Traktat: Hell und Dunkel: Freimaurerei im Mosaik der Mythen von Hans-Hermann Höhmann

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Hell und Dunkel: Freimaurerei im Mosaik der Mythen

von Hans-Hermann Höhmann

Seitdem es die „moderne“ Freimaurerei gibt, seitdem Logen existieren, die nicht mehr Organisationen des Bauhandwerks sind, sondern moralisch orientierte Vereinigungen, die zur Vermittlung ihrer Ideen, religiösen Überzeugungen und sozialen Formen Symbole und Rituale verwenden, und das heißt wiederum seit der schottischen Freimaurerei des frühen 17. Jahrhunderts, solange gibt es einerseits helle und freundliche Mythen der Freimaurerei, so lange gibt es aber auch Gegner, Verurteilungen und Verbote, gibt es Verfälscher und Verleumder der Freimaurerei, gibt es gegen die Freimaurerei gerichtete Mythen, gibt es Bilderwelten, in denen die Freimaurerei in dunklen und bedrohlichen Farben erscheint.

Doch sprechen wir zunächst von den freundlichen Mythen, von den Bilderwelten, die innerhalb der Freimaurerei selbst entstanden sind, und die sich oft zu freimaurerischen Gründungs- und Begründungsmythen verdichtet haben. Sie entstanden oder wurden geschaffen, um Ehrwürdigkeit, Ansehen und Legitimität des weltweiten Bruderbundes zu betonen und zu steigern.

Als ich im Oktober 2010 auf einer Veranstaltung der Freimaurerlogen Hannovers im dortigen historischen Museum zum gleichen Gegenstand wie heute sprach, zeigte das Einladungs-Plakat der Veranstaltung einen solchen Gründungsmythos der Freimaurerei: Es präsentierte George Washington bei der Grundsteinlegung des Capitols in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, als Freimaurer gekleidet, und es verband mit der Darstellung dieser Szene gleich zwei Mythen miteinander:

den Gründungsmythos der USA und ihrer Hauptstadt Washington und

den Bedeutungsmythos der amerikanischen Freimaurerei. Die Botschaft dieses „Doppelmythos“ ist klar: Wir können stolz sein auf dieses Land, und wir können stolz sein auf diesen Bund, der die Verfassungsgeschichte des Landes so nachhaltig geprägt hat.

Historische Perspektiven

Wenn man so will, begann ja die ganze Geschichte der Freimaurerei sechzig Jahre vor Washington mit der Propagierung eines Gründungsmythos. 1717 wurde die Großloge von London und Westminster gegründet, die erste institutionalisierte Großloge der Welt. 1723 wurde die erste Satzungsurkunde veröffentlicht, die sog. Andersonschen Konstitutionen, auch bei uns unter dem Begriff „Alte Pflichten“ allen Freimaurern bekannt. Ihr Verfasser, James Anderson, hatte dazu Prinzipien formuliert, die bis heute die Wertauffassungen der Freimaurer zum Ausdruck bringen:

  • Der Freimaurer ist dem Sittengesetz verpflichtet;
  • die Menschen in den Logen sollen gut und redlich sein;
  • und der Bund der Maurer soll Männer in Freundschaft zusammenbringen, die sich sonst nie begegnet wären.

Doch Anderson lässt es nicht bei Werten und Prinzipien. Er fügt eine Chronik der Baukunst hinzu, in der wortwörtlich zu lesen ist:

Adam unser Vater, geschaffen nach dem Bilde Gottes, des großen Baumeisters der Welt, muss die freien Künste, insbesondere die Geometrie, in seinem Herzen getragen haben, denn er lehrte sie seine Söhne, und die Familien beider betätigten sich als Bauleute, bis Noah die Arche baute, die sicherlich nach den Gesetzen der Baukunst errichtet war, und so retteten Noah und seine drei Söhne Kenntnisse der Baukunst in die neue Welt.

James Anderson

Warum ein solcher Gründungsmythos? Warum eine so fragwürdige Herkunftserzählung?

Nun: eine Bauhütte, die Kathedralen baut, die „operativ“ ist und dies von Jahrhundert zu Jahrhundert, braucht keine Begründung, ihr Bauen versteht sich aus sich selbst heraus, quasi von allein. Doch eine moralische Werkstatt, eine spirituelle Institution, die neu ist – wie die Freimaurerei zu Beginn des 18. Jahrhunderts – und die sich durchsetzen will in der üppig sprießenden Welt der geselligen Assoziationen in London, die braucht vor allen Dingen eines: die Reputation eben nicht neu, sondern uralt zu sein – und darum also die Formel: „Adam unser Vater, geschaffen nach dem Bilde Gottes, des großen Baumeisters der Welt, muss die freien Künste, insbesondere die Geometrie, in seinem Herzen getragen haben…“.

Dieser Mythos hat Schule gemacht: Der englische Freimaurer-Historiker John Hamill, hat eine ganz Schule von Geschichtsdeutern identifiziert – er nennt sie die im Unterschied zur authentisch-wissenschaftlichen Schule die „romantische“ Schule der freimaurerischen Vergangenheitserklärung –, deren Vertreter es immer wieder versucht haben, die Freimaurerei historisch vom Alten und vom ganz Alten herzuleiten, von den Mysterienbünden des Altertums, von den Ägyptern, von alten griechischen Philophenschulen, von Esoterik und Hermetik der Renaissance, von den Tempelrittern usw. und so fort. Derartige Versuche sind gescheitert, allerdings haben die Freimaurer später immer wieder Elemente der genannten fernen Vergangenheiten in ihre Rituale aufgenommen.

Wenn wir die Mythen systematisieren wollen, um die herum sich die Freimaurerei in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt hat, so stoßen wir auf drei Erzählstränge, die sich zwar oft vermischt haben, die sich aber trotzdem voneinander unterscheiden, ja, sich widersprechen können: