Aktivismus
Inhaltsverzeichnis
Aktivismus
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
Angelsächsisch
Der Betätigungsdrang des Freimaurers und sein Bestreben, die Lehren seiner Gemeinschaft praktisch auszuwerten, ist je nach dem geistigen Klima der einzelnen Freimaurereien ein deutlich abgestufter. Am geringsten ist er, von der Philanthropi abgesehen, in der angelsächsischen Freimaurerei. Hier spielen der ausgesprochen konservative Sinn des Engländers, seine Vorliebe für alte traditionelle Werte eine bestimmende Rolle. Der Aktivismus des Engländers erschöpft sich daher in der Errichtung und Verwaltung von großartigen Wohlfahrtsanstalten, deren Genuß in erster Linie wieder der eigenen großen Freimaurerfamilie zukommt. Die drei "Royal Masonic Institutions" in England, die Altersheime, Krankenhäuser, Krüppelfürsorgestellen, Tuberkulosenheime in Amerika sind Ausdrucksformen dieses umgrenzten freimaurerischen Aktivismus des Angelsachsen. Werke ad extra werden in Amerika durch die in den letzten Jahren [Anm.d.Red. die Jahre vor 1932] häufigen Elementarkatastrophen (Erdbeben, Mississippiüberschwemmungen) veranlaßt. Aber ebensowenig wie der Angelsachse an Reformen im Inneren denkt, ist er geneigt, die Freimaurerei irgendwie in den Dienst einer politischen oder sozialen Idee zu stellen. Er will seine eigenen Mitglieder zu werktätigen Menschen erziehen; wie sie die empfangenen Lehren verwerten, bleibt ihnen überlassen.
Kontinental
Der kontinentale Freimaurer ist im allgemeinen unruhiger. Während England von den großen Systemschwankungen des 18. Jahrhunderts verschont geblieben ist, stecken im europäischen Freimaurertum noch zahlreiche Reste dieser Zeit, die überwunden sein wollen. Es ergeben sich Widersprüche zwischen der Zeit und der in ihr lebenden und wirkenden Freimaurerei. Daher die zahllosen Reformbestrebungen, besonders in der deutschen Freimaurerei, als Ausdruck eines Aktivismus nach innen. In der unvollständigen Bibliographie von Wolfstieg sind allein gegen 400 größere und kleinere Arbeiten enthalten, die sich ausschließlich der inneren Reform zuwenden. Im Rahmen der Logentätigkeit liegt, von allen Systemen anerkannt, die Form des Aktivismus, die sich als freimaurerische Liebestätigkeit bezeichnen läßt. Sie geht vom gelegentlichen Almosen bis zur Errichtung dauernder Stiftungen (Krankenhauser, Ferienkolonien, Arbeitslosenausspeisungen, Stellungevermittlungen, Waisenhäuser, Taubstummen- und Blindeninstitute, Lehrlingsschulen, Tagesheime, Wochenbettpflege, Studienbeihilfen, Unterstützung von Volksbüchereien Notopfer für bedrohte Volksgenossen, Alumnatvereine, Freibettenstiftungen, Fürsorge für entlassene Sträflinge, Kinderkrippen, Siechenhäuser, Weichnachtsbescherungen u.v.a.m.). Dieser Aktivismus benützt als Mittel entweder eigene Vereine, die nur aus Freimaurern bestehen, oder er veranlaßt die Freimaurer, sich bestehenden Vereinen dieser Art anzuschließen. In vielen Logen wird ein Verzeichnis über die Mitarbeit jedes einzelnen Bruders an derartigen charitativen und sozialen Einrichtungen geführt, säumige Brüder zur Mitarbeit aufgefordert.
Propaganda
Eine andere Form freimaurerischer Tätigkeit liegt in der Propaganda für den Bund und in seiner Verteidigung gegenüber feindseligen Angriffen. Propaganda zur Mitgliederwerbung wird im Bunde allgemein verworfen. Es handelt sich um die Propagierung der Idee, wobei das Bestreben hauptsächlich darauf gerichtet irrige, abergläubische, durch Gegner geflissentlich verzerrte Anschauungen über den Bund zu zerstreuen. Diesem Zwecke werden gerecht: Aufklärungsvorträge und Aufklärungsschriften, Beteiligung an öffentlichen Diskussionen, ferner aufklärende Beitrage in den politischen Zeitungen u. a. m. Der Abwehr von gegnerischen Angriffen dienen in vielen Großlogen Presseausschüsse, die alle Erscheinungen in der politischen Presse zu verfolgen haben, Abwehrausschüsse u.a.m. Diese Einrichtungen gehen darauf aus, teils in Berichtigungen falsche Behauptungen über die Freimaurerei zu entkräften, teils auch zugleich durch Belehrung der eigenen Mitglieder diesen bei den unvermeidlichen Auseinandersetzungen des Alltags das notwendige Rüstzeug an die Hand zu geben. Hierher gehören die ausgezeichnete kleine Schrift des Vereins deutscher Freimaurer: "Vernichtung der Unwahrheiten über die Freimaurerei" oder beispielsweise die sehr verdienstvolle Darstellung des Berliner Bundesblattredakteurs Kekule von Stradonitz über das Serajevomärchen. J. G. Findel hat den Taxilschwindel zerstört, auch die Aufdeckung des großen Pamphlets "Protokolle der Weisen von Zion" als Plagiat und plumpe Fälschung ist Freimaurern zu danken.
Romanische Länder
Anders lebt sich der freimaurerische Aktivismus in den romanischen Ländern aus. Der zur dauernden Einrichtung gewordene Kulturkampf in diesen Ländern ruft die Freimaurer auf den Plan als Kämpfer gegen das Dogma, für Gewissensfreiheit und geistigen Fortschritt. Von der politisierenden Kirche angegriffen, sind die Abwehrbewegungen der Freimaurerei häufig genug politisch gefärbt. Besonders die französischen Freimaurer sind wiederholt in der politischen Arena zu sehen gewesen. So insbesondere zur Zeit des Dreyfus-Prozesses.
Verständigung
In der Erkenntnis, daß die Lehren der Freimaurerei nicht durch Völkerkampf, sondern nur durch Völkerbefriedung in die Tat umgesetzt werden können, sucht der freimaurerische Aktivismus Wege der Verständigung zwischen den Völkern. Er redet einem logischen, nicht einem bloß gefühlsmäßigen Pazifismus das Wort. Daher die Versuche persönlicher Fühlungnahme unter Freimaurern verschiedener Völker, so die Allgemeine Freimaurerliga, die Association Maçonnique Internationale und deren Einrichtungen. Als Mittel dienen hier neben den Zusammenkünften der Freimaurer selbst jene Versuche, die es unternehmen, die Jugend von chauvinistischem Geiste zu entgiften durch Kinderaustausch, Jugendtreffen u. a. m. Den französischen Freimaurern bleibt unvergessen, daß sie zu einer Zeit, da die linksstehenden Parteien in Frankreich ihren Einfluß verloren hatten, mutig gegen die Ruhrbesetzung aufgetreten sind, weil sie in dieser Strafaktion eine neuerliche Verschärfung der völkischen Gegensätze voraussahen.
Versuche, diesen französischen Aktivismus auf die östlichen Länder Europas zu übertragen, mußten und müssen fehlschlagen, weil die Zusammensetzung der Logen hier nicht derart einheitlich ist wie in Frankreich. Hier muß sich der freimaurerische Aktivismus darauf beschränken, in der Logenarbeit jene Voraussetzungen zu schaffen, die ein aktives Vorgehen des Einzelmitgliedes im öffentlichen Leben beeinflussen können, ohne daß es durch einen Beschluß zu einer bestimmten Tätigkeit verhalten werden darf. Der französische Freimaurer ist Mitstreiter einer Gemeinschaft, der deutsche ist Kämpfer einer Idee die er so zu vertreten hat, wie es ihm nach Maßgabe seiner Stellung im öffentlichen Leben nach seiner politischen Überzeugung, seiner Weltanschauung nach eigenem Gutdünken und Entschluß richtig erscheint. Die Loge darf ihn nicht verpflichten. Daß dieser Unterschied von Laien, die sich gerne an generalisierende Urteile halten, nicht verstanden wird, ist klar. Weniger klar wird dies aber auch den romanischen Freimaurern, die nach ihren Voraussetzungen Forderungen an andere Freimaurereien stellen, denen diese unmöglich entsprechen können.