Traktat: Vertrauen
Vertrauen
Rolf Keil
- „Heil uns! Wir verbundne Brüder
- Wissen doch, was keiner weiß;
- Ja, sogar bekannte Lieder
- Hüllen sich in unsern Kreis.
- Niemand soll und wird es schauen,
- Was einander wir vertraut;
- Denn auf Schweigen und Vertrauen
- Ist der Tempel aufgebaut.“
Gestern haben mir zwei erfahrene Brüder zu verstehen gegeben, wir lebten leider in einer Zeit der Beliebigkeit und müssten uns dem anpassen. Ein anderer sehr geschätzter Bruder sagte mir, seit der Zeit als er aufwuchs, hätten sich die Zeiten sehr geändert. Ein Handschlag sei heute nichts mehr wert. Wir müssten mit den Zeiten gehen und uns darauf einstellen.
Für mich bedeutet das, eine der zentralen Säulen des Gebäudes der Freimauerei einer kritischen Revision zu unterziehen. Ich meine das Vertrauen, von dem unser Bruder Goethe behauptet, dass auf ihm der Tempel aufgebaut sei.
Was aber ist Vertrauen? Georg Simmel unterscheidet den „mystischen“ Glauben des Menschen an den Menschen von der sozialen Form des Vertrauens. Bei dieser handelt es sich um einen mittleren Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, also um eine „Hypothese künftigen Verhaltens“. Diese muss sicher genug sein, um „praktisches Handeln darauf zu gründen“.
Martin Hartmann schreibt: „In Akten des Vertrauens gehen wir – optimistisch und in kooperativer Orientierung – davon aus, dass ein für uns wichtiges Ereignis oder eine für uns wichtige Handlung in Übereinstimmung mit unseren Wünschen und Absichten eintritt oder ausgeführt wird, ohne dass wir das Eintreten oder Ausführen dieses Ereignisses oder dieser Handlung mit Gewissheit vorhersagen können.“ (Hartmann, 2004: 487) (Beide Zitate aus Wikipedia)
Zu den ersten und gleichzeitig elementaren Botschaften, die wir dem Neophyten auf seiner Wanderung durch die Elemente mitgeben, zählt es, dass er uns Vertrauen kann, dass er sich blind der Hand eines Unbekannten anzuvertrauen kann, der ihn sicher durch die Gefahren des Wegs leiten wird, der für ihn im dunkeln liegt.
Auf der Homepage der Großloge der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFAM) lesen wir: Zum Zeichen engster Verbundenheit und Vertrautheit nennen sich die Freimaurer untereinander “Bruder”. Brüderlichkeit und Vertrautheit. Vertrautheit und Vertrauen. Hier begegnen uns Begriffspaare in denen eine Essenz der Freimaurerei wie ich sie verstehe versteckt ist. Man muss eine Vertrautheit haben um einen Fremden als Bruder aufzunehmen. Diese Vertrautheit wiederrum kann es nur geben, wenn ein Grundvertrauen da ist, dass der Bruder sich uns gegenüber als solcher verhalten wird.
Im letzten Jahr habe ich- mit einigen Brüdern meiner Loge- eine Reise nach Edinburgh unternommen. In Edinburgh hat sich uns ein Bruder angeschlossen, der niemand von uns persönlich kannte und der mehrere Stunden im Auto verbracht hat um zu uns zu stoßen. Nichts Schriftliches war not- wendig, keine Verträge wurden unterzeichnet und keine Konventionalstrafen wurden ausgehandelt.
Der Bruder trat seine Reise an, weil er dem Wort eines Bruders vertraute, der ihm versicherte, es würde für ihn gesorgt. Ich selbst bin im letzten Oktober nach Hamburg gefahren und ein Bruder, der mich noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, hatte mich vom Zug abgeholt und zu einer Arbeit begleitet. Das hat funktioniert, weil wir einander vertraut haben. Jens Rusch hat seine Arbeitskraft eingesetzt um der Loge Lessing einen neuen Arbeitsteppich zu malen. Er tat das, weil er einem Bruder vertraut hat, der ihm nur über Sub Rosa und von einigen Telefonaten bekannt war.
Für mich ist dieses Grundvertrauen eines, vielleicht sogar das wertvollste, Geschenk, das die Freimaurerei machen kann. Dieses Geschenk habe ich selbst so erlebt und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass bei der ganz großen Vielzahl von Brüdern ebenso ging. Auch ich habe mich nicht immer und zu jeder Zeit diesem Vertrauen würdig erwiesen, wir sind alle nur Menschen, und wer könnte sagen er hat noch nie gefehlt?
Der Punkt für mich ist aber zum einen das stille Eingeständnis, dass ich vom Bild des perfekten Kubus noch weit entfernt bin, zum anderen aber die Bereitschaft daran zu arbeiten die Lücke zwischen Anspruch und Realität zu verringern.
Wenn wir ein in uns gesetztes Vertrauen enttäuschen, dann bestrafen wir uns selbst, wir schädigen aber auch das Gebäude, dass wir zu errichten trachten, den Tempel der Humanität, dessen Mörtel sich ja aus Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit besteht.
Vertrauen und Verlässlichkeit sind untrennbar. Sie werden mitunter bedroht von den Tücken der digitalisierten Gesellschaft. Ich empfinde das Internet und auch unsere virtuelle Gemeinschaft hier in Sub Rosa insgesamt als große Bereicherung, die aber auch voller Fallstricke ist. Die Gefahr, sich in einer Vielzahl von überwiegend belanglosen Informationen, die auf einen einprasseln, zu verlieren ist hoch. Facebook hat das Ganze noch potenziert. Wie schnell habe ich irgendetwas angeklickt und „geliket“, weil ich die Idee gut fand. Kurze Zeit später ist das Ganze aus meinen Gedanken verschwunden, ich bin mittlerweile von irgendetwas anderem okkupiert. Das ist an sich nicht problematisch, es wird aber dann zum Problem, wenn –wie beim Sommerfest- daraus die Handlung eines anderen resultiert. Aus enttäuschten Erwartungen entsteht Frustration, Ärger, Enttäuschung und das Gefühl missbrauchten Vertrauens, weil eben ein für uns wichtiges Ereignis oder eine für uns wichtige Handlung nicht in Übereinstimmung mit unseren Wünschen und Absichten eingetreten ist.
Ich möchte, dass wir uns immer wieder aufs Neue bewusst machen, dass Brüderlichkeit und Vertrautheit, auch hier die Grundvoraussetzung unseres „Zusammenlebens“ ist.
Wir leben in einer Zeit der Beliebigkeit und wir müssen uns darauf einstellen, argumentiert mein Bruder. Ich glaube es nicht.
„Geht nun zurück in die Welt, meine Brüder, und bewährt euch als Freimaurer. Wehret dem Unrecht, wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken, seid wachsam auf euch selbst. Es geschehe also!! " Header800.jpg