Zirkelkorrespondenz
140 Jahre »ZK«
Kommentar von Philip Militz
Deutschlands ältestes Freimaurer-Periodikum kann in diesem Jahr 140jähriges Bestehen feiern. Die Zirkelkorrespondenz, kurz »ZK«, wurde 1872 von Adolf Widmann gegründet und ist bis heute weitestgehend ein Mitteilungsblatt und Forum für Brüder der Großen Landesloge geblieben. Noch heute bestehen die Artikel überwiegend aus Reden, die z. B. während der zeremoniellen Zusammenkünfte gehalten wurden.
Zwei Texte aus der »Jubiläums-Ausgabe« habe ich mit Einverständnis der Autoren hier zum Reinschnuppern angehängt. In einem geht’s um Standhaftigkeit und einen beeindruckenden Indianer, im anderen um Freimaurerei und die Herausforderungen unserer Zeit. Viel Freude beim Lesen – und natürlich vielen Dank an die Brüder, die aktuell die ZK betreuen und ehrenamtlich viel Zeit und Kraft in die monatliche Herausgabe investieren. Einer der Tapferen hat mir hoffentlich inzwischen verziehen, dass ich vor einigen Jahren seinen Namen ins Spiel gebracht habe, als ein neuer »Chefredakteur« gesucht wurde, während ich inzwischen dabei bin, mich zurückziehen. ;) Auch meine »Maurerworte« sind bzw. waren Teil der ZK; das letzte habe ich gerade eingereicht.
That's what we stand for!
– ein Vortrag von Br. T. T., erschienen in der »Zirkelkorrespondenz 1/2012 –
Hochwürdiger Meister, meine lieben Brüder,
„Weisheit, leite unseren Bau, Stärke, führe ihn aus, Schönheit, ziere ihn.“ Mit diesen Worten
begann vor wenigen Minuten das Eröffnungsritual unserer Johannisloge. Auf diese drei Grundfesten
ist unser Tempel aufgebaut.
Als zweiter Aufseher stehe ich für den Aspekt der Schönheit. In den letzten Wochen hat jedoch immer wieder der Begriff der Stärke meine Aufmerksamkeit gefunden und diese „Stärke“ ist heute Gegenstand meines Vortrages.
Was bedeutet dieser Begriff der Stärke? Aus Kinderaugen heraus ist der Papa der Stärkste –
der kann einfach alles. So habe ich meinen Vater früher auch gesehen. Diese Stärke empfand ich
als allumfassend. Sie lässt sich aber auch in verschiedene Aspekte zerlegen.
Einerseits gibt es die körperliche Seite der Stärke, diese ist vielfach die offensichtlichere.
Wir sehen einem Mann seine Kraft, seine Muskelkraft häufig an. Die Figuren der Geschichte und des Films sind voll davon. Atlas, der die Weltkugel trägt; Herkules bei der Bewältigung der 12 Aufgaben, später dann zum Beispiel Arnold Schwarzenegger in Conan der Barbar oder Brad Pitt als Achilles in dem Film Troja. Aus dieser körperlichen Kraft entsteht ein Eindruck von Macht, der teilweise ängstigt, aber auch fasziniert. Diese physische Stärke ist nicht selten im Zusammenhang mit Gewalt anzutreffen. Spätestens in dieser Kombination hat es aber nichts mehr mit Stärke zu tun, sondern nur noch mit Machtmissbrauch und Kriminalität. Nichtsdestotrotz ist es beeindruckend zu sehen, wenn sich ein Mann in der Bewusstheit seiner Kraft bewegt. Weitere physische Aspekte der Stärke sind Schnelligkeit und Ausdauer. Die Geschwindigkeit, mit der sich Kampfsportler oder Leichtathleten bewegen, sowie die Ausdauer, die Triathleten im Wettkampf zeigen, beeindrucken uns. Es ist diese körperliche Überlegenheit, die häufig bei Sportlern anzutreffen ist, die auf uns wirkt.
Der aus meiner Sicht interessantere Anteil der Stärke findet aber im Metaphysischen oder in
der Psyche eines Menschen seinen Ausdruck. Auch hier zeigt sie sich in unterschiedlichen Aspekten.
Wenn ein Mensch den Raum betritt und es ändert sich daraufhin die Stimmung. Wenn in
einer Diskussion eine Person das Wort führt und alle anderen schauen, welche Position diese
Person vertritt. Dann haben wir jemanden vor uns, der ganz klar führt und dies hoffentlich im
besten Sinne. Dieses tritt natürlich in Organisationen mit einem festen Machtgefüge auf; aber
eben auch z. B. bei Treffen von Mitarbeitern einer Entscheidungsstufe.
Warum sind es da immer wieder die Gleichen, die dominieren? Es muss an ihrer inneren Stärke
liegen, die nach außen wirkt. Sie zeigt sich in einer Präsenz, die fast körperlich spürbar ist. Es
umgibt sie eine Art Aura, die jedes Wort, jede Geste gewichtiger erscheinen lässt. Sie entspringt,
glaube ich, einer Haltung, die dieser Mensch den Dingen gegenüber einnimmt. Er hat grundsätzliche
Überzeugungen, die die Basis seines Denkens und Handelns darstellen. Diese Überzeugungen
gründen in der Regel im moralischen und ideellen Bereich. Seine Handlungen sind kein
Selbstzweck, sondern verfolgen einen tieferen Sinn. Er lässt sich nicht leicht davon abbringen
und folgt auch keinen zeitgeistlichen Strömungen. Er ist somit auch berechenbar, man kann sich
an ihm auf- und ausrichten. Er trägt wahrscheinlich Sätze wie „Das macht man nicht!“ in sich
und handelt im Miteinander danach. Er vertritt seine Überzeugungen nach außen, auch gegen
Widerstände.
Dazu gehören neben bewussten oder unbewussten Glaubenssätzen ein fester Wille, Disziplin und ein klarer Verstand. Wir Freimaurer haben diesen Anspruch auch an uns. „Ein Freimaurer ist ein freier Mann, der seine Neigungen zu überwinden, seine Begierden zu mäßigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen weiß.“ Dieses sagt mit anderen Worten das Gleiche. Das unerschütterliche Eintreten für seine Überzeugungen. Ich habe vor vielen Jahren einen Vortrag an der pädagogischen Hochschule in Flensburg gehört. Dort trat ein Häuptling der Black Feet auf. Er erzählte die Geschichte seines Volkes und welches ihre Sorgen und Forderungen seien. Er trug dies sehr überzeugend vor. Eine Geste hat mich besonders beeindruckt. Er hat einige Positionen, die ihn sehr bewegten, mit den Worten unterstützt: „That’s what I stand for!“ „Das ist es, wofür ich stehe!“ Dieser Satz hat sich mir eingeprägt.
Der Indianer hat sich dabei nicht besonders bewegt – ich hatte aber das Bild vor mir,
dass er dabei einen imaginären Speer neben sich in den Boden rammt. „That’s, what I stand
for!“ Es war eine außergewöhnlich starke Selbstgewissheit bei ihm spürbar. Kein Zeichen von
Unsicherheit oder Zweifel. Er vertrat die Sache seines Volkes und verkörperte zu 100 %, was er
sagte. Für mich ist dies seitdem ein sehr prägnantes Bild für Stärke.
In anderen Situationen ist es auch manchmal überraschend, wenn jemand die Führung übernimmt
oder seine Meinung vertritt, von dem man das in dieser Deutlichkeit oder Vehemenz
nicht erwartet hat. Wenn sich jemand ein Herz fasst und trotz Ängste und Befürchtungen aufsteht
und widerspricht, wenn gegen seine Grundsätze gehandelt oder geredet wird.
Stärke kann auch sichtbar werden, wenn ein Mensch Fehler eingesteht, insbesondere vor sich
selbst. Auch wenn einer ohne Lamentieren Mühen und Schwierigkeiten erträgt, wenn sich diese
nicht ändern lassen. Oder wenn ein Mensch Verantwortung nicht nur für sein Handeln übernimmt,
sondern auch für Andere, für eine Gruppe, eine Organisation oder ein Land. Das geht
nicht ohne ein gewisses Maß an Stärke.
Stärke gewinnt man nicht – kann man nicht kaufen, die muss ein jeder sich erarbeiten. Dazu gehört neben einem festen Willen auch Erfahrung, die sich im Laufe der Jahre aufbaut. Die Erlangung von Stärke ist harte Arbeit. Sie entwickelt parallel zum Sein in Abgrenzung zum Haben. Wenn ein Mann Stärke entwickelt, wird er immer authentischer, da seine Worte und sein Handeln seinem Innersten entspringen. In unserer Gesellschaft gibt es die starke Tendenz zum Haben und viele suchen nach Abkürzungen zu diesem Haben. Das Lotto-Spiel ist ein gern genutzter Weg, den auch ich schon versucht habe.
Andere versuchen ins Rampenlicht zu gelangen über die Teilnahme an Casting-Shows o.ä. Dies ist kein tragbarer Weg. Einige entwickeln dabei schon eine Zunahme an Stehvermögen, aber der gesuchte Erfolg ist regelmäßig nicht von Dauer. Zum Star wird man nur sehr selten durch solche Shows, der Weg zu dauerhaftem Ruhm führt über intensive Anstrengungen, aber es gehört auch eine große Portion Talent und Glück dazu. Dies benötigt man nicht, um Stärke zu erlangen. Die Stärke hat also Aspekte und findet Ausdruck im physisch-erfahrbaren wie im metaphysisch- geistigen Bereich. Diese beiden Elemente finden wir auch in den 3 Freimaurerschlägen.
Diese bedeuten Natur, Religion und Stärke. Die Natur steht für die mit unseren Sinnen wahrnehmbare
und grundsätzliche verstehbare materielle Welt. Die Religion verkörpert die Welt des
Glaubens, des Erkennens und Wissens um die Ursachen. Die Stärke, die durch den 3. und kräftigsten
Schlag versinnbildlicht wird, verbindet die beiden Welten und führt sie zusammen, beziehungsweise
kommt die Stärke zu ihrer vollen Entfaltung, wenn sich beide Lebensbereiche ergänzen
und jeder für sich voll entwickelt ist.
So sind wir gefordert, auf unseren Körper zu achten, ihn so zu ertüchtigen, wie es sich gut anfühlt;
wie es gesund ist. Ebenso sollen wir unsere Seele bedenken. Erforschen wir die Grundsätze,
für die wir stehen und eintreten wollen. Die freimaurerische Lehre gibt beste Ansätze dafür.
Die Arbeit am rauen Stein hat auf beiden Ebenen zu erfolgen, um Stärke zu entwickeln, um diese
Präsenz guter Vorbilder zu erlangen, die in unserer Gesellschaft so gebraucht werden. Vertreten
wir unsere Überzeugungen mit einem unerschütterlichen „Das ist es, wofür wir stehen!“
Es geschehe also.