Zur Verfolgung deutscher Freimaurer in der NS-Zeit

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Zur Verfolgung deutscher Freimaurer in der NS-Zeit

Von Arnold Grunwald.

Erstveröffentlichung in TAU II/2014. Publikationsrechte Quatuor Coronati.


Es ist eine Ungeheuerlichkeit, wenn Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Zugehörigkeit zu einer legalen Vereinigung diskriminiert, verfolgt oder sogar ermordet werden. Diese Missachtung der Menschenwürde durchzieht leider die Geschichte der Menschheit. Auch Freimaurer waren immer wieder Objekt von Verfolgungen, die bis zur Ermordung reichten.

In Spanien wurden durch ein Dekret Ferdinand des VI. im Jahre 1751 Freimaurer ohne vorherige Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt. In Granada wurden 1824 alle Meister der Loge enthauptet, 1825 sieben Mitglieder einer Loge erhängt. (Bokor, S. 300) Bei der berüchtigten „Blutnacht von Florenz“ wurden 1925 Freimaurer blutig geschlagen und 18 Freimaurer getötet. (Schreiber, S. 220) Die Beispiele ließen sich erweitern. An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, ob Freimaurer in der NS-Zeit aufgrund ihrer Logenzugehörigkeit ermordet worden sind.

In freimaurerischer Geschichtsschreibung findet sich für die Zeit der Verfolgung der Freimaurerei in Deutschland durch den Nationalsozialismus sinngemäß folgender Satz: „Viele Freimaurer wurden inhaftiert, ins KZ deportiert und ermordet.“ Fragt man einen Freimaurer, wie viele Freimaurer denn ermordet worden seien, so erhält man zumeist zur Antwort, es seien 62 gewesen. Bezweifelt man diese Zahl, so stößt man nicht selten bei Freimaurern auf Unverständnis. Schließlich sei diese Zahl doch allgemein bekannt. Macht man auch noch eine Unterscheidung der Verfolgung von Freimaurern aufgrund ihrer Logenzugehörigkeit und ihrer Zugehörigkeit zu politischen Organisationen, so stößt man mit solcher Differenzierung auf Ablehnung oder gar Empörung. Es sei schließlich gleichgültig, aus welchem Grunde Logenmitglieder verfolgt und ermordet worden seien. Immer sei der Grund ihre in der Freimaurerei verwurzelte ethische Gesinnung gewesen. Wenn man gar zwischen Freimaurern jüdischer Herkunft, die aus dem Grunde verfolgt wurden, weil sie Juden waren und nichtjüdischen Freimaurern unterscheidet, so setzt man sich dem Vorwurf des Ressentiments gegen Juden aus. Es ist aber sehr wohl etwas anderes, ob jemand aufgrund der Zugehörigkeit zur Freimaurerei oder zu einer ethnischen Gruppe verfolgt wurde. (Vergl.: Grunwald: Juden und Feimaurer)

Hans-Hermann Höhmann hat die hier gestellte Frage gestreift und wie folgt beantwortet: Auch gab es persönlichen Widerstand von Freimaurern, und auch Treue zur Menschlichkeit bis in den Tod hat es in der Tat gegeben. Es ist dabei nicht wichtig, ob diese Männer starben, weil sie Freimaurer, Demokraten, Sozialisten oder Pazifisten waren: Namen wie Wilhelm Leuschner, Leo Müffelmann und Carl von Ossietzky stehen für ein anderes Deutschland – und eine andere nicht angepasste Freimaurerei. (Höhmann [1], S. 5) Mit dieser Meinung kann er sich wohl der Zustimmung der Mehrheit der deutschen Freimaurer gewiss sein. Die Frage mit der Betonung auf weil muss dennoch gestellt werden, auch um dem Vorwurf der Geschichtsklitterung begegnen zu können, der von Historikern der Freimaurerei in den letzten Jahren entgegengebracht wird. Ralf Melzer hat die Nachkriegsgeschichtsschreibung der Freimaurer kritisiert und sagt: Durch Ausblendungen und Verkürzungen kam es zu einer Selbststilisierung im Sinne von ‚Freimaurer leisteten Widerstand‘, die ähnlich verzerrend und verfälschend wirkt wie die Tarnungslegende. (Melzer, S. 217)

Helmut Neuberger ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Geschichte der nationalsozialistischen Freimaurerverfolgung nicht zu einer Geschichte blutiger Exzesse ausartete, sondern sich in dem vergleichsweise harmlosen Rahmen von Schikanen, Diskriminierungen und materiellen und kulturellen Einbußen hielt. (Neuberger, S. 406)

Die an vielen Stellen verbreitete Zahl von 62 ermordeten deutschen Freimaurern hat Jürgen Holtorf in seiner Arbeit: „Die verschwiegene Bruderschaft, Freimaurer-Logen: Legende und Wirklichkeit“ 1984 verbreitet. Holtorf berichtet: Von 4.800 in der folgenden Aufstellung enthaltenen Freimaurern – das sind etwa 6% der 80.000 deutschen Freimaurer vor der NS-Herrschaft – sind zwischen 1933 und 1945

  • 1750 eines natürlichen Todes gestorben
  • 62 ermordet
  • 238 aus Deutschland vertrieben
  • 133 verschollen
  • 254 Amt und Beruf verloren
  • 285 im Beruf geschädigt
  • 53 ins Konzentrationslager verschleppt
  • 44 aktiven Widerstand geleistet. (Holtorf, S. 93/94)

Holtorf hat für seine Feststellung keine Quellenangabe aufgeführt. Bei der Eingabe des Suchwortes „the holocaust“ finden sich im Internet folgende Einträge:

The United States Holocaust Memorial Museum believes that, „because many of the Freemasons who were arrested were also Jews and/or members of the political opposition, it is not known how many individuals were placed in Nazi concentration camps and/or were targeted only because they were Freemasons.“ However, the Grand Lodge of Scotland estimates the number of Freemasons executed between 80.000 and 200.000. (en.wikipedia.org/wiki/The_Holocaust) It is not possible to now determine how many Freemasons were executed just because they were Freemasons, but a conservative estimate has suggested that the number of German Freemasons who died in concentration camps numbered 80.000. Another estimate has suggested 200.000 as a total but this must be an estimate of the total put to death in all occupied countries not just in Germany for it is known that there were not that number of Freemasons in Germany in 1933 when Hitler came to power. (en.wikipedia.org/Suppression_of_Freemasonry)

Das sind fantastische Zahlen, deren Ursprung der Großloge von Schottland zugeschrieben wird. Einschränkend wird gesagt, dass die angeblich ermordeten Freimaurer gleichzeitig Juden oder Mitglied einer oppositionellen Organisation waren. Im zweiten Eintrag wird vermerkt, dass es in Deutschland gar nicht so viele Freimaurer gab, als Hitler an die Macht kam, und es wird vermutet, dass sich die Zahlen auf alle okkupierten Länder beziehen. Nun glauben alle, die das lesen, dass in Deutschland oder zusätzlich in den okkupierten Staaten 80.000 oder gar 200.000 Freimaurer vom NS-Regime getötet wurden.

Helmut Reinalter berichtet von vereinzelten Morden: Im Zeitraum von 1933 bis 1935 vollzog sich sukzessive die Auflösung der deutschen Großlogen und Einzellogen, die von Plünderungen, Verhöhnungen, Deportationen, Folterungen und sogar vereinzelt von Morden begleitet waren. (Reinalter, S. 12) Reinalter gibt auch ein Beispiel an: Führende Beamte der Großloge wurden verhaftet, wie z. B. der damalige Großmeister [[Richard Schlesinger]], einige von ihnen wurden auch in Konzentrationslager deportiert. Schlesinger starb unter Polizeiaufsicht noch im Juni 1938. (Reinalter, S. 13)

Julius Leber, Wilhelm Leuschner und Carl von Ossietzky werden oft als Beispiele für bekannte Freimaurer genannt, die im KZ ihr Leben ließen. Dass sie Freimaurer waren und von den Nationalsozialisten umgebracht wurden, ist allgemein bekannt. Aber wurden sie ungebracht, weil sie Freimaurer waren? Diese drei Fälle sollen zuerst dargestellt werden.

Julius Leber

Julius Leber war Reichstagsabgeordneter und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Leber gehörte zur Zeit der Weimarer Republik dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. 1921 wurde Leber Chefredakteur des sozialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ und war in der Zeit von 1921 bis 1933 Mitglied der Lübecker Bürgerschaft. 1940 suchte er Kontakt zur Wehrmachtsführung und lernte Claus Graf Schenk von Stauffenberg kennen. Er hatte in der Folgezeit Kontakt zu Carl Friedrich Goerdeler und zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke. Leber wurde bereits am 5. Juli 1944, also vor dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944, von der Gestapo verhaftet. Am 20. Oktober fand vor dem Volksgerichtshof ein Schauprozess gegen Leber, Adolf Reichwein, Hermann Maaß und Gustav Dahrendorf statt. Leber wurde zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Julius Leber war Mitglied einer Loge der Großloge „Zur aufgehenden Sonne“ (FzaS). Er wurde nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Freimaurerei, sondern als Widerständler zum Tode verurteilt.

Wilhelm Leuschner

Wilhelm Leuschner war Gewerkschafter und sozialdemokratischer Politiker. Im April 1933 wurde Leuschner zum Rücktritt von seinem Amt als hessischer Innenminister gezwungen. Da er als Gewerkschaftler die von Robert Ley, dem Leiter der „Arbeitsfront“ geforderte Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verweigerte, wurde er im Mai 1933 inhaftiert, wieder entlassen und im Juni 1933 erneut inhaftiert, misshandelt und in das Konzentrationslager Börgermoor im Emsland deportiert.

Nach seiner Entlassung im Juni 1934 aus dem Konzentrationslager begann er mit dem Aufbau eines Widerstandsnetzwerks. Er unterhielt Kontakte zum Kreisauer Kreis und ab 1939 auch zur Widerstandsgruppe von Carl Friedrich Goerdeler, die 1944 das Attentat auf Hitler mit vorbereitete. Er wurde danach vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt.

Am 29. September 1944 wurde Wilhelm Leuschner in Berlin-Plötzensee erhängt. Er war Mitglied der Freimaurerloge „Johannes der Evangelist zur Eintracht“ in Darmstadt. Er wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft zur Freimaurerei, sondern als Widerstandskämpfer hingerichtet.

Carl von Ossietzky

Carl von Ossietzky war Journalist, Schriftsteller und Pazifist. Als Herausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“ wurde er im „Weltbühne-Prozess“ 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Von Spandau aus wurde Ossietzky am 6. April 1933 in das Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin/Oder verschleppt. Dort wurde er ebenso wie die anderen Häftlinge schwer misshandelt. Ossietzky wurde 1934 von Sonnenburg in das KZ Esterwegen im nördlichen Emsland verbracht. Kurz vor den Olympischen Spielen wurde er 1936 schwerkrank aus dem KZ entlassen und in das Staatskrankenhaus in Berlin verlegt. Am 7. November 1936 wurde er offiziell aus der Haft entlassen und in das Krankenhaus Westend gebracht, wo er unter ständiger Bewachung der Gestapo stand.

Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen. Am 4. Mai 1938 starb Ossietzky im Krankenhaus Nordend in Berlin Niederschönhausen an den Folgen der Tuberkulose und den Misshandlungen im KZ. 1919 war er in die Loge „Menschentum“, eine Loge der Großloge des FzaS, in Hamburg aufgenommen worden. Carl von Ossietzky wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft zur Freimaurerei verfolgt, sondern wegen seiner politischen Aufrichtigkeit und seines Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Loge zur Wahrheit

In den Prozessen gegen Leber, Leuschner und Ossietzky ist deren Mitgliedschaft in der Freimaurerei nicht erwähnt worden. Die etwa 5000 vor dem „Blutgerichtshof“ der Nazis verhöhnten Männer und Frauen wurden zu Opfern einer Diktatur, die politischen Widerstand mit der Todesstrafe durch Erhängen ahndete. Julius Leber und Carl von Ossietzky gehörten dem „[[Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne]]“ an. Heute besteht in Nürnberg noch eine Loge des FzaS, die „Loge zur Wahrheit“, die aus Anlass ihrer 100-Jahrfeier am 2. Oktober 2007 auf einer Internetseite all das über den FzaS sagt, was man in diesem Zusammenhang wissen sollte. Diese Darstellung soll hier in Auszügen zitiert werden:

„Gemäß dem Beschluss der FzaS-Gründung wurde am 12. August 1907 in Nürnberg die noch heute existierende ‚Loge zur Wahrheit‘ (LzW) als Mutterloge des FzaS eingesetzt. Weitere Logengründungen folgten schnell. Mitglieder warb man vorwiegend in der Freidenkerbewegung. (…) Nun war es Atheisten und Agnostikern auch in Deutschland möglich, sich der Freimaurerei anzuschließen, um in ihr nach den Idealen der Toleranz, Brüderlichkeit und Gedankenfreiheit zu streben. So fanden sich folgerichtig im FzaS auch vorwiegend Freidenker wieder, die rein monistische Grundlage hatte man nach kurzer Zeit aber wieder fallengelassen (trotz weiterhin vielfacher Doppelmitgliedschaften in FzaS und Deutschem Monistenbund). Der FzaS hatte einen ausgeprägt internationalistischen Charakter und arbeitete auf pazifistischer Grundlage. In den Augen der ‚Altmaurer‘ galt der FzaS aus all diesen Gründen als ‚irregulär‘ und seine Logen als ‚Winkellogen‘, was sich – besonders nach dem ersten Weltkrieg – in unzähligen Anfeindungen seitens der ‚Altmaurer‘ niederschlug, als sich der FzaS – ganz im Geiste der Völkerverständigung – um eine Aussöhnung mit Frankreich bemühte.

Nur wenige Logen des FzaS konnten sich nach 1945 reanimieren, nicht wenige Brüder aus den Reformlogen verloren (z.B. aufgrund ihres politischen oder jüdischen Hintergrundes) in den Konzentrationslagern ihr Leben. Das Entstehen der ‚Vereinigten Großlogen von Deutschland‘ in der Nachkriegszeit gab ihr die Möglichkeit, unter weitgehender Beibehaltung ihres reformmaurerischen Brauchtums und ihres freidenkerischen Charakters nunmehr als regularisierte Freimaurerloge innerhalb der humanitär ausgerichteten ‚Großloge der Alten und Freien Maurer von Deutschland‘ zu arbeiten.

Sie arbeitet bis heute nach dem überlieferten FzaS-Ritual und fühlt sich dem Gedankengut des FzaS nach wie vor verpflichtet. Ein ‚Gottbekenntnis‘ wird bis heute nicht von den Mitgliedern gefordert; ob die in der regulären Freimaurerei geforderte Anerkennung eines ‚höheren Prinzips‘ als ‚göttliches Prinzip‘ angesehen wird oder sich dieses ganz diesseitsbezogen etwa in den Naturgesetzen oder in den Gesetzen des Universums manifestiert, überlässt die heute 35 Brüder zählende Loge der persönlichen Interpretation ihrer Mitglieder.“

Hier ist die Aussage wichtig: nicht wenige Brüder aus den Reformlogen verloren (z.B. aufgrund ihres politischen oder jüdischen Hintergrundes) in den Konzentrationslagern ihr Leben. Sie verloren ihr Leben nicht, weil sie Mitglieder im FzaS waren, sondern aufgrund ihres politischen oder jüdischen Hintergrunds. Der FzaS hatte immer auch Juden aufgenommen. Und Juden wurden im KZ umgebracht, wobei nicht gefragt wurde ob sie Freimaurer waren. Aber Freimaurer sollen ja nicht nur aufgrund ihres jüdischen, sondern auch ihres politischen Hintergrunds in den Konzentrationslagern ihr Leben verloren haben. Die Quellenlage ist sehr dürftig, so dass man jedem kleinsten Hinweis nachgehen muss, um belegbare Aussagen zu machen.

Die Loge „Zur Wahrheit“ berichtet auf ihrer im Internet veröffentlichen Geschichte folgendes: Zwei Brüder der Nürnberger Loge ‚Zur Wahrheit‘ (Rechtsanwalt Justizrat Dr. Siegfried Schloss und Rechtsanwalt Dr. Fritz Moritz Wertheimer) kommen im KZ um; Br. Claus Pitroff, Staatssekretär a. D., sitzt im KZ; Br. Leo Stahl, nach 1945 Polizeipräsident von Nürnberg, ist inhaftiert. (www.loge-zur-wahrheit.de) Es wird nicht gesagt, ob Siegfried Schloss und Fritz Moritz Wertheimer im KZ aus politischen Gründen umkamen, oder weil sie jüdischer Abstammung waren.

Lessing und Spinoza

Der ehemalige Großsekretär des FzaS und letzte Meister vom Stuhl der FzaS-Loge „Lessing“, Fritz Drechsler aus Hamburg, bericht: Nicht alle hatten das Glück, den Schergen der NSDAP zu entgehen. Viele Brüder mussten ihren Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror mit ihrer Freiheit, ja mit ihrem Leben bezahlen. Eine große Anzahl ging in die Emigration, und nicht wenige, die keinen anderen Ausweg mehr wussten, wählten den Freitod.

Immer aber waren es einzelne Brüder, die sich der aufkommenden Barbarei entgegenstellten und sich zu ihren beschworenen Idealen bekannten. (Drechsler, S. 31) Es wird nicht gesagt, wer seinen Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror mit dem Leben bezahlen musste und auch nicht, wer den Freitod wählte. (Bekannt ist, dass Cäsar Wolf von der Loge „Absalom“ in Hamburg am 13. Mai 1933 den Freitod wählte. (Appel, S. 111)

Melzer berichtet über einen Br. Rudolf Ramge von der Loge „Schiller“ aus Frankfurt folgendes: Vermutlich starb er Ende Januar oder Anfang Februar 1945 während eines Transportes mit dem Ziel Bergen-Belsen, der jedoch auf dem Weg dorthin aus unbekannten Gründen Richtung Ostsee umgeleitet worden ist. (Melzer, S. 208)

Die Loge „Schiller“ aus Essen berichtet im Internet: Am 16. Juni 1934 wurde eine Geburtstagsfeier des Bruders Rudolf Ramge, bei der fast alle Brüder waren, von der Gestapo kontrolliert. Personalien wurden aufgenommen und die Wohnung überprüft und Schriftstücke und Zeitungen konfisziert. Er wurde als Judenfreund und aktiver SPD-Mann erkannt. Bald darauf wurde er verhaftet und von da an nicht wiedergesehen. Er soll, so sagt es die Geschichte, in einem Konzentrationslager verstorben sein. Sein richtiger Weg ist nicht bekannt. (www.freimaurer.in-essen.de/cms /index .php? option=com)

Rolf Keil berichtet, dass der Bruder Fritz Stiefel von der Loge „Spinoza“ in Frankfurt mit unbekanntem Ziel verschleppt worden sei, wobei eine letzte Nachricht aus dem Warschauer Ghetto vorgelegen habe. (Keil, S. 11) Es besteht kein Zweifel, dass sich diese Aufzählung vermehren ließe, wenn man bei allen deutschen Logen Nachforschungen anstellen würde, um dann verlässliches Zahlenmaterial liefern zu können. Das ist aber bisher nicht erfolgt.

Kurt Tucholsky

Manchmal wird auch noch Kurt Tucholsky zu den durch das Naziregime ermordeten Freimaurern gezählt. Kurt Tucholsky, Publizist und Schriftsteller, war zeitweise Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“.

1931 wurde Tucholsky in Deutschland in Abwesenheit wegen Spionage zu 18 Monaten Haft verurteilt. Ebenso fand ein Prozess wegen seines berühmt gewordenen Satzes „Soldaten sind Mörder“ statt, der jedoch gerichtlicherseits nicht als Verunglimpfung der Reichswehr gewertet wurde. Am Abend des 20. Dezember 1935 nahm er in seinem Haus in Schweden eine Überdosis an Schlaftabletten. Er wurde am nächsten Tag aufgefunden und in ein Krankenhaus nach Göteborg gebracht. Er verstarb am Abend des 21. Dezember im Krankenhaus. Er wurde am 24. März 1924 in der Berliner Loge „Zur Morgenröte“ einer Tochterloge des FzaS aufgenommen. Nach seinem Umzug nach Paris wurde er 1924 in der Loge „L‘ Effort“ („Die Bemühung“) des GOdF aufgenommen. 1925 wurde er in der Loge „Les Zélés Philantropes“ („Eifrige Menschenfreunde“) affiliert und dort am 11.12.1925 zum Meister erhoben. Kurt Tucholsky, ein entschiedener Gegner des Naziregimes, ist nicht von den Nazis umgebracht worden, sondern hat sich selbst das Leben genommen.

Österreich

Die Verfolgung von Freimaurern durch den Nationalsozialismus in Österreich und anderen Ländern ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Da aber insbesondere der Name Richard Schlesingers nicht selten als ein Beweis für die Ermordung eines Freimaurers angeführt wird, soll darauf eingegangen werden. Die Freimaurerei in Österreich war liberal ausgerichtet. Sie war zwar von der englischen Großloge anerkannt, unterhielt aber auch gute Beziehungen zur „romanischen“ Freimaurerei und zum französischen „Grand Orient“. Keine deutsche Großloge hielt nach 1932 Kontakt zur Großloge von Wien (GLvW), weder die christlichen preußischen, noch die humanitären Großlogen. Einzige Ausnahme war die von diesen geschnittene Symbolische Großloge von Deutschland.

Neuberger hat für die Situation in Österreich nach der Angliederung 1938 festgestellt: Dabei sahen sich namentlich die österreichischen Brüder Verfolgungen ausgesetzt, die zum Teil weit über das aus Deutschland Bekannte hinausgingen. (Neuberger, S. 311) Zum Tode des Großmeisters Schlesinger führt er aus: Selbst der hochbetagte, fast achtzigjährige Großmeister Richard Schlesinger fand keine Schonung. Aus dem Krankenbett, wo er sich von den Folgen einer eben überstandenen Operation erholte, wurde er verhaftet und ins Wiener Polizeigefängnis gebracht. Dort verschlimmerte sich sein Leiden aufgrund mangelnder Pflege und unwürdiger Behandlung so sehr, dass er nach wenigen Tagen gegen Kaution in bedenklichem Zustand in eine Klinik verlegt und dort unter Bewachung gestellt wurde.

Doch selbst im Krankenbett sah er sich ständigen Verhören durch die Gestapo – obwohl entsprechend den Nürnberger Gesetzen kein Jude – den antisemitischen Verhöhnungen seiner Bewacher ausgesetzt. Viel zu spät erst gaben die Nationalsozialisten ihre Einwilligung in eine zweite Operation, von der er sich nicht mehr erholte. Am 5. Juni 1938 starb Richard Schlesinger, ohne dass er seinem Wunsch gemäß in seine Wohnung verlegt oder einem seiner Angehörigen Gelegenheit zum Krankenbesuch gegeben worden war. (Neuberger, S. 312/13)

In Österreich gab es 1932 etwa 1900 Freimaurer, 1938 wegen des Drucks der katholisch-faschistischen Diktatur (ab 1933) nur noch etwa 800, von denen je nach Definition zwei Drittel bis drei Viertel Juden waren. Marcus Patka lässt zum Tode Schlesingers retrospektiv dessen Sohn Hans zu Worte kommen. Dessen Aussagen decken sich mit den Berichten Neubergers und enden so:

Aber die physischen Strapazen des Gefängnisses, seine Behandlung als Verbrecher und Gefangenen, das Schicksal seines geliebten Landes und der Brüderschaft und die Verfügung der Gestapo, daß er das Land verlassen müsse, brachen seine letzten Kräfte. Er starb am 5. Juni 1938 an Pneumonie. (Patka, S. 53) Patka sagt zu den Verfolgungsmaßnahmen in Österreich unter dem NS-Regime: Gefahr für Leib und Leben dürfte für einen Freimaurer aus Österreich vor allem dann bestanden haben, wenn er sich noch in einer anderen Opferkategorie wiederfand, also wenn er entweder politisch bzw. gesellschaftlich aktiv oder wenn er Jude war. Da 70 bis 80 Prozent der Brüder in der Zwischenkriegszeit Juden bzw. jüdischer Herkunft waren, im Ständestaat sogar bis zu 90 Prozent, ist dies der Grund, warum der Prozentsatz an Exilanten unter den Freimaurern wesentlich höher liegt als in Deutschland und die Kontinuität der österreichischen Bruderkette 1938 so nachhaltig zerstört wurde. Etwa zwei Drittel der an die 200.000 österreichischen Juden konnten sich in ein Land retten, das ihnen Asyl gewährte – ein Drittel wurde von den NS-Schergen ermordet. (Patka, S. 66)

Patka führt eine Liste von im KZ ermordeten österreichischen Freimaurern auf, die später zur „Kodek-Liste“ ausgebaut wurde. Patka sagt: Die Erfassung ausnahmslos aller zwischen 1938 und 1945 im Zuge der Schoa ermordeten Freimaurer ist aufgrund von Namensgleichheiten und Forschungslücken bislang fragmentarisch. Als relativ gesichert können pars pro toto etwa 100 von Günter Kodek erfasste Namen festgehalten werden. (Patka, S. 67) Die sog. „Kodek-Liste“ unterscheidet nicht zwischen Juden und Nichtjuden. Nach den Angaben Patkas handelte es sich ja bei den Brüdern vornehmlich oder allein um Juden. Es wäre mithin zu untersuchen, ob die dort aufgeführten Personen im KZ getötet wurden, weil sie Freimaurer, oder weil sie Juden waren.

Forschungslücke

In Deutschland besteht hier eine Forschungslücke. Von keiner Stelle ist bisher über im KZ ermordete deutsche jüdische Freimaurer eine Forschungsarbeit durchgeführt worden. Nach Höhman sollen in den 20iger Jahren in den humanitären deutschen Logen knapp 3000 Juden Mitglieder gewesen sein, wobei der Anteil in den einzelnen Großlogen, Städten und Logen sehr unterschiedlich war. Höhmann bezieht sich auf Angaben des „Vereins deutscher Freimaurer“ (VdF) aus dem Jahre 1928. (Höhmann [2], S. 85- 86) Wie viele es noch 1933 waren, ist bis heute nicht erforscht. Jedenfalls müssen es bedeutend weniger gewesen sein, da die Mitgliederzahl von 1928 bis 1933 in allen Logen ständig gesunken war.

Mitunter werden noch die Namen Leo Müffelmann, Raoul Koner, und Fritz Bensch als Beispiel für die Verfolgung von Freimaurern im NS-Regime genannt. Diese gehörten 1930 zu den neun Begründern des „Alten und Angenommenen Schottischen Ritus“ (AASR). Damals sprach man nicht vom AASR, sondern nur vom „Obersten Rat für Deutschland“ (ORfD), der an der Spitze des AASR steht. Der ORfD wurde am 18. April 1930 in Berlin eingesetzt.

Er verbot die gleichzeitige Mitgliedschaft im FzaS, da er sonst nicht als regulär anerkannt worden wäre. In den ersten Beamtenrat wurden folgende Brüder gewählt:

  • Groß-Kommandeur Johannes Bing
  • Leutnant-Groß-Kommandeur Leopold Müffelmann
  • Groß-Redner Fritz Bensch
  • Groß-Kanzler Wilhelm Neumann
  • Groß-Schatzmeister Ernst Rauschenbach (Bernheim [1], S. 18)

Symbolische Großloge von Deutschland

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Beim FzaS kam es 1930 zu einer Spaltung, da viele Brüder den Wunsch hatten, einer regulären Loge anzugehören. 600 Brüder trennten sich vom FzaS und gründeten am 26. Juli in Hamburg die „Symbolische Großloge von Deutschland“ (SGLvD) mit der Geschäftstelle in Berlin. Leo Müffelmann legte den Posten des Leutnant-Groß-Kommandeur beim ORfD nieder und übernahm das Amt des Großmeisters bei der SGLvD. Groß-Kommandeur des ORfD Bing gab am 22. August eine Erklärung ab, in der es hieß: Hiermit (erklärt) der ORfD des AASR die sog. SGLvD als irregulär, (...) Übrigens gehört selbstverständlich kein Mitglied dieser irregulären Organisation unserer Obödienz an. (Bernheim [1], S. 22) Einen Tag später widerrief er diese Erklärung und betrachtete nun die SGLvD als regulär. Im Zusammenhang dieser widersprüchlichen Stellungnahmen trat er von seinem Amt zurück und aus dem ORfD aus. (Bernheim [1], S. 22) Am 28. November 1931 wurde zwischen ORfD und SGLvD ein Konkordat geschlossen. Die SGLvD wurde von allen deutschen Logen als irregulär betrachtet und mit dem FzaS als „Winkelloge“ bezeichnet. Sie betrachtete sich als internationalistisch und nahm auch Juden auf.

Bing gehörte nicht zu den verfolgten Freimaurern im Nationalsozialismus, da er eine zweite Staatsbürgerschaft besaß und sich zumeist gar nicht in Deutschland aufhielt. Helmut Neuberger weist darauf hin, dass Müffelmann, Koner und Bensch die einzigen Freimaurer waren, die nicht wegen ihrer politischen Tätigkeit verhaftet wurden, sondern wegen ihrer Führungsfunktionen im AASR und der SGLvD. (Neuberger, S. 126 ff) Leo Müffelmann ist eine herausragende Person in der deutschen Logengeschichte. Leo Müffelmann begab sich 1933 nach Palästina. Er gründete in Palästina die Loge “Libanon” und am 15.11.1933 in Jerusalem die “Symbolische Großloge von Deutschland im Exil”. In Palästina wurde er untersucht, wobei ein Herzleiden und Knieverletzungen festgestellt wurden. Leo Müffelmann blieb nicht in Palästina, sondern kehrte nach Deutschland zurück. Er wurde wieder von der Gestapo verhört und misshandelt, aber frei gelassen. Er starb ein Jahr nach seiner Entlassung. Die Todesursache kann sehr wohl mit den Misshandlungen durch die Gestapo in Zusammenhang gebracht werden. (Neuberger, S. 166)

Alain Bernheim schreibt zum Tode Müffelmanns: An den Folgen der Misshandlungen, die er im KZ erlebt hatte, zusammenhängend mit den Herzbeschwerden, an welchen er seit dem 1. Weltkrieg litt, starb, im Alter von 53 Jahren, Br. Müffelmann am 29. August 1934 in Berlin. (Bernheim [1], S. 36)

Fritz Bensch wurde als „Leutnant-Großkommandeur“ [Stellvertreter des „Souveränen Großkommandeurs“] des AASR, Anfang 1933 verhaftet und in das Konzentrationslager Sonnenburg deportiert. Dort wurde er von der Gestapo misshandelt. Im November wurde er entlassen. Neuberger schließt in seinem Bericht über den verstorbenen Leo Müffelmann folgenden Satz an: Auch Fritz Bensch sollte den Zusammenbruch des Nationalsozialismus nicht mehr erleben. (Neuberger, S. 168) Fritz Bensch ist aber nach Kriegsende verstorben. Er geriet in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er entlassen wurde und verstarb am 28. August 1945 als kranker Mann.

Alain Bernheim zitiert Br. Pauls, der in einem Aufsatz geschrieben hat: Als gebrochener Mann war Br. Bensch aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt. Er hat die schmachvolle Behandlung durch die Gestapo nie verwinden können. Sein eifrigstes Bestreben galt in seinem leidenden Zustand der Fortführung des OR und des Ritus. (Bernheim [1], S. 39)

Raoul Koner, Groß-Kanzler und Groß-Zeremonienmeister des ORfD, war von seinem Stiefsohn angezeigt worden, verbotene Schriften zu besitzen. Es fand eine Hausdurchsuchung statt, wobei freimaurerisches Schrifttum beschlagnahmt wurde. Er wurde am 27. August 1933 verhaftet und in das Berliner Polizeigefängnis eingeliefert. Am 15. November 1933 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Raoul Koner ist als Mitbegründer des AASR ständig von den Nazis überwacht und diskriminiert worden. Seine Bewerbungen um eine Anstellung wurden trotz seiner hohen Qualifikation als promovierter Ingenieur von der Gestapo unterbunden, worauf er 1941 nach Niederösterreich zog. Dort fand er Arbeit, durfte jedoch keine leitende Stellung bekleiden. (Neuberger, S. 305) Er hat die Zeit des Nationalsozialismus überlebt und verstarb am 29. März 1977.

Alain Bernheim berichtet über Leo Müffelmann, Fritz Bensch und Raoul Koner folgendes: On his return from a trip to London, September 5th, 1933, Bro. Müffelmann was arrested by the Gestapo and brutally interrogated during four weeks, after which he was detained in the concentration camp Sonnenburg together with Bro. Fritz Bensch, his successor as Lieutenant Grand Commander, and Br. Raoul Koner, another founding member of the Supreme Council who were both arrested on August 28th. All three were set free in November, most likely because III. Br. Cowles, the then Grand Commander of the Southern Jurisdiction of the United States, had intervened in their favour. Fritz Bensch was taken prisoner by the Russians and died in Berlin, August 28th, 1945. Raoul Koner died March 29th 1977. I met him personally. He was a great friend of France. (Bernheim Alain [2]: German freemasonery and it attitudes toward the Nazi Regime. Pietre-Stones, Review of Freemasonery – freemasons-freemasonry.com)

„Schutzhaft“

Dass Freimaurer verfolgt und viele auch zeitweise in Konzentrationslagern interniert und in sogenannte „Schutzhaft“ genommen worden sind, ist vielfach nachgewiesen worden. Ein Beispiel dafür sind etwa die Fälle Bordes und Uterharck. Dr. med. Eduard Uterharck, Mstr. v. Stuhl der Hamburger Loge „Absalom zu den drei Nesseln“ und Vorsitzender des „Vereins der fünf Hamburger Ordensämter“ wurde noch nach Schließung der Logen 1935 wegen der Weitergabe eines Schreibens verhaftet und wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. (Neuberger, S.253)

Das „Hamburger Tageblatt“ vom 27.07.1935 titelte: „Zuchthaus für Hamburger Freimaurer – Mstr. v. St. der Loge ‚Absalom zu den drei Nesseln‘ gegen Staat und Partei“. Fast gleichzeitig wurde der Großmeister der GL 3WK, Dr. Bordes, (und seine Frau im Sinne der Sippenhaft) verhaftet und in das Konzentrationslager „Columbia-Haus“ eingeliefert, wo Bordes Eduard Uterharck traf. Bordes und seine Frau wurden nach wenigen Tagen wieder entlassen. Neuberger schreibt: Mit Sicherheit entbehren Gerüchte, die von einer Ermordung Bordes‘ im Konzentrationslager wissen wollen, jeder Grundlage. (Neuberger, S. 256)

Marcus Meyer nennt die Inanspruchnahme von Ossietzky und Tucholsky als freimaurerische Widerstandskämpfer „dreist“, da der FzaS nicht nur von keiner deutschen Großloge als regulär anerkannt worden ist, sondern sich ständigen Angriffen durch die regulären Großlogen ausgesetzt sah. Meyer nennt das massive Geschichtsklitterung.

Meyer sagt: [Ossietzky und Tucholsky] zu Kronzeugen freimaurerischen Widerstands zu machen war dreist, [da beide] Vertreter jener pazifistischen und antinationalistischen Position [waren], die die Mehrheit der deutschen Freimaurer vehement bekämpft hatte. (Meyer, S. 286)

Marcus Meyer findet kritische Worte zur Rolle der deutschen Freimaurer in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Die Mehrheit der deutschen Logen zählte danach keineswegs zu den Orten, in denen der „Geisteskampf“ gegen den Nationalsozialismus geführt worden wäre. Er führt aus: Die Radikalisierung antidemokratischer, chauvinistischer, nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Vorstellungen in weiten Teilen der deutschen Freimaurerei war ein offensiver Versuch, der ‚bürgerlichen Kultur‘ wieder Geltung zu verschaffen und sie gegen vermeintliche innere und äußere Feinde zu verteidigen. (Meyer, S. 295)

Viele Freimaurer sympathisierten mit der nationalsozialistischen Utopie der Volksgemeinschaft, die ihrer Hoffnung auf Überwindung der Zersplitterung des deutschen Volkes entsprach. (Meyer, S. 296)

Als Wendepunkte für die Umwertung der Werte innerhalb der Freimaurerei markiert Meyer die Jahreszahlen 1870, 1918, 1933 und am Ende als „zweite Schuld“ auch die verfehlte Vergangenheitsbewältigung nach 1945. (Meyer, S. 241 ff)

Die "Zweite Schuld"

Wie ist es zur „zweiten Schuld“, zur verfehlten Vergangenheitsbewältigung gekommen, zu der die Geschichte gehört, dass zahlreiche Freimaurer von den Nationalsozialisten im KZ ermordet worden sind?

Marcus Meyer hat die Gründe dafür in seinem Kapitel „Die zweite Schuld: ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in den bremischen Logen“ (Meyer, S. 281-288) beschrieben. Er spricht von massiver Geschichtsklitterung, wenn sich die ‚reguläre‘ Freimaurerei nach dem Krieg damit brüstete, Toleranz, Demokratie und Weltbürgertum gegen den Nationalsozialismus verteidigt zu haben. (Meyer, S. 297)

Zur Entstehung über die Behauptung der Ermordung von Freimaurern in KZ‘s zitiert Meyer aus einer Rede Theodor Vogels, dem ersten Großmeister der VGL, die Vogel im Mai 1948 bei der Wiedereinsetzung der Bayreuther Großloge „Zur Sonne“ gehalten hat. Vogel sagte unter anderem:

Dass trotzdem ihre Logen geschlossen, ihre Häuser beschlagnahmt, ihr Vermögen geraubt wurde, dass ihre Angehörigen diffamiert, amtsunwürdig erklärt, von den Lehrstühlen entfernt, entlassen, vertrieben oder in den KZ‘s zu Märtyrern gemacht wurden, hat dennoch etwas Gutes bewirkt: Die reinliche Scheidung. Wer in den 13 Jahren der Menschheitsferne der Idee der Loge treu blieb und ausharrte, hatte 1945 gesiegt. (zitiert in: Meyer, S. 285-286)

Vogel kann so verstanden werden, dass die „in den KZ‘s zu Märtyrern“ gemachten Freimaurer nicht überlebten, weil sie Freimaurer waren. Jedenfalls wurde seine Aussage in den nächsten Jahren so weiterentwickelt. Höhmann fasst die Erkenntnis, dass die Freimaurerei erst in den letzten Jahren aufgrund der Forschungen von Autoren wie Neuberger, Hoffmann, Melzer und Meyer in den Diskurs über die Verdrängungskultur eingestiegen ist, so zusammen: 1947 – 1952 dominierten in deutscher Gesellschaft und Freimaurerei die Bemühungen um Anpassung an das westliche Modell der Demokratie und internationale Versöhnung. Beiderseits – in Gesellschaft wie Freimaurerei – kam es folglich zur Verdrängung der Erinnerung an nationalsozialistische Anpassung, beiderseits war die Erinnerungskultur defizitär. (Höhmann[3], S. 10)

Höhmann sieht die Probleme eines offenen Diskurses innerhalb der Freimaurerei auch in persönlichen Befindlichkeiten begründet: Zunächst leiden Diskurse in starkem Maße unter ‚persönlichen Befindlichkeiten‘ (…) sowie ungünstigen Diskursbedingungen. (Höhmann [3], S. 15)

Mario Offenberg hat deutlichere Worte für die deutsche Nachkriegszeit gefunden: Doch schnell nach dem 8. Mai 1945 wird jenseits sonntäglicher Predigten und ritualisierter Umerziehungsappelle der tatsächliche deutsche Alltag von Entrümpelung, Wiederaufbau und Verdrängen bestimmt. Für die Taten, die nicht ungeschehen zu machen sind, gilt es einen sinnvollen, wenn möglich günstigen Freikauf-Preis auszuhandeln. Für die eigene, an jenen Verbrechen in mannigfaltigerweise beteiligte Bevölkerung gilt es eine ‚Exkulputationsmodalität‘ zu finden.“ (Offenberg, S. 261)

Offenberg spricht von einer post-faschistischen Landschaftspflege der 50er Jahre. Er sagt: Die ‚Neue-Blatt‘-Geschichte sollte nicht mit dem Hypotheken-Überhang von gestern begonnen werden. (Offenberg, S. 266)

Die Ermordung von Freimaurern ist nach allen neuen Erkenntnissen über die Freimaurerei in der Zeit des Nationalsozialismus auch gar nicht mit der Politik dieser Diktatur vereinbar.

Nach den Ausschreitungen, vornehmlich durch Radautruppen der SA 1933 und anfangs 1934, bei der Logenhäuser ramponiert, Ritualgegenstände und Archive geraubt und Freimaurer in „Schutzhaft“ genommen wurden, verbot die Führung der NSDAP nach ihrer relativen Konsolidierungsphase solche unkoordinierten Ausschreitungen, da sie in der Bevölkerung nicht den Eindruck wünschte, eine rechtsbrecherische Radauhorde zu sein. Viele Freimaurer gehörten der gutbürgerlichen Schicht am Orte an. Sie in großem Rahmen in ein KZ zu verbringen, um sie dort zu ermorden, wäre bei den Bürgern u. U. auf Widerstand gestoßen. Es reichte der Parteiführung, die Freimaurerei zu verbieten, einzelne mit Berufsverbot zu belegen, sie weiterhin zu diskriminieren und das Propagandamittel von der „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“ zu verwenden.

Die Freimaurer Leber und Leuschner sind von den Nationalsozialisten getötet worden. Es darf auch nicht bezweifelt werden, dass Freimaurer wie Ossietzky, Müffelmann und Schlesinger u. a. infolge von Misshandlungen derartige körperliche Schäden erlitten haben, dass man ihren Tod als eine Folge dieser Misshandlungen sehen muss.

Die in Deutschland verbreitete Zahl von 62 ermordeten Freimaurern ist nicht haltbar. (Die Zahl von 80.000 ermordeten Freimaurern ist frei erfunden und indiskutabel.) Wenn hier der Frage nachgegangen wurde, ob im Nationalsozialismus Freimaurer nur aufgrund ihrer Mitgliedschaft zur Freimaurerei getötet worden sind und als Antwort die Feststellung steht, dass es nicht so war, so wird damit die unglaubliche Barbarei der damaligen Zeit in gar keiner Weise relativiert. Die Untersuchung von Fakten dient immer der Aufarbeitung und ist ein Grundstein für den Neuanfang. Verschleierung und falsche Informationen behindern die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die neu gesteckten Ziele der Humanität und Toleranz.


Literatur:

  • Appel, Rolf: Schröders Erbe, Hamburg 2000
  • Bernheim, Alain [1]: Nachforschungen über die Geschichte des Alten und Angenommenen Ritus in Deutschland, freimaurer-wiki, (Traktate)
  • Bernheim, Alain [2]: German freemasonery and it attitudes toward the Nazi Regime. Pietre-Stones, Review of Freemasonery – freemasons-freemasonry.com
  • Bokor, Charles: Winkelmaß und Zirkel, Geschichte der Freimaurerei, Rastatt, 1970
  • Drechsler, Johannes: Die Brüder vom FzaS – Ein Streifzug durch die Geschichte des Freimaurerbundes Zur Aufgehenden Sonne, in: Die Blaue Reihe, Heft 17, Hamburg 1971
  • Grunwald, Arnold: Freimaurer und Juden – Am Beispiel der Stadt Lüneburg, Norderstedt 2011
  • Hoffmann, Stefan-Ludwig: Die Politik der Geselligkeit – Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918, Göttingen 2000
  • Höhmann; Hans-Hermann [1]: Freimaurerische Erinnerungskultur, in: TAU, Zeitschrift der Forschungsloge Quatuor Coronati, I/2005
  • Höhmann, Hans-Hermann [2]: Europas verlorener Friede, die nationalvölkische Orientierung innerhalb der deutschen Freimaurerei und die „freimaurerische Erinnerungspolitik“ nach dem zweiten Weltkrieg, in: Höhmann: Freimaurerei – Analysen, Überlegungen, Perspektiven, Bremen 2011, S. 51-114
  • Höhmann, Hans-Hermann [3]: Der Freimaurerdiskurs der Gegenwart: Was ist, was will, was soll die Freimaurerei?, in: Quatuor Coronati Jahrbuch für Freimaurerforschung, Nr. 43/2006.
  • Holtorf, Jürgen: Die verschwiegene Bruderschaft, Freimaurer-Logen: Legende und Wirklichkeit, München 1984
  • Melzer, Ralf: Konflikt und Anpassung – Freimaurerei in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, Wien 1999
  • Meyer, Marcus: Bruder und Bürger – Freimaurerei und Bürgerlichkeit in Bremen, Bremen 2010
  • Neuberger Helmut: Winkelmaß und Hakenkreuz – Die Freimaurer und das Dritte Reich, München 2001
  • Offenberg, Mario: Die fortwährende Liquidierung, in: Addass Jisrael – Die jüdische Gemeinde in Berlin (1869-1942) – Vernichtet und vergessen, Museumspädagogischer Dienst Berlin, o. J.
  • Patka, Marcus: Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus -Treue und Verrat, Wien 2010
  • Reinalter, Helmut: Freimaurerei und europäischer Faschismus, in: Reinalter Helmut (Hrsg.) Freimaurerei und europäischer Faschismus, Innsbruck 2009
  • Schreiber, Hermann/Schreiber, Georg: Geheimbünde von der Antike bis heute, Augsburg 1992


Autor: Arnold Grunwald arnold.grunwald@kabelmail.de

Siehe auch:

Links

Videos zum Thema mit den Freimaurern Manuel Pauli, Ivan Wojnikow und Roland Brauch