Interview: Was hinter den Verschwörungstheorien über die Freimaurer steckt
Ein Interview im SONNTAGSBLATT der ELKB mit Matthias Pöhlmann, dem Sektenbeauftragten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Interviewer: Oliver Marquart.
Für das Freimaurer-Wiki dankt Rudi Rabe Herrn Oliver Marquart und dem ‚Sonntagsblatt‘ für die Genehmigung, dass wir diesen Text vom 29. Juli 2023 übernehmen dürfen.
Vor 50 Jahren, 1973, fanden die Tutzinger Gespräche zwischen der Freimaurerei und der Evangelischen Kirche statt. Dazu kamen Vertreter der Vereinigten Großlogen von Deutschland sowie der EKD am Starnberger See zusammen. Eine Erkenntnis daraus war unter anderem, dass das Freimaurertum sich nicht als Religionsgemeinschaft versteht, die mit den christlichen Konfessionen oder anderen Religionen in Konkurrenz treten will.
Und heute? Wir haben mit dem Sektenbeauftragten der Landeskirche, Matthias Pöhlmann, darüber gesprochen, wie das Verhältnis zwischen den Logen und der Kirche heute ist, was hinter den Gerüchten um angebliche Verschwörungen steckt und wie die Gemeinschaft verschwiegener Männer eigentlich ist.
Oliver Marquart: Viele kennen die Freimaurer vor allem aus Verschwörungserzählungen. Wo liegt der wahre Ursprung?
Matthias Pöhlmann: Der Beginn der organisierten Freimaurerei liegt im Jahr 1717, als sich mehrere einzelne Logen in London zu einer englischen Großloge zusammenschlossen. Dieses Jahr wird oft als legendäres Gründungsjahr der Freimaurerei genannt. Es gibt jedoch in der Forschung auch andere Datierungen, die behaupten, dass die Entstehung etwas früher oder auch etwas später stattgefunden haben könnte. Leider fehlen dafür die Dokumente.
Man kann jedoch sehen, dass zumindest die mittelalterlichen sogenannten Steinmetz-Bruderschaften Pate gestanden haben für die Freimaurer. Die Symbolik und die Rituale entstammen dieser Welt der Steinmetz-Bruderschaften. Es handelte sich dabei um äußerst kundige Baumeister, die nicht den örtlichen Zunftrechten unterlagen, sondern überregional tätig waren und spezielle Baukenntnisse für die Errichtung von Kathedralen besaßen. Sie bewarben sich dann auch bei entsprechenden Bauhütten und mussten ihr Bauwissen zum Schutz durch ein Passwort und spezielle Griffe ausweisen. Sie unterschieden sich von herkömmlichen Maurern, die grobkörnige Steine bearbeiteten, da ihre spezielle Aufgabe darin bestand, den Kunststein für Kathedralen zu bearbeiten. Dafür benötigten sie spezielles Wissen und Kunstfertigkeit. Um diese Berufsgeheimnisse zu schützen, griff man zu Mitteln, die sicherstellten, dass Unbefugte nicht einfach an diese Kenntnisse gelangen konnten, indem sie zum Beispiel unbemerkt lauschten und das Wissen weitergaben.
Welche Symbole stammen von diesen Bruderschaften?
Wenn es zum Beispiel heißt, dass ein Freimaurer-Bruder eine Zeichnung anfertigt, bedeutet dies, dass er einen Vortrag in der Loge halten muss oder eine Aufgabe vom Meister des Stuhls, also dem Vorsitzenden einer Loge, erhält. In den Logen gibt es verschiedene Ämter und auch Symbole aus dieser Zeit der Steinmetz-Bruderschaften, wie etwa den rechten Winkel, den Zirkel oder das Senkblei.
Wie verlief der Übergang?
Mit der Zeit entwickelte sich aus den "operativen" Maurern eine "spekulative", symbolische Form der Freimaurerei. Dabei wurden die Begrifflichkeiten, Rituale und die Symbolik übernommen. In den sogenannten Logen, von "lodge", dem englischen Wort für Bauhütte, waren dann immer mehr nicht-operative Maurer, also symbolische Freimaurer, vertreten. Diese Organisationsform wurde genutzt, um neues Gedankengut im Schutz dieser Logen auszutauschen und zu diskutieren. Der genaue Übergang ist jedoch noch eine Art "Blackbox" und nicht vollständig erforscht.
Und heute?
Heutzutage kann man die Freimaurer als eine ethische Männergemeinschaft in klassischer Form betrachten. Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, an der eigenen Persönlichkeit zu arbeiten und sich zu besseren Männern zu entwickeln. Es fällt auf, dass es die klassische Form einer Männergemeinschaft ist. Gleichzeitig gibt es auch in Deutschland weibliche Freimaurerinnen, allerdings in wesentlich geringerer Zahl, schätzungsweise zwischen 600 und 700 im Vergleich zu den etwa 15.000 männlichen Freimaurern
Die Frauenbünde kamen vermutlich erst später, oder?
So ist es also, und da haben wir im Grunde drei Erscheinungsformen. Wir haben die maskuline Freimaurerei und die Frauenlogen. Als dritte Form gibt es die gemischte Freimaurerei, sehr stark von Frankreich her kommend. Die deutsche Freimaurerei orientiert sich an den Bestimmungen der englischen Großloge. Sie genießt eine besondere Dignität und legt letztendlich auch fest, welche Großloge regulär ist und welche nicht. Um ein Patent zu bekommen, sind bestimmte Kriterien zu erfüllen: Sie muss rechtmäßig sein. Die deutschen Logen orientieren sich an der englischen Großloge.
Wie stellt sich die Freimaurerei in Deutschland dar?
In Deutschland gibt es verschiedene Lehrarten der Freimaurerei, die unter dem Dachverband der Vereinigten Großlogen von Deutschland zusammengefasst sind. Die größte Großloge ist hierzulande die der 'Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland', die humanitär ausgerichtet ist.
Eine weitere Großloge ist der Freimaurerorden, der ein schwedisches System verwendet und einem geistlichen Ritterorden ähnelt. Weitere Großlogen sind die Nationalmutterloge 'Zu den Drei Weltkugeln' sowie die amerikanisch-kanadische die britische Großloge.
Diese verschiedenen Großlogen haben sich auf die Grund-Lehrarten Lehrling, Geselle und Meister festgelegt, wobei manche Logen zusätzliche Erkenntnisstufen anbieten. Eine spezielle Form ist die Hochgrad-Freimaurerei, beispielsweise im 'Alten und Angenommenen Schottischen Ritus von Deutschland', der insgesamt 33 Grade umfasst und als Vertiefung oder Weiterführung der Grade Lehrling, Geselle und Meister angesehen wird.
Was verbindet die Freimaurer, welche Werte sind ihnen wichtig?
Der Gedanke von Humanität spielt eine wichtige Rolle in der Freimaurerei. Toleranz, Gleichheit und Brüderlichkeit sind daher die entsprechenden Tugenden der Freimaurer.
Das klingt nach Aufklärung und Französischer Revolution.
Ja, die Entstehung der Freimaurerei war sicherlich eine Reaktion auf den Absolutismus und wurde auch durch Erfahrungen aus den Religionskriegen beeinflusst. Man wollte einen Raum schaffen, in dem aufgrund von konfessionellen Unterschieden keine Kriege mehr ausbrechen. Die Loge sollte ein Ort der Brüderlichkeit und Verständigung sein. Darin sollte weder über Politik noch über Religion gesprochen werden. Gemeint sind genauer Parteipolitik und konfessionelle Streitigkeiten, um keinen Zwist in die Logen zu bringen. Das war der Grundgedanke, der bis heute fortbesteht.
Zu Beginn waren viele Adelige, bis hin zu Königen und Kaisern, eng mit der Freimaurerei verbunden. Besonders in Preußen waren die Kaiser auch Schutzherren der Freimaurerei. Friedrich der Große etwa kam durch Freunde mit der Freimaurerei in Kontakt und zeigte Interesse an neuen Ideen. Obwohl die Freimaurerei aufgeklärt, tolerant und offen für neue Ideen war, wurde sie ausschließlich von Männern dominiert. Die Logen waren männlich geprägt, mit entsprechenden Kostümierungen und Rollen. Dieser Widerspruch begleitete die Freimaurer von Anfang an: Einerseits die Idee der Gleichberechtigung, andererseits mannigfache Hierarchien innerhalb der Logen mit Ämtern und ähnlichem.
Kann man sagen, Freimaurerei war damals ein Trend?
Die Entstehung der Freimaurerei war auch geprägt vom Geist der Aufklärung und einer neuen Mode, in der ein Netzwerk der Freundschaften und Kontakte geschaffen wurde. Dieses Netzwerk und die Begegnung mit Männern, denen man sonst möglicherweise nie begegnet wäre, sind bis heute eine der beworbenen Stärken der Freimaurerei.
Allerdings hat sich im Laufe der Zeit einiges verändert. Die intellektuelle Elite versammelt sich nicht mehr ausschließlich in den Freimaurerlogen, wie oft gefragt wird, ob es heute prominente oder bekannte Freimaurer gibt. Die Liste solcher Personen ist mittlerweile recht dünn, und zu den bekannteren Namen gehörten früher Goethe und andere. Einer der letzten großen Bekannten, den fast keiner mehr kennt, war Karlheinz Böhm, Gründer der Stiftung 'Menschen für Menschen', sowie Holger Börner, der frühere hessische Ministerpräsident. Es gibt auch einen Schauspieler, der bei ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ mitgespielt hat…
... Wolfgang Bahro alias Jo Gerner?
Genau.
Wie ist die öffentliche Wirkung der Freimaurer?
In der Freimaurerei spürt man natürlich den Wandel im gesellschaftlichen Umfeld, besonders im Hinblick auf die Konkurrenzsituation mit Lions und Rotary Clubs, den sogenannten Service Clubs. Auch Freimaurer engagieren sich sozial und setzen sich für gute Zwecke ein, jedoch sind sie eher der stillen Hilfe verpflichtet. Im Gegensatz dazu propagieren Service Clubs, Gutes zu tun und darüber möglichst viel zu sprechen. Dieser Unterschied führt dazu, dass vielen Menschen nicht bekannt ist, dass Freimaurer ebenfalls Sozialprojekte unterstützen.
Während die Freimaurer in der Vergangenheit verfolgt und verboten wurden, vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus, haben sie sich dennoch weiterentwickelt. Heutzutage sind sie in der Gesellschaft geduldet und engagieren sich in sozialen Projekten. Dennoch bewahren sie ein Geheimnis und betonen, dass die Freimaurerei ein persönliches Erlebnis ist.
Die Freimaurerei hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, und heute zeigen sie Interesse an Dialog und Austausch mit der Öffentlichkeit. Die Freimaurer setzen sich für interessante Ziele ein und sind gesprächsbereit. Beispielhaft habe ich bei einer Frankfurter Loge beobachtet, dass sie Immobilien in der Kaiserstraße besitzen und diese vermieten. Obwohl sie keine Gewinne erzielen dürfen, stellen sie die erzielten Erträge der Kirchenmusik zur Verfügung. Dies ist natürlich äußerst positiv und zeigt, dass auch die Freimaurer einen wertvollen Beitrag zum sozialen Engagement leisten.
Apropos: Wie ist denn das Verhältnis der Freimaurer zu den Kirchen?
In Bezug auf die Beziehung zwischen Freimaurerei und verschiedenen Konfessionen gibt es deutliche Unterschiede. Die katholische Kirche hatte von Anfang an Schwierigkeiten mit den Freimaurern. Bis 1917 wurde ein Katholik, der Freimaurer war, exkommuniziert. Dieses strikte Verbot wurde nach neuen Bestimmungen gelockert, aber dennoch hält die Kirche an der Unvereinbarkeit fest. Die Gründe dafür liegen in der Universalität und dem Relativismus, den die Freimaurerei verbreitet, sowie in der Frage nach sakramentalen Handlungen.
Die evangelische Kirche hatte von Anfang an ein entspannteres Verhältnis zur Freimaurerei, da viele der ersten Freimaurer Protestanten waren. Obwohl es in den 1970er Jahren Gespräche zwischen der evangelischen Kirche und der Vereinigten Großlogen von Deutschland gab, um eine Verständigung herbeizuführen, blieben einige Fragen ungeklärt.
In Bezug auf die Religion gibt es innerhalb der Freimaurerei unterschiedliche Ansichten, einige sehen sich als religiös, andere vertreten eine implizite Religiosität, und es gibt auch Atheisten.
Warum halten die Freimaurer eigentlich an der Verschwiegenheit über ihre Treffen und Rituale fest?
In der Freimaurerei ist die Tradition des Geheimnisses ein Mittel, um Vertrauen innerhalb der Loge zu schaffen. Ein Freimaurer darf seinen Bruder nicht verraten, und interne Gespräche sollen in der Loge bleiben. Diese Geheimhaltung dient als ethische Übung und schafft einen geschützten Raum für Austausch, Freundschaft und Vertrauen.
Es ist faszinierend, dass in der Loge keine Titel oder beruflichen Unterschiede zählen – alle sind Brüder auf gleicher Ebene. Einige Freimaurer haben durch diese Gemeinschaft schon interessante Menschen kennengelernt. Zum Beispiel erzählte mir ein Bäckermeister, der einen Vortrag vor Brüdern hielt, dass auch Professoren dabei waren und es für ihn eine große Herausforderung war. In der Loge gibt es keine Hierarchie.
Warum das Geheimnis und die Abschottung notwendig sind, habe ich mich auch gefragt. Es scheint aber auch ein Spiel zu sein, um den Mehrwert zu betonen. In meiner Veröffentlichung beschrieb ich die Rituale, und mancher Freimaurer nahm das mit schwerem Herzen zur Kenntnis. Ein Freimaurer-Meister empfahl die Broschüre den jüngeren Brüdern, aber er machte die Rituale der höheren Grade unzugänglich, um das persönliche Erlebnis nicht zu beeinflussen. Das Erleben spielt in der Freimaurerei eine wichtige Rolle.
Kommen wir zu der Frage, die sich geradezu aufdrängt: Woher kommen die ganzen Verschwörungserzählungen über die Freimaurer? Liegt es nur an ihrer Verschwiegenheit?
Das geht zurück bis zu den Anfängen der ersten Logen, und dabei spielte jemand namens Leo Taxil eine große Rolle. Er war ein Journalist und Freigeist, der zunächst in der Loge war, dann jedoch ausgeschlossen wurde. Danach verbreitete er abenteuerliche Berichte über angebliche satanische Machenschaften der Freimaurerei. Er behauptete, dass Freimaurer Teufelsanbetungen und dergleichen abhalten würden. Taxil heuerte später bei der katholischen Kirche an, um über diese vermeintlich gefährlichen Aktivitäten der Freimaurer aufzuklären. Bei einem großen Kongress präsentierte er seine "Enthüllungen" vor Geistlichen und verbreitete dadurch das Bild von satanischen Umtrieben in der Freimaurerei, bis er öffentlich zugab, dass er "Fake News" verbreitet hatte.
Auch Personen wie Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP, heizten die Stimmung gegen die Freimaurerei an. Es kursieren Unterstellungen und Gerüchte, die von Teufelspakten bis hin zu angeblich gefährlichen, von Freimaurern erbauten Häusern reichen. Solche Vorstellungen zeugen von einem regelrechten Feindbild gegenüber der Freimaurerei, das auf Unwissenheit und Unterstellungen beruht.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Organisationen, die als undurchsichtig oder geheimnisvoll wahrgenommen werden, zum Objekt von Verschwörungstheorien werden. Das trifft nicht nur auf die Freimaurerei, sondern auch auf andere Institutionen wie den Vatikan zu. Aufgrund ihrer Internationalität wurden den Freimaurern auch Einfluss und viel Geld unterstellt, was jedoch nicht den Tatsachen entspricht. Solche falschen Vorstellungen und Verdächtigungen beruhen oft auf einer Mischung aus Unwissenheit und dem Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für komplexe Phänomene.
Wie denken Sie wird es mit der Freimaurerei weitergehen?
Es ist schwierig, eine genaue Prognose abzugeben. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass die Freimaurerei wieder Zuspruch findet. Im Zuge eines weltanschaulich-religiösen Pluralismus scheinen sich Interessierte für diese außerkirchliche Form der Spiritualität zu entscheiden. Die Freimaurerei kann als eine Art Männer-Spiritualität betrachtet werden, bei der das Transzendente eine Rolle spielt. Es ist wichtig, aufzuklären und falschen Unterstellungen entgegenzutreten. Es gibt vielfältige Formen innerhalb der Freimaurerei, von christlichen Freimaurern bis zu solchen, die mit der Kirche Schwierigkeiten haben.
Ich selbst wurde auch schon gefragt, ob ich Freimaurer werden möchte, aber meine Antwort war nein. Ich genieße Streitgespräche über Politik und Religion einfach zu sehr. Ich halte aber gerne Vorträge in Freimaurerlogen, wo ich über Glaubensfragen diskutiere. Es gibt unterschiedliche Ansichten innerhalb der Freimaurerei, einige wünschen sich mehr Öffentlichkeitsarbeit und möchten das freimaurerische Profil stärker nach außen tragen.
Die Freimaurerei bleibt möglicherweise sperrig, da sie im Zuge der Individualisierung einen Kontrapunkt setzt und Verbindlichkeit betont, während sie über Werte diskutiert, die unterschiedlich interpretiert werden können. Die Dialoge mit Freimaurern sind jedoch interessant und bereichernd für beide Seiten. Meine Aufgabe sehe ich darin, auch den Freimaurern das Erbe des christlichen Glaubens zu vermitteln und sie dazu anzuregen, einen Blick auf das Menschenbild des Christentums zu werfen, das ich für realistischer halte als die manchmal zu idealistischen und optimistischen Vorstellungen innerhalb der Freimaurerei. Es gibt ja ein schönes Bonmot von freimaurerischer Seite: Freimaurerei wäre eine tolle Sache, wenn nicht die Brüder wären.