Jens Rusch: Rezension Gerd Scherm „Einmal Leben und zurück“
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Rezension Gerd Scherm „Einmal Leben und zurück“
von Jens Rusch
Die durch eine Pandemie erzwungene Klausur hat bereits viele Künstlerinnen und Künstler angeregt, ihr Leben zu bilanzieren. Kaum ein Beruf ist facettenreicher, doppelschichtiger und voller Turbulenzen und Neuorientierungen. In einer Autobiografie verdichtet sich diese gewaltige Informationsmenge und nicht selten wird dann daraus eine Steilvorlage für Psychotherapeuten. Bei Gerd Scherm wird die Auflistung seines steten Suchens und eines daraus resultierenden immensen literarischen Schaffens ganz sicher zu einer klammheimlichen Selbstbewertung führen. Er schrieb seine Lebensbilanz als sich die eigenen vier Wände in einem Käfig in dem er sich physisch und mental auf sich selbst zurückgeworfen fühlte. Er sagte sich, dass sich ihm möglicherweise, wenn man derartig auf das Innen fixiert wäre, im besten Fall auch eine Tür zum wirklichen Innern öffnen könne. Und so bietet sich dem Leser neben der „Gebrauchsanweisung Künstler“ auch eine Fülle an Selbstreflexionen, die durchaus auch bereits gelesene Bücher des erfolgreichen Schriftstellers in einem helleren Licht erscheinen lassen.
Unsere Schnittmenge beginnt bei den Hausgeburten im gleichen Jahr. 1950 war der Stapelauf-Jahrgang für die 68er, für die Hippies, für die kritisch Aufmüpfigen, nach der diese Republik so dringend verlangte. Wir verrichteten im gleichen Jahr unseren Grundwehrdienst, machten fast parallel einen Drogenentzug durch und suchten einen Ausweg in der Kunst. Aber auch die räumlichen Fluchten vollzogen wir in ganz ähnlichen Zeiträumen. 1976, als Gerd Scherm an der „Earth Healing Ceremony“ am Mount Yanouska in Kanada teilnahm, begann ich, mein Atelier in einer strom- und wasserlosen halbzerfallenen Finca in El Mandem zu improvisieren. Frappierend war für mich beim Lesen dieser Autobiographie, wie oft wir uns hätten begegnen können. In Bottrop beispielsweise, bei Bibi Wintjes. Im Chaos der Redaktionsarbeit zum literarischen Sammelbecken für alternative Literatur „Ulcus Molle“ hätten wir uns bereits die Bruderhände reichen können, ohne zu ahnen, dass wir wieder zu einem ganz ähnlichen Zeitpunkt unabhängig voneinander in den Bruderbund aufgenommen werden würden.
Innerhalb war unser Engagement durchweg von den Vorlieben und Fähigkeiten schaffender Menschen geprägt. Gerd Scherm war richtungweisendes Gründungsmitglied der freimaurerischen Künstlervereinigung „Pegasus“, während ich das „Freimaurer-Wiki“ gründete. Hier kreuzten sich dann erstmals unsere Wege auf der Wasserwaage. Zunächst bei Pegasus, später in der Redaktion des Freimaurer-Wikis. Als erster Chefredakteur lehrte Gerd Scherm uns Enthusiasten, dass nur durch die strikte Berücksichtigung journalistischer Kriterien dieses expandierende enzyklopädische Instrument der Widerstand aus den eigenen Reihen gebrochen werden könne. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar, denn als Watschenmann war ich damals kurz davor, das Projekt aufzugeben, das heute zu den führenden Online-Enzyklopädien weltweit gehört.
Das immense literarische Schaffen kann heute an keinem anderen Ort so detailliert in seiner Fülle dargestellt werden, wie in diesem, unserem gemeinsamen Werk. Das gleiche gilt für die lange Liste verdienter Ehrungen. Und noch eine Kongruenz sollte nicht unerwähnt bleiben: In einem wiederum frappierend naheliegenden Zeitraum mussten wir den ergebnisoffenen Kampf bis aufs Messer mit dem Krebs aufnehmen. Der Schlussstein ist jedoch bei uns Beiden noch immer nicht gesetzt.
Siehe auch
Bezugsadresse
- "Einmal Leben und zurück" gibt es jetzt auch als Ebook: ISBN 978 3 95765 834 0 – EUR 9,99 (DE)
- Erschienen im Verlag p.machinery Michael Haitel
208 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-95765-263-8, 39,90 €