an dem viele unserer heutigen Überzeugungen nicht einmal mehr als diskursfähig erscheinen werden.

Die Historikerin Jessica Harland-Jacobs sagt, dass die Wirklichkeit der Freimaurerei immer wieder von ihren eigenen Idealen eingeholt worden sei.[85] Dies sei besonders in den Kolonien zu beobachten. Um einmal mit Koselleck zu sprechen: Im Erwartungshorizont einheimischer Freimaurerinnen und Freimaurer in den Kolonien erschienen die kosmopolitischen Ideale unseres Bundes. Im gelebten Erfahrungsraum waren sie dagegen bestenfalls Menschen zweiter Klasse, gleiches galt für ihre Kulturen. Emanzipatorisch forderten und fordern sie schließlich die wahrgenommenen postulierten Ideale irgendwann auch für ihren eigenen Erfahrungsraum ein — eine sehr spannende Sichtweise in internationaler Perspektive! Ich denke, genau so wird die Weltunionskette geschmiedet.

Erschütterung & Katastrophe (1914-1945)

Was folgte, wissen wir alle: Der 1. Weltkrieg entzauberte die Geschichtsphilosophien in vielerlei Hinsicht. Danach gab es hierzulande ein Volk in Waffen und bürgerkriegsähnliche Zustände.[86] Aber es gab auch Stimmen der Hoffnung!

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So bekräftigt bspw. Br. Carl von Ossietzky ca. 1919 in der Loge “Menschentum” i.O. Hamburg die pazifischen und internationalistischen Ansprüche des freidenkerischen Freimaurerbunds zur aufgehenden Sonne, dem er angehört. Er richtet sich an die “Baumeister der Zukunft”, an die “Mittler zum Leben”, wir mögen “allen törichten Rassen- und Nationaldünkel aus unseren Herzen und Hirnen reißen”.[87] — Das klingt schon sehr nach Tempelbau, ganz nach meinem Geschmack!

Doch mit dem 2. Weltkrieg folgte die Katastrophe. Br. Ossietzky starb bereits im Jahr davor an den Folgen des verdammten KZs. Im nationalsozialistischen Taumel entfernen zuvor Brüder vieler Logen, die nicht in die Selbstauflösung gingen, alle “jüdischen” Bezüge aus ihren Freimaurerritualen. Im Wahn weicht Salomo dem Deutschen Dom.

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Bei 3WK und Royal York wird Hiram zu Baldur.[88]

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Im Freimaurerorden der Großen Landesloge von Deutschland wird heilig “das deutsche Land” und “Bruder jeder Volksgenosse reinen Blutes”.[89] Damit sind klar — Zitat — die “Deutschblütigen” gemeint, ja, nur diese gehören ab 1935 noch zur deutschen “Bluts- und Volksgemeinschaft”, nicht nur zur “deutschen Volksgemeinschaft” wie die Mischlinge 1. oder 2. Grades, oder gar die Juden, die ganz außerhalb stehen.

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Natürlich gab es einige leuchtende Beispiele, doch in anderen Großlogen sah es keineswegs besser aus. Erinnern kann weh tun. Erinnern darf weh tun.

Moral und Sinn, die dem politischen Handeln als Richtung immer unterstellt worden sind, gingen vollständig verloren.[90] Für die Bilder des Krieges und für die industriell organisierte, massenhafte Vernichtung von Leben finden wir keine Sprache mehr.


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“Dann sah ich das Pferd, dessen halber Schädel weggerissen war [...]
im Vollgalopp an der marschierenden Kolonne entlang galoppierend [...].
So raste das Pferd mit seinem halben Schädel weiter —
eine Inversion der Apokalypse: das Pferd trug nicht den Todesboten —
es war die Inkarnation der menschlichen Selbstvernichtung,
die Alles Lebende mit sich reißt
.”


(Koselleck, R.: Das apokalyptische Pferd, Sommer 1942, handschriftlicher Nachlass)

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Die säkularisierte Vorstellung einer Apokalypse in Form eines weltlichen Endes der Geschichte fand in der Vorstellung des Endsiegs im Nationalsozialismus ihren jähen Abgrund und forderte einen Zivilisationsbruch sondergleichen.[91] — Geschichte ist absurd, schlussfolgern die Historikerinnen und Historiker danach, allenfalls ihre Analyse könne rational sein.[92] “Toleranz [wird] zum Verbrechen [...], wenn sie dem Bösen gilt”, so Thomas Mann 1924.[93] Mit Erschrecken erkannten dies mehr und mehr der Vielen.

Anthropozän (ab 16. Juli 1945)

Danach begann die Suche nach Neuem. Es war die Zeit der Ideologiekritik. “Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen”, so erklärt Hannah Arendt die Worte Kants.[94] — Alles konnte und musste infrage gestellt werden. Doch vieles zeigte auch erschreckende Kontinuität.[95] Ich denke da bspw. an Hans Globke. Er wirkte federführend bei der Namensänderungsverordnung von 1938. Diese zwang Jüdinnen und Juden in Deutschland dazu, die Vornamen Israel oder Sara zusätzlich anzunehmen, sofern sie nicht bereits als eindeutig jüdisch gelesene Namen trugen: die erste Form des Judensterns. Zuvor war er 1935 maßgeblich an den Nürnberger Rassengesetzen beteiligt. Darin wurde definiert, wer als Jude oder Jüdin galt. Adenauer ernannte Globke nach dem Krieg zum Chef seines Bundeskanzleramtes. — Doch die Welt wurde auch vielfältiger, unglaublich vielfältiger sogar.

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Ich denke hier an Josephine Baker, — wie viele sagen — der erste schwarze Weltstar.[96] In ihren Shows reproduzierte sie anfangs den kolonialen Blick. Hier sehen wir sie in ihrem berühmten Bananenrock. Baker war aber auch Spionin im 2. Weltkrieg. Sie war Mitglied der französischen Résistance und Sr. Josephine war ebenso Mitglied der Loge “Nouvelle Jérusalem” der Grande Loge Féminine de France. Was viele nicht wissen: Sr. Josephine adoptierte Kinder mit allen Hautfarben, aus allen Religionen und Regionen, da sie überzeugt war, dass ein geschwisterliches Miteinander möglich sei und vermeintliche Unterschiede der Rasse nichts als Hirngespinste seien.

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Dieser Gedanke war so noch nicht lange möglich.


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“I have just been handed a little note [...] It is an invitation to visit the President [...]
I am greatly honored. But I must tell you that a colored woman [...] is not going there.
It is a woman. It is Josephine Baker
.”


(Sr. Josephine Baker, Marsch auf Washington, 28.08.1963)

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Sr. Josephine setzte sich für diese Ideale auch in ihrem Heimatland ein, den USA. Am 28. August 1963 hält sie beim “Marsch auf Washington” vor mehr als 250.000 Menschen neben Martin Luther King ihre vielleicht berühmteste Rede: Keine farbige Frau werde zum Präsidenten gehen, sondern eine Frau: Josephine Baker. Martin Luther King spricht ebenso — und zwar sein berühmtes “I have a dream”. Aufgerufen zum Protest hatte insbesondere die NAACP, die National Association for the Advancement of Colored People.

Für die Gründung der NAACP war ein Ereignis von besonderer Bedeutung, eine Art Startschuss, eine Zündung, die zum Symbol wurde:

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Rosa Parks wurde am 1. Dezember 1955 verhaftet, da sie sich weigerte, ihren Sitz im Bus für einen weißen Menschen frei zu machen.


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“I remember we talked about how just in case the Klansmen broke into our house,
we should go to bed with our clothes on so we would be ready to run.”


(Parks, R.: My Story, 1992, S. 30/31)

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Ihre Biografie ist — wie die von Sr. Josephine — voller Erinnerungen an schlimmsten Rassenhass.[97] Beide sprechen von brennenden Häusern. — Eine allumfassende Weltunionskette, eine chain of union, war lange noch nicht greifbar. Und noch heute begegnen uns beim Gedanken daran viele Hürden, wenn wir ehrlich sind.

Die NAACP entwickelte sich übrigens in unmittelbarer Nähe zur Prince Hall Masonry, der Freimaurerei für schwarze Menschen in den USA. Die Stringer Grand Lodge in Mississippi wurde förmlich zum Hub der Bürgerrechtsbewegung.[98]

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Rosa Parks war Mitglied im “Alonzo Mitchell Chapter” des “Order of Eastern Star” in Alabama, wie wir hier sehen können. Das ist die Frauenorganisation der Prince Hall-Freimaurerei — auch mit echt coolen Ritualen: das hier stammt aus ihrem Nachlass.

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Als Kontrast in diesem Zusammenhang möchte ich an Br. Albert Pike erinnern, dem Autor und Reformer vieler Rituale des Scottish Rite und dem gefeierten Verfasser von “Morals and Dogma”.

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Was viele gerne ausblenden: Pike war ein fanatischer Rassist.


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“I am interested to keep the Ancient and Accepted Rite uncontaminated.”

(Brief von Br. Albert Pike, 13.09.1875)

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Hier erklärt er in einen Brief, dass er seinen Maurereid vor weißen Menschen geleistet habe und wirft mit dem N-Wort um sich. Er wolle den Scottish Rite reinhalten — wie unterschiedlich war noch seine Welt![99]

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Doch sie wurde vielfältiger, viele Schichten im Gefüge der Zeiten bewegten sich. Mit Vietnam und dem algerischen Unabhängigkeitskrieg folgten bis in die 1970er seit langem auch die ersten nicht-europäischen Perspektiven in globaler Hinsicht.[100] Eine echte Weltbruderkette, oder Weltunioskette, wurde — zumindest theoretisch — nach und nach greifbar. Dies zeigt sich auch in den damals aufkommenden postkolonialen Perspektiven in der Geschichtsschreibung.[101] Vielleicht fasst Umberto Eco all das für uns am besten zusammen. 2011 beschreibt er in einem Vortrag einen Moment des Erwachens in der Anthropologie: “Die moderne Kulturanthropologie”, sagt er, ”[hat] eine Kaste westlicher Beobachter hervorgebracht, die sich für fähig hielten, die anderen zu verstehen, aber wenig darauf achteten, wie die anderen uns verstanden — was auch daran lag, dass die anderen von uns nur das wahrnahmen, was wir in ihre jeweiligen Länder exportierten. Mit Verspätung haben wir Westler daher bemerkt, dass auch die anderen uns betrachteten.”[102]

“Innen und Außen”, “Oben und Unten”, “Früher und Später”, meine lieben Geschwister: Das ist doch in der Tat der Perspektivenwechsel, den Eco hier beschreibt, oder? Irgendwie klingt er selbstverständlich. Doch so selbstverständlich ist er — nach all dem, auch dessen, was wir heute gesehen haben — komischerweise keineswegs. Und spätestens hier, wo wir beginnen, den deutschen Boden mehr und mehr zu verlassen, wird es unglaublich vielschichtig und komplex. Daher möchte ich meine kleinen historischen Schnappschüsse hiermit beenden. Ich denke, die Pluralität in den Erlebnissen von Freimaurereien zu verschiedenen Zeiten konnten wir erahnen. Und mit Koselleck & Co. haben wir einen guten Werkzeugkasten, um historische Erlebnisse in ihrem Facettenreichtum abzuklopfen. Achten wir auf das einstige Erleben, denn sonst begegnet uns das Geschehene nur aus unserem eigenen, heutigen Erfahrungsraum heraus.

Nur eins noch: Warum wählte ich für diesen Schnappschuss eigentlich den Begriff “Anthropozän”? Was hat sich hier geändert in den Zeitfiguren und im geschichtlichen Erlebnis?

Das Anthropozän bezeichnet ein neues geologisches Weltzeitalter, eines, das vom Menschen bestimmt ist.[103] Dies müssen wir uns erstmal auf der Zunge zergehen lassen!

Ein geologisches Weltzeitalter wird dabei immer abgegrenzt von sogenannten Markern. Dies sind Elemente und Hinweise, die sich weltweit finden lassen, bspw. in Form bestimmter Ablagerungen. Durch sie können Funde in unterschiedlichen Schichten einzelnen Weltzeitaltern zugeordnet werden. Da gibt es das Präkambrium, das Paläozoikum usw. In der Wissenschaft besteht seit langem Uneinigkeit darüber, ob diesbezüglich ein Anthropozän überhaupt bestimmbar sei. Doch jüngst wurde ein sehr vielversprechender Vorschlag für einen Marker gemacht.[104] Denn am 16. Juli 1945 bebte die Wüste von New Mexiko: ein Atombombentest. Und es sollten noch viele folgen. Das Plutonium, der radioaktive Niederschlag, lässt sich tatsächlich weltweit in Ablagerungen nachweisen als menschgemachter Marker. Die endgültige Entscheidung zur Anerkennung des neuen geologisches Weltzeitalters wird im kommenden Jahr erwartet.

Dies bedeutet, meine lieben Geschwister, dass die Apokalypse im Anthropozän von einer temporalen Metapher, von einer Zeitfigur, von einem geschichtsphilosophischen, ideologischen Telos zu einem echten Szenario geworden ist, das sich plötzlich per Knopfdruck von Menschenhand empirisch einlösen ließe. Das hat sich verändert. Ein ähnliches Ende der Geschichte für uns Menschen erkennen viele auch in der drohenden und fortschreitenden Umweltzerstörung. Die Diskussionen hierzu bestehen spätestens seit dem Bericht des Clubs of Rome zu den Grenzen des Wachstums aus dem Jahr 1972.[105] — Was für ein Wandel im Erleben!

“Ohne Kontakte und Kontraste, ohne Konflikt und Kompromisse, ohne Konsensbildung dieser oder jener Art könnte keine Aktionsgemeinschaft, zumindest nicht in unserer komplexen Gesellschaft, existieren oder überleben”, erklärt Koselleck. “Bedrohlich werden diese lebensnotwendigen Innen-Außen-Abgrenzungen erst, wenn die Kontakte blockiert, Kompromisse verhindert werden, wenn die Konsensbildungen nur noch einseitig dazu dienen, Konflikte zu schüren, Bürgerkriege zu entfesseln, Kriege zu führen, den Massenmord freizugeben.”[106] — Ein ganz starkes Zitat, das vermutlich immer aktuell bleiben wird: Es erinnert mich sehr an Passagen aus Lessings “Ernst und Falk”: “Recht sehr zu wünschen” usw..[107]

Fragen wir uns also abschließend: Wo stehen wir heute?

Heute

Das “Volk” wird mancherorts wieder zum politischen Erwartungsbegriff, was vielen Mitmenschen Sorge bereitet.[108]

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“Lasst euch nicht krallen! Lasst euch nicht auf die ein! Seid dagegen!” (Esther Bejarano)

Ich will hier nicht zu politisch werden, darum blende ich hier einfach mal ganz unkommentiert ein Zitat von Esther Bejarano ein.[109] Sie ist vor zwei Jahren von uns gegangen. Als Überlebende der Shoa klärte sie die nachkommenden Generationen auf. — Übrigens hat eine Freimaurerschwester ihre letzten Tage im Israelitschen Krankenhaus Hamburg miterlebt. Wie es der Zufall manchmal so will: Sie arbeitete dort in der Pflege.

Grundsätzlich gibt es heute viele Milieus mit unterschiedlicher Prägung, die oft getrennt voneinander in ihren Bubbles, in ihren Wahrnehmungsblasen existieren, und sich vor allem digital begegnen.

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Alle haben irgendwie eigene Grenzen des Sagbaren, eigene Weltsichten, Weitsichten, common myths. Kennt ihr die Sinus-Milieu-Studien?[110] Die sind ganz spannend und werden jährlich erhoben.

Da gibt es die “strukturkonservative Elite” mit “klassische[r] Verantwortungs- und Erfolgsethik” und ihrem “Selbstbild als Fels in der Brandung postmoderner Beliebigkeit”. Oder eine “Bildungselite mit postmateriellen Wurzeln” als “Verfechter von Post-Wachstum, Nachhaltigkeit [...] und Diversität” mit einem “Selbstbild als gesellschaftliches Korrektiv” — um nur zwei Beispiele zu nennen. Manchmal frage ich mich, wie hier überhaupt noch Diskurs stattfinden kann. Doch diese Frage müssen wir uns stellen, denn auch unsere eigenen Ideale werden irgendwann erneut im Erfahrungsraum eingefordert werden.

Was alle eint, sind Arten des Erlebens. Ich denke hier an global und digital verfügbare Informationen, die auch globale Ereignisse erzeugen. Sicher weiß noch jede und jeder hier genau, wo und wobei er oder sie gerade am 11. September 2001 war, als die Nachricht kam.[111] Auch bislang marginalisierte Gruppen werden durch digitale und soziale Bewegungen mehr und mehr sichtbar und formulieren ihre Interessen gegenüber Teilen der Mehrheitsgesellschaft. — Vielleicht gilt dies auch für die Freimaurereien.

Informationen und Produkte erscheinen jedenfalls als allverfügbar, so der Soziologe Hartmut Rosa.[112] Doch dies treffe nur zum Schein auf alles zu. Denn echte Resonanz lasse sich nicht erkaufen, lasse sich nicht erzwingen. Sie stelle sich vielmehr ein in Begegnung mit der Welt, im Angerufen werden, im reflektiven Erleben des Anderen und Fremden, aber auch des Eigenen und Heimischen. Meine lieben Geschwister, bleiben und werden wir darum mit unseren Logen weiterhin echte Zentren der Resonanz und eines offenen Diskurses. Denn Restriktion und Avantgarde sind seit der Moderne die beiden Säulen im Vorhof des Tempels der Humanität — wie wir heute gesehen haben —, mit denen wir, Generation für Generation, uns selbst und die Welt erleben und gestalten.

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Die Freimaurereien sind wie ein Fächer, der sich Anfang des 18. Jahrhunderts gewaltig zu öffnen begann. Durch Emanzipation und neue Kommunikationsmittel werden sie einander wieder mehr und mehr bewusst und treten miteinander in Kontakt. Gesellschaftliche Realitäten und Umbrüche beeinflussen unsere Wertewelten und das Selbstverständnis der Freimaurereien seit eh und je. In der Vormoderne war der Tempelbau eher noch ein ausschließlich inneres Bauen, ein moralisches Bauen, noch ganz innerhalb der christlichen Heilsgeschichte. In der Aufklärung erweiterte sich dieser Gedanke: Der Tempelbau säkularisierte sich, wie wir vielleicht mit Koselleck sagen können. Oder mit Hölscher: Die Zukunft wurde mehr und mehr als Dimension gesellschaftlicher Selbstorganisation verstanden. Schnell schimmerte der geschichtsphilosophische Telos in unterschiedlichen Nuancen. Br. Ferdinand Freiligrath und Sr. Maria Deraismes begegneten uns als Sinnbilder ihrer -ismen. Doch Kontraste bestimmen das Symbol: Die Ideen des “Tempelbaus” nach Br. Francis Galton oder in den deutschen 1930er-Jahren lassen uns heute erschaudern. Viel näher erscheinen uns da Br. Carl von Ossietzky oder Sr. Josephine Baker. Das hoffe ich zumindest.

Freimaurerinnen und Freimaurer, ja, Freimaurereien in vielen Facetten, meine lieben Geschwister, aus vielen Perspektiven im Laufe der Zeiten: Alle verbindet die freie Idee eines “So geht Mensch!”. Ich bin gespannt, was die Diskurse und Aushandlungsprozesse in der Zukunft für uns bereithalten werden. Vielen Dank für die Einladung! Und vielen Dank für euer Engagement!

Robert Matthees
Wuppertal, 28.10.2023

Literatur / Fußnoten

  1. Vgl. Harari, Y. N.: Sapiens, 2015, S. 28.
  2. Vgl. Youtube-Video “Sapere Aude 331 - German freemasonry in Age of Nationalism (1860–1945). Part 1 by Bro Manuel Pauli”, URL: https://www.youtube.com/watch?v=SUFe7gaVQ0c (abgerufen am 22.11.2022); vgl. Youtube-Video “Sapere Aude 333 - German freemasonry in Age of Nationalism (1860 – 1945). Part 2 by Bro Manuel Pauli”, URL: https://www.youtube.com/watch?v=Pucqha48jRE (abgerufen am 22.11.2022).
  3. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 189.
  4. Brief von Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer, Jena, 13. Oktober 1806.
  5. Zuerst nur, um die Anziehungskraft des Nationalsozialismus zu erklären. (Vgl. Bloch, E.: Zur Originalgeschichte des Dritten Reiches, 1937.)
  6. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 341 f..
  7. Vgl. Fabian, J.: Time and the Other, 1983; vgl. Landwehr, A.: Von der ,Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen', in: Historische Zeitschrift , Vol. 295 (1), 01.09.2012, S. 1-34.
  8. Vgl. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 278 ff.
  9. Vgl. Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus, 1921, T 4.12. URL: https://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/witt.html (abgerufen am 25.09.2023).
  10. Vgl. Fabian, J.: Time and the Other, 1983, S. x.
  11. Vgl. Koselleck, R.: Kritik und Krise, 1959; vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 67 f..
  12. Vgl. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 147.
  13. Koselleck: Begriffsgeschichten, 2006, S. 58 f. (auch die zwei folgenden Zitate).
  14. Vgl. Gadamer, H.-G.: Wahrheit und Methode, 1960.
  15. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 112 f..
  16. Vgl. Koselleck, R.: Zeitschichten, 2021, S. 111 ff.; “Solche axiomatischen Sätze über mögliche Geschichte sind etwa der Gegensatz von innen und außen oder der Gegensatz von oben und unten oder der Gegensatz von früher und später. Das sind rein formale Kategorien, die in len Geschichten auftauchen. Denn jede Handlungseinheit, die sich konstituiert, konstituiert ein Innen und, gegenüber einer andeen Handlungseinheit, ein Außen.” (Koselleck, R.: Wissenschaftstheoretische Ortsbestimmungen von Geschichte und Kirchengeschichte, Manuskripttitel, 1991, Bl. 5.)
  17. Vgl. Koselleck, R.: Zeitschichten, 2021, S. 23; vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 65 ff..
  18. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 86.
  19. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 228 f..
  20. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 123 f..
  21. Vgl. Herder, J. G.: Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft (1799), in: Werke, Bd. 8, 1998, S. 303–640, hier S. 360 f..
  22. Frei nach Koselleck, R.: Zeitschichten, 2021, S. 13.
  23. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 91, S. 235.
  24. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 124 f..
  25. Vgl. Koselleck, R.: Kritik und Krise, 1959, S. 60; vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 70, S. 116, S. 124.
  26. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 125 f.; vgl. Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes (1807), in: Theorie Werkausgabe, Bd. 3, 1970, S. 145; vgl. Marx, K., Engels, F.: Manifest der Kommunistischen Partei, I. Bourgeois und Proletarier, 1848.
  27. Vgl. (bspw.) Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 359 ff..
  28. Vgl. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 14 f..
  29. Vgl. Ginzburg: Der Käse und die Würmer, 2020, S. 7, S. 25 f.
  30. Vgl. Ginzburg: Der Käse und die Würmer, 2020, S. 10/11, S. 14 ff.
  31. Ginzburg: Der Käse und die Würmer, 2020, S. 30.
  32. Ginzburg: Der Käse und die Würmer, 2020, S. 97.
  33. Vgl. (bspw.) Burns, R.: Tam O’Shanter, 1790; vgl. Stevenson, D.: The Origins of Freemasonry, 1988.
  34. Vgl. Kuhn, T. S., Hacking, I.: The Structure of Scientific Revolutions, 50th Anniversary Edition, 2012.
  35. Vgl. White, M.: Isaac Newton.The Last Sorcerer, 2010.
  36. Ngram Viewer von Google. URL: https://books.google.com/ngrams/graph?content=Fortschritt%2CBeschleunigung%2CZukunft&year_start=1600&year_end=2019&corpus=de-2019&smoothing=3 (abgerufen am 29.09.2023).
  37. Newton errechnete Weltende. In: Spektrum der Wissenschaft (20.06.2007). URL: https://www.spektrum.de/news/newton-errechnete-weltende/886357 (abgerufen am 01.10.2023).
  38. Vgl. Hölscher, L.: Die Entdeckung der Zukunft, 2016.
  39. Vgl. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 9 ff.
  40. Hölscher, L.: Zeitgärten, 2020, S. 10.
  41. Vgl. Anderson, 1723, S. 1-2; Anderson, 1738, S. 8.
  42. Vgl. Briscoe Pamphlet, ca. 1724, bspw. S. 37.
  43. Vgl. Die Zunfft der Freyen-Mäurer, 1736, URL: https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/download/pdf/1176845 (abgerufen am 01.10.2023).
  44. Vgl. Historisches Jahr-Buch, 1738, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541403?page=1100 (abgerufen am 01.10.2023).
  45. Vgl. Historisches Jahr-Buch. 1736 (1737), S. 720 ff, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10541401?page=800,801 (abgerufen am 01.10.2023).
  46. (Vgl.) Reales Staats-, Zeitungs- und Conversations-Lexicon, 1739, S. 2267.
  47. Vgl. Der aufmerksame Freymäurer In und um Deutschland sowohl im Feld, als am Hof, ab 1743, URL: https://www.google.de/books/edition/Der_aufmerksame_Freym%C3%A4urer_In_und_um_De/GQlhAAAAcAAJ (abgerufen am 01.10.2023).
  48. Vgl. Impens, C.: Über Gott und Religion — wie es gemeint war. In: Wurzeln der Freimaurerei. Aktuelle Forschungsergebnisse über ihre Vor- und Frühgeschichte, Band 1, 2016, S. 321-338.
  49. Vgl. Cooper, R. L. D.: The Red Triangle, 2020, S. 22 f..
  50. Vgl. Steinheil-Rede, 1742, URL: http://www.muellerscience.com/ESOTERIK/Freimaurerei_Allgemein/Steinheil_1742.htm (abgerufen am 01.10.2023).
  51. Herder, J. G.: Briefe zur Beförderung der Humanität, Gespräch über eine unsichtbar-sichtbare Gesellschaft, Zweite Sammlung, 1793.
  52. (Vgl.) Lamprecht-Rede, 1743. In: Gerlach, K.: Berliner Freimaurerreden 1743-1804, 1996, S. 11-16, hier S. 11/12.
  53. (Vgl.) Alardus, M. A.: Rede in der Hamburgischen Freymäurer-Loge 1744. In: Alardus, M. A.: Gedichte und Reden. Hamburg: Verlag von Johann Karl Bohn, 1754, S. 242-276, hier S. 246. URL: https://play.google.com/books/reader?id=IzBcAAAAcAAJ (abgerufen am 6. September 2022).
  54. Vgl. Das Erhabene, worzu die Freymäurerey ihre ächten Schüler führet, Halle, 1744, S. 1, URL: https://digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11216215?q=freym%C3%A4urer&page=12,13 (abgerufen am 2. Oktober 2022).
  55. (Vgl.) Gedicht welches in der Ehrwürdigen Versammlung derer Freymaurer, zu Braunschweig, den 24. Junius, als an dem Tage des H. Johannes, im Jahr 5745, abgelesen wurde von dem Bruder Redener, Braunschweig, 1745, URL: https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN636382192 (abgerufen am 13.05.2023).
  56. Vgl. (bspw.) Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 112.
  57. Vgl. Smith, A.: Wealth of Nations, 1776.
  58. Vgl. Hölscher, S. 10; vgl. Schiller: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, 1789, URL: https://de.wikisource.org/wiki/Was_hei%C3%9Ft_und_zu_welchem_Ende_studiert_man_Universalgeschichte%3F (abgerufen am 03.10.2023).
  59. Vgl. Koselleck, R.: Abstraktheit und Verzeitlichung in der Revolutionssprache, in: Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewußtseins, 1988, S. 224-226.
  60. Vgl. Reinalter, H.: Von der Aufklärung bis zur Romantik, in: Ideen und Ideale deutscher Freimaurer — Aufklärung, Klassik, Romantik, 1986, S. 9-15.
  61. Vgl. Lessing: G. E.: Die Erziehung des Menschengeschlechts, 1780.
  62. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 71.
  63. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 81.
  64. Vgl. Pauli, M.: Die deutsche Freimaurerei in der langen Jahrhundertwende, 2022; vgl. Dachez, R., Bauer, A.: Freemasonry — A French View. Washington, D.C.: Westphalia Press, 2015.
  65. Vgl. Jupeau-Réquillard, F.: La Grande Loge symbolique écossaise, 1998.
  66. Droit Humain: Internationale Konstitution, deutsche Fassung, 2017.
  67. Vgl. Neue Rheinische Zeitung, 6. Juni 1848, S. 1, URL: https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/nn_nrhz006_1848?p=1 (abgerufen am 19.10.2023).
  68. Vgl. Lennhoff, Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon, 2020, S. 308.
  69. Vgl. Harari, Y. N.: Sapiens, 2015, S. 314, S. 396.
  70. I° 21.03.1846, II° 27.06.1847, III° 09.05.1848; später Redner und Zugeordneter Meister seiner Loge. (Vgl. Matrikel der Loge “Hermann zum Lande der Berge” Nr. 256 i.O. Wuppertal-Elberfeld, G.L. A.F.u.A.M.v.D..)
  71. Vgl. Narr, K. J., Weniger, G.-C.: Der Neanderthaler und sein Entdecker. Johann Carl Fuhlrott und die Forschungsgeschichte. Mettmann: Neanderthal Museum, 2023, S. 85-90.
  72. Vgl. Werde Teil der Menschenfamilie. Mettmann: Stiftung Neanderthal Museum, 2023, S. 13.
  73. Vgl. Fuhlrott, J. C.: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, Verlag von W. Falk & Volmer, 1865, S. 9/10. URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10913311 (abgerufen am 28.06.2023).
  74. Vgl. Todzi, K. S., Zimmerer, J.: Hamburg — Tor zur kolonialen Welt, 2021.
  75. Aufgenommen am 8. Juli 1875 in der Loge “La Clémante amitiée” i.O. Paris.
  76. Aufnahme im Februar 1844 in der Scientific Lodge Nr. 105 i.O. Cambridge. (Vgl. Kruger, P.: The roots of industrial engineering – Francis Galton (08/2013), in: Last Words Innovative, S. 142-154, hier S.142, URL: https://www.up.ac.za/media/shared/Legacy/sitefiles/file/44/1026/2163/8121/innovate8/142145the_roots_of_industrial_engineering_francis_galton_the_gentleman_explorer.pdf (abgerufen am 20.10.2023).
  77. Vgl. Krol, B.: Die Geschichte der Eugenik-Verbrechen (22.03.2022), in: Planet Wissen, URL: https://www.planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/nationalsozialistische_rassenlehre/geschichte-der-eugenik-verbrechen-100.html (abgerufen am 16.10.2023); vgl. ARTE-Doku “Die USA und der Holocaust (1/6) — Das Tor zur Freiheit (Die Zeit vor 1938)”, URL: https://www.arte.tv/de/videos/113024-001-A/die-usa-und-der-holocaust-1-6/ (abgerufen am 17.10.2023).
  78. Hagenbeck, C.: Von Tieren und Menschen, 1909, S. 79, URL: https://archive.org/details/vontierenundmens00hageuoft (abgerufen am 16.10.2023).
  79. Vgl. Bischoff, T. v.: Bemerkung über die Geschlechtsverhältnisse der Feuerländer, in: Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, Heft II, 1882, URL: https://publikationen.badw.de/de/003900514/pdf/CC%20BY (abgerufen am 19.10.2023); vgl. Bischoff, T. v.: Weitere Bemerkungen über die Feuerländer, in: Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München, Heft III, 1882, URL: https://publikationen.badw.de/en/003900516/pdf/CC%20BY (abgerufen am 19.10.2023).
  80. Vgl. Youtube-Video “Menschen ausgestellt im Zoo — Das dunkle Kapitel Völkerschauen | Panorama 3 | NDR”, URL: https://www.youtube.com/watch?v=f58hIJi6Xng (abgerufen am 13.04.2023).
  81. Aufnahmegesuch vom 20. Februar 1913 in der Loge “Absalom zu den drei Nesseln” i.O. Hamburg.
  82. Aufnahme am 19. April 1923 in der Loge “Absalom zu den drei Nesseln” i.O. Hamburg; 1927 wird er im III. Grad geführt.
  83. Vgl. Charún-Illescas, L., de Lederbogen, C. C., Lederbogen, J.: Peru — Guano — Hamburg, 2023; vgl. Charun Illescas, L.: Geld stinkt nicht — oder aus Schiete Gold machen (2021), URL: https://www.re-mapping.eu/de/interviews/lucia-charun-illescas (abgerufen am 05.09.2023); vgl. Henkel, W., Polscher, C., Kopitzsch, F.: Spirit von Hamburg — Freimaurerische Spurensuche vom Rathaus zur Universität, 2022, S. 33.
  84. Vgl. Brief von Matthias Claudius an Sohn Johannes, Ostern 1799; URL: https://www.christoph-moder.de/texte/lebensregeln-claudius.html (abgerufen am 19.10.2023).
  85. Vgl. Harland-Jacobs, J. L.: Builders of Empire, 2013.
  86. Vgl. Ulrich, B.: So kam es zum „Altonaer Blutsonntag“ (17.07.2022), URL: https://www.deutschlandfunk.de/altonaer-blutsonntag-hamburg-aufmarsch-altona-100.html (abgerufen am 19.10.2023).
  87. Notizen zu einer Logenrede von Carl von Ossietzky, aufgezeichnet von Walter Berendsohn, zitiert nach: Weisheit, Stärke, Schönheit – Deutschsprachige Dichter und Denker des 20. Jahrhunderts zur Freimaurerei, herausgegeben von Appel, R. und Oberheide, J., 1998, S. 77.
  88. Vgl. Brauchtum für die Stufe der Ordensmeister im Nationalen Christlichen Orden Friedrich der Große und im Deutsch-christlichen Orden Zur Freundschaft in Berlin, 1933, S. 31.
  89. Drittes Ordensbuch nebst Beilagen, Deutsch-Christlicher Orden, §11, August 1933, S. 10.
  90. Vgl. (bspw.) Hobsbawm, E.: Das Zeitalter der Extreme — Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1995, S. 32 f..
  91. Vgl. Koselleck, R: Einleitung, in: Jeismann, M., Koselleck, R.: Der politische Totenkult, 1994, S. 19.
  92. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 111.
  93. Mann, T. Der Zauberberg, Sechstes Kapitel, 1991, S. 706.
  94. Arendt, H.: Interview mit Joachim Fest (09.11.1964), URL: https://www.ardaudiothek.de/episode/archivradio-geschichte-im-original/hannah-arendt-und-die-banalitaet-des-boesen/swr2/75793772/ (abgerufen am 23.10.2023); vgl. Gensing, P.: Verkürztes Zitat — Hannah Arendt und der Gehorsam, in: Tagesschau (14.10.2020), URL: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/arendt-zitat-gehorchen-101.html (abgerufen am 23.10.2023).
  95. Vgl. Schneider, U.: Antifaschismus, S. 62 f.; vgl. Podewin, N.: Braunbuch — Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und West-Berlin, 1965, zu Globke bspw. S. 352.
  96. Vgl. Horncastle, M.: Josephine Baker — Weltstar - Freiheitskämpferin - Ikone, 2020.
  97. Vgl. Parks, R.: My Story, 1992, S. 30/31.
  98. Vgl. Youtube-Video Figgers, F.: Stories and Secrets — A History of the M.W. Stringer Grand Lodge (02.02.2022). URL: https://www.youtube.com/watch?v=YyRL1C7-diE (abgerufen am 01.08.2022).
  99. “I took my obligations to white men, not to Negroes. When I have to accept Negroes as brothers or leave Masonry, I shall leave it. [...] I am interested to keep the Ancient and Accepted Rite uncontaminated.” — Brief von Albert Pike an John D. Caldwell vom 13. September 1875. URL: https://www.readex.com/blog/albert-pike-confederate-commissioner-masonic-demiurge-apologist-slavery-apostate-union (abgerufen am 22.03.2023); vgl. Portnoy, J.: A homeless Confederate? Albert Pike’s complicated legacy leaves statue in limbo. In: Washington Post (30. Oktober 2017). URL: https://www.washingtonpost.com/local/dc-politics/a-homeless-confederate-albert-pikes-complicated-legacy-leaves-statue-in-limbo/2017/10/16/40fe05d6-aa10-11e7-92d1-58c702d2d975_story.html (abgerufen am 22.03.2023).
  100. Vgl. Harari, Y. N.: Sapiens, 2015, S. 331.
  101. Vgl. Conrad, S.: Deutsche Kolonialgeschichte, 2019, S. 11/12.
  102. Eco, U.: Experimente in reziproker Ethnologie (2011), in: Eco, U.: Der ewige Faschismus, 2020, S. 67-75, hier S. S. 68.
  103. Vgl. Anthropocene Curriculum, URL: https://www.anthropocene-curriculum.org/the-geological-anthropocene (abgerufen am 01.10.2023).
  104. Vgl. Anthropozän — Erde im neuen "Zeitalter des Menschen" (12.07.2023), URL: https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/nachhaltigkeit/anthropozaen-erdzeitalter-geologie-mensch-100.html (abgerufen am 01.10.2023).
  105. Vgl. The Limits to Growth — A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, 1972.
  106. Koselleck, R.: Begriffsgeschichten, 2006, S. 274.
  107. Vgl. Lessing, G. E.: Ernst und Falk, 1778.
  108. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 318.
  109. Vgl. Bejarano, E.: Nie schweigen, 2022, S. 30.
  110. Vgl. Sinus-Milieus Deutschland, URL: https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland (abgerufen am 10.10.2023), auch folgende Zitate.
  111. Vgl. Hoffmann, S.-L.: Der Riss in der Zeit, 2023, S. 353.
  112. Vgl. Rosa, H.: Unverfügbarkeit, 2018.