Traktat: Freimaurerei und Transzendenz: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 21. Februar 2017, 17:50 Uhr

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Traktat: Freimaurerei und Transzendenz

Reflexionen von Petrus Profundus aus Wien.
Traktate in diesem Wiki geben die Meinung des Autors wieder.
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Einführung: Transzendenz und Immanenz

Der Begriff Transzendenz steht in der Philosophie und Theologie für das mit unseren Sinnen nicht Erfahrbare, das hinter der uns zugänglichen Welt steht. Es ist nicht in den Kategorien von Zeit, Raum oder Stofflichkeit beschreibbar. Die Transzendenz ist somit wesensnotwendig unabhängig von den in der Welt vorhandenen Gegenständen; sie geht über diese hinaus.

Im Gegensatz zum Transzendenten steht das Immanente. Es ist in den sinnlich erfahrbaren Dingen enthalten und bedarf deshalb keines Rückgriffs auf die Transzendenz.

Transzendenz wird häufig auch als Synonym für das Göttliche und Unbegreifliche verwendet, das nur in einem Überschreiten der begrifflichen Erfahrungswelt erfasst oder geahnt werden kann.

Der österreichische Bruder Petrus Profundus hat im Oktober 2010 in einem Workshop der österreichischen Loge ‚Lux Rosenau’ über ‚Freimaurerei und Religion’ versucht, der Frage auf den Grund zu gehen, welche Berührungspunkte die Freimaurerei mit der Transzendenz hat.

Die ‚Lux Rosenau’ ist eine Deputationsloge im Verband der ‚Großloge von Österreich’. Mehrmals im Jahr veranstaltet sie im österreichischen Freimaurermuseum Rosenau Symposien zu Fragen innerhalb und außerhalb des freimaurerischen Themenkreises. 2015 hat sie die Vorträge eines Jahrzehnts im internen Protokollbuch „Auf den Flügeln der Morgenröte“ abgedruckt. Den folgenden Text entnehmen wir diesem mehr als sechshundertseitigen großformatigen Werk.

Das Freimaurer-Wiki dankt dem Autor und der Loge ‚Lux Rosenau’ für die Erlaubnis, den überarbeiteten Text des Vortrags hier wiedergeben zu dürfen. Rudi Rabe.


Das Transzendente in der Königlichen Kunst

Wo in der königlichen Kunst ist das Transzendente zu finden?

Das Transzendente ist in der königlichen Kunst in dreierlei Form präsent:

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  1. Die Freimaurerei beschreitet hinsichtlich der möglichen Quellen der Verbindlichkeit und Wahrheit von Aussagen, Normen und Werten einen sehr spezifischen und einmaligen Weg, den ich als ‚Minimale Verankerung im Transzendenten’ bezeichnen möchte.
  2. Das rituelle Geschehen in der Loge spielt sich darüberhinaus in einem vom profanen Bereich in überraschend vielerlei Hinsicht separierten Rahmen ab, den man ebenfalls als transzendent deuten und beschreiben kann.
  3. Die Wandlung des Initianden vom Menschen zum Bruder Freimaurer geschieht durch Vermittlung des Transzendenten. Ich beschreibe die Initiation als ontologische Änderung im Transzendenten.

Diesen drei Punkten werden wir im Folgenden separat nachgehen.

Zwei Vorbemerkungen

1. Wie entsteht Wahrheit – wie wird sie legitimiert?

Zuvor ein Blick auf die prinzipiell möglichen und denkbaren Legitimationsquellen von Aussagen hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit und Wahrheit.

  • Eine erste Quelle von Legitimation und Wahrheit ist das Transzendente, also der Glaube im Gegensatz zur Ratio. Es ist denkmöglich, einen bestimmten Satz oder ein kohärentes System von Aussagen im Transzendenten zu verankern, etwa eine Glaubenslehre und Glaubensdogmatik, und so den gesamten Inhalt der Aussagen dem rationalen Diskurs zu entziehen und ihn als ‚Wahrheit von oben’ als unumstößlich und schlechthin wahr zu definieren.
  • Eine zweite Quelle von Legitimation und Wahrheit liegt in der Ratio, im konsequenten Gebrauch der Vernunft. Ob sich auf diese Weise unumstößliche Wahrheiten finden und formulieren lassen ist bis heute ein in der Philosophie ungeklärtes Problem.
  • Die dritte und letzte Quelle von Legitimation – nicht aber von Wahrheit – liegt im Begriff der Übereinkunft, formalisiert, im Begriff des Vertrages. Thomas Hobbes und später John Locke nutzten diese Quelle zur Legitimationsbegründung von Herrschaft.

2. Die Freimaurerei hat philosophische Kernaussagen

Anders als gelegentlich im Zusammenhang mit der Dogmenlosigkeit der Freimaurerei behauptet transportiert die Freimaurerei tatsächlich sehr wohl Inhalte und Aussagen und bezieht damit eine abgrenzbare und beschreibbare Position.

Diese Inhalte sind nicht explizit dargelegt, sondern müssen aus indirekten Quellen wie dem Ritual, der Symbolik, dem Fehlen von Aussagen in manchen Kontexten, der Geschichte der Freimaurerei und dem Vergleich mit denkmöglichen Alternativen erschlossen und interpretiert werden. Sie sind aber vorhanden. Geistige Inhalte können in verschiedener Form tradiert und ventiliert werden, nicht nur explizit schriftlich. Die Gesamtheit aller solcher Inhalte können als ‚freimaurerisches Gedächtnis’ bezeichnet werden. (Zur Bedeutung der verschiedenen Träger von geistigen Inhalten und ihrer für ein Gesamtbild konstitutiver Wirkungen siehe Assmann, J., Das kulturelle Gedächtnis.)

Das Gesamtgebäude der Aussagen der Freimaurerei erscheint also nicht aus einem Guss, sondern vielmehr als Sammlung zum Teil einander widersprechender Versatzstücke, die dennoch – erreicht durch den Verzicht auf ein explizites freimaurerisches Dogma – nebeneinander bestehen können.

Es ist auch darauf zu verweisen, dass die Freimaurerei keinen wirklich konstitutiven heiligen Text kennt. (Dies gilt in philosophischer Hinsicht. Die Geschichtswissenschaft betont demgegenüber zu Recht den identitätsstiftenden Charakter einer gemeinsamen Überlieferung, siehe z. Bsp. Meyer, M., Bruder und Bürger - Freimaurerei und Bürgerlichkeit in Bremen, S. 29 f.) Wohl sind die Konstitutionen zweifellos ein zentraler Text, dem aber keine ‚Heiligkeit’ in seiner Gesamtheit zukommt, wie für religiöse Gründungstexte erforderlich; sie sind also nicht im Transzendenten - etwa durch Offenbarung - verankert. (Assmann analysiert die Konsequenzen, die das Vorhandensein oder das Fehlen solcher fixierter schriftlicher Texte auf Gesellschafsordnungen hat, im Detail in Assmann, J., Das kulturelle Gedächtnis. Assmann legt das Hauptaugenmerk auf die Konsequenzen aus der verschiedenen Variabilität von schriftlich und mündlich tradierten Texten.)

Das Transzendente in der Freimaurerei

1. Der ‚Große Baumeister aller Welten’ (GBaW) als „Minimale Verankerung im Transzendenten“

Die Freimaurerei nimmt in einem GBaW genannten höchsten Wesen einen im Transzendenten liegenden Einzelpunkt an.

Dieses Symbol ist inhaltlich – und dies ist das Besondere – nicht näher spezifiziert, und wird in der Freimaurer derart eingeführt, dass es dem einzelnen Freimaurer überlassen ist, in diesem Symbol den jeweils für ihn richtigen oder relevanten Gott, oder allgemeiner gesprochen, Bezug zum Transzendenten zu sehen. Diese inhaltliche Indeterminiertheit des GBaW rechtfertigt es, von einer ‚Minimalen Verankerung im Transzendenten’ zu sprechen. Es wird kein inhaltlich ausgestaltetes und ausformuliertes Aussagensystem im Transzendenten legitimiert, sonder nur die Existenz eines einzigen Halte– und Angelpunktes postuliert, darüber hinaus aber nichts. Die Freimaurerei ist damit zwar im Transzendenten begründet und bezieht daraus ihre eigentliche Legitimation und ihren Wahrheitsanspruch, sie ist aber darüberhinaus offen. (Vgl. allgemein die Diskussion von Typen philosophischer Anthropologien bei Di Bernardo, G., Die Freimaurer und ihr Menschenbild. Über die Philosophie der Freimaurer, S. 13 ff., und die dort vorgenommenen Unterscheidungen in religiös/laizistisch, exklusiv/nicht-exklusiv und total/partiell.)

Es ist versucht worden, eine Unterscheidung zwischen dem Postulat der tatsächlichen Existenz eines transzendenten Angelpunktes im GBaW und dessen bloßer Verwendung als regulativem Ideal, dem keine tatsächliche Existenz zukommt, und das wirkt, als ob es existiere, einzuführen.

Damit werden der Begriff des GBaW und die Verankerung im Transzendenten nicht ontologisch aufgefasst, sondern nur als Hypothese eingeführt, die keine ontologische Entsprechung hat. (Di Bernardo, G., Die Freimaurer und ihr Menschenbild. Über die Philosophie der Freimaurer, S. 42 ff. und fast wortgleich in: Reinalter, H., Die Freimaurer, S. 36 ff. Nach Di Bernardo ist die Auffassung von Transzendenz als regulatives Ideal typisch freimaurerisch, als ontologische Realität typisch christlich. Dieser Auffassung kann ich nicht zustimmen, weder in der Beschreibung der Freimaurerei, noch in der Gegenüberstellung von Freimaurerei und Christentum.) Die Diskussion stützt sich dabei insbesondere auf zwei Punkte.

Zum ersten auf die Ansicht, Moral sei heute auch ohne Rekurs auf Transzendentes begründbar. Aus Sicht der heutigen Philosophie ist diese Ansicht durchaus nicht evident und wird tatsächlich von ihren Vertretern auch nur selten philosophisch stringent hergeleitet bwz. tatsächlich gezeigt. Vielmehr tut sich die heutige Philosophie durchaus schwer, die letztendliche und unbezweifelbare Gültigkeit und Richtigkeit positiver Thesen zu zeigen bzw. auch nur ihre prinzipielle Beweisbarkeit anzunehmen.

Zum zweiten stützt sich diese Schule auf die Ansicht, im GBaW werde hauptsächlich ein Moralprinzip transzendent verankert. Dem ist ebenfalls nicht zuzustimmen, verankert wird eine gesamte Weltsicht und Philosophie, von der die Moral nur ein Teil ist, so, wie moralisches Handeln auch nur ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung ist. Im ersten Grad steht die Arbeit des Menschen an sich selbst im Vordergrund, im dritten die Beschäftigung mit dem Tod. Insgesamt ist die Freimaurerei am besten beschrieben als der gesamten Persönlichkeitsentwicklung dienend, die moralisches Handeln ebenso umfasst wie Reife, Weisheit, innere Ausgeglichenheit, und immerwährendes Streben und Suchen. Es ist das gesamte Fundament der freimaurerischen Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung, das im Transzendenten verankert ist, nicht nur ein ethisches Postulat.

Die Ansicht der Großloge von England, die Freimaurerei-intern für die „Regularität“, d.h. für die ‚dogmatische Richtigkeit’ von Inhalten verantwortlich ist, ist dementsprechend auch: „The essential qualification for admission into and continuing membership is a belief in a Supreme Being.“ (Hier zitiert nach Schultze, B., Der Glaube an ein höchstes Wesen im Sinne der Verfassung der Vereinigten Großloge von England, in: Quatuor Coronati Jahrbuch für Freimaurerforschung Nr. 46/2009, S. 105-116, Bayreuth 2009, der dies auch diskutiert.)

Der Ausweg über ein ‚regulatives Prinzip’ erfordert außerdem, das Konzept des “so tun, als ob” einzuführen: der GBaW soll zwar nicht existieren, die Konsequenzen aus seiner Existenz dagegen schon, insbesondere Konsequenzen hinsichtlich der Legitimierung von Moral und ethischen Normen. Dies erscheint inkonsequent und kann möglicherweise nur aus einer Berücksichtigung der Diskussion, ob Freimaurerei eine Religion sei, und der von Seiten der Freimaurerei etablierten negativen Antwort darauf, die nun natürlich zu begründen ist, erklärt werden. Logisch folgerichtig kann nur etwas Konsequenzen haben, das auch existiert. Andernfalls liegt die Quelle der Legitimation der Ethik nicht im Transzendenten, sondern im Menschen selber, im Interpreten, der normativ sagt: “Ich tue so, als ob...”

Dieses Handlungssubjekt des ‘Ich’ ist nun die Quelle der vermeintlich im Transzendenten verankerten Moralphilosophie. Philosophisch gesprochen ist damit eine konstruktivistische Position eingeführt, die die Moral bzw. Normen auf autonomes Handeln des Menschen zurückführt, eben als Konstruktion. Dadurch wird der gesamte Kosmos in seiner Aufgeladenheit mit Gottesvorstellungen als Konstrukt der Psyche des Einzelnen dargestellt. Dies ist zur Begründung ohnehin mehr als legitim: der Mensch kann Normen auch aus eigener Machtvollkommenheit setzen, ohne Rekurs auf ein Transzendentes, und damit mehr noch ohne Rekurs auf ein Transzendentes, das nicht existiert. Mit diesem autonomen Handeln tritt der Mensch vielmehr sogar an die Stelle des Transzendenten und damit an die Stelle Gottes.

2. Die Schaffung eines transzendenten masonischen Kosmos

Neben dem ins Transzendente reichenden und weisenden GBaW soll ein zweites Beispiel illustrieren, wie sich das Transzendente im freimaurerischen Ritual äußert. Das Beispiel ist die Schaffung eines freimaurerischen Kosmos im Ritual, der offensichtlich nicht ‚von dieser Welt’ ist. Dieser Kosmos wird durch verschiedene Abgrenzungen von der realen Welt konstituiert. (Diese Kosmogenese im Ritual ist in der freimaurerischen Literatur beschrieben, etwa in Scherpe, W., Das Unbekannte im Ritual, S. 105 ff. Die Aspekte der Schaffung der Zeit und eines im Transzendenten verankerten Sinnes sind dagegen weniger gut belegt.)

Zunächst einige Abgrenzungen, die nur profan wirken:

  • Die soziale Abgrenzung der Freimaurerei als Geheimgesellschaft: Die Freimaurerei ist als Geheimgesellschaft konstituiert, d.h. die Mitgliedschaft soll der Öffentlichkeit nicht bekannt sein.
  • Die symbolische Abgrenzung der Freimaurerei als Geheimgesellschaft: Durch die Symbolik, deren sich die Freimaurerei bedient, wird sie auch ihren Inhalten nach für die Öffentlichkeit unzugänglich. (Die Verwendung von Symbolen hat dessen ungeachtet natürlich auch noch andere Funktionen und Rechtfertigungen.)
  • Die sprachliche Abgrenzung: Die Verwendung von Kommunikationsformen, im allgemeineren Sinne von Sprache, die nur Eingeweihten zugänglich ist, bedeutet eine Abgrenzung der Freimaurerei auf der sozial-kommunikativen Ebene.
  • Die ‚Profane Lokale Abgrenzung’: Freimaurerische Arbeiten werden an wohldefinierten Räumen gehalten (die allerdings nicht in der Zeit unveränderlich sein müssen). Im physikalischen, erlebten Raum findet die Freimaurerei also an abgegrenzten Orten statt.

Es folgen Abgrenzungen, die ins Transzendente reichen:

  • Die ‚Magische Lokale Abgrenzung’: Der Raum der Loge wird magisch transformiert und symbolisiert dann den Kosmos. Es werden Himmelsrichtungen definiert (und nicht etwa eingehalten) und ein Bezug zum Sonnenlauf hergestellt. Die Arbeit in der Loge findet also im Kosmos und nicht an einem begrenzten Ort statt. Die magische Verwandlung kommt zum Beispiel durch das rituelle Durchschreiten einer Schwelle zustande.
  • Die ‚Zentrierung der Welt’. Das Bild des Zentrums ist ein in fast allen Religionen und Mythologien vorkommendes Element. Es ist zum einen verknüpft mit der Verbindungsstelle zwischen den Weltebenen, zum Beispiel Himmel, Erde und Unterwelt. Dort, wo eine Verbindung entsteht, ist das Zentrum, und wird durch einen hohen Berg, Leitern, die Axis Mundi, Bäume usw. markiert. Diese Verbindungsstelle ist oft mit der Zahl 7 assoziiert, etwa durch sieben Stufen einer Treppe oder durch sieben Sprossen einer Leiter. (So zum Beispiel wahrscheinlich in den Orphischen Mysterien, sicher aber in den Mithrasmysterien mit einer siebensprossigen Leiter: jede Sprosse ein anderes Metall.)
  • Die weltgeschichtliche Abgrenzung: Durch die andere Zählung der Weltzeit (plus 4000 Jahre) finden freimaurerische Aktivitäten in einer anderen Epoche, einem anderen Zeitabschnitt der heute akzeptierten Zeit statt.
  • Die Jahreszeitliche Abgrenzung: Durch eine andere zeitliche Fixierung des Jahresbeginns sind auch die Jahresabläufe der freimaurerischen Welt und der profanen Welt entkoppelt. Sowohl die Weltzeiten als auch die Jahreszeiten von freimaurerischer und profaner Welt laufen zwar gleich schnell, d.h. sind gleich ‚getaktet’, konstituieren aber dennoch verschiedene Universen in der Zeit.
  • Die Abgrenzung der Zeit: Die Arbeit in der Loge findet ausdrücklich nicht in der profanen Zeit, sondern in einer virtuellen Zeit, zwischen Hochmittag und Hochmitternacht statt. Die explizite, durch Formeln ausgedrückte ‚Schaffung’ dieses Zeitabschnitts im Ritual ist so deutlich, dass ein Vergleich mit magischen Beschwörungsformeln, die durch das Aussprechen von Worten auch eine Veränderung der Realität, die Schaffung einer neuen Realität schaffen, angebracht ist. (Eine Abhandlung zum magischen Weltbild und der kreativen Funktion der Sprache ist hier nicht möglich. Zu denken ist aber an die tatsächliche Schaffung von Realität im menschlichen Bewußtsein durch das Benennen von Dingen. Für das frühe Bewußtsein und Denken, das an die Sprache, und damit an die Benennung von Dingen, an das Schaffen von Begriffen gebunden ist, wird also tatsächlich durch das Aussprechen von magischen Formeln, aber auch durch das Finden von Begriffen Realität konstituiert und erlebbar gemacht.)
  • Die Abgrenzung der freimaurerischen Persönlichkeit: Der einzelne Freimaurer wird bei seiner Aufnahme neugeboren und neu ‚geschaffen’. Er besitzt ab diesem Zeitpunkt zwei Persönlichkeiten, die profane und die des Freimaurers. Die dauerhafte Verwandlung kommt in der These „Einmal Freimaurer, immer Freimaurer“ zum klaren Ausdruck; es handelt sich also nicht um eine Funktion, oder eine Rolle in einem Ritual, sondern um eine dauerhafte neue Persönlichkeit.
  • Die Abgrenzung der freimaurerischen Persönlichkeit des ‚Meisters vom Stuhl’ (MvSt): Funktionsträger wie der MvSt sind zusätzlich während des Rituals Verkörperungen von Licht oder des Lichtgottes. Diese Verwandlung ist temporär, das heißt an die Dauer des Rituals gebunden. Der MvSt hat also tatsächlich drei Persönlichkeiten, während er im Osten sitzt.

3. Die Initiation als ontologische Änderung durch das Transzendente

Die Freimaurerei kennt verschiedene Zustände des Menschen in der Welt, in denen ein Mensch sich befinden kann, und damit – wie auch im Christentum – verschiedene Handlungsaufträge und Handlungsmöglichkeiten. Der Übergang zwischen den Zuständen ist ein ontologischer. Dies ergibt sich etwa aus dem Diktum „Einmal Freimaurer, immer Freimaurer.“, das in der Freimaurerei häufig zitiert wird, und nach dem die Änderung, die durch die Initiation bewirkt wird, irreversibel ist, was nur durch ihre ontologische Qualität erklärt werden kann. (Demgegenüber wäre eine reine Vereinsmitgliedschaft reversibel und aufkündbar. Auch eine Priesterweihe ist in diesem Sinne ontologisch intendiert und ist ebenfalls nicht (ohne weiteres) reversibel, wie auch andere Sakramente.)

M. Eliade drückt dies – sehr klar und eindeutig – so aus (Eliade, M., Das Mysterium der Wiedergeburt, S. 235): „Man darf nie aus den Augen verlieren, dass der Initiationstod das Ende des „natürlichen“, nichtkulturellen Menschen bedeutet – und gleichzeitig den Übergang zu einer neuen Seinsweise: derjenigen eines „zum Geist geborenen“ Wesens, das heißt eines Wesens, das nicht allein in einer „unmittelbaren“ Wirklichkeit lebt.“ Und weiter (Eliade, M., Das Mysterium der Wiedergeburt, S. 208): „Dank der Initiation gelangte der Neophyt zu einer anderen Seinsweise: er wurde den Göttern gleich.“

Abschluß: die Freimaurerei als ‚ars vivendi’

Diese Analyse der Präsenz des Transzendenten in der Freimaurerei erlaubt uns nun, einen Schritt zurück zu treten und zu überlegen, wie sich im Licht dieser Erkenntnis die Freimaurerei in ihrer Gesamtheit erfassen lässt.

Die Freimaurerei ist zunächst keine philosophische Schule, denn sie ist weder Unterrichtung eines im Prinzip mitteilbaren Wissens (also Schule), noch auf Philosophie beschränkt. Die Freimaurerei ist auch kein Übungsrahmen für moralisches Handeln, zumindest greift diese Beschreibung zu kurz, indem nur die Inhalte der Freimaurerei im Bereich der Moral gesehen werden.

Was ist die Freimaurerei dann? Die beste und umfassendste Antwort wäre: die Freimaurerei ist eine eigenständige Art und Weise, zu sein, zu existieren, zu suchen, zu erkennen und zu handeln, kurz, eine Form und Begleitung der individuellen Persönlichkeitsentwicklung.

Sie gibt Hilfestellung und Anleitung zum Sein (Initiation und neues Selbst der Initiierten), zum Erkennen (Motive, Symbole und Suche) und zum Handeln (Moral) und setzt den Freimaurer damit in ein neues Verhältnis zu seinen Mitmenschen, zur Gesellschaft im Gang der Geschichte, zur Außenwelt, zu sich selber und zum Transzendenten. Damit richtet sie sich an den ganzen Menschen, sie ist in diesem Sinne ganzheitlich.

Sie unterscheidet sich damit übrigens – und dies nur als abschließende Nebenbemerkung – von anderen abendländischen philosophischen Systemen in mehrerlei Hinsicht.

  • Zum ersten ist sie ein subjektives System, das anerkennt, dass Wahrheit an den Erkenntnisakt und an den Erkennenden gebunden ist.
  • Zum zweiten erschöpft sie sich nicht in einem rationalen Zugang und ist mit ihren drei Dimensionen erkenntnistheoretisch offener als die Philosophie.
  • Zum dritten legitimiert die Freimaurerei ihre Aussagen nur durch eine minimale Verankerung im Transzendenten und
  • bietet viertens Hilfe auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung, ohne das Ziel des Weges dogmatisch zu benennen.
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Siehe auch