Traktat: Leinwand als Arbeitstafel: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 11. Mai 2010, 16:03 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Leinwand als Arbeitstafel
Von Jens Rusch
Mein heutiger Redebeitrag unterscheidet sich ein wenig von den gewohnten Textbeiträgen. Ich habe mir erlaubt, ein gerade begonnenes Bild aus meinem Atelier mitzubringen und möchte Sie, auch bei der folgenden Arbeit über den Fortgang der Entwickelung auf dieser Leinwand sozusagen „ins Bild setzen„.
Dabei bitte ich Sie, sich mit dem Gedankengang vertraut zu machen, dass die Arbeit auf der Leinwand für mich so etwas verkörpert, wie das bildhafte Darstellen meines ganz persönlichen „rauhen Steines“ auf einer gänzlich subjektiven Arbeitstafel.
In diesem Falle jedoch in einem ausgesprochen engen, brüderlichen Dialog mit einem Bruder, der das Bild bei mir in Auftrag gab. Es kommen also durch einen solchen Kontext die Vorstellungswelten zweier Brüder zum Ausdruck. Die Schwierigkeit bei einem solchen Unterfangen ist primär, dass diese Vorstellungswelten nicht unbedingt identisch sein müssen – auch nicht sein können, denn Freimaurerei ist im Prinzip subjektiv.
Sie wird von jedem Brüder anders erlebt !
Die zweite Schwierigkeit, die für mich allerdings nicht neu ist, muß bereits im Vorfeld, vor dem ersten Pinselstrich bewältigt werden: Viele Brüder nehmen dass Edikt der Mäßigkeit, - als eine der wichtigsten Meistertugenden - sehr, sehr ernst. Daß bedeutet für mich als Künstler, dass ich den darzustellenden Bruder eigentlich darstellen müsste, ohne dass er selbst in dem Bild erscheinen würde. Ein Ding der Unmöglichkeit für einen Maler, zumal für einen Realisten ? Sicherlich ist dieses Problem für einen Komponisten leichter zu umgehen, weil er abstrakt arbeiten kann, ohne unrealistisch zu werden. Für den Dichter ebenfalls und der Schriftsteller schafft sich in solch einem Fall einfach Pseudonyme. Sie können also bei dieser Bildwerdungs-Beschreibung miterleben, wie wir das Problem gemeinsam gelöst haben.
Grundidee
Doch zunächst einige Anmerkungen zur Grundidee : Im Zentrum sehen Sie die drei symbolischen Vögel, wie man sie auch über den Fenstern der Provinzialloge von Niedersachsen in Hamburg sehen kann:
Die Eule als Symbolvogel der Säule der Weisheit hat ihre Säule verlassen, weil sie immer auf der Suche ist. In ihren Fängen hält sie die Metapher für Risiko und Gefahr, die Kerze, die an beiden Enden brennt. Das Symbol des Lichtes wird zum Symbol gefahrvollen Wissens. Der Titel des Gemäldes soll sein: „The more I know, the less I understand“. Ich weiß nicht genau, woher ich das habe. Könnte von Shakespeare sein. Oder aus dem tibetanischen Totenbuch – oder aus Asterix oder Micky Maus. Ist mir auch egal. „Je mehr ich weiß, desto weniger verstehe ich“ dieser Satz ist jedenfalls wahr.
Im Faust gibt es diese wunderbare Szene: Faust und Mephistopheles besteigen den Blocksberg und bestaunen das Treiben der Hexen bei der nordischen Walpurgisnacht. Faust sagt dort: „ Hier muß sich manches Rätsel lösen! „ Mephistopheles antwortet verschlagen und leise zur Seite : „... und manches neue Rätsel knüpft sich auch“.
Das soll in dieser Szene eben auch zum Ausdruck gebracht werden: Der Bruder betritt einen dunklen, sakralen Raum in dem drei große Säulen ihm als kraftvolle Metaphern für drei große Werte dienen sollen, an denen er sich orientieren kann. Im Schnittpunkt der Blicklinie der Symbolvögel für Stärke und Schönheit steht unser Symbol des Meistergrades. Der Paradiesvogel (nicht der eitle Pfau) steht auch in der Moorweide für Schönheit, der Adler für Stärke. Und dann bemerkt der Bruder erstaunt, dass die Werte für sich allein ganz gut bestehen können aber in Beziehung zueinander entstehen eben neue, rätselhafte Relationen. Ist der starke Blick womöglich auch agressiv? Kommt es darauf an, auf wen er gerichtet ist? Ist es wirklich nur die Schönheit, oder doch schon ein wenig Eitelkeit – wo ist die Grenze? Die Suche nach der Weisheit, ist sie nicht auch ein wenig Flucht – auch Flucht in die Überlegenheit? Denn wir wissen auch: Wissen ist Macht! Und was ist, wenn die erleuchtenden Kerzenenden niedergebrannt sind?
Vermächtnis
Ich hatte den Bruder, mit dem ich diese Bildidee gemeinsam entwickelte, zunächst selbst mit Hammer und Meißel am rauhen Stein arbeitend in das Zentrum dieses Bildes gestellt. Das gefiel ihm ganz und gar nicht und es kostete mich einige Überredungskraft, ihn überhaupt im Bild erscheinen zu lassen. Immerhin soll das Bild irgendwann als sein persönliches Vermächtnis in den Besitz seiner Mutterloge übergehen.
Eine schöne Geste zwar, die aber wenig über den Bruder selbst aussagen würde, wenn er in dem Bild überhaupt nicht vorkommen würde. So habe ich ihn dann überzeugen können, etwas außerhalb des Raumes zu erscheinen, fragend eine große Tür zu dem sakralen Raum zu öffnen, in dem er sich Antworten erhofft, aber stattdessen immer neue Fragen vorfindet.
Den symbolischen Bruder, der seinen rauhen Stein bearbeitet, hat er dann selbst mitgebracht, er befindet sich als kleine Bronzeplastik im Besitz seiner Mutterloge. Meine Aufgabe wird es nun sein, der Figur Leben einzuhauchen.
Credo
Mein persönliches Credo durfte ich ebenfalls in das Bild einbringen und es findet seinen Ausdruck im Wesentlichen im Ambiente des Bildes. Die sarazenischen Aspekte verweisen auf die Herkunft wichtiger Teile unserer Kultur – und nicht zuletzt der freimaurerischen Kultur, wenn man denn die mystischen Komponenten der Mitbringsel von Kreuzrittern, Templern und Katharern zulässt. Ich weiß, dass das nicht jeder Bruder so sehen mag, deshalb freue ich mich, dass ich in diesem Fall ein Bild für einen Bruder malen darf, der meine persönlichen Sichtweisen toleriert.
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