Rationalismus
Rationalismus
Quelle: Lennhoff, Posner, Binder
im allgemeinen die Höherwertung des Denkens gegenüber der Erfahrung in der Erkenntnistheorie die Anschauung, daß die wirklichen Erkenntnisse nicht aus der Erfahrung, sondern aus dem reinen Denken fließen, das über die Wahrheit entscheidet. Gegensatz ist der Empirismus (s.d.). Der kritische, aus gleichende Standpunkt sagt, daß die Wirklichkeit, das Sein an sich wohl nicht erkennbar, die Verarbeitung der Erfahrung aber mittels des Denkens obicktiv gültige, wenn auch nicht absolute Erkenntnisse liefern kann.
Kant vertritt den Standpunkt, daß Erkenntnis ausschließlich aus Erfahrung entstehen kann, daß aber die Regeln, die Richtlinien der gedanklichen Verarbeitung überempirisch, im menschlichen Wesen verankert und in diesem Sinne allgemeingültig sind.
Die Zeit der Aufklärung (s. d.) stand unter dem Einfluß des Rationalismus, der als Reaktion gegen die Gefühlsbetontheit des Mittelalters die Vernunft zur Geltung brachte, aber dann seinerseits das rationale Moment übertrieb. In der Theologie ist Rationalismus der Standpunkt, der nur der Vernunft entsprechende Dogmen gelten läßt. In diesem Sinne war der Deismus (s. d.) rationalistisch, eine Art Vernunftreligion. Zur Zeit der Gründung der ersten englischen Großloge stand die öffentliche Meinung in England stark unter dem Einfluß des Rationalismus, es ist daher verständlich, daß auch in der Freimauererei ein rationalistischer Einschlag sich geltend machte.
"Der freimaurerische Gedanke hängt letzten Endes und im tiefsten Gründe mit dem Aufkommen des Rationalismus zusammen, wie alle Großen Philosophen, Dichter und Denker, die unserem Bund angehörten, richtig erkannt haben" (Caspari: "Die Bedeutung der Freimaurerei für das geistige Leben").
Fichte sagt in seiner "Philosophie der Freimaurerei": "Das vernünftige Wesen soll durchaus über die vernunftlose Natur herrschen." Es entspricht vor allem dem Standpunkt des Rationalismus, wenn die Lehre der Freimaurerei das sittliche Postulat und nicht den Glauben in den Vordergrund stellt.
Das wird der Freimaurerei, insbesondere seitens der katholischen Kirche, oft zum Vorwurf gemacht, obwohl, wie Schenkel ("Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte") darlegt, auch bei Jesus das Ethische immer das eigentlich Betonte ist und sich auch bei ihm sehr starke rationalistische Anklänge finden. Die freimaurerische Lehre zeigt, am Maßstab der rein emotionell unterbauten Religionen gemessen, rationalistische Färbung, doch lehnt sie die schroffe Form des Rationalismus ab, zumal "reines Denken" zweifelsohne eine Fiktion ist.
Sie will Vernunft und Gefühl, jede im eigenen Bereiche gelten lassen, schätzt Wissenschaft und Religion gleichermaßen, allerdings mit der Einschränkung, daß letztere sich nicht in Gegensatz zu den positiven Ergebnissen der Forschung stellen, daß aus Glauben niemals Aberglauben entstehen darf. Rational heißt im Sinne der Freimaurerei: den Menschen so nehmen wie er ist, mit allen seinen intellektuellen und emotionellen Bedürfnissen, nicht aber als ein lebloser Schemen auffassen, das ausschließlich aus Vernunft besteht. Der Rationalismus bewahrt die Freimaurerei vor dunklem Mystizismus, doch ist ihr Rationalismus stark von Idealismus durchsetzt.