Rezension: David Taillades: Histoire de la Franc-maconnerie. Des Antients aux Modernes
Rezension: David Taillades: Histoire de la Franc-maçonnerie. Des Antients aux Modernes[Geschichte der Freimaurerei. Von den „Antients“ zu den „Moderns“]
Eine radikal neue Sicht auf die „Antients“. Von Thomas Vindo.
Der Autor eines neuen Werkes zur Geschichte der englischen Freimaurerei des 18. Jahrhunderts ist keinUnbekannter: David Taillades hat während der letzten Jahre über die Ursprünge der Freimaurerei gemäßseiner Analyse der den Old Charges zugrundliegenden Handschriften referiert und publiziert – zuletzt bei der Forschungstagung vom 19. April 2024 im Zusammenhang mit dem 50. Stiftungsfest der österreichischen Forschungsloge Quatuor Coronati -, und sein Beitrag ist auf Deutsch in den Forschungsberichten zum 50. Jahrestag der Deputationsloge QC nachzulesen.1 Seine Forschungen in diesem Bereich sind auch auf Englisch in den Jahrbüchern Ars Quatuor Coronati der englischenForschungsloge Quatuor Coronati, No. 2076 UGLE veröffentlicht.2 Taillades wurde 1971 geboren und von der Universität Lyon-3 diplomiert, ist Freimaurer einer Lyoner Loge mit Emulation-Tradition, und seit 2013 Autor mehrerer maurerischer Werke.
Nun legt der Autor ein weiteres Werk vor, das sich drei wichtigen Perioden der frühen englischen modernen Freimaurerei widmet: der Zeit vor dem Auftreten der Großloge von London, der Schaffung dieser Obödienz und deren ersten Dezennien, und dem Auftreten der Großloge der „Antients“ und deren erster Zeit. Abschließend versucht er Unterschiede im Essentiellen der beiden Strömungenherauszudestillieren, auch wenn bis heute kein authentisches Ritual der „Antients“ bekannt geworden sei.
Taillades geht auch bei seinem neuesten Buch streng-wissenschaftlich, dokumentenbasiert vor und folgt auch jüngeren und älteren Veröffentlichungen, zuletzt v.a. von Andrew Prescott und Susan Mitchell Sommers, welche so manche über viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte tradierte Narrative zur masonischen Frühgeschichte invalidierten – einschließlich des Gründungsjahre 1717 der modernen Freimaurerei und des sogenannten „Schismas“ der „Antients“ von den „Moderns“. Der Autor ist sich bei seiner Arbeit sowohl der systematischen kognitiven Fehleinschätzungen bewusst, die es insbesondere bei masonischen Publikationen zu beachten gilt – und die er aufzählt -, als auch der Tatsache, dass “die Geschichte nie endgültig geschrieben ist“ und regelmäßige Überprüfungen bedarf.
Ähnlich wie in seinen Arbeiten zu den Old Charges postuliert Taillades eine gänzlich neue Sicht auf die frühe englische moderne Freimaurerei. Er führt dazu detaillierte Quellen von und über freimaurerische Vereinigungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in England und Irland an und differenziert „private Logen“ (von einem „Präsidenten“ geleitet) von „allgemeinen Logen“ (von einem „Ehrwürdigen“ geleitet). Letztere sind für die ersten 1720er-Jahre dokumentiert, stellen aber laut Taillades keine „Großloge“ (Obödienz) dar. Auch wiederholt er die Ansicht, dass die „Freimaurerei immer spekulativ“ gewesen sei, und dies nicht erst durch die Mitgliedschaft von nicht-operativen lokalen Notablen oder Aristokraten. Der Autor belegt, dass schon in den frühen 1720er-Jahren ein Konflikt zwischen den „alten“ und den „neuen / modernen“ Freimaurern aufkam, wobei die Letzteren nach den Regeln von John Theophilus Desaguliers (und der „Anderson-Verfassung“) der Großloge von London und Westminster, und die Ersteren u.a. nach der sog. „Roberts-Verfassung“ und „anti-diluvianischen“ Tendenzen arbeiteten.
Schließlich argumentiert der Autor auf Basis von Dokumenten, dass es bei den „Antients“ – wie auch davor – nur zwei freimaurerische Grade gegeben habe, welche seit dem Mittelalter in England in speziellen Versammlungen / Logen an Operative wie Nicht-Operative erteilt wurden: einerseits jemanden „zum Maurer [und Bruder / Compagnon] zu machen“, und anderseits die Meisterschaft - jemanden „to pass Master“ -, welche jedoch nicht den Logenvorsitz bedeutet habe (wofür es die „Installation“ gab), und deren Inhalte bis heute unbekannt sind. Ein Entered Apprentice habe an Versammlungen zwecks Unterweisung teilnehmen dürfen, aber sonst zu schweigen gehabt, und dies mittels eines einfachen Eides, Handschenks und Passworts; Mitglied der Loge und Bruder sei er aber nicht gewesen. Der formelle Lehrlingsgrad der „Moderns“ sei aus einem Teil des Making-of-a-mason-Grades entstanden und deren (auch heutige) Meistergrad nicht aus diesem, sondern habe samt der Hiramslegende schon bei den prä-modernen Logen existiert - nur dass die „Moderns“ dafür die (früher üblichen) drei Lehrlinge durch drei Gesellen ersetzt haben.
Die Hauptthese von Taillades scheint zu sein, dass sich die „Antients“ nicht im Jahre 1751 als eigene Obödienz abspalteten, sondern sich schon seit den frühen 1720er-Jahren Tendenzen widersetzt haben, Charakter, Ritual und Struktur der englischen Freimaurerei massiv zu verändern, und sich erst später – ähnlich den „Moderns“ - organisatorisch als Obödienz strukturierten.
Vom Duktus eher ein extensiver wissenschaftlicher Artikel als ein Buch, enthält die vorliegende Broschüre einige (schwarz-weiß) Abbildungen und einem Index. Lobenswert für eine französische Publikation sind die gänzlichen Wiedergaben der Zitate aus dem Haupttext in den Fußnoten in englischer Originalsprache.
Die vorliegende Publikation fügt sich harmonisch und mit zum Teil neuen und erstmals publizierten Quellen in jene wissenschaftlichen Werke der letzten Jahre und Jahrzehnte ein, in denen über Jahrhunderte wiederholt falsch Wiedergegebenes zurechtgerückt und zu einer neuen, historisch richtigen Geschichte der englischen Freimaurerei beigetragen wird. Es ist zu wünschen, dass Taillades Erkenntnisse bald auch in deutscher und englischer Sprache vorliegen werden.
Referenzen
1 Die Ursprünge der Freimaurerei. Eine Neuinterpretation der historischen Quellen, Wien 2024, SS. 121-152.
2 A New Approach to the Old Charges: Continuum Theory, vol. 133, 2020, SS. 179-212, und A New Approach to the Old Charges. Part II: Beyond the table, vol. 136, 2023, SS. 203-214.
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