Thüringer Freimaurerlogen und ihre Bibliotheken
Inhaltsverzeichnis
Thüringer Freimaurerlogen und ihre Bibliotheken
Artikel von Johannes Mangei
Quelle: Kulthür Online-Journal für Thüringer Kulturgeschichte.
Noch heute wird in der Freimaurerei gelegentlich ein rätselhafter Geheimbund gesehen, der mit Verschwörungstheorien und unzutreffenden Darstellungen aus Hollywood-Filmen in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich handelt es sich um eine friedliche, humanitäre Gesellschaft, die Ideale wie „Mäßigkeit“ und „Barmherzigkeit“ zu ihren Tugenden zählt.
Den Anfang der modernen Freimaurerei markiert der Zusammenschluss von vier englischen Logen im Jahr 1717. In Deutschland wurde im Dezember 1737 in Hamburg durch den Deputierten Großmeister des Königreichs Preußen und des Kurfürstentums Brandenburg die erste Loge gegründet. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden in der Region des heutigen Freistaats Thüringen weitere Freimaurerlogen. In Altenburg, Erfurt, Gotha, Jena, Meiningen, Nordhausen und Weimar wurden sie schon im 18. Jahrhundert eingerichtet; andernorts wie etwa in Eisenach kamen weitere Logen im 19. Jahrhundert dazu. Um 1900 gab es in manchen Thüringer Städten mehrere Logen nebeneinander. So bestanden in den 1920er Jahren zum Beispiel in Gera drei Freimaurerlogen: die Loge „Archimedes zum ewigen Bunde“, eine Johannisloge und die Loge „Licht am Osterstein“. In Thüringen insgesamt existierten mindestens 52 Logen.
Logenbibliotheken
Für die Freimaurer – vom dienenden Bruder bis zum Meister vom Stuhl – waren die jeweiligen Logenbibliotheken von großer Bedeutung: Dort wurden sogenannte Masonica, d.h. die gedruckten Mitgliederverzeichnisse, Festschriften und Reden, Ausgaben der Alten Pflichten, der sogenannten Konstitutionen, der Gebräuche, Liederbücher, Freimaurer-Zeitschriften und andere Literatur mit und ohne Bezüge zur Freimaurerei aufbewahrt.
Die Büchersammlungen umfassten nicht selten mehrere Tausend Bände und enthielten neben Drucken häufig auch Handschriften. Erst die Verfolgung und das Verbot der Freimaurerei im Nationalsozialismus bedeutete für die Logen das Aus und zugleich den Raub ihres Eigentums, darunter auch den ihrer Bücher. In der DDR wurden die Freimaurer dann von offizieller Seite als ein Instrument des Großbürgertums angesehen, dessen ehemals fortschrittliches Potential auf die „revolutionäre Arbeiterklasse“ und ihre Partei übergegangen sei, und die dadurch angeblich überflüssig geworden seien. Deshalb wurde die Freimaurerei nicht wieder zugelassen, und erst nach der deutschen Wiedervereinigung konnten auch in Thüringen wieder Logen gegründet werden.
Freimaurer-Bibliotheken als NS-Raubgut
Bis zum heutigen Tag sind als Folge des NS-Unrechts aber viele der alten Logenbibliotheken verschollen oder unwiederbringlich in alle Winde zerstreut. Bei einzelnen erhaltenen Stücken erinnern noch handschriftliche Eintragungen, Exlibris oder Stempel an die Vergangenheit der Bücher im Zusammenhang mit der Logenarbeit. Wenn solche Bücher im Bestand öffentlicher Einrichtungen wie Museen, Archiven oder Bibliotheken auftauchen, besteht Aussicht auf die Rückgabe der Stücke an die Freimaurer. Denn öffentliche Kultureinrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken sind gehalten, dieses sogenannte NS-Raubgut zu ermitteln, die Besitzer oder deren Erben zu suchen und die geraubten Bücher zurückzugeben, zu restituieren. Allerdings gehen die Bücher dann auch nicht in jedem Fall unmittelbar an die ehemals enteigneten Logen zurück, sondern – gerade bei ehemaligen Logen der späteren DDR – aus rechtlichen Gründen an die übergeordneten Großlogen.
Ein Beispiel: Die Bibliothek der Weimarer Loge
Mit dem Beispiel einer solchen Logenbibliothek hat sich kürzlich eine Untersuchung befasst, die anlässlich des 250. Gründungsjubiläums der ersten Weimarer Loge „Amalia“ entstanden und in der Zeitschrift Weimar-Jena – Die große Stadt erschienen ist. Darin wird unter anderem festgestellt, dass die Bibliothek der Weimarer Freimaurer im Jahr 1935 bei der Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten 4.275 Bücher und 360 Zeitschriften umfasste, wie die Übernahmeakten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv belegen. Es existiert außerdem ein gedrucktes Verzeichnis für die Bücherei der Freimaurerloge Amalia zu Weimar aus dem Jahr 1912, dem man die genauen Titel der Sammlung entnehmen kann.
Ein Buch aus dieser Bibliothek, das „Taschenbuch für Freimaurer auf das Jahr 1798“, wurde nun im Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar aufgefunden. Der Band trägt noch den Abdruck des ovalen Stempels der Weimarer Logenbibliothek und ist – wie ein zweites Besitzkennzeichen, der Stempel der Goethe-Gesellschaft, zeigt – über den Umweg der Goethe-Gesellschaft in die Sammlung gekommen. Andere Stücke aus der Weimarer Loge, besonders Zeitschriften, fanden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, doch der größte Teil ist zumindest bisher noch nicht wieder aufgetaucht. Manches Stück könnte bis nach Polen, etwa in die Freimaurer-Sammlung der Universitätsbibliothek Posen (Biblioteka Uniwersytecka Poznań) gelangt sein. Diese Vermutung wäre allerdings erst noch durch Studien an den Originalen vor Ort zu verifizieren.
Freimaurerbestände der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek werden zahlreiche weitere Bücher über die Freimaurerei, von Freimaurern und solche aus ehemaligen Freimaurerbibliotheken aufbewahrt. So haben sich im Bestand der Weimarer Forschungsbibliothek auch viele Masonica aus dem Vorbesitz des Prinzen (Carl) Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach (1792–1862) erhalten. Bernhard, der jüngere Bruder des Kronprinzen Carl Friedrich (1783–1853), wurde von den Zeitgenossen wie von der Nachwelt vor allem als Soldat und Weltreisender angesehen, aber sein Interesse war auch auf die Mathematik und Freimaurerei gerichtet. Schon am 9. September 1809 wurde er von seinem Vater Carl August (der selbst seit 1782 Mitglied der Weimarer Loge war) bei den Freimaurern eingeführt.
Andere Masonica der Herzogin Anna Amalia Bibliothek finden sich unter den Stammbüchern und Huldigungsschriften. Interessant sind auch die vielfältigen Beziehungen von Personal der Herzoglichen bzw. später Großherzoglichen Bibliothek, der Vorgängereinrichtung der heutigen Forschungsbibliothek, und der Loge in Weimar: Mancher weiß, dass Johann Wolfgang von Goethe, der seit 1797 die Oberaufsicht über die Herzogliche Bibliothek führte, der Weimarer Loge angehörte. Aber dass auch der Sekretär der Herzoglichen Bibliothek Johann Georg Keil (1781–1857), der Großherzogliche Bibliotheksdiener und Schriftsteller Johann Christoph Sachse (1762–1822), der Oberbibliothekar der Großherzoglichen Bibliothek und Altphilologe Ludwig Preller (1809–1861) sowie der Großherzogliche Bibliothekar Dr. Paul Ortlepp (1878–1945) für die Weimarer Bibliothek arbeiteten und Mitglieder der hiesigen Loge waren, ist vielen nicht bekannt.
Ausblick
Während es schwierig sein wird, die Bücher der ehemaligen Loge „Amalia“ aus Weimar wiederzufinden, verhält es sich mit den Büchern der Logenbibliotheken aus Rudolstadt und Meiningen anders: Sie sind so gut wie vollständig im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin erhalten. Nach einer ordnungsgemäßen Anmeldung und der Genehmigung durch die Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ können die Rudolstädter und Meininger Bestände in dem Berliner Archiv eingesehen werden.
Nach den Büchern anderer Thüringer Logen wäre dagegen ebenfalls erst noch zu suchen. Sie tauchen zuweilen in Privatbesitz, bei Auktionen oder im Antiquariatshandel auf. Auch in diesen Fällen sind entsprechende Stempel, handschriftliche Einträge oder Exlibris die deutlichsten Hinweise. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele davon an seriöse Einrichtungen oder in die Hände verständiger Leserinnen und Leser gelangen, die auch den immateriellen Wert dieser Kulturgüter zu schätzen wissen und sie an die Freimaurer, sei es in den einzelnen Logen vor Ort oder an die Mutterlogen zurückgeben!
Zum Weiterlesen
Johannes Mangei: Die Bibliothek der Freimaurerloge „Amalia“ und die Freimaurer-Bestände der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. In: Weimar-Jena. Die große Stadt 7 (2014), H. 3, S. 213-228.
Zum Autor: Dr. Johannes Mangei ist Historiker und leitet seit 2001 die Abteilung Medienbearbeitung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.