Gerd Scherm: Die poetische Kabbala 3: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 3. März 2011, 10:24 Uhr
Die poetische Kabbala 3
Von Gerd Scherm
Der Baum des Lebens
Das zentrale Symbol, die Glyphe, das Mandala, das Diagramm der Kabbala ist der Baum des Lebens, hebräisch Ots Chaim.
In fast allen alten Kulturkreisen ist der Lebensbaum Sinnbild für das Prinzip der kosmischen Ordnung. So stand im Paradies nicht nur der Baum der Erkenntnis mit seinen verbotenen Früchten, sondern als zweiter der Baum des Lebens. Die Stämme dieser beiden Bäume sollen später im Innern der beiden Säulen Jakin und Boas vor dem Salomonischen Tempel gewesen sein. Auch der germanisch-skandinavische Kulturkreis kennt mit der Weltenesche Yggdrasil ein vergleichbares Symbol.
Doch nirgendwo wurde dieses Symbol so differenziert ausgearbeitet und interpretiert wie in der Kabbala, wo der Lebensbaum zugleich Symbol für den Mikro- und Makrokosmos, das Prinzip des Universums und des inneren Menschen ist. Der Baum des Lebens ist eine „Landkarte“, ein „Reiseführer“ zum Verständnis des Seins wie des Selbst. (6)
Wie ist nun der Baum des Lebens aufgebaut?
Er besteht aus zehn Sphären, korrekt Sefiroth genannt. Dieses hebräische Wort, das im Buch der Schöpfung erstmals auftaucht, bedeutet sowohl „Zahl" als auch „Emanation", der Singular lautet Sefirah. (7) Diese Sefiroth sind von oben (Kether, die Krone) bis unten (Malkuth, das Reich) von eines bis zehn durchnummeriert. Hinzu kommt noch Da'ath, die Sefirah ohne Zahl, doch dazu später mehr. Verbunden sind die zehn Sefiroth mit 22 Pfaden, deren Nummerierung mit 11 beginnt, so dass man von den 32 Pfaden der Weisheit spricht. Diese Zählung beruht auf der Grundlage, dass man die einzelnen Sefiroth sowohl als Emanation, als auch als Pfad sieht.
Die erste Sefirah bzw. Sphäre ist also Kether.
Oft wird sie so dargestellt, dass sie mit drei Schleiern umgeben ist. Kether ist der Ursprung, aus dem alles strömt, alles emaniert. Alle folgenden Sphären kann man sich wie Gefäße vorstellen, die vom vorherigen Gefäß gefüllt werden. Da dies ständig geschieht, fließen die Gefäße stets über ins nächste. Das unterste Gefäß ist Malkuth, der Bereich der physischen Welt, also der Bereich, in dem wir leben. Durch die permanenten Emanationen ist für den Kabbalisten die Schöpfung nie abgeschlossen, weder am siebten, noch an einem anderen Tag „danach“, sondern immerwährend. Jetzt, in diesem Augenblick, findet Schöpfung statt.
Hier zeigt sich die dynamische Auffassung des panta rhei, des alles-ist-im-Fluss erweitert durch die Ansicht, dass dieser Fluss ständig von einer Quelle, nämlich Kether, gespeist wird. Das war und ist, gegenüber einer statischen Auffassung von Welt, revolutionär. Auf der einen Seite ein Weltbild, das von einem einmaligen, abgeschlossenen Schöpfungsakt ausgeht, in der dann linear die Zeit bis zum Ende, dem Jüngsten Gericht, dem Armageddon, wie auch immer genannt, abgelebt wird; auf der anderen Seite ein Weltbild, das von permanenter, zeitloser Schöpfung ausgeht.
Das heißt nichts anderes, als dass wir uns in jedem Moment im Ursprung der Welt befinden, wie sie sich im nächsten Moment darstellt. Das bedeutet keineswegs, dass die Kabbalisten das Vorher oder die Kausalität abgeschafft haben, es bedeutet aber, dass Realität veränderbar ist.
Eine physisch wie psychisch abgeschlossene Schöpfung würde alles und jeden festlegen bis ans Ende der Zeit. Eine permanente Schöpfung, in der die Geschöpfe selbst gestaltende Kräfte sind, beinhaltet die Veränderbarkeit, die Möglichkeit zur Entwicklung und zur Kreativität. Soweit zum Grundprinzip der Kräfte innerhalb des kabbalistischen Lebensbaums, wobei die Pfade nicht die Kanäle für die Energieflüsse sind, die Pfade haben andere Qualitäten.
Nun zur Struktur der „inneren“ Qualitäten der Sefiroth, die ich später auch inhaltlich-poetisch vorstellen werde.
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