John Toland

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Toland, John, und die Sokratische Gesellschaft

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

* 1670, aller Wahrscheinlichkeit nach der natürliche Sohn eines katholischen Geistlichen. Als ihm dies zu wiederholten Malen von seinen Gegnern zum Vorwurfe gemacht wurde, ließ er sich 1708 in Prag von einem irischen Franziskaner die Abstammung aus einer altangesehenen irischen Familie bestätigen.

Seine geistige Entwicklung fällt in die Zeit, der Buckle das Charakteristikum des Sinkens der Autorität, der alten Überlieferungen und des Dogmenglaubens als Etikette gibt. Geboren zur Zeit der Restauration, war er zur Zeit der englischen "glorreichen Revolution" noch nicht 20 Jahre alt. Sein Auftreten und Wirken fällt in die Zeit Wilhelme III. und der Königin Anna. Mit einer Übersetzung Giordanos Brunos (Bestia trionfante) führte er sich in die englische Literatur ein. Sein zweites Werk, "Christianity not mysterious" [siehe Links], in dem er das Christentum rationalistisch zu erfassen sucht, wurde im September 1697 in Dublin öffentlich verbrannt. Der Verfasser mußte fliehen, suchte in Holland Schutz, begab sich nach Deutschland, verkehrte freundschaftlichst mit der Kurfürstin Sophie von Hannover und der Königin Sophie Charlotte von Preußen. Mit Leibnitz und den beiden Fürstlichen Damen hielt er berühmte, zum Teil erhaltene Religionsgespräche, in welchen er, ganz Rationalist, sich zu einem nur schlecht bemantelten Atheismus bekennt.

Sokratische Gesellschaft

Sein ganzes Wirken ist auf nüchterne Erklärung der religiösen Mysterien gerichtet. 1720 erschien "Pantheistikon oder Formel für die Feier der Sokratischen Gesellschaft"[siehe Links]. Daß dieses Buch überhaupt gedruckt werden konnte, ist dem Geiste der Zeit zu danken. Wilhelm III. hatte 1694 die selbst von Cromwell beibehaltene Zensur abgeschafft. Toland gab das Buch auf eigene Kosten 1720 heraus. Er ließ es mit schwarzen und roten Lettern drucken, wie ein Meßbuch. In einzelnen Exemplaren soll handschriftlich ein Bittgebet an den allmachtigen Bacchus um Befreiung vom Katzenjammer angehàngt gewesen sein, das mit den parodierenden Worten schloß: "Idque fiat per pocula poculorum. Amen." Der Verfasser bleibt im Drucke anonym, nennt sich aber selbst Janue Junius Eoganesius, was auf seine Herkunft aus Londonderry (Enis Oën) hinweist.

Die pantheistische Lehre des Buches lautet in den Hauptsätzen: "Alle Dinge kommen vom All, das All von allen Dingen. Die Welt ist unendlich und unbeweglich, ihre einzelnen Teile sind nicht ewig und beweglich. Nichts vergeht. Das Denken ist eine eigentümliche Aktion des Gehirns. Lebenskraft, Seele, Verstand und Zeugung beruht auf dem Äther, einer Art Feuer, der schneller ist als das Denken und feiner als jeder andere Stoff." Die Lehre der Pantheisten ist eine esoterische. Dem Volke, das sie ohnehin nicht verstehen kann, soll aus opportunistischen Gründen die Religion erhalten werden. Die Eingeweihten aber wahren sich bei aller Toleranz die Freiheit des Denkens und Handelns. Sie sind geschworene Feinde aller Tyrannen, einerlei, ob die Tyrannis von einem Monarchen, von der Adelskaste oder dem Pöbel ausgehe. Namentlich aber verwerfen sie die Offenbarungen und Wunder und wollen die wahre Religion aus der häßlichen Wolke von Täuschungen befreien.

Das Ritual, das eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, lautet in den Hauptstellen der ersten beiden Teile:

Erster Teil:

Vorsteher: Quod felix faustumque sit.
Antwort: Das Sokratische Symposion hat begonnen.
V. Es lebe die Philosophie.
A. Und es lebe die Kunst.
V. Heilig seien die Wahrheit, Freiheit und Gesundheit, die drei höchsten Güter des Weisen.
A. Jetzt und immerdar.
V. Wir heißen Genossen und Brüder.
A. Und Freunde und Mitmenschen.
V. Fern sei Streit, Neid und Starrsinn.
A. Nahe dagegen Forschungseifer, Wissenschaft und Herzensgüte.
V. Lust und Heiterkeit seien uns günstig.
A. Günstig seien uns die Musen und Grazien.
V. Schwört auf keines Meisters Worte.
A. Selbst nicht auf die Worte des Sokrates.
V. Um aber unsere Feier mit Würde zu begehen, so höret, meine Geliebten, die Worte des Marcus Porcius Cato, die uns Marcus Tullius Cicero in seinem Buche über das Alter, Kap. 13, überliefert hat
A. Wir weihen uns der Wahrheit und Freiheit.
V. (Verliest die angezeigte Stelle, in welcher Cato sich rühmt, daß er als Quastor an den Festen der Magna Mater solche Symposien anordnete.)
A. Sokrates und Plato seien gelobt, und Marcus Cato und Marcus Cicero.
V. Forschen wir nach dem Grunde der Dinge, damit wir das Leben heiter und den Tod ruhig ertragen.
A. Frei von aller Furcht, nicht in Freude uns überhebend und nicht niedergeworfen durch Trauer.
V. Und damit wir die abergläubischen Schrecknisse des Pöbels verlachen, wollen wir ein Lied des Ennius singen. (Die Gemeinde singt das letzte Kapitel des ersten Buches aus Ciceros "De divinatione"; es ist eine Verspottung der Priester.)
V. Und nun höret noch denselben weißen Cato, was er uns im 14. Kapitel in Ciceros "De Senectute" lehrt.
A. Damit wir gesund und frisch und glucklich seien.
V. (Liest dieses Kapitel. Es ist ein Preis von Xenophons Symposion, wo das heitere Mahl von ernstem Gespräch belebt wird.)
A. Gelobt sei Xenophon.

Zwelter Teil:

V. Haltet den Pöbel fern!
A Das Haus ist geschlossen und sicher.
V Das All ist eines und das eine ist alles.
A. Dies in sich einheitliche All ist Gott, ewig und unermeßlich ohne Anfang und ohne Ende.
V. In ihm leben, weben und sind wir.
A. Aus ihm ist alles geboren, zu ihm kehrt alles zurück, er ist der Grund und das Ziel aller Dinge.
V. Singen wir ein Lied zum Preise des All.
A. (Singt Pacuvius bei Cicero, De divinatione T h7 )
V. 0 Philosophie, du Lehrerin des Lebens, du Führerin der Tugend, du Feindin des Lasters, was waren wir, was wäre das ganze menschliche Leben ohne dich? Du hast Städte gebaut und hast die in der Zerstreuung lebenden Menschen zur Gemeinsamkeit des Verkehres geführt; du hast sie durch Zusammenwohnen, durch Ehen, durch Wissenschaft und Kunst miteinander verbunden. Du bist die Erfinderin der Gesetze, die Lehrerin von Zucht und Sitte. Zu dir fliehen wir, von dir erflehen wir Hilfe. Du gibst uns Ruhe des Lebens und nimmst uns den Schrecken des Todes. (Cicero Tusc. disp.)
A. Zum Glück des Lebens gehört allein die Tugend; sie hat ihren Lohn in sich selbst.
V. Jetzt aber wollen wir unseren philosophischen Kanon lesen. Überdenkt ihn, ihr Brüder, im Herzen.
A. (Man singt Virgils Georgica IV. 220 ffg.)
V. Und jetzt gedenken wir der großen Männer und Frauen, die uns durch Lehre und Beispiel ruhmreich voranleuchten.
A. Möge Lehre und Beispiel derselben zu unserem heile sein.

Alles erfunden?

Hat diese Sokratische Gesellschaft überhaupt bestanden? Selbst wenn Toland nicht ausdrücklich den Zweifel unterstützen würde, wäre mehr als ein Grund gegen ihre Existenz anzuführen. Toland sagt: "Man mag immerhin annehmen, daß meine ganze Erzählung nicht wahr sei, wenn sie nur nicht unwahrscheinlich ist, wenn nur, alles darin so harmoniert, daß sie wahr sein könnte." Daß er von Mitgliedern in Paris, in Venedig, in allen holländischen Städten, besonders in Amsterdam, sogar am päpstlichen Hofe, vor allem aber zahlreich in London spricht, gibt vielleicht ein Bild von der Verbreitung gleicher Anschauungen, die in der Zeit lagen, beweist aber nichts für die wirkliche Existenz. Die Sokratische Gesellschaft ist — alles spricht dafür — eine dichterische Erfindung. Toland wählt die Form einer Liturgie, ebenso wie zahlreiche Philosophen seit Plato, die Form des Gespräches oder die Form von Briefen gewählt haben. Das Gastmahl, das die Sodalen vereinigt, hat eben bei Plato gute Vorbilder. Soweit bisher bekannt, war Toland nicht Mitglied einer der Londoner Freimaurerlogen.

Sein Buch erschien vor dem Konstitutionsbuche der Londoner Großloge (1723), was natürlich nichts gegen die Kenntnisse freimaureriseher Rituale beweist. Vielleicht hat Toland von diesen eigenartigen Zusammenkünften gehört.

Parallelen und Unterschiede

Noch in der zweiten Ausgabe des Handbuches der Freimaurerei 1863 wird ein Zusammenhang der Tolandschen Liturgie mit dem Freimaurerritual als wahrscheinlich hingestellt. Die dritte Auflage (1901) verweist auf das Vorbild der italienischen freien Akademien der Naturphilosophen und der Gelehrtenklubs in England, verwirft aber den Zusammenhang mit dem Freimaurerritual. Sehen wir von der oberflächlichen Übereinstimmung der liturgischen Form ab, so bleibt eigentlich nicht viel Gemeinsames.

Der Freimaurer von 1723 hat seinen Gottesbegriff streng in der ersten Pflicht herausgearbeitet. Toland geht in seiner Abneigung gegen alle Traditionswerte so weit, daß er in der Aufzählung verehrenswerter Personen Christus geflissentlich übergeht. Die einzige biblische Person, die er gelten läßt, ist Salomo. Sein Gott ist die ewige Natur. Die freimaurerisehe Geschichtsforschung kann an dem Tolandschen Pantheistikon und seinen "sokratischen Brüdern" nicht vorübergehen. Nicht um etwa stammbaumartige Ableitung aus ihr vorzunehmen oder um in ihr einen merkwürdig entwickelten Seitenzweig anzusprechen. Wohl aber, um aus der Gleichartigkeit der Form und zahlreichen inneren Gemeinsamkeiten den gleichen Boden zu erkennen. Auch dort, wo Toland sich absurd gebärdet, gibt es zum Schlusse guten Wein. Sein Bekenntnis ist die Toleranz unter Menschen. Toland starb [11. März] 1722. Sein letzter Fluch galt den Ärzten. Sein Charakterbild schwankt in der Geschichte. Als einen mutigen Kaffeehausschwätzer, der allen Leuten seine Weisheiten aufdrängen wollte, bezeichnen ihn die einen. Vor dem Atheisten bekreuzigen sich die anderen. Lange sieht in ihm eine harmonische Persönlichkeit. Mauthner erkennt seine menschlichen Schwächen und weiß sie zu verstehen.

Links


Siehe auch