Drei Ringe

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Drei Ringe

Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)

Die durch den Freimaurer Lessing in ewig klassische Form gekleidete Ringerzählung im Nathan geht auf uralte, wahrscheinlich jüdische Vorbilder zurück. Besonders im Orient hat sich durch Jahrhunderte hindurch die Erinnerung an religiöse Disputationen erhalten, in denen der gegenseitige Wert der verschiedenen Religionen abgewogen wurde. (Philo von Alexandrien gegen Apion und Isidorua vor dem Kaiser Caligulas die Disputation vor dem Chagan der Chazaren, Bulan, die als Ergebnis den Übertritt des ganzen ugarisch-finnischen Stammes zum Judentume hatte, die Disputationen des Jesuitenpaters Xavier mit Mullahs und Shintopriestern in Indien und Japan u. v. a. m.)

Decamerone

In der Disputation vor dem Chazarenfürsten ist bereits von zwei Ringen die Rede. In erweiterter Form findet sich die Ringerzählung in der etwa 1342 handschriftlich festgehaltenen Sammlung Gesta Romanorum. Ungefähr um die gleiche Zeit erscheint sie in der Novellensammlung Ciento Novelle antiche, die im Toskanischen herauskam. Hier (78. Erzählung) sind die handelnden Personen bereits der Sultan und der Jude, beide ohne Namen. Von hieraus hat sie Giovanni di Boccaccio übernommen (1313-137S), bei dem sie als dritte des ersten Tages im Decamerone zu finden ist.

Melchisedek

Der Sultan heißt hier Saladin, der geizige Jude, der sich schlau aus der Situation zu retten weiß, Melchisedek. Hans Sachs, der die übersetzung des Boccaccio von Steinhöwel (gestorben 1482) kannte, hat sie in einem Meistergesang "der Jued mit den dreyen Ringen" schlecht und recht in Reime gebracht.

Ein Jahrhundert später erscheint der gleiche Stoff in dem tragischen Buche Schebet Jehuda, Zuchtrute Judas, ein Buch, das von drei Generationen jüdischer Autorens Juda, Salomo und Joseph ibn Verga verfaßt wurde, eine Art Trostbüchlein für die von der Inquisition hart bedrängten Juden und Marannen (jüdischen Scheinchisten)- Der König heißt dort Pedro von Aragonien, der Jude Ephraim. Der Disput geht nur zwischen Juden und Christen, daher ist auch nur von zwei Ringen die Rede.

Mittelalterliche Literatur der Reformationszeit

Gleiche Gedankengänge finden sich in der mittelalterlichen Literatur der Reformationszeit, wo die Disputanten Martinus (Luther), Petrus (der Katholik) und Johannes (der Kalviner) heißen. In ätzendem Spotte hat Jonathan Swift diese Gegenüberstellung der drei (christlichen) Religionen in "Tale of a Tub" (die Geschichte von der Tonne) aufgegriffen. Die drei Söhne heißen hier: Peter (der Katholik) Martin (Luther) und Jack (John Calvin). Auch Lichtwer hat sich in einer kleinen Fabel dem gleichen Stoffe zugewendet.

Lessing auf seiner "alten Kanzel"

Lessing hat mitten in seinen heißen Kämpfen um den Nachlaß des Reimarus, seinem Widersacher, dem Hauptpastor Göze, die Waffen zu entwinden versucht, indem er, wie er an Else Reimaurus am 6. September 1778 schreibt, "seine alte Kanzel, das Theater" bestieg. In einem Briefe an seinen Bruder KarlI kündigt er das neue Drama an

"Ich habe vor vielen Jahren einmal ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine Art Analogie mit meinen gegenwartigen Streitigkeiten hat, die ich mir damals nicht träumen ließ.
Ich möchte zwar nicht, daß der Inhalt meines Stückes allzufrüh bekannt wurde aber wenn Du oder Moses ihn wissen wollt, so schlägt das Decamerone des Boccaccio auf: Giornatar, Melchisedek, Giudeo".

Die Parabel von den drei Ringen ist der Kern der Nathanfabel. Bis in die letzte Zeit von verschiedensten Seiten mißverstanden und daher angefeindet, ist der Sinn der Fabel nicht in einer Herabsetzung des Christentums noch in einer Verherrlichung des jüdischen Glaubens zu suchen, sondern in jenen mit den deistischen Gedankengängen so nahe verwandten Worten der alten freimaurerischen Grundidee von jener Religion, in der alle Menschen übereinstimmen (in which all men agree). Der Sinn der Parabel liegt in der Überbauung des religiösen Gedankens durch die allgemeine verbindende Ethik. Die allen sittlich vollwertigen Menschen gemeinsame Sittlichkeit hüllt sich in das Kleid der verschiedenen Religionen. Das Erkennen des Wertes liegt in den Früchten, nicht in ihren Erscheinungsformen.

Bestandstück des Freimaurertums

Begreiflicherweise hat diese innere Verwandtschaft der Fabel mit einem der Grundgesetze der Freimaurerei aus ihr ein Bestandstück des Freimaurertums auch unserer Zeit geschaffen. Zahlreiche Logen und eine Großloge führen das Symbol der "Drei Ringe" als Zeichen einer über das Trennende der Glaubensbekenntnisse hinaus wollenden Toleranz die, weit entfernt von Indifferenz, überall das Gute zu finden erwartet. Die Kraft des Steins an den Tag zu legen bleibt der fortschreitenden Menschheit überlassen, die dereinst vor einem weiseren Richter bestehen soll.

Kuno Fischer hat hier den feinen Vergleich vom Schatze im Weinberg angeführt: die Söhne suchen den Schatz, finden aber ihren Lohn nicht in den vergrabenen Schatzen, sondern in der guten Ernte, der Frucht ihrer Arbeit. Um dieser Parabel willen ist Lessings Nathan neben der Zauberflöte, deren Sarastro nicht dem Worte, wohl aber dem Gedanken nach ein geistiger Bruder Nathans ist, das dramatische Spiel der Freimaurerei geworden. Es gehört zu den schönsten Einrichtungen der deutschsprachigen Freimaurerei, hohen Festtagen dadurch die besondere Weihe zu geben, daß die Parabel von den drei Ringen zu der im Geiste Lessings versammelten Gemeinde spricht.