Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Periode IV
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Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Periode IV
Vierte Periode
Quelle: Eugen Pierer, Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858
Seit dem Sturz Napoleons 1815 bis 1830.
Nach dem zweiten Pariser Frieden schienen fast allenthalben für die Freimaurerei gute Aussichten zu sein. Zwar suchte sich hie u. da (z.B. in Frankreich das Misphraimsche System von 90 Graden, das von Ägypten stammen u. über Venedig nach Europa gekommen sein wollte u. in Paris eine Großloge zu bilden versuchte) die alte Systemsucht u. die alte Täuschung zu erneuern, aber nirgends mit sonderlichem Erfolg. Großbritannien schützte die Freimaurerei allenthalben, wohin seine Arme reichten, nur in Irland wurden 1820 die Logen, wahrscheinlich wegen der manchen Unfug verübenden Orangelogen (s.d.), für die F. eine Zeit lang mit den andern geheimen Gesellschaften geschlossen.
In Frankreich wurden statt der bisherigen Großmeister, Joseph Napoleon u. Cambacérès, drei, Macdonald, Beurnonville u. der Graf von Valence, zu Großmeistern ernannt u. die Freimaurerei eifrig fortbetrieben; in Sicilien war die Freimaurerei wenigstens geduldet; in Rußland u. Polen schien sie in dem kaiserlichen Bruder Alexander I., einem eifrigen Freimaurer, der selbst zuweilen Hoflogen mit seiner nähern Umgebung hielt, eine mächtige Stütze zu haben, u. dort wurde 1815 statt der seit 1811 bestehenden großen Directorialloge Wladimir zur Ordnung die Großloge Asträa in Petersburg gestiftet.
In den Niederlanden war der Prinz Friedrich Großmeister der Großloge in Haag; auch in Dänemark u. in der Schweiz blühte die Freimaurerei in vorzüglichem Grade; in Deutschland war die Freimaurerei auf demselben Fuß wie vor dem Krieg; in Preußen nahm die Zahl der Logen bedeutend zu, ob aber der König Friedrich Wilhelm III., wie man neuerdings behauptet hat, wirklich in Paris vom Kaiser Alexander zum Freimaurer aufgenommen worden ist, ist wohl höchst zweifelhaft; in Baiern blieb zwar die Freimaurerei verboten, die Logen in den 1805–15 neuerworbenen Staaten, namentlich in Ansbach, Baireuth, Nürnberg, Regensburg etc., wurden geduldet, nur durften keine neuen errichtet werden u. sämmtliche Beamte mußten einen Revers unterschreiben, wodurch sie sich verpflichteten, keiner Loge anzugehören, auch nicht später Freimaurer werden zu wollen; in Hannover hatte die alte Großloge sich wieder erneuert; die Logen des Königreichs Sachsen waren aber seit 1811, mit Ausnahme zweier Leipziger Logen, welche unabhängig blieben, zur großen Landesloge von Sachsen zusammengetreten; die große Loge in Hamburg u. die des Eklektischen Bundes in Frankfurt a. M., wie die große Loge von Kurhessen.
Isolierte Logen
Mehrere isolierte Logen, blühten, u. nur in Baden, wo der Kurfürst Karl Friedrich die Freimaurerei 1805 wieder hergestellt u. eine große Loge gebildet hatte, die sich an den Großen Orient in Paris anschloß, wurden die Logen durch Verordnung des neuen Großherzogs von 1813 u. 1814 wieder geschlossen. In Österreich, Spanien u. dem größern Theil von Italien blieb dagegen die Freimaurerei untersagt, nicht ohne daß die Freimaurer gehofft hätten, einst wieder überall Genehmigung ihres Strebens zu erhalten. Da störte der Carbonarismus u. die Abirrung der spanischen Logen den gehofften Fortschritt der Freimaurerei u. bewirkte die Sistirung derselben in vielen Ländern.
In Neapel u. dem übrigen Festland von Italien, so wie in Spanien waren nämlich alle Logen, als von den Französischen herrührend, geschlossen worden, dennoch setzten viele Logen ohne Wissen der Regierung, ganz den allgemein anerkannten Grundsätzen der wahren Freimaurerei entgegen, die Arbeit in gesetzlich nicht erlaubten Versammlungen fort, gründeten falsche, niedere u. höhere Grade, mischten Politik ein u. conspirirten gegen den Staat, kurz. verwandelten die echte Freimaurerei in Carbonarismus. So lagen denn viele Elemente des Aufstands, eben weil die Logen nicht überwacht u. offen bestanden, in diesen Afterlogen, u. die Verschwörung des spanischen, nach Amerika bestimmten Corps auf der [689] Insel Leon, u. also die erste Spanische Revolution, soll bes. von solchen falschen Freimaurern ausgegangen sein.
Revolutionen
Als die Neapolitanische Revolution 1821 u. die Spanische 1823 mit Waffengewalt unterdrücktworden war, begann natürlich dort eine harte Verfolgung der Freimaurer. Bes. in Spanien galten Freimaurer u. Negros (Liberale) für gleichbedeutend, u. der politische u. religiöse Fanatismus brauchte erstere Benennung, wenn sie den fanatisirten Pöbel u. die königlichen Freiwilligen gegen irgend ein Individuum anhetzen wollte. Auch in Rußland erging Ende 1822 der kaiserliche Befehl an den Minister des Innern, Graf Kotschubey, die Logen bis auf Weiteres zu schließen u. allen Mitgliedern einen Revers abzufordern, weder in- noch ausländische Logen zu besuchen. Da Kaiser Alexander selbst eifriger Maurer war, so hat man vermuthet, daß die kurz zuvor (1818) aus Rußland vertriebenen Jesuiten in den russischen Logen einen Schlupfwinkel gesucht hätten, um für ihre Gesellschaft thätig zu sein; Andere geben an, daß die Logen auf Anregung Österreichs, noch Andere, daß sie deshalb geschlossen worden wären, weil man schon damals Spuren der, Ende 1825 explodirenden Verschwörung u. dabei Mitglieder von Logen compromittirt gefunden u. deshalb aus Vorsicht jene Maßregel genommen hätte.
Auch in Polen erfolgte 1822 die Schließung der Logen. Nach Mexico war die Freimaurerei während der dortigen Revolution von England aus gekommen, u. der lebhafte Charakter der Mexicaner ergriff dieselbe mit solchem Eifer, daß bald die Logen überfüllt waren. Auch hier spaltete die Systemsucht die Freimaurerei, u. Ecossinos u. Yorkinos bezeichneten die Anhänger der französischen (schottischen) u. altenglischen Maurerei. Bald mischte sich Politik in die Freimaurerei, u. diese Namen wurden Bezeichnungen der beiden politischen Hauptparteien in Mexico, wodurch die Regierung bewogen wurde, die Freimaurerei zu schließen.
In Europa hatte 1830 die Julirevolution in Paris auf die Freimaurerei wenig Einfluß gehabt. In Polen restituirten sich zwar während der Polnischen Insurrection 1830 u. 1831 einige Logen, wurden aber nach deren Unterdrückung wieder geschlossen. Das von den Niederlanden getrennte Belgien bekam eine eigene Großloge in Brüssel, u. in Kurhessen fand sich der Kronprinz Mitregent bewogen, die Großloge in Kassel u. die übrigen kurhessischen Logen zu schließen.
"Israeliten"
Sonst arbeiten die Logen wie früher ruhig fort, wenig Zwiste u. Systemsucht finden mehr Statt, u. außer den Controversen über die in Frankfurt a. M. nur aus Israeliten bestehenden Logen zur aufgehenden Morgenröthe, welche von der höchsten Großloge in London u. der zum Frankfurter Adler, welche von der Großloge von Paris ihre Constitution erhielten, anerkannt, aber von den preußischen Logen u. dem Eklektischen Bunde in Frankfurt a. M., der sich deshalb als Provinzialloge völlig von der englischen Großloge in London trennte, nicht anerkannt wurden, u. über die Zulaßfähigkeit der Juden in der Freimaurerei überhaupt, haben in der letzten Zeit wenig Streitigkeiten der Logen unter sich Statt gefunden. Dagegen wurden Krause, Moßdorf u. Heldmann, weil sie die F. in philosophischer u. historischer Hinsicht nach nichtmaurerischen Quellen bearbeitet beleuchteten u. ihre Schriften in denöffentlichen Buchhandel gaben, um 1820 wegen Verletzung der Verschwiegenheit arg angefeindet u. Erstere sogar ausgeschlossen; was wenigstens an Moßdorf durch ungeforderte Wiederaufnahme gut gemacht worden ist.
Siehe auch
- Eugen Pierer
- Pierer: Freimaurerei Definition
- Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Periode I
- Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Periode II
- Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Periode III
- Pierer: Entstehung der Freimaurerei. Gegenwart
Links
- Pierer's Universal-Lexikon, 4. Auflage 1857–1865, bei Zeno.org http://www.zeno.org/Pierer-1857