Systeme und Rituale im Vergleich
Kurzvortrag für die Forschungsloge Quatuor Coronati:
Die Initiation – Ritualvergleiche
26. Arbeitstagung Okt. 2004
Erwin Bohnacker SOKRATES ZUR STANDHAFTIGKEIT
Für einen Vergleich der Rituale, die innerhalb der Vereinigte Großlogen von Deutschland im Gebrauch sind, wären zuvorderst die Rituale ihrer fünf Großlogen: Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland, Große National-Mutterloge "Zu den drei Weltkugeln", American Canadien Grand Lodge A.F.&A.M. und Grand Lodge of Britisch Freemasons in Germany heranzuziehen. Zusätzlich sind aber aus historischen Gründen in der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland noch eine ganze Reihe weiterer Rituale in Verwendung, die gebräuchlichsten davon sind das "Schröder"-, das "Sonne"- und das Eklektische Ritual. Insgesamt sind also in Deutschland mindestens acht "Haupt"-Rituale in Gebrauch. Das zeigt uns recht deutlich, dass im Gegensatz zu Ländern mit nur einer Großloge - und nur einem Ritual - wir in Deutschland eine ebenso bereichernde wie verwirrende Ritualvielfalt haben. In Frankfurt am Main wird z.B. in sieben verschiedenen Ritualen gearbeitet, und da ist das in Deutschland mit Abstand meistgebrauchte A.F.u.A.M.-Ritual nicht einmal dabei.
Deshalb ist m.E. ein inhaltlicher Vergleich wegen der Vielfalt und der Unter- schiede der zu vergleichenden Rituale im zeitlichen Rahmen nicht vernünf- tig. Auch eine tabellarische Aufstellung der einzelnen Initiations-Handlungen, wie z.B. von der Berliner Loge "Zur Werkstatt" als Resultat von Ritualvergleichen publiziert, finde ich für unseren Zweck nicht genügend aussagekräftig.
Da ich sowieso der Überzeugung bin, dass das richtige Verstehen des eigenen wie auch der anderen freimaurerischen Rituale das Wissen um den jeweiligen Ursprung und die nachfolgende historische Entwicklung bedingt, habe ich dies als Ansatz eines Vergleichs der in Deutschland meistgebräuchlichen Rituale genommen.
Vergleich der Historie der meistgebrauchten deutschen Rituale Die wichtigste und oft für die deutschen Freimaurer auch überraschende Erkenntnis über die geschichtliche Entwicklung der Freimaurerei ist, dass sie zwei Wurzeln hat.
Viel zu oft wird bei uns in der freimaurerischen Historie vom offiziellen An- fang der Freimaurerei 1717 in London gesprochen und dies fr die weiteren geschichtlichen Ausfhrungen als Ursprung der Freimaurerei dargestellt. Das ist aber grundlegend falsch. Die Freimaurerei wurzelt in zwei sich grundstzlich unterscheidenden Systemen, dem SCHOTTISCHEN und dem ENGLISCHEN, und dies ist insbesondere fr unsere deutsche Freimaurerei wichtig, wie wir noch sehen werden. Dass die Freimaurerei aus Bauhtten sakraler Bauwerke durch den allmh- lichen bergang von tatschlichen Bauleuten zu 'spekulativen' Maurern hervorging, ist bekannt und historisch belegt. Aber gerade in diesen Ur- sprngen liegt bereits ein gravierender Unterschied in den beiden Systemen. ENGLISCHES SYSTEM (Werksmaurerei). Beim Englischen System ist ganz eindeutig und wichtig, dass die speku- lativen Maurer aus aufklrerischen Geistesgruppen kamen. Auerdem gab es auch fr einen langen und insbesondere fr die weltweite Ent- wicklung der Freimaurerei wichtigen Zeitraum in England zwei Systeme. Neuenglisch ('Moderns'). Als offizieller Anfang der Freimaurerei (weil ab hier historisch einwand- frei belegt) gilt gemeinhin 1717, als sich die vier Londoner Logen zu ei- ner Grologe zusammenschlossen. 1723 wird ihre bekannte Constituti- on von Reverend Anderson mit den berhmten 'Alten Pflichten' verf- fentlicht und 1730 erscheint - glcklicherweise - die Verrterschrift der Rituale von Pritchard, 'Masonry dissected' - sonst htten wir heute keine Informationen ber die damaligen Rituale. Diese Richtung der Freimaurerei hat einen ganz ausgeprgten Einfluss aufklrerischer (deistischer) Gedanken. Altenglisch ('Ancients'). Entschieden anderer Einstellung sind Logen mit wahrscheinlich irischem Einfluss, die es wohl zur gleichen Zeit - zumindest behaupteten sie es von sich - in London gab. Diese zweite Gruppierung von Logen warf nmlich der ersten Grologe vor, sie sei vom Althergebrachten abgewichen, und sie selbst seien die traditionelleren und auch die lteren. Sie nannten sich deshalb auch so: 'Ancients', die Alten. 1751 schlieen auch sie sich zu einer Grologe zu- sammen, d.h., mindestens von da an haben wir bis zum Zusammen- schluss der beiden Grologen offiziell zwei recht unterschiedliche englische Systeme. Vereinigte Grologe von England (United Grand Lodge of England). Die Hauptunterschiede der Neu- und Altenglischen Systeme sind: der Sitz des 1. Aufsehers (Westen - Sden), die Worte des 1. und 2. Gra- des, und damit auch die Bezeichnung der Tempelsulen, sind ver- Forschungsloge QUATUOR CORONATI Kurzvortrag: Die Initiation – Ritualvergleiche 26. Arbeitstagung Okt. 2004 Erwin Bohnacker SOKRATES ZUR STANDHAFTIGKEIT Seite 2 von 4 tauscht und die Altarposition fr den damaligen alten Eid (Osten - Wes- ten). Vor allem ist das neuenglische Ritual deistisch und das altengli- sche christlich geprgt. Erst 1813 fanden die beiden Grologen zur United Grand Lodge of Eng- land zusammen, indem sich inhaltlich die ‘Moderns` stark an die Traditi- onalisten angenhert hatten. Die christlichen Bezge wurden aber gro- teils aus dem Ritual genommen. SCHOTTISCHES SYSTEM (Hochgradmaurerei). Eine ganz andere Freimaurerei als die Englische hatte sich wahrschein- lich lange vorher in Schottland entwickelt. Zwar ist der Ursprung beider Systeme im historischen Dunkel, aber die Geschichte einzelner schotti- scher Logen geht sehr weit zurck (z.B. Kilwinning), und Anfang des 18. Jh. arbeiten nachweislich bereits mehrere Hochgradsysteme in Schott- land in Logen bzw. Kapiteln. Auch ist der Einfluss der spekulativen Mau- rer ein gnzlich anderer, denn in Schottland wird er hauptschlich auf Geistliche wie auch weltliche Orden zurckgefhrt, aber vor allem berief man sich darauf, das Erbe der Templer - Geschichte und Legenden sind ja hinreichend bekannt - gleichzeitig mit bernommen zu haben. Historische Wahrscheinlichkeit unbenommen, es ist eine geschichtliche Tatsache, dass aus Schottland eine Freimaurerei gnzlich anderer Pr- gung hervorgegangen ist – sehr christlich, mit durchgngig weiterfh- renden Graden eines Lehrgebudes ber die ersten drei Grade hinaus. Wichtig fr unser Verstndnis der Freimaurerei und ihrer Rituale ist, dass die Freimaurerei nicht nur in England ihren Ursprung hatte, denn die damalige schottische Hochgrad-Freimaurerei hat sich genauso schnell ber die Welt verbreitet wie die englische. Die Grologen der romanischen und der sd- und mittelamerikanischen Lnder, sowie die Grologe von Frankreich sind schottischen Ursprungs in reiner Form, und in abgewandelter Form die Grologen der BeNeLux- sowie der nordischen Lnder und der Grand Orient Frankreichs. DEUTSCHE FREIMAURERISCHE SYSTEME 1737 beginnt in Hamburg die sich schnell verbreitende Freimaurerei in Deutschland. Mitte des 18. Jh. gab es Provincial-Grologen der Neu- englischen Freimaurerei in Hamburg und Frankfurt, sowie selbst ernann- te Grologen in Berlin (des jungen 'Alten Fritz'), Dresden und Bayreuth die meisten bereits mit Tochterlogen. Zur gleichen Zeit hatte sich aber ber Paris (1737 dort von einem Ram- say propagiert) auch die Schottische Hochgradmaurerei nach Deutsch- land und Europa ausgebreitet. Zur Wahl und in Konkurrenz standen nun zwei freimaurerische Systeme a) Symbolische Werksmaurerei in 3 Graden - humanitr/egalisierend und b) Hochgradmaurerei in X Graden, esoterisch, wahre Geheimnisse, Exklusivitt und in Auswchsen auch finanzielle Gewinne versprechend. Wo sie in der deutschen Kleinstaaterei erlaubt war, blhte die Freimau- rerei, und dem Zeitgeist entsprechend entschied man sich mehr und mehr fr die Hochgradmaurerei. So hatte von Mitte des 18. Jh. an ein Hochgrad-System - die Strikte Ob- servanz - viele existierende Grologen und Logen fr sich gewonnen und insbesondere nach der Vereinigung mit dem Klerikalen System (1772) begonnen, die deutsche Freimaurerei zu dominieren. Der Tem- pelherrenorden sollte wieder aufleben, mit strengem Gehorsam gegen unbekannte Obere. Ein etwas gendertes franzsisches Hochgrad-System - basierend auf der Templerlegende, absolut christlich, streng hierarchisch und sehr ex- klusiv - existierte seit 1736 in Schweden (und spter in ganz Skandina- vien). Dessen (Eckleffsche-)Rituale hatte sich J.W.K. v. Zinnendorf be- sorgt, von 1768 an einige Logen gestiftet und in Folge die Groe Lan- desloge der Freimaurer von Deutschland in Berlin gegrndet. Die deutsche Freimaurerei wurde chaotisch. Scharlatane, Idealisten, Machtschtige und Betrger bettigten sich (pseudo-)freimaurerisch, und bald machte sich Enttuschung aus unerfllten Erwartungen, Machtkmpfen und Intrigen breit. 1782 sollte der Wilhelmsbader Kon- vent die vielfltigen Probleme lsen. Das gelang nicht, man kam aber zum Schluss, dass die Legende der freimaurerischen Abstammung von den Tempelrittern historisch nicht haltbar sei. Das System der Strikten Observanz wurde zum sogenannten Rektivizierten System reformiert. Damit war das Schicksal der Strikten Observanz zwar besiegelt, aber groe Teile der deutschen Freimaurerei waren auch orientierungslos und gelhmt. Die GNML 3WK hatte das Rektivizierte System in etwas vernderter Form bernommen, lste sich kurz nach dem Konvent von der Strikten Observanz und erklrte sich fr selbstndig. 1797 gab sie sich eine neue Grundverfassung, die Logen bekamen mehr Selbstndigkeit (das Direktionsrecht wurde den hheren Graden, welche Erkenntnisstufen wurden, entzogen) und sie nahm den heutigen Namen Groe National-Forschungsloge QUATUOR CORONATI Kurzvortrag: Die Initiation – Ritualvergleiche 26. Arbeitstagung Okt. 2004 Erwin Bohnacker SOKRATES ZUR STANDHAFTIGKEIT Seite 3 von 4 Mutterloge "Zu den drei Weltkugeln" an. Eine stetige Entwicklung und die Protektion der Preuischen Knige und Kaiser (Edikt von 1798) machte sie zur grten Grologe vor der Zeit der Dunkelheit. Die GLL FvD war vom Untergang der Strikten Observanz kaum berhrt, auer dass v.Nettelblatt die Templerlegende in den Ritualen zurckge- nommen hatte und diese spter (1888) gnzlich aufgegeben wurde. Das Ordens-System an sich: absolut christlich mit strenger hierarchischer Ausrichtung und die Betrachtung der Johannisgrade als Vorstufe zu den Hochgraden hat bis heute unverndert Bestand. Eine stetige Entwicklung wie auch die Protektion des Preuischen Herr- scherhauses machte sie zur zweitgrten Grologe vor der Zeit der Dunkelheit. Der Eklektische Freimaurerbund in Frankfurt am Main leitete nach dem Wilhelmsbader Konvent die freimaurerische Reformation ein, die der Hochgrad-mden Freimaurerei neue Orientierung gab. Auf Betrei- ben v.Ditfurths (Wetzlar) und Brnners (Frankfurt) konnte 1783 durch Rckbesinnung auf die Basiswerte der Freimaurerei der Eklektische Bund gegrndet werden. Rituale und Gesetze basierten auf dem neu- englischen Ritus der Loge zur Einigkeit, Frankfurt. In der 1. Hlfte des 19. Jh. war der Eklektische Bund durch die Ausei- nandersetzungen um das 'Christliche Prinzip' mageblich an der Pr- gung der 'humanitren' Freimaurerei beteiligt. Groe Loge von Preuen (Royal York zur Freundschaft). Durch den Beitritt Ignaz Felers 1796 in die Hochgrad-Loge Royal York war dieser nicht nur ihr Grnder als neuer Grologe und somit des dritten Berliner christlichen Hochgradsystems erstanden, sondern die deutsche Frei- maurerei hatte auch einen ihrer groen Reformatoren bekommen. Er schuf zuerst in Anlehnung an das altenglische System die Rituale der Johannisgrade neu, wandelte dann widerstrebend die franzsischen Hochgrade in mehrere Erkenntnisstufen um, teilte danach die Loge mehrfach, um Grologen-Status zu erreichen und erwirkte zudem noch das Protektorat des Knigs. Die Felerschen Johannisgrade wurden zur Basis anderer Rituale, ins- besondere derer der Grologe "Zur Sonne" in Bayreuth. Grologe von Hamburg. Der groe Reformator Friedrich Ludwig Schrder trat erfolgreich fr die Vereinfachung und Entmystifizierung der Freimaurerei ein, und reformierte, indem er alle Hochgrade eliminierte, System und Rituale nach dem altenglischen Ritus. 1801 war die 'Schr- dersche Lehrart' von seiner Grologe und 1816 bereits von 33 Logen unter drei weiteren Grologen angenommen worden. Schrder war aber nicht nur Reformator (System und Engbund) sondern auch ein Vereini- ger der Freimaurerei (Grologenverein). Durch seine groe Akzeptanz prgte das Schrdersche System die hu- manitre Freimaurerei mageblich. Grologe "Zur Sonne" in Bayreuth. Der wechselhaften Geschichte der 1741 gegrndeten Bayreuther Loge durch Systemnderungen (Strikte Observanz, Royal York) und Staatszugehrigkeiten (Markgrafschaft, Preuen, Bayern) folgte eine Glanzzeit unter der Gromeisterschaft J.K. Bluntschlis (1872-78). Er gab seiner Grologe eine neue Verfassung und berarbeitete fr sie die Felerschen Johannis-Rituale. Vergleich der Historie der Rituale der VGLvD. (siehe nachfolgende grafische Darstellung) Von den fnf unter dem Dach der VGLvD vereinigten Grologen arbeiten vier nach historischen Ritualen. Zwei davon sind Hochgradsysteme schottischen Ursprungs: 1) die GNML 3WK arbeitet nach dem Rektivizierten System und 2) die GLL FvD nach schwedischer Lehrart. Die anderen beiden Rituale sind englischen Ursprungs: 1) in den Logen der GL BFG wird gearbeitet wie es in der Union Emulation Lodge of Improve- ment seit 1814 unterrichtet wird und 2) in den Logen der ACGL kommen Rituale altenglischen Ursprungs verschiedener Grologen der USA und Kanada zur Anwendung. Die in der GL A.F.u.A.M.v.D verwendeten Rituale - auch englischen Ur- sprungs - tragen der Situation Rechnung, dass erst die Zusage an die beitre- tenden Logen, ihre Rituale weiterhin verwenden zu knnen, die Bildung der einen Grologe nach dem Kriege berhaupt ermglichte. Nach Anfangs- schwierigkeiten konnte 1966 ein Grologen-Ritual vorgestellt werden, das eklektisch versuchte, mglichst vielen Brdern Vertrautes zu bieten. Auf Grund einer Flut von 'Verbesserungs'-Wnschen und einer Schwerpunktver- lagerung von der Belehrungsmethode zum kultischen Erlebnis wurde 1981/82 eine berarbeitete Version in Kraft gesetzt. Heute arbeiten fast 80% der A.F.u.A.M.-Logen nach diesem Grologe- Ritual, die anderen hauptschlich nach den alten "Schrder"-, "Sonne"- und Eklektischen Ritualen.