Gerd Scherm: Die poetische Kabbala 2: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 3. März 2011, 10:17 Uhr

Die poetische Kabbala 2

Von Gerd Scherm

Die Ursprünge der Kabbala

Anders als bei Entdeckungen oder Erfindungen lassen sich die Entstehungsdaten von Ideen meist nicht festlegen. Wann entstand die Idee der Freiheit? Wann wurde die Vision der Demokratie entworfen? Wann entstand die Freimaurerei? Bei der Geschichte der Kabbala ist die Problematik ähnlich. Manche sehen ihre Ursprünge im pharaoischen Ägypten und schreiben es wahlweise Moses oder Aaron zu, die Kabbala auf den Weg ins gelobte Land gebracht zu haben. Wie auch immer, das erste kabbalistisch zu nennende Zeugnis, das wir kennen, ist ein kleines Büchlein mit wenigen Seiten, datiert auf das 2. bis 3. nachchristliche Jahrhundert, Sefer Jesira, das Buch der Schöpfung bzw. das Buch der Formung.

In diesem, in Palästina erschienenen Bändchen, taucht erstmals das neugebildete hebräische Wort Sefiroth auf, werden die „32 wunderbaren Wege der Weisheit“ (2) beschrieben, aus denen sich das Symbol des kabbalistischen Lebensbaums aufbaut. Um ca. 1180 taucht dann, bis heute ungeklärt wie und woher, die erste kabbalistische Schrift in Südfrankreich auf, das Buch Bahir, d.h. leuchtend.Ebenfalls ein schmales Bändchen, 30 bis 40 Seiten nur, ist es laut Gershom Scholem „der unglaublichste Text der hebräischen Literatur des Mittelalters“. (3)

Ungefähr 50 Jahre später entstand dann ebenfalls in Südfrankreich das sog. „Heilige Buch der Kabbala“, das Sefer Sohar, das Buch des Glanzes, das heute als das Hauptwerk der kabbalistischen Literatur gilt. (4) Das Erscheinen sowohl des Buches Bahir, als auch des Buches Sohar fallen räumlich und zeitlich mit ungewöhnlichen Ereignissen zusammen. Weite Teile des Languedoc erlebten eine Periode religiösen Aufruhrs, in der nicht mehr die katholische Kirche herrschte, sondern die dualistische Religion der Katharer oder Albigenser. Natürlich kamen auch die jüdischen Gemeinden mit der Atmosphäre dieser fundamentalen religiösen Erneuerungen in Berührung, die im ganzen Land ein Klima des Aufbruchs im Glauben schuf. Soweit zum historischen Kontext.

Was machte nun die kabbalistischen Schriften so aufregend?

Scholem formuliert das wie folgt: „Das Anliegen der (jüdischen, Anm. des Verfassers) Philosophen und Theologen war auf die Reinheit des Gottesbegriffs gerichtet,...als Gegenschlag gegen die Welt des Mythos... Die Reinheit, um es kurz zu sagen, wird mit der Gefährdung der Lebendigkeit erkauft. Der lebendige Gott geht nie im reinen Begriffe auf... So haben wir denn im Herzen der Kabbala einen Mythos der göttlichen Einheit als Verbindung der Urmächte allen Seins“.(5)

Hier berühren sich die Kabbala und die Gnosis, die vom klassischen rabbinischen Judentum als häretische Form im 2. Jahrhundert n.Chr. abgelehnt wurde, just zu jener Zeit also, als das Ur-Werk der Kabbalisten, das Buch der Schöpfung erstmals in Umlauf kam. Die Gnosis, eine der letzten großen Manifestationen des Mythos im religiösen Denken, fand in den Kabbalisten und ihren Schriften ihre Erben.

Wie eingangs erwähnt, bedeutet das Wort Kabbala schlicht Überlieferung. Nun möchte ich diese Bezeichnung als taktischen Schachzug betrachten, der den Anhängern dieser neuen und zugleich alten mythischen Auffassung Schutz bieten sollte, in dem sie nicht revolutionär Neues proklamierten, sondern sich auf eine, nie genauer bezeichnete Überlieferung, sprich Kabbala, als Legitimation ihrer Ansichten und Lehren beriefen.

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