Traktat: Alchemie im Ritual des Freimaurer Orden

Aus Freimaurer-Wiki

Vortrag von Günter Klinge bei einer Arbeit IV/V des Freimaurerordens in der Loge zum Ölzweig im Orient Bremen

Hochleuchtender Meister, meine lieben Brüder,

die Verbindung der Alchemie mit den Inschriften auf dem Architrav und den sogenannten Hyroglyphen auf den Schlusssteinen ist in unseren Schriften, sowie in Vorträgen häufig zum Thema gemacht worden, aber ich habe nirgendwo übereinstimmende oder für mich wirklich schlüssige Deutungen gefunden. Die meisten mir bekannten Auslegungen beziehen sich entweder auf die Schöpfungsgeschichte der Genesis oder sie werden bestimmten Abschnitten des Johannisevangeliums zugeordnet. Br. Hieber versteigert sich in seinem Leitfaden zum Andreas-Lehrling-Gesellengrad sogar zu der Feststellung, dass die Hyroglyphen genannten Zeichen von nebensächlicher Bedeutung seien und nur aus Pietät beibehalten worden wären, und zu den Architrav Inschriften behauptet Br. Hieber sogar, dass die damit möglicherweise zu verbindenden Assoziationen heute „weit hinter uns lägen“.

Meine Brüder, ich bin nicht dieser Auffassung, wobei ich mich auf einen sehr interessanten Vortrag von Br. Horst Julich berufe, den er im März letzten Jahres in Frankfurt gehalten hat. Br. Julich belegt, dass kein Zweifel darüber bestünde, dass Vorstellungen der Alchemie den Ritualbestand der GLL und ganz besonders die Andreas Loge beeinflusst haben. Vielleicht rührt die allgemeine Unsicherheit über den alchemistischen Einfluss daher, dass die so genannte moderne, sprich spekulative Freimaurerei zur Zeit der Aufklärung entstanden ist, die im Zeichen der angestrebten gesellschaftlichen Erneuerung die Ideen der Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit und Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben hatte – alles Ziele, die wir in der Freimaurerei natürlich auch hoch halten.

Die Sehnsucht der Alchemie hingegen, die zwei Jahrhunderte früher das Denken der Menschen beeinflusst hat, galt mehr einem Bedürfnis nach einer besseren Welt durch die Veredelung des menschlichen Vermögens zum Guten, der Sehnsucht nach einer sittlichen Umwandlung alles Geschaffenen, einer „gereinigten Religion“. Es war die Faszination, die von dem Begriff „Verwandlung“ ausging, die unsere freimaurerischen Vorväter der Großen Landesloge bewogen haben mag, Elemente der Alchemie in unsere Rituale und Symbole einfließen zu lassen.

Zum besseren Verständnis ist es vonnöten, sich einmal mit dem Begriff der Alchemie auseinander zu setzen, der häufig mit dem Etikett überholter mittelalterlicher Quacksalberei oder gar dunklem Okkultismus versehen wird. Zu Unrecht, wie ich meine. Das Wort Alchemie leitet sich vom arabischen „al-kymiya“ her. „Al“ ist ein arabischer Artikel, „Kemet“ oder „Chemi“ ist der ägyptische Ausdruck für „das Schwarze“ und bedeutet auch „schwarze Erde“, der ursprünglichste Gegenstand der „chemischen“ Beschäftigung. Erste Ursprünge wurden im alten Ägypten und im hellenistischen Griechenland deutlich.

Die Alchemie war nur teilweise von der Idee der künstlichen Herstellung von Gold getrieben, was ihr den Ruf des Okkulten zugefügt hat. Vielmehr ging es um die Suche nach dem Stein der Weisen, wie die Alchemisten seit der Spätantike eine Substanz bezeichneten, mittels derer man unedle Metalle in edle verwandeln könne. Vielen Alchimisten galt der Stein der Weisen zudem als Universalmedizin. Paracelsus führte dann den Begriff Spagyrik ein, denn für ihn bestand die Aufgabe der Alchemie in der Herstellung von Arzneimitteln. Als Basistext, der die Alchemie begründet hat, wird allgemein die Philosophie der von Hermes Trismegistos begründeten Hermetik angesehen. Ein wesentlicher hermetischer Glaubenssatz, der vielleicht allgemein bekannt ist, lautet – stark vereinfacht – „wie oben, so unten“, d.h. dass sich der Makrokosmos auch im Mikokosmos des Menschen widerspiegelt.

Bei der Alchemie handelte es sich nicht nur um eine praktische Disziplin im Sinne einer Metachemie oder Metapharmazeutik, sie hat vielmehr auch eine philosophische Dimension und nur diese ist im Rahmen dieses Vortrages für die Auswirkungen auf unsere Ordenslehre von Bedeutung. Die verschiedenen alchemistischen Vorgänge – wie beispielsweise die Umwandlung eines bestimmten Metalls in ein anderes – stehen hier für die „Transmutation“ der menschlichen Psyche wie sie die antiken Mysterienkulte lehrten: Durch Leiden, Tod und gewandelte Auferstehung des Adepten zu einer neuen, göttlichen Existenz zu gelangen. So wie die mineralischen Stoffe durch Zerstückelung, Verbrennung und Behandlung eine Umbildung erfahren, so muss auch der zur Erlösung und Wandlung bestimmte Mensch sich transmutieren. Genau dieses, meine Brüder, besagen auch die Inschriften auf den Schlusssteinen der Gewölbe hier in der Stillen Halle, die uns die „Umbildung des Erschaffenen“ durch Verwandlung bis zur Wiedergeburt zeigen.

Die darunter liegenden so genannten neun Hyroglyphen weisen symbolisch auf die sittliche Entwicklung des Menschen hin: Fall, Wiederaufrichtung und Wiedergeburt. Es gilt inzwischen als sicher, dass diese Hieroglyphen und Inschriften auf Vorstellungen der Alchemie verweisen. Sie haben über den Herzog von Södermannland und dem Br. von Nettelblatt Eingang in unsere Ordenslehre gefunden. Während die Inschriften durchaus als Bezeichnungen bestimmter Arbeitsmethoden der Alchemie verstanden werden können, ist die Kalligraphie bei den Hieroglyphen mehr oder weniger willkürlich. Wenn man sich jedoch in die einzelnen Figuren hinein denkt, dann erkennt mein eine innere Beziehung zu den dazugehörigen Inschriften.

Bei der alchemistischen Vorstellung geht es immer um eine Verwandlung, die ja auch der zentrale Gedanke der Königlichen Kunst aller Lehrarten, eigentlich aller Initiationslehren ist. Es geht stets darum, dass der Mensch durch die Einweihung ein Anderer wird, d.h. sein Selbst- und Weltverständnis neu ausrichtet. Das gilt vor allem für sein sittliches Streben. Schon dem Johannis-Lehrling wird gesagt, es sei das Ziel der Freimaurerei, die eigene Persönlichkeit zu vervollkommnen, gleichsam aus einem rauen Stein einen Kubus zu formen. Die Symbolik der Steinmetze vermag jedoch nur bedingt zu vermitteln, wie ein gewöhnlicher Stein durch äußere Einwirkung in einen Kubus verwandelt werden kann. Die hermetische Lehre von der Transmutation der Stoffe benutzt demgegenüber Bilder, die die Verwandlung als einen Vorgang beschreiben, der die Eigenschaften einer Substanz (diesen Begriff in einem weiten Sinn gebraucht) von Innen, d.h. aus ihrem naturgemäßen Wesen, veredelt.

Die alchemistischen Vorstellungen beruhten – sehr vereinfacht – auf der Vorstellung, dass der Mensch, wie die Schöpfung im Ganzen, eine Emanation des All-Einen und gleichsam nach demselben Rezept entstanden ist, nach dem der Schöpfer den Weltenbau erschaffen hat. Wichtig ist dabei folgendes: Die Alchemisten verstanden die Schöpfung nicht als ein einmaliges, vergangenes Ereignis. Der Weltenbau befindet sich vielmehr in einem permanenten schöpferischen Zustand, der seit seinem mythischen Anfang fortdauert. Der wahre Meister kann deshalb mit der Hilfe der schöpferischen Kraft, die von dem All-Einen ausgegangen ist, diese Kraft auch in sich wieder reaktivieren. Die wichtigsten Arbeitsschritte bestehen darin, dass der Mensch Leib, Seele und Geist zunächst wieder in einen ´chaotischen´, d.h. ungeformten Anfangszustand auflösen muss, um dann daraus einen neuen Menschen zu erschaffen.

Die Alchemisten gingen, ebenso wie die christlichen Theologen, davon aus, dass der Mensch nicht nur die Freiheit, sondern anfänglich auch das Vermögen zum Guten besaß, d.h. er erhielt einen Geist, der Macht über die Materie hatte, in die er eingegangen war. Durch die Vertreibung aus dem Paradies – gleichsam durch den Fall -verlor der Funke der göttlichen Emanation seine Wirksamkeit und unsere seelisch-geistige Wesenheit geriet unter die Herrschaft der Materie. Wir wurden sozusagen „geistig getötet“. Es geht nun darum, diesen göttlichen Funken in uns wieder zu erwecken. Es ist das „Erkenne Dich selbst – dann erkennst Du Gott in Dir“, wie uns schon an der Säule „Jakin“ des ersten Grades gleichsam zugerufen wird. Die Hieroglyphe für die ´Creatio´ verweist auf diese naturphilosophischen Vorstellungen der Alchemie, und damit auf die Möglichkeit, das Wesen der geschaffenen Dinge durch Umbildung zu veredeln.

Meine Brüder, uns wird auch schon im I. Grad zugerufen „Methanoite“ oder „Kehre um“. Das heißt nichts Anderes als „Erkenne, dass Dein bisher eingeschlagener Weg der Falsche ist und Dich nicht zu Deinem eigentlichen Ziel führt“. Auch bei den Reisen müssen wir immer wieder umkehren und einen anderen Weg einschlagen, um schließlich zum Ziel zu gelangen. Bei unseren Stiftungsfesten in allen drei Ordensabteilungen geht es ebenfalls um das Ablegen des alten Menschen – in dem Moment, wo mit einem harten Hammerschlag das alte Jahr geschlossen wird. Die Loge ist dann ohne Führung, die Welt und gleichsam auch unsere innere Loge - das sind wir selbst – stürzen ins Chaos, in die Zerstörung, in die Auflösung. Wenn dann das neue Logenjahr eröffnet wird, machen wir einen neuen Anfang – wir legen so zu sagen den neuen, den vergeistigten Menschen an, der erkennt – dass er göttlich und EINS mit dem 3fgBM und mit allem Geschaffenen ist. Der Weg des alten Menschen war der Gottferne ausgesetzt. Der neue Weg hingegen hat uns durch die Kraft des edleren göttlichen Teils in uns und durch die Wirksamkeit unseres geistigen Ursprungs verwandelt.

Die geheimnisvolle Erfahrung aller Einweihungslehren ist, dass der Mensch seine lebenswirklichen Einstellungen und Verhaltensweisen erst loslassen muss, um offen zu werden für die Erkenntnis seines wahren vergeistigten Wesens. Vor diesem anthropologischen Hintergrund muss die Hieroglyphe für die ´“Separatio“ oder „Trennung“ gedeutet werden, während die „Regeneration“ die Wiedergeburt des neuen in seiner Göttlichkeit erwachten Menschen bedeutet.

Es würde den Rahmen dieses Vortrages sprengen, wenn ich auf jeden einzelne Hieroglyphe eingehen würde – wichtig zu wissen ist, dass die Symbole der Andreas-Loge unsere Verwandlung und Wiederaufrichtung aus dem Fall darstellt. Wir erfahren, dass wir uns aus dem „geistigen Tod“ nur aufrichten können, wenn wir unser Dasein auf eine radikal andere, eine höhere Realität gründen.

„Nur wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ – wusste schon der große Goethe. Wenn wir uns ständig bemühen und jeden Tag in dem Bewusstsein leben, dass wir EINS mit Gott sind, dass der 3fgBM in uns gegenwärtig ist, dann können wir ungeahnte geistige Kräfte in uns erwecken, die zu einer tiefen inneren Befriedigung und äußeren Ausgeglichenheit führen können. Der Freimaurerei und der Alchemie gemeinsam ist das Bedürfnis nach einer besseren Welt durch die Veredelung des menschlichen Vermögens zum Guten.

E.g.a.

Quellenangaben:

Vortrag Bruder Julich, Frankfurt Wikipedia Br. Hieber Leitfaden des Andreas Lehrling- Gesellengrades