Corona-Krise 2020: Großmeister Georg Semler über die Freimaurer

Aus Freimaurer-Wiki
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Schwierige Zeiten sind ein guter Nährboden für blödsinnige Verschwörungsbehauptungen, bei denen regelmäßig auch die Freimaurer verdächtigt werden: so auch in der Corona-Krise des Jahres 2020. Die angesehenen ‚Salzburger Nachrichten‘ nahmen das zum Anlass, um Georg Semler, den Großmeister der Großloge von Österreich, zu interviewen. Wir danken der SN, wie das Blatt in österreichischen Medienkreisen genannt wird, für die Genehmigung, das Interview hier wiederzugeben. Rudi Rabe


Das stachelige Virus wurde in der Corona-Krise zu einem allgegenwärtigen Bild: einem bedrohlichen Markenzeichen. Graphiker verwendeten es in den Medien, und Künstler zeichneten oder malten es: hier eine Skizze von Jens Rusch als Grundlage für ein größeres Bild.

Einführung für die Leser in den Zeiten nach der Corona-Krise:

2020 kam zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder eine hochansteckende Seuche über die ganze Welt. Sie veränderte das Leben der Menschen jedenfalls eine Zeitlang völlig. War es 1918/19 die sogenannte „Spanische Grippe“, so war es ein Jahrhundert danach die „COVID-19-Pandemie“. Beide Seuchen wurden durch ein vorher unbekanntes Virus ausgelöst: 2020 war es das SARS-CoV-2-Virus aus der Familie der Corona-Viren.

Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren und so zu verhindern, dass die Pandemie wie 1918 und 1919 wieder zig Millionen Toten fordert, reduzierten die Regierungen 2020 das öffentliche Leben über Monate durch einen behördlich verfügten Lockdown auf ein Minimum: mit allen Folgen für das persönliche Leben der Menschen und für die Wirtschaft. In vielen Staaten hat das gut funktioniert, in anderen weniger. Alles in allem gab es aber viel weniger Tote als vor hundert Jahren. Doch die Kollateralschäden waren enorm: vor allem auch für die Wirtschaft und damit für das Leben vieler Menschen.

Das alles betraf natürlich auch die Freimaurerlogen. Ab Mitte März wurde das Logenleben bis in den Herbst hinein auf Null reduziert. Aber nicht nur das: Unsinnige Verschwörungsbehauptungen beschuldigten alle möglichen Verursacher und so auch die Freimaurer, hinter der Seuche zu stecken. Dies ist der Einstieg für das SN-Interview mit Großmeister Georg Semler über die Freimaurerei im allgemeinen und in der Corona-Krise im besonderen. Interviewer: Marian Smetana.


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SN: Die Freimaurer sind immer wieder Teil von Verschwörungstheorien,
die zu Corona herumgeistern. Das war auch bei anderen Krisen so. Woher kommt es, dass die Freimaurer diesen Ruf nicht loswerden?

Georg Semler: Das resultiert aus dem banalen Gedanken, dass viele Menschen bei komplexen und tiefgehenden Herausforderungen, die Unsicherheit bedeuten, einen Plan und einen Schuldigen dahinter suchen, um es leichter ertragen zu können. Das mögen die Ausländer sein, die für manche an allem schuld sind, oder internationale Organisationen oder Bill Gates oder eben die Freimaurer. Ich habe bei all den Verschwörungstheorien über das Coronavirus und die Freimaurerei nichts gelesen, was nur annähernd eine Grundlage hätte. Was soll ich zu dem absurden Vorwurf sagen, dass das Coronavirus das Ergebnis einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung ist, um die Welt dem Un- tergang zu weihen? Denn das Gegenteil ist der Fall. Viele unserer Brüder sind als Wissenschafter im Kampf gegen das Virus sehr weit vorn an der Front, etwa bei der Suche nach Medikamenten und Impfstoffen.

SN: Ist Ihre Organisation zwangsläufig in der Defensive, weil sie ein vertraulicher Bund sind?


Ich sehe nicht einmal, dass wir in der Defensive sind. Sie haben richtigerweise von einem vertraulichen Bund gesprochen und von keinem Geheimbund. Wir nehmen für uns das Recht heraus, dass wir die Privatsphäre unserer Mitglieder schützen. Das darf jeder Mensch, jede Familie und eben jeder Verein. Sofern wir uns an alle Gesetze halten, und das tun wir. Wirklich geheim an der Freimaurerei sind die Namenslisten der lebenden Mitglieder. Wenn sie verstorben sind, sind die Namen öffentlich zugänglich. Keine Partei, keine Gewerkschaft und keine Firma würde ihre Mitglieder- oder Angestelltenliste einfach veröffentlichen. Niemand käme auf die Idee, diese als Geheimbund zu bezeichnen. Es kann auch jeder über sich selbst sagen: Ich bin Freimaurer. Verpönt ist nur, dass jemand einen anderen Freimaurer preisgibt.

Manche Menschen interpretieren in unseren Bund auch viel hinein, weil die Freimaurer eben keine gemeinsame Mission haben, die sie vorantreiben. Es geht uns um eine bessere Welt, aber wie die aussieht und was er dafür machen will, bestimmt jeder Freimaurer für sich selbst. Das ist ganz wichtig. Wir haben kein verbindliches Dogma, außer die Humanität, das ist uns wichtig.

SN: Sind Sie müde, das immer wieder zu erklären? Auch Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache glaubte offenbar, dass die Freimaurer ihn in die Ibiza-Falle gelockt hatten.

Das hat mich in der Tat verwundert. Es ist eine Skizze aufgetaucht, auf der Strache die Freimaurer, die Israelitische Kultusgemeinde und „radikale Kreise der ÖVP“ als Drahtzieher des Ibiza-Videos aufgelistet hat. Das ist doch absurd. Aber müde werde ich nicht dagegenzureden. Was wäre die Alternative? Ich kann und will mir meine Gedanken nicht abgewöhnen.

SN: Sehen Sie die Freimaurerei in dieser aufgeheizten Coronastimmung in Gefahr? Sie war früher verboten.

Ja, wir feiern gerade die Jubiläen der Zweiten Republik. Und in der Nazizeit war es tatsächlich gefährlich, ein Freimaurer zu sein. Viele kamen in die Konzentrationslager. Gemessen daran, leben wir als Organisation heute natürlich in sehr entspannten Zeiten, auch wenn ein ehemaliger Vizekanzler in seinem stillen Kämmerlein den Unsinn sucht.

SN: Die Freimaurerei hat die Selbstfindung im Zentrum ihres Bestehens. Welche Ratschläge haben Sie für Menschen, die jetzt vielleicht mehr Zeit mit sich selbst verbringen und während der Krise mehr Zeit für die Selbstreflexion haben?

Die Freimaurerei bietet dafür viele Impulse. Denn die Selbstreflexion lebt ja nicht davon, dass man sich still hinsetzt. Es braucht Anreize für Denkprozesse. Die jungen Mitglieder, die zu uns kommen, lernen damit umzugehen. Schon vor der Aufnahme stellen wir sehr persönliche Fragen an sie, die sie beantworten müssen. Sie sind dann sehr neugierig, ob sie richtig geantwortet haben. Erst später merken sie, dass die Antworten für uns weder richtig noch falsch sein können. Es geht schlicht darum, sich selbst die Antwort zu geben. So funktioniert die Freimaurerei. Das geht weiter mit der Aufgabe: Sage uns eine Eigenschaft von dir, die dich ausmacht, eine Eigenschaft, von der man wissen sollte, wenn man dich kennenlernt.

SN: Gar nicht so einfach …

Viele tun sich schwer damit, weil sie glauben, das Richtige sagen zu müssen. Aber wieder geht es nicht um die Antwort, sondern um die Frage, die man an sich selbst richtet. Das kann man schon als Tipp verstehen für Phasen, in denen man viel Zeit hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Lehren der Freimaurerei sind nicht umsonst seit Jahrhunderten unverändert und haben psychotherapeutische Ansätze – auch wenn wir kein The- rapieseminar sind.

SN: Die Freimaurerei hat auch die gesellschaftliche Balance im Blick. Inwiefern ist sie derzeit in Gefahr?

Die mittel- und langfristigen Folgen der Pandemie sind sicher noch nicht abschätzbar. Aber zwei Dinge müssen auch bei der Folgenbekämpfung dieser Pandemie berücksichtigt werden. Das ist einerseits der soziale Ausgleich und andererseits eine funktionierende Wirtschaft. Das sind natürlich alles Themen, die uns in den nächsten Monaten und Jahren beschäftigen werden. Aber vielleicht grundsätzlich, zum besseren Verständnis: Die Frei- maurerei ist keine Organisation, die in die Politik oder die Gesellschaft hineinwirken will, sondern es geht um den Einzelnen, der seine Impulse aus den Gesprächen mit den anderen Mitgliedern zieht, und jeder wird das wiederum in die Gesellschaft hineintragen. Also es wird nicht so sein, dass es – zugespitzt gesagt – ein Pandemiehandbuch der Freimaurerei geben wird.

SN: Aber Sie beobachten die Gesellschaft. Sehen Sie Toleranz und Menschlichkeit, zwei Grundpfeiler Ihrer Gemeinschaft, gefährdet? Die Debatte wird ja immer härter geführt, die ersten Bruchlinien tun sich auf. Es gibt das Zitat von Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Das wird leider auch hier zum Teil stimmen. Zivilgesellschaft und Politik sind gefordert, diese Entwicklung zu bremsen.

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Besorgniserregend ist, wenn Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt werden. Da haben wir in einem unserer Rituale einen Satz, der lautet: Wir lehnen alles ab, was Menschen gegeneinander aufbringt. Also schon aus diesem Gebot heraus muss ich mich gegen eine mögliche Spaltung der Gesellschaft stellen. Natürlich wird das schwieriger, je schlechter es um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Gesamtsituation steht.

SN: Was müsste die Politik tun, um das abzufedern?

Das ist keine leichte Frage. Es ist natürlich ganz wichtig, dass man gewisse Themen nicht übersieht. Man merkt, dass Lebensbereiche, die von den Realpolitikern nur als Behübschung unserer Gesellschaft verstanden werden, in Wahrheit eben wesentlich mehr sind. Ein Abgeordneter hat zum Beispiel ganz richtig gesagt, die Wirtschaft ist das Herz unserer Gesellschaft und die Kunst ist die Lunge. Und das eine kann ohne das andere nicht existieren, das zeigt sich auch in der Realität. Etwa beim Tourismus, der ja von unserer Kultur lebt und von der Natur.

SN: Der Autor Michael Köhlmeier hat dem widersprochen und sinngemäß gesagt, dass die Kunst nicht nur als Wirtschaftsmotor verstanden werden darf, sondern die Schönheit der Kunst muss für sich selbst stehen dürfen, ohne wirtschaftlichen Benefit.

Was er so schön auf den Punkt bringt, ist ein Freimaurer-Gedanke. Auch wenn er kein Mitglied ist. Denn jedes gelungene Leben hat drei Säulen, auf denen es ruht. Die Vernunft, um zu planen; die Konsequenz, um es auszuführen, und am Ende die Schönheit, ohne die alles nichts ist.

SN: Viele Menschen glauben auch nicht an die Gefährlichkeit des Coronavirus, zweifeln medizinische Forschung an. Ist die Wissenschaft, auf die sich die Freimaurerei auch so oft bezieht, in Gefahr?

Ich sehe die Wissenschaft per se nicht in Gefahr. Wenn die Wissenschaft einen Impfstoff oder ein Medikament präsentieren wird, dann wird man die Wissenschaft wieder höher schätzen. Die aktuelle Kritik lässt sich wohl damit begründen, dass es viele widersprüchliche Aussagen in den Medien gibt, teilweise von Experten, die gar keine sind. Und es gibt ja tatsächlich auch von ernst zu nehmenden Wissenschaftern wenige gesicherte Aussagen, weil das Virus so neu ist. Wenn Sie sich seriöse Experten anhören, dann treffen die teilweise andere Aussagen als noch vor ein paar Wochen. Das ist aber keine Schwäche, sondern ein Fortschritt, weil Forschung nun einmal so funktioniert. Der Fehler war vielleicht, dass eine mediale Erwartungshaltung erzeugt wurde, die unrealistisch war. Die Wissenschafter haben uns ja ihre Erkenntnisse nicht verschwiegen, sondern haben neue hinzubekommen.

SN: Wie gehen Sie in Ihrer Organisation mit der Coronasituation um? Funktioniert die Logenarbeit der Freimaurer überhaupt mit sozialer Distanz?

Die Logenarbeit funktioniert nicht, aber es wird privat Kontakt gehalten. Mit Videokonferenzen etwa. Wir haben sehr strenge Vorschriften festgelegt, strenger als wir müssten, weil wir ja ein privater Verein sind und keine öffentlichen Versammlungen abhalten. Trotzdem haben wir das so streng gehandhabt. Weil die Mitgliedschaft bei uns für ein Leben lang angelegt ist, sind viele Mitglieder naturgemäß in einem fortgeschrittenen Alter. Deshalb geht es um eine Risikoabwägung. Und ich will nicht sagen: Die Jungen dürfen sich treffen und die Alten nicht. Das würde zu einer Spaltung führen, das gilt meiner Meinung nach auch für die Gesellschaft.

SN: Was muss die Gesellschaft aus so einer Mammutaufgabe wie der Coronapandemie lernen?

Bei allem Streben nach Internationalität wurde klar, dass man global denken und lokal agieren muss. Die Selbsterhaltungfähigkeit einer Volkswirtschaft und einer Gesellschaft muss auch in Zeiten der Globalisierung erhalten bleiben. Das gilt auch für die Medikamentenversorgung. Am Ende geht es ja nicht um die zehn Cent weniger Produk- tionskosten im Ausland, am Ende geht es ums Überleben.

Was mir gut gefällt, ist, dass in der Coronakrise die Familie und der enge Freundeskreis wieder an Bedeutung gewonnen haben. Es helfen dir nicht hundert Bekannte in der Krise, sondern vielleicht fünf gute Freunde, um die man sich kümmert und die sich um einen kümmern. Auch das ist ein freimaurerischer Gedanke.

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