Ausstellung Logenhaus Welckerstrasse Hamburg: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 21. November 2015, 15:28 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Sinnsuche und Bildfindung
Realismus muss man nicht erklären. Konsumenten lieben einen überschaubaren Kosmos. Künstler jedoch in den seltensten Fällen, sonst empfinden sie schnell sich als Dekorateure fremder Vorstellungswelten. Das mag einer der Gründe sein, weshalb Surrealisten zunächst begannen, die Brunnen am Wegesrand der eigenen Psyche auszuloten und später auch das, was Menschen prägend zu Menschen machen könnte. Das Unterbewusstsein begann, an Darstellungsgewalt zu gewinnen, die pluralistische Kraft von Ikonographie, von Metaphern und Symbolik hielt Einzug in die Bildwelt der Surrealisten. Man erspürte, daß Bilder als Vehikel für etwas dienen könnte, was hinter der Leinwand und in den Köpfen der Betrachter zu wirken begann. Texte und Musik ebenfalls. Eine Orchestrierung des Vorstellbaren, aber auch der intelektuellen Provokation spaltete die Kunstwelt - und sie polarisiert auch heute noch.
Salvador Dali apostrophierte bereits: " Das, was wir zu sehen glauben, ist lediglich die Visualisierung unserer Vorstellungen". Mit diesem Freibrief öffnete er eine Schnellstraße für Dilettanten jeglicher Coleur, die ihre Bilder nur noch als rebusartige Rätsel entwickelten, als Aufgabenstellung für den Betrachter, den sie mit der Deutung schräger Imaginationen allzu gern allein ließen. Inzwischen gibt es Computerprogramme wie die bekannten "Deep-Dream"-Generatoren von Google, die selbst diese Aufgaben bereits automatisch erfüllen. "Machen Sie aus der schnöden Belanglosigkeit ihrer profanen Welt ein buntes Rätsel".
Aber es gibt auch die ernsthaften Fragesteller, die Gründler, die "Sinnsucher", die noch die Psychoanalyse im Tornister mit sich umherschleppen. Sie riskieren eher ein schlechtes Gemälde, wenn nur die Deutungshoheit plausibel genug über dem Rahmen schwebt. Ein Rohrschach-Test für den Kunstfreund. Die Werke dürfen überfordern, sie stellen den Schöpfer, als überlegenen Spin-Doctor dar.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Jens Rusch eine eigene Systematik, deren Verlauf zunächst durch profundes Handwerk geprägt wurde - flankiert von einem manischen Bildungstrieb. Aus Komplexen einen Antrieb zu erarbeiten gehörte ebenso zu seinem Lebenskonzept, wie die Sucht nach literarischer Inspiration. Dazu gehörte zunächst eine vierjährige Arbeit am "Faust" -Zyklus. In der nordischen Walpurgisnacht fällt der enthusiastische Ausruf Faustens: "Hier muss sich manches Rätsel lösen" worauf Mephistopheles verschmitzt anmerkt: "...und manches neue Rätsel knüpft sich auch". Ein freimaurerisches Auftragsgemälde aus dem Gesellenjahr des Künstlers trägt den englischen Titel "The more I know, the less I understand", also etwa "je mehr ich weiss, desto weniger verstehe ich."
Damit ist ziemlich treffend umrissen, was Rusch zur Freimaurerei bringen musste. Eine kosmopolitische Struktur und eine Philososophie, die eben jene zwei Seelen in der Menschenbrust respektiert, die Goethe ebenfalls in seinem Dr. Faustus Gestalt annehmen lässt. Ein Selbsterziehungskonzept auf der Basis allgemeingültiger Symbol-Sprache von ausgesprochen hoher Effektivität entsprach auf ideale Weise seinem selbst erarbeiteten Lebenskonzept einer fundierten Sinnsuche.
So mag es nicht verwundern, dass sich in einer Vielzahl seiner Gemälde und Radierungen Versatzstücke aus der der symbolfreudigen Tiefe freimaurerischen Erkenntnisstrebens finden. Aber man findet auch eine pendelschlagartige Abkehr und Flucht in überschaubare Gefilde. Humor bis hin zum Auto-Zynismus formte ein gegenläufiges Arkanum, sozusagen im mentalen Wellnes-Bereich seines Ateliers. Das musste er nicht neu erfinden, denn Grandville hatte seine Ausflüge in das Staats- und Familienleben der Tiere nie so richtig abgeschlossen. Sich unter die zahllosen Jünger zu gesellen stellte für Rusch keine Schande dar, auch wenn dadurch der Anspruch auf einen absoluten Eigenständigkeitsanspruch reduziert würde.
Und so zogen seine "Vogelmenschen" als eher nebensächliche Resultate einer Bildfindung in nahezu alle seine Arbeitsbereich ein: In seine Wacken-Feldstudien genau so, wie in seine freimaurerischen Symbolgemälde. Wohlerkannte Komplexe und härtere Rückschläge, wie seine schwere Krebserkrankung, versuchte er, in Kräfte umzudeuten, in ein fast schon sarkastisches Motivations-Schema. Das, was Philip Militz in seinem Buch "Freimaurer heute" so treffend mit "Sterben als Lebensmotor" betitelte, kennzeichnet tatsächlich seine kreative Lebens-Panik. Rusch selbst sagt dazu: "Das Bunteste an mir sind meine Blessuren". Militz beendet seinen Artikel etwas euphemistisch mit der Feststellung: [...] Nein, ich bin mir jetzt ganz sicher: Jens´ Arbeitsplatz ist nicht mehr die Säule der Schönheit. Schon lange nicht mehr. Er ist: Die Säule der Stärke ! [...]
Damit nimmt er Bezug auf das karitative Engagement des Künstlers. Mit dessen Aktionen unter dem Titel "STARK gegen KREBS" wurden zahlreiche Initiativen und Institutionen geschaffen, die der Förderung von Patientenautonomie dienen. Seine selbst entwickelte Maltherapie hilft austherapierten Schmerzpatienten und wird auch im Kinder-Hospiz eingesetzt. Insbesondere wurden palliative Strukturen in seiner norddeutschen Heimat entwickelt und nachhaltig mit hohen Benefiz-Erträgen gefördert. Rainer Gansera sagt dazu: "Es geht da um ein surrealistisches Festival-Projekt, das sich "Wattolümpiade" nennt. Der Initiator, der an Krebs erkrankte Künstler Jens Rusch, hat sich Nietzsches Diktum, dass der Künstler der Zukunft zum Feste-Erfinder werden müsse, zu Herzen genommen: karnevaleske Feste als Gegenmittel zur Krankheit, als Feier des Lebens."
Und weil ihm die Freimaurerei dabei so sehr zum Korsett wurde, verletzen ihn gezielte Lügen und das im Internet so allgegenwärtig verbreitete Konspirationsgeschwurbel fast schon persönlich. Mit dem von ihm gegründeten Freimaurer-Wiki versucht er, zumindest im Internet die Deutungshoheit zurück zu gewinnen. Sein virtuelles Lexikon umfasst inzwischen weit über 4500 Themenseiten und kann stolz auf über 18 Millionen Seitenzugriffe verweisen. Das kann man als seine ganz persönliche Geste deuten, etwas Kraftvolles zurück zu geben.
Seinen Dank an die Liebhaber seiner Bilder sieht er hingegen darin, sie an den Prozessen seiner Bildfindungen auf sehr intime Weise teilhaben zu lassen. In zahlreichen Workshops kann man ihm von der Ideenentwicklung, bis zum Schlussfirnis Schritt für Schritt in seinen Facebook-Portalen folgen. "In einer Zeit, in der jeder Besitzer eines Smartphones seine Schnappschüsse mit einem einzigen Klick in ein gemäldeähnliches Konstrukt verwandeln kann, muss man sich als Relikt einer mittelalterlichen Handwerksauffassung verteidigen. Man muss sein Können rechtfertigen, unter Beweis stellen." sagt er. Die Darstellung der Systematik seiner Bildentwickelung hat als Nebeneffekt eine starke Nachfrage nach seinen Workshops und Seminaren generiert. "Keine Kunst ohne Handwerk" steht zwar über seiner Staffelei, wirkt jedoch heute seltsam antiquiert. Das weiss er - und lässt deshalb seine Liebhaber und Bewunderer auch an inhaltlichen Prozessen teilhaben.
Sein jüngster Gemälde-Zyklus "Sinnsuche" umfasst vier großformatige Gemälde, von denen sich nur noch zwei in dieser Ausstellung wiederfinden. Von der Menschwerdung im Gemälde "Creatio ex nihilo", als "Schöpfung aus dem Nichts" bis hin zur finalen Konklusion im hier gezeigten Gemälde "Requiem" führte der Weg über religiöse Sinnsuche und "Naturreligion". Ein profunder inhaltlicher Anspruch, dem überraschend viele Kunstliebhaber nicht nur sehr bereitwillig folgten sondern sogar an der inhaltliche Ausformung teilhaben konnten. Immerhin zog sich der Vorgang durch diese dialoghafte Arbeitsweise über mehrere Monate hin.
Diese Transparenz und handwerkliche Ehrlichkeit lässt Jens Rusch als Künstler und als Freimaurer in einem besonderen Licht erscheinen. So erscheint es mehr als folgerichtig, dass diese Ausstellung jetzt in einem repräsentativen Rahmen in einem Hamburger Logenhaus stattfindet.
Exponate
"Rosslyn Chapel" Öl auf Leinwand 70 x 90 xm. Preis: 4200.- Euro