Rezension: Bogdan und Snoek - Handbook of Freemasonry

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Ein frischer Blick auf die Freimaurerei

Henrik Bogdan, Jan A. M. Snoek, Hrsg.: Handbook of Freemasonry. Leiden: Brill 2014, 669 Seiten.

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Rezensiert von Roland Müller

Es ist paradox, dass ein Buch über eine Bewegung, die seit 300 Jahren Wert darauf legt, keine Religion zu sein, in einer Reihe „Brill Handbooks on Contemporary Religion“ erscheint. Allerdings ist damit ein hoher wissenschaftlicher Standard gewährleistet („cutting-edge scholarship“). Das hat freilich seinen Preis: Das Werk kostet über 200 Euro.


Ein faszinierendes Lesebuch

Es handelt sich nicht um ein Lexikon, sondern um ein Lesebuch. Die meisten Aufsätze sind in einem eleganten Englisch geschrieben und leicht lesbar. Doch nicht alle vermögen gleichermassen zu fesseln.

Was sehr rasch auffällt: Es wird eine deutliche Sprache gesprochen. Beispielsweise heisst es zu den Legenden, dass der Templerorden nach seiner Zerstörung 1314 in den Freimaurern weitergelebt hätten:

„It’s a lovely story – but there is not a single serious historical fact to support it“ (82; Piere Mollier).

Oder es wird klar gesagt:

„There was no conspiracy that made the French Revolution happen“ (102; Margaret Jacob, Matthew Crow)
„Masonry is not and never has been a religion or a pseudo-religion“ (148; José A. Ferrer Benimeli).
„there can be no doubt anymore that Freemasonry was originally a product of the Christian Western culture“ (259, Jessica Harland-Jacobs, Jan A, M, Snoek).
„… exposures of masonic practices … were nominally published with hostile intent … but in effect they served largely to provide Freemasons with cheap and convenient aides mémoires to rituals that they were supposed to learn orally and by heart“ (525-526 und 532; Robert A. Gilbert; vgl. 19, 21, 294)

Im Kontrast dazu stehen viele Bekenntnisse der Unsicherheit oder des Nichtwissens: „it seems rather“, „perhaps“, „is supposed“, „might have“, „it seems“, „may be“, „may have“. etc.

Etwas gewagt ist die Vermutung, der marokkanische König Hassan II sei ein Freimaurer gewesen (245) oder die Behauptung, Niccolò Puccini sei Komponist und Freimaurer gewesen (497).

Was fehlt

Es ist nur wenig, was nicht in diesem gewichtigen Werk vorkommt, z. B.
das Kapitel von Clermont
das System von Melissino
der Eklektische Bund
oder:
Rotary
Skull and Bones
P2
oder:
Tapis
Symbole
Zeichen und Griffe.

Was weiter fehlt, sind etwa die Leistungen der Wohltätigkeit im kleinen wie in grossen. Auch wird kein Versuch unternommen, das „Wesen“ der Freimaurerei darzustellen, z. B. die Arbeit am rauhen Stein oder den Bau des Tempels der Humanität.


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Systematische Inhaltsgliederung

Bestechend ist die systematische Gliederung der 30 Aufsätze. Sie sind in fünf grosse Gruppen zusammengefasst:

Geschichte (The Old Charges, die Ursprünge in Schottland und England, die Anknüpfung an die Templer)

Die Beziehungen zu Religionen (zur katholischen Kirche, zu den Orthodoxen Kirchen, zu Protestantismus, Judentum und Islam, zu den Parsen und Hindus, zur westlichen Esoterik, speziell Rosenkreuzer und christliche Kabbala, und „neuen“ religiösen Bewegungen wie Mormonen, Zeugen Jehovas und Christian Science)

Rituale und Systeme sowie die weltweite Organisation und Verbreitung

Das Verhältnis zu Gesellschaft und Politik, d. h. zu Frauen und Schwarzen, zu Kolonialismus, Nationalismus und Krieg

Kultur, d. h. Freimaurerei und Musik, Literatur, moderne Kunst und Architektur


Unter den 27 Autoren finden sich fünf Frauen, darunter Kristiane Hasselmann - als einzige Person aus dem deutschen Sprachraum.

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Vielfalt neuer Forschungsergebnisse

Zu den vielen Ergebnissen der neuen Forschung gehört etwa eine Verschiebung der Datierung des Regius-Poems (bisher 1390) und des Cooke-Manuskripts (bisher 1410), beide auf die Zeit nach 1425 (14, 41, 72). Die Herkunft des letzteren bleibt „south west Midlands“.

Sowohl mit Verständnis wie auch Kritik behandelt Matthew DJ. Scanlan die neuesten Forschungen zu den „Origins of Freemasonry“ (63-81), besonders zum Übergang von der operativen zur spekulativen Maurerei von etwa 1600 bis 1700. Douglas Knoop und Gwilym Peredur Jones (1948) sahen eine Art Brücke dazwischen, die „accepted masonry“, Margaret Jacob (2006) sieht einen langsamen Übergang („transition“), Ric Berman (2012) versucht dies zu widerlegen. Die Frage ist noch nicht geklärt.

Im Jahr 2003 Jan A. M. Snoek herausgefunden, dass in den frühen englischen Texten der Hiramslegende seit 1726 gar nicht „das Wort“ verloren ging, sondern nur das Wissen um die Aussprache (297-301). Dazu hat er über 50 Versionen der Legende durchgearbeitet.

Etwas bekannter ist der Fund von André Kervella und Philippe Lestienne (1997): „Un haut grade templier dans des milieux jacobites en 1750“. Gemäss Arturo de Hoyos (359) könnte dies bedeuten, dass es bereits zwischen 1728 und 1733 einen maurerischen Templerorden gab, nämlich den „Ordre Sublime des Chevaliers Elus“ (21), einen direkter Vorläufer des „Knight Kadosh“ (ausführlich dazu Pierre Mollier, 88-95).

Im vorliegenden Handbuch fasst Jan A. M. Snoek auch die neuen Aufschlüsse zum Thema Frauen in der Freimaurerei auf 12 Seiten konzentriert zusammen. Die Adoptionslogen in Frankreich seit 1744 waren nicht, wie man bis vor kurzem annahm, anti-feministisch, sondern eine Form der Emanzipation avant la lettre (411). Initiationen von Frauen in solche Logen gab es auch das ganze nächste Jahrhundert.
In den USA entstand kurz nach 1850 eine andere Form: Eastern Star und Amaranth. In England schufen drei Freimaurer den Golden Dawn (1888-1937). 1893 gründete George Martin mit Maria Deraismes den gemischten Orden „Droit Humain“, der als erster die Rituale der männlichen Maurerei verwendete. 1902 wurde die Theosophin Annie Besant aufgenommen; sie gründete in den folgenden 15 Jahren über hundert Logen auf der ganzen Welt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in England und Frankreich reine Frauenlogen, in Holland bildete sich der Orden der Weberinnen (Vita Feminea Textura). In Deutschland wurden die Frauen erst 1982 in die Freiheit einer eigenen Loge entlassen (418). Die Rituale wurden dauernd diskutiert und revidiert.

Gespanntes Verhältnis: Mormonen und Freimaurer

Während im „Internationalen Freimaurer-Lexikon“ von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932, Sp. 1063) behauptet wird, Josef Schmidt sei bei der Einsetzungsfeier einer neuen Freimaurerloge in Illinois 1842 vom Grossmeister aufgenommen worden, steht im Handbuchbeitrag von Massimo Introvigne davon nichts. Dafür erfährt man das pikante Detail, dass Smith zeitweise in Kreisen des 1826 unter mysteriösen Umständen verschwundenen Freimaurers William Morgan verkehrte und 1738 dessen Witwe Lucinda heiratete. Das „Book of Mormon“, das Smith 1830 publiziert hat, ist klar anti-masonisch. Doch rasch kam er auf die Idee, die originalen freimaurerischen Rituale könnten bis auf die Zeit des Baus des Salomonischen Tempels zurückgeführt werden, doch seien sie im Lauf der Zeit verfälscht worden, und es sei nun die Aufgabe der Mormonen, die Freimaurerei in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen (309) Das führte bald zum Streit mit den Freimaurern. Diese betrachtete die Mormonen als eine der vielen „‘clandestine‘ imitations of the Craft“. Seiher sind die Beziehungen zwischen Mormonen und Freimaurer „a very sensitive issue“ – für beide Seiten.


Adolf Hitler lag nicht viel an den Freimaurern

Bedenkenswert ist der Beitrag des Niederländers Robert Jan van Pelt, der in Ontario lehrt. Auf fast 50 Seiten beleuchtet er das Verhältnis Freimaurerei und Judentum. Er weist darauf hin, dass zwar viele Symbole und Erzählungen aus dem Alten Testament stammen, aber nicht direkt aus dem Tanach (der hebräischen Bibel), sondern aus der King-James-Bibel von 1611. Die Anzahl Juden als Mitglieder in einzelnen wenigen Logen seit 1717 war stets gering. Im 19. Jahrhundert erhielten in manchen Ländern Europas die Juden politische und bürgerliche Rechte, aber die Logen leisteten keinen Beitrag dazu. Zur selben Zeit wurden die sogenannten „Verschwörungstheorien“ formuliert, wonach die Juden die Weltherrschaft anstrebten und sich dabei als williges Werkzeug der Freimaurer bedienten. Der erste Bestseller stammte vom französischen Journalisten Edouard Drumont („Das verjudete Frankreich“, 1886).

Einen traurigen Höhepunkt erreichte dieses Schreckensbild im Dritten Reich. Sehr präzise und anschaulich zeichnet van Pelt auf 15 Seiten (213-227) die Entwicklung der deutschen geistigen Welt („Weltanschauung“) seit dem Ersten Weltkrieg. Wohltuend ist, dass er sich nicht wie die meisten deutschen Freimaurer auf das Verhalten und Schicksal der Logen konzentriert, sondern die grossen Züge sichtbar macht. Bemerkenswert ist seine These, dass Adolf Hitler nicht gerade viel an den Freimaurern lag. Ferner war dieser der Überzeugung, eine politische Botschaft sei umso wirkungsvoller, je einfacher sie sei. Konsequenterweise entkoppelte er die judeo-masonische Weltverschwörung und nahm nur „das internationale Judentum“ ins Visier (222-225). Daher kamen die Freimaurer relativ glimpflich davon. Als 1926-28 die Pamphlete von Erich und Mathilde Ludendorff erschienen, waren sie schon obsolet.


Fazit:
Ein höchst informatives und kluges Buch – für wissbegierige und kluge Freimaurer.

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