Traktat:Rede von Bruder Ludwig Börne: Unterschied zwischen den Versionen
K |
|||
(Eine dazwischenliegende Version von einem anderen Benutzer wird nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
+ | |||
+ | |||
+ | [[Datei:Header800.jpg]] | ||
== Rede von Bruder Ludwig Börne == | == Rede von Bruder Ludwig Börne == | ||
− | gehalten im Tempel der Loge "Zur aufgehenden | + | Von Bruder [[Ludwig Börne]] gehalten im Tempel der Loge "[[Zur aufgehenden Morgenröthe]]“ im Orient Frankfurt im Jahr 1811 |
So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird, kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt und den Geist gefangen nimmt. | So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird, kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt und den Geist gefangen nimmt. | ||
Zeile 47: | Zeile 50: | ||
Darum, meine Brüder, lasst uns mit lindernder Hand Balsam träufeln in die Wunde der siegenden Wahrheit, damit, wenn man das neunzehnte Jahrhundert noch einmal erröten sieht, man sagen möge: Die Farbe der Freude ist's, die es verklärt, nicht die Farbe der Scham! | Darum, meine Brüder, lasst uns mit lindernder Hand Balsam träufeln in die Wunde der siegenden Wahrheit, damit, wenn man das neunzehnte Jahrhundert noch einmal erröten sieht, man sagen möge: Die Farbe der Freude ist's, die es verklärt, nicht die Farbe der Scham! | ||
+ | [[Kategorie:Traktate|Börne]] |
Aktuelle Version vom 1. Juni 2014, 22:40 Uhr
Rede von Bruder Ludwig Börne
Von Bruder Ludwig Börne gehalten im Tempel der Loge "Zur aufgehenden Morgenröthe“ im Orient Frankfurt im Jahr 1811
So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird, kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt und den Geist gefangen nimmt. Warum muss die Wahrheit hinter Mauern flüchten, wo des Lebens frische Lüfte sie nicht berühren, wo der Sonne Strahl sie nicht beleuchtet, wo sie beim Dämmerschein der Kerzen hinschmachtet und ihre Farbe der Gesundheit verbleicht? Wie lange noch wird die Göttin, der Beschwörung des Eingeweihten allein folgend, dem Rufe des Profanen ungehorsam bleiben? Wie lange noch soll das himmlische Licht, in die engen Schranken eines Dreiecks gebannt, der Menge unzugänglich sein, die dürstend nach der Quelle eilt? Ist dieses Weltall nicht geschmückt genug, dass es uns zum Tempel dienen könne? Sind die Säulen des Rechts und der Liebe nicht stark genug um das ewige Firmament der Wahrheit zu tragen, und lehrt die blühende Natur nicht jede Wissenschaft schöner und lebendiger als stumme Zeichen auf tote Leinwand gemalt? — — Solche Zweifel hegend, kam ich zu einem frommen Priester der Maurerei und bat um Belehrung. — Was er mich lehrte, will ich treu verkündigen.
Nachdem das heilige Wort entsendet, das der Welt ihr Dasein gab, ward das Chaos geboren. Dunkel war sein Leben, doch liebevoll; öde, doch ohne Sehnsucht; einförmig, doch nicht allein, denn ihm stand nichts gegenüber. — Verschwistert waren alle Kräfte und der Schöpfung einziger Sohn schlummerte in Träumen der Kindheit und der Unschuld. Nun ward das Licht, und der Friede — starb. Die Elemente begannen ihren fürchterlichen Kampf, und aus dem Schose der allumfassenden Mutter stiegen Geschöpfe, feindlich gesinnt im Sein und im Werden. Das Licht, das Alles bindet, und Alles löst, zeugte zwei Söhne: das Leben und den Tod, den Tag und die Nacht. Die Morgenröte spottete die Nacht des Trugs und des Wahns hinweg, und am Abend schwang der Himmel sein blutiges Panier, und die verscheuchte Finsternis kehrte siegreich zurück. — Dasein kämpfte gegen Dasein, Liebe gegen Hass, Treue gegen Verräterei, und der Tod gegen Alles. Die Natur hatte ihre ganze Kraft verschenkt, es gab kein herrenloses Gut mehr. Was das Eine erwarb, musste das Andere verlieren; jeder Atemzug war ein Diebstahl, jeder Pulsschlag war ein Mord. So sprosste die Pflanze der Zwietracht, mit .ihren Zweigen "den Hummel berührend, und ihre Blüte war — der Mensch.
Wie das Herrliche der Schöpfung in dem Menschen sich offenbaret, so auch das Verworfenste; denn die höchsten Bäume sind's, die am tiefsten wurzeln. Wenn die sinnlosen Geschöpfe der Natur in ihren Kämpfen sich bewusstlos anfeindeten, wenn ihren Schmerz weder Erwartung noch Erinnerung begleitete; so war beim Menschen nicht die Tat allein, auch der Wille war blutig; Reue folgte der Sünde nach, und vor dem Übel ging die Furcht drohend einher. Die Herrschaft ward geboren, und mit ihr die Sklaverei. Das Recht musste der Stärke weichen, das Glück ward der Habsucht geopfert, und die Unschuld der Bosheit preisgegeben. Jeder Baum der Freude trug die vergiftete Frucht des Neids, und unschuldsvolle Geschlechter mussten den Jammer ernten, den Andere gesät. Der Wahnsinn hatte den Menschen ergriffen; er vergaß, dass nur ein Herz im Busen der Menschheit sich bewege; mit selbstmörderischem Beginnen zerriss er seine eignen Glieder, — der Mensch erschlug seinen Bruder.
So ward Jahrtausende der Kampf fortgeführt; der Besiegte verlor, doch der Sieger hatte nichts gewonnen, und nur Leichen behaupteten das Schlachtfeld. Das Gut, um welches man stritt, ward Keinem zu Teil, der karge Becher der Freude ward im Taumel umgeschüttet, und früher als man es selbst verlangte, gab man der schadenfrohen Erde ihre Beute hin. — Was war die Quelle dieser ewigen Feindschaft, und was war ihr Ziel?
Es war nicht der Preis des Siegs' um den man kämpfte, man kämpfte um die Lust des Kampfes, denn oft kehrten die Völker gesättigt vom Streite zurück, gestillt war jede Sehnsucht, und jeder Wunsch befriedigt. Todesstille herrschte über Leichenfelder, und die Morgenröte des Friedens ging glänzend auf. Darob erschraken die Bösen und hielten ihren sündlichen Rat. — Soll unser Reich zu Grunde gehen? Ist nichts vorhanden, das die erloschene Kampfbegierde wieder anfacht, und hat der Himmel keine Blitze, um die Welt des Friedens zu entzünden? Sie suchten solche Blitze und fanden sie auch- Das Heiligste, was die Erde und der Himmel trägt, das schönste Gut, das der Mensch besaß, stahlen sie frech, warfen es hin auf den Kampfplatz, und die Flamme des Kriegs loderte von Neuem auf. -. — Was war jenes Heilige, das dem Blödsinn zur Folie dienen musste? Wie hieß das Göttliche, das der Mensch zum Wetzstein seiner Bosheit herabwürdigte? Wie es hieß?
Keiner frage mich danach. Ich weiß es wohl, doch darf ich es nicht sagen. Ich mag in diesem Hause des Friedens und der Freude das Wort nicht aussprechen, das wie ein böser Zauber den Vorhang vor einer Mutigen Vergangenheit hinweg zieht; ich mag das Wort nicht nennen, das in wenigen Silben das Schrecklichste bezeichnet: den Mord, den Mörder und den Gemordeten zugleich. — Solches sahen die Guten und die Besten jeder Zeit, wie die Menschheit in ihren eignen Eingeweiden wühle; sie sahen es und trauerten. Sie trauerten, doch sie verzweifelten nicht. Denn das Kraut des Heils sprosste in ihrem Herzen, und die Hoffnung des Genesens machte sie gesunden. Sie beschlossen die vertriebene Vernunft wieder in ihre Rechte einzusetzen. Sie sprachen zu dem Volk der Finsternis, und Worte des Friedens und der Versöhnung strömten von ihren Lippen:
„O, Könige der Natur, habt Ihr das Leben auf eine Ewigkeit gepachtet, dass Ihr Jahrhunderte, dem Hasse vergeudet, nicht für verloren haltet? -Werdet Ihr Euern Kindern einen Balsam hinterlassen, um die Wunden zu heilen, die ihre Väter schlugen? Habt Ihr ein Zauberwort, das die Geschlechter wieder hervorrufe, die Ihr getötet; das die Ruhe wieder herstellt, die Ihr betrübt; das die Narben ausglättet, die die Schande Eurer Ahnen der Nachwelt überbringen?
Oh! kehrt zum Frieden zurück und liebt Euch!“
So redeten die Guten in ihrer Frömmigkeit, doch von der ehernen Brust der Bösen hallten ihre Worte nach-spottend zurück. Gehört hatte man sie, aber nicht verstanden, und Verfolgung war ihr Lohn. Doch keine Saat geht durchaus verloren, und nicht ganz fruchtlos war ihr Bemühen. Alle die, welche Gott im Herzen und die Wahrheit im Geiste trugen, traten hervor und folgten dem Ruf. Sie reichten sich die Hände, und der Bund des Lichts war geschlossen. Keine Zeugen hatten ihn beurkundet, kein Unterpfand hatte ihn versichert; das heilige Wort ging von Mund zu Mund , und um den Altar des Rechts zog sich der geheimnisvolle Kreis, und wehrte den Zutritt — Wie heißt das Bündnis, das die Edlen aneinander kettet, das den Geist dem Herzen vermählt, und dem guten Willen die Tat zusichert? — Es heißt hier in diesem heiligen Tempel, dem Herkommen gemäß, Maurerei.
Anders nennt man es im Leben; doch nennt es wie Ihr wollt, es spricht sich stets als das Würdigste aus.
Ja, meine Brüder, die Maurerei ist die heilige Quelle, wo die verblühte Schönheit ihre Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre Helle, wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand. Sie ist das Asyl der geängstigten Treue-, die Versöhnerin der beleidigten Unschuld, die Vergelterin der unbezahlten Liebe. Die verworrenen Rechte des Lebens soll sie ordnen, das bestochene Urteil der Leidenschaft soll sie strafen, die" Handlungen des Herzens soll sie richten. Was die plumpe Hand des Blödsinnes wild untereinander gemengt, das soll sie sondern, und mit ihrem Geiste beleben; was die Feuerkraft der Begierde zu heiss umarmt, das soll sie mit ihrer Milde erquicken; und was die unkundige Menge zu streng verdammt, das soll sie mit ihrem Schilde schützen. — Sie stürzt die Scheidewand ein, die das Vorurteil zwischen Menschen und Menschen aufgerichtet; sie zieht das goldene Kleid hinweg, das einen seelenlosen Leib bedeckt; sie stellt Herz gegen Herz, Geist gegen Geist, Kraft gegen Kraft, und gibt dem Würdigsten den Preis. Sie lehrt den Baum nach seinen Früchten schätzen; nicht nach dem Boden, der ihn trägt, nicht nach der Hand, die ihn gepflanzt. Sie sichert das Glück vor den Pfeilen des tückischen Zufalls, sie ergreift das Ruder bei den Stürmen des Lebens, und führt das lecke Schiff in den sicheren Hafen ein. —
So, meine Brüder, sollte die Maurerei handeln, so sollte sie sein. Doch so war sie selten, so ist sie nicht.
Nicht der Göttin, dem Priester opfert man. Man ward es müde das Kunstwerk anzubeten, man wollte den Künstler verehren. Nun trat man keck hin vor die Göttliche und sprach: Sag uns doch, wo kommst Du her? Wohin gehst Du? Wer hat Dich gemacht, und für wen bist Du verfertigt? Doch der Himmel verschmäht es, der Erde Rechenschaft zu geben, und keine Antwort erfolgte. Jetzt warf der Maurer das Senkblei seiner Wissbegierde aus, — grundlos war das Meer. Das wilde Herz pochte an die Schranke der Erkenntnis und forderte den Ausgang; doch die Schranken blieben stehen, und die Pforte öffnete sich nicht
Zu den Sternen schaut er hinauf, wo die Wahrheit quillt — das Leuchten sah er wohl, doch nicht das Licht. Jetzt wendet er rückwärts seinen Blick; die Vergangenheit soll ihm die Gegenwart lösen; doch die ernste Sphinx im' Osten schaut ihn verschlossen an, und hinter dem Schleier der Isis lauscht der Tod. Nun irrt der betrogene Maurer in der Weite umher, und kann die Heimat nicht mehr finden. Da ließ eine Stimme sich hören aus dem Innersten seines Herzens. Sie sprach zu ihm: „Betörter Mensch, Du hast Dein eignes Haus verlassen, und suchst Ruhe in der Fremde. Du bist der Wahrheit treulos geworden, und suchst Heil bei der Lüge, Du bist der Quelle entflohen, und suchst Erquickung in der Wüste. — Kehre schnell zurück! Mensch erkenne Dich selbst“ —
Der Maurer hörte wohl die Stimme seines Herzens, doch er gehorchte ihr nicht Der Puls seiner Neugierde war fieberhaft gespannt; er wollte der Maurerei Herz und Nieren prüfen. Da ergriff er im Wahnsinn das kritische Messer; er öffnete, er zerlegte sie; er ging ihren Adern nach, er sonderte ihre Nerven. Nun ja, jetzt lagen ihre inneren Teile, klar und zergliedert vor seinen Blicken; doch eine Leiche war sie geworden, der Geist entfloh. Er hatte die Quelle der Maurerei entdeckt, doch nur vertrocknet fand er sie; er war ihrem Bette nachgegangen, doch versiegt war der Strom. —
Anfänglich war man freilich etwas betrübt über ihren Tod; doch bald tröstete man sich, man setzte sich hin, und schrieb — — Maurerische Systeme. — Systeme! — Ja der Mörder glaubte seine Tat gebüßt zu haben, wenn er seinem Schlachtopfer eine Leichenpredigt hielt. Man spannte das Gemälde des gotterfüllten Künstlers in einen langweiligen Rahmen ein, und einer bemalten, vielfarbigen Natur gleich, blickt uns das göttliche Bild der Wahrheit lächerlich an, und lässt weder die Anbetung in unseren Herzen noch die Bewunderung in unseren Geiste aufkommen. Man hat innerhalb des Tempels der Maurerei Vorhänge aufgehängt, und wieder Einen, und noch Einen. Meine Brüder! Kann denn das Heilige noch heiliger sein? Hat die Wahrheit ihre Stufen, hat die Seligkeit ihre Grade, und kann die Sonne heller leuchten als helle? — Man will die Unwürdigen abhalten — o unnötiges Bemühen! Die Sehkraft erfasst die Dinge, das Licht bietet sie mir an; dessen Auge trüb ist, wird auch nur Trübes schauen; seid unbesorgt, Jedem wird nur so viel Licht zu Teil, als ihm gebührt. Stürzt die Mauern ein, der Schwache wird doch nichts erbeuten. Öffnet die Pforte: die Sehnsucht bleibt doch stets das Maß der Befriedigung. —
Meine Brüder, wenn Lüge gegen Wahrheit, wenn Tugend gegen Laster streitet, dann bleibt das Herz des Zuschauers nicht ganz ohne Trost; denn wo Ungleiches mit Ungleichem kämpfet, da muss eines unterliegen.
Man weiß wohin man seine Neigung zu wenden, und wenn auch das Verderben den Gerechten trifft, so endet doch der Schmerz mit der Tat, die ihn hervorgebracht. Wenn aber Wahrheit mit Wahrheit, wenn Tugend mit Tugend sich feindlich begegnen, woher soll man alsdann Beruhigung nehmen? Wem soll man den Sieg, wem den Untergang wünschen? Ist nicht die Freude des Einen, die Trauer des Andern? — So ist es in der Maurerwelt: Systeme kämpften gegen Systeme; Logen gegen Logen; Brüder gegen Brüder. Ja wunderbar ist es zu sehen; Alle wollen sie die Wahrheit suchen, doch Jeder will allein sie finden. Alle wollen die gefundene Wahrheit mit Allen teilen, doch Jeder will allein sie suchen. Das Licht ist in seine Bestandteile zerfallen, und Farbe kämpft gegen Farbe. Die Weisheit hat sich mit der Standhaftigkeit verbunden und hält standhaft die Einigkeit von sich entfernt. Die Morgenröte, die das Licht verkündigt, wird vom hohen Mittag verspottet, — verachtet; denn das stolze Sonnenbild hat seine Wiege vergessen, und schämt sich seiner Mutter. —
Meine Brüder, wann wird der Tag erscheinen den alle Maurer mit einem Herzen begrüßen? Wann geht der Mittag auf, der uns zur gemeinschaftlichen Arbeit führt, und -wann bricht die Nacht heran, wo alle Brüder Arm in Arm entschlummern? — Er wird kommen der Tag des Lichts! Mögen immerhin Pygmäengesinnungen in einen Kampf sich einlassen mit dem Riesengeist der Wahrheit; wir lächeln und sind des Siegs gewiss, doch,— auch die Wunde des Siegers schmerzt.
Darum, meine Brüder, lasst uns mit lindernder Hand Balsam träufeln in die Wunde der siegenden Wahrheit, damit, wenn man das neunzehnte Jahrhundert noch einmal erröten sieht, man sagen möge: Die Farbe der Freude ist's, die es verklärt, nicht die Farbe der Scham!