Georg Semler: Reflexionen über Bruder Jörg Mauthe

From Freimaurer-Wiki
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Jörg Mauthe (* 11. Mai 1924 in Wien; † 29. Jänner 1986 ebenda) war ein österreichischer Journalist, Schriftsteller und Kulturpolitiker. Im Laufe seines 28 Jahre währenden Freimaurerlebens war er Mitglied der Wiener Logen ‘Lessing’, ‘Libertas’ und dann vor allem der Loge ‘Libertas Gemina’.
Georg Semler stellte dem Freimaurer-Wiki diesen Text 2024 zur Verfügung. In diesem Jahr war er seit zehn Jahren der mehrmals wiedergewählte Großmeister der „Großloge von Österreich“.

Im Namen des Freimaurer-Wikis bedankt sich Rudi Rabe für diese interessanten persönlichen Reflexionen eines Freimaurers über einen unvergessenen masonischen Vorfahren.


Jörg Mauthe, der Bruder Freimaurer

Georg Semler im Dialog mit Jörg Mauthe

Vorweg: Ich habe Jörg Mauthe nicht mehr persönlich kennengelernt, weder als Bruder noch außerhalb der Freimaurerei. Worüber ich im Folgenden schreibe, ist das Bild Jörg Mauthes, das ich mir aus eigenem Erleben von Teilen der damaligen Zeit, aus Gesprächen mit Brüdern, die ihn kannten, und aus den Spuren gemacht habe, die er in seinem Schaffen hinterlassen hat. Bitte verstehen Sie daher den folgenden Text nicht im Sinne eines „So war der Freimaurer Jörg Mauthe“, sondern als Ergebnis meines Nachdenkens über ihn als Freimaurer, als Literat und als Mensch.

🌿 Das Gespenst

Es war eine gespenstische Szene, die dem österreichischen Fernsehpublikum da im Februar 1986 geboten wurde: In der abgedunkelten, schummrigen Kulisse der damals beliebten Talksendung „Café Central“ im Wiener Palais Ferstel hatten an einem Kaffeehaustisch zwei Männer Platz genommen. Publikum war keines zugegen. Dem zu dieser Zeit wohlbekannten ORF-Programmintendanten Ernst Wolfram Marboe saß ein kahlköpfiger Herr gegenüber, der sich eine Zigarette nach der anderen anzündete. Erst beim zweiten Hinschauen war er erkennbar: Jörg Mauthe! „In einer bisschen veränderten Form …“ wie Marboe angesichts der Folgen der Chemotherapie anmerkte. „Du meinst meine Glatze“ antwortete Mauthe, „sag’ma’s halt offen: Ich werd‘ demnächst sterben.“ Das Ende Oktober 1985 aufgezeichnete letzte Gespräch war dazu bestimmt, erst nach Mauthes Tod ausgestrahlt zu werden. Es geriet zu einer Tour d’Horizon des Denkers, Publizisten und ÖVP-Politikers über sein Leben, seine Vergangenheit, seine Visionen für die Zukunft. Nach knapp 50 Minuten, in denen die Rede auf den damaligen Wiener SPÖ-Bürgermeister, ehemaligen Freund und mittlerweile Rivalen Mauthes, Helmut Zilk („Ceausescu von Wien“, Originalton Mauthe) gekommen war, warf Marboe ein:

„Er ist auch, wie wir von ihm selbst wissen, Freimaurer so wie du.“
Darauf Mauthe, etwas grantig:
„Das ist eine andere Art von Freimaurerei oder Freimaurer, vielleicht!
Marboe: Ja aber immerhin!
Mauthe: Ja immerhin! Es gibt solche CVer und solche CVer, nicht?
Marboe: Das ist richtig, das kann ich auch genau beurteilen.“

Das Mitglied des katholischen ÖCV Ernst Wolfram Marboe bohrte nun nach, und das daraus entstandene Geplänkel ist es wert, hier in gestraffter Form wiedergegeben zu werden.

„Marboe: Können nicht solche Dinge wie die Freimaurerei, von der man sagt, dass sie das Brüderliche besonders betont und den Frieden und vieles andere, können solche Vereinigungen nicht dazu dienen, dass das politische Klima in diesem Land - ohne dass es damit zu einer anderen Korruption kommt – sich verbessert?
Mauthe: Ich weiß nicht, da haben wir wohl völlig verschiedene Begriffe von der Sache. Ich bin Freimaurer, hab‘s auch nie geleugnet – warum auch? Aber da gibt’s verschiedene Ebenen und verschiedene Blickpunkte. Auf der einen Seite das Gedankengut der Freimaurerei, eine Art Denkschule oder Lebensschule wie viele andere auch. Und dann gibt’s halt die Organisation - die muss nicht immer stimmen und muss nicht immer klappen. Im Augenblick machen wie alle Organisationen auch die Logen offenbar eine Krise durch, suchen nach neuen Selbstverständnissen und dergleichen Dinge mehr. Aber das hat nun überhaupt nichts mit den Ideen zu tun, den Gedanken der Freimaurerei, die sich auf das Individuum richten, auf den Einzelnen. Und sicherlich hat mich die Loge oder das, was dahintersteckt, das geistige Gebäude, sehr geformt.
Marboe: Das kommt auch aus deinen Schriften heraus, nämlich Maria- Theresianismus, Josephinismus, das zieht sich ein bissl durch …
Mauthe: Was hat das damit zu tun?
Marboe: Naja, die Berater der Maria Theresia und auch ihr Mann waren doch Freimaurer.
Mauthe: Ja, aber das wusste sie nicht, zumindest hat sie‘s nicht gern gehabt!
Marboe: Fühlt man sich als Freimaurer verfolgt?
Mauthe: Nein. Ich hab‘ mich nicht verfolgt gefühlt. Aber die Geschichte der Freimaurerei ist natürlich eine Geschichte der Verfolgung, im Rückblick gesehen. Im demokratischen Staatswesen pflegt die Freimaurerei im Allgemeinen eher zu gedeihen und zu blühen, was sie im Augenblick sicher nicht tut. Noch einmal: Das ist halt die Krise, die alle Institutionen erfasst hat, es gibt da kaum eine Institution – ganz wurscht ob das jetzt Gewerkschaft, oder die Parteien oder die Kammern oder die Familie oder was immer ist, das sich nicht in einer Art Krise befände.
Marboe: Würdest du sagen, dass die Freimaurerei für Österreich heutzutage etwas Positives tut? 
Mauthe: Das kann man so direkt nicht sagen. Das ist so, wie wenn du fragen würdest, ob die Philosophische Fakultät etwas Positives tut. ... Sicher ist, dass so Ende der 60er bis etwa Mitte der 70er Jahre die Freimaurerei ein Kristallisationspunkt von Intelligenz, von Intellektualität, von Künstlerhaftigkeit und dergleichen mehr gewesen ist, und dass damals wahrscheinlich sehr viel von ihr ausgestrahlt ist. Sie hat da eine ganz gute Phase gehabt, eine Hochblüte, fast so wie um 1780 herum, wo die berühmte Loge ‚Zur wahren Eintracht‘ mit Mozart und Haydn und wie sie alle geheißen haben, auch die damalige Spiritualität Wiens versammelt hat. Solche Höhepunkte sind Bestandteil der Geschichte der Organisation, und ich sag noch einmal: Man muss die Organisation schon ein bissl vom Einzelnen auseinanderhalten, es ist nicht alles von Dauer, das geht halt einmal hinauf und hinunter, nicht?“

Damit blieb die Freimaurerei als abgeschlossenes Thema des sterbenden Mauthe wie ein Gespenst im Raum hängen. Was die Allgemeinheit wohl damit anzufangen wusste?

🌿 Der Schwierige

Vielen Brüdern Freimaurer galt er als „schwierig“. Das muss nun nicht immer etwas Negatives sein, denn ein Individualist von kritischem Geist und übersprudelnder Kreativität wird wohl zwangsläufig jenen als anstrengend erscheinen, die harmonische Stille um jeden Preis der Mühsal der Diskussion und dem Risiko der Veränderung vorziehen. Noch mehr als 20 Jahre nach Mauthes Tod sprach sich ein alter Freimaurer und pensionierter Beamter gegen die Aufnahme eines ideenreichen und eloquenten Wiener Publizisten in den Bund mit den Worten aus „Ich bin sehr beeindruckt von ihm, aber wir wollen keinen neuen Mauthe!“ Derart wirkte also der „vollendete“ Jörg Mauthe bei einzelnen Brüdern nach - so oder so.

Bereits in nackten Daten und Fakten ist Jörg Mauthes masonische, also freimaurerische Karriere beeindruckend. Sie ist öffentlich einsehbar, bzw. in Günter K. Kodeks Werk „Die Kette der Herzen bleibt geschlossen. Mitglieder der österreichischen Freimaurer-Logen 1945-1985“ nachzulesen. 1958 mit knapp 34 Jahren in die traditionsreiche Wiener Loge „Lessing zu den drei Ringen“ aufgenommen, gründete er 1960 gemeinsam mit anderen die Loge „Libertas“, 1965 dann eine weitere mit dem Namen „Libertas Gemina“, und er betätigte sich auch im „Royal Arch“, einem weiterführenden Hochgrad. Das mag nun auf die Öffentlichkeit bestenfalls rätselhaft wirken, hinterlässt aber immerhin den Eindruck eines überaus aktiven Freimaurers.

Der rebellische Journalist und Kulturaktivist Jörg Mauthe war darauf bedacht, diesen Bruderbund von Individualisten der Banalität eines simplen Klüngelvereins oder der in seinen Augen drohenden inhaltlichen Erstarrung zu entreißen - daher auch die mehrmaligen Neugründungen unter seiner Ägide. Das mag den Eindruck eines Revolutionärs erwecken, der wider den eigenen Stachel löckt oder gar alles Altherbrachte umstoßen will. Das war aber nur die eine Seite an ihm.

Seine Brüder erinnern sich an einen konservativen Freimaurer, der die maurerische Tradition und ihre Werte hochhielt und peinlich genau auf die Einhaltung des Rituals achtete, das für die Arbeit in der Loge unerlässlich ist. Wer die Grundsätze der Freimaurerei vernachlässigte, fand vor Mauthes Augen keine Gnade, war er im „profanen“ Leben auch eine noch so hochgestellte Persönlichkeit. Was die einen als Prinzipientreue hochpriesen, sahen andere eher als Sturheit. Auch neigte Mauthe dazu, mit seinen engeren Weggefährten, die seine Meinungen und Ansichten teilten, eine Gruppe zu bilden, von der sich manche ausgeschlossen fühlten. Er war auch hier, wie im Beruf ein echter Aktivist. Zu den Tolerantesten zählte er nicht, dafür galt er als dynamisches Zugpferd neuer Entwicklungen. Bei alledem hatte er kein düsteres Wesen, das so manchem kompromisslosen Schulmeistern eignet. Ganz im Gegenteil machten Mauthes Humor und die Fähigkeit über sich selbst zu lachen einen guten Teil seines Charmes und seines Charismas aus. An seiner legendären satirischen Sendung „Der Watschenmann“ waren vor allem dann in der zweiten Phase von 1967 bis 1974 etliche Brüder beteiligt, ja manche sprachen gar von einem freimaurerischen Ventil. Wussten oder ahnten diejenigen Kräfte, welche die freche Sendung beim ORF zweimal (besonders brachial im Jahr 1956) abdrehten, von diesem Ventil, oder war die Humorlosigkeit der Obrigkeit doch eher der ganz allgemein herrschenden bleiernen Erstarrung jener rot-schwarzen Proporzjahre geschuldet? Immerhin konnte Mauthe beim „Kurier“ weitermachen und den Watschenmann in schriftlicher Form weiterleben lassen.

Vor allem in der Loge „Libertas“ fand Jörg Mauthe in den 60er Jahren eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Journalismus, mit denen er kommunizierte, sich verbündete oder stritt – ein ideales Aquarium für kleine und große Fische dieser an intellektuellen Aufbrüchen so reichen Zeit in Österreich. Einige davon nahm er dann in die „Libertas Gemina“ mit. Bei den jeweils „zurückgelassenen“ Brüdern blieb ein süß-saurer Nachgeschmack, den so viele große Schwierige verursachen, wenn sie denn einen Teil ihrer Vergangenheit wie Raketenstufen abkoppeln und die darin verbleibenden Menschen häufig aus ihrem Gesichtskreis entschwinden lassen.

Dennoch blieb er zeitlebens ihnen allen ein Bruder.  

🌿 Kein Brauneis

Wie bei jedem Künstler oder Literaten, der sich als Freimaurer entpuppt, wird gerne die Frage gestellt, in welcher Form sich diese Tatsache in seinem Werk widerspiegelt. Da die Freimaurerei - wie Mauthe selbst sagte - sich vor allem an den einzelnen richtet, der anstelle nach außen mit seiner Mitgliedschaft anzugeben oder gar andere zu bekritteln an sich selbst arbeiten sollte, ist das natürlich nicht immer leicht zu beantworten. Denn welcher Gedanke entsteht schon im Zusammenhang mit der Freimaurerei und welcher nicht?

In Jörg Mauthes Werken finden sich für jene, die ihn persönlich kannten wie für andere Wissende einige Züge jenes Humanismus, den die Freimaurerei stolz und selbstbewusst für sich beansprucht. Dennoch sollte man sich vor einem überbordenden Symbolismus hüten. Nicht jede geheimnisvolle Sentenz, nicht jede kryptische Äußerung hat etwas mit den Freimaurern zu tun. Eine große Ausnahme in Mauthes Oevre bildet hier der 1974 erschienen Roman Die große Hitze oder Die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi.

Denn als das offizielle Österreich nach Mitteln gegen die darin beschriebene Hitzewelle sucht und das Interministerielle Komitee bei dem geheimnisvollen Zentrum von Zwergen anklopft, die sich als Hüter unterirdischen Wassers herausstellen, da kommen deutliche Assoziationen zur damaligen Freimaurerei hierzulande auf, respektive zu ihrem Ruf: Eine Gruppe undurchsichtiger Personen agiert unterirdisch (= unter der Haut der Gesellschaft) und verfügt über spezielles Wissen, das gegebenenfalls zur Rettung Österreichs eingesetzt werden kann; natürlich nur dann, wenn die Zwerge das wollen, da geht es „ums Prinzip“. Einen Teil ihrer Macht beziehen sie aus ihrer Unauffälligkeit. So fällt Legationsrat Tuzzi aus allen Wolken, als sich am Ende ausgerechnet der unscheinbare Amtsgehilfe Brauneis als Chef-Zwerg „Braons“ entpuppt, der allerdings in der Oberwelt als Bürodiener in der Hierarchie eine vollkommen untergeordnete Rolle einnimmt. „‘Der Kuckuck soll mich holen‘, sagt Tuzzi verblüfft, ‘wenn Sie nicht der Herr Brauneis aus dem Interministeriellen sind!‘“

Vordergründig eine Polit-Beamten- und Bürokratiesatire, scheint es doch auch als eine Metapher der Freimaurerei jener Zeit in Österreich gedacht gewesen zu sein: Nicht die großen Politiker, Präsidenten, Kanzler und Minister sind dort anzutreffen, sondern die Brauneise dieser Welt, die im Verborgenen arbeiten, unbeirrt vom Lärm der Gesellschaft. Dieses Bild zeigte allerdings schon damals nur einen Teil der Wahrheit.

Jörg Mauthe hat seine Mitgliedschaft im Bund nicht verschwiegen, aber er hat auch nie damit aufgetrumpft, hat sich der Öffentlichkeit nicht aufgedrängt. Was hätte er darüber auch erzählen sollen, das über die Anfangssequenz des Gesprächs mit E.W. Marboe hinausginge? Intern war er dagegen höchst aktiv, er hielt glänzende „Baustücke“, das heißt Reden in diversen Logen. Dabei erwies er sich nicht nur als Polyhistor, sondern erfühlte vieles, was anderen Zeitgenossen erst lange nach seinem Tod auf- und einfiel. Er war kein Brauneis, der sich nach außen hin als etwas tarnt, was er nicht ist, aber auch kein mediengeiler „Paradefreimaurer“. Und mag er auch seine eitlen Seiten gehabt haben, dann lebte er sie als Schaffender, der Anerkennung sucht, indes nicht als Freimaurer in der Welt.

Seine letzte masonische Äußerung nach außen erschien postum im „Wiener Journal“ und dann in seinem Buch „Demnächst“, als er einen seiner offenen Abschiedsbriefe an den damaligen Großmeister Alexander Giese richtete und ihn darin in großer Bitterkeit bat, seinem Begräbnis fernzubleiben. Zu groß waren sowohl der menschliche als auch der freimaurerische Gegensatz zwischen Mauthe und Giese - auch er ein großer Denker, Journalist und Schriftsteller - geworden.

Glücklich der Bund, in dem solche Persönlichkeiten gedeihen, wenn sie auch ihre Streitigkeiten austragen! Bei allen persönlichen Vorwürfen endete sogar dieser Brief Mauthes an Giese mit der Floskel „mit brüderlichen Grüßen“.

Dann verließ er die Steinbrücke des Lebens. In der Erinnerung seiner Brüder lebt er als großer Freimaurer fort.


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