Traktat: Müssen die Freimaurer in die Mitte der Gesellschaft rücken?

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Traktat: Müssen die Freimaurer in die Mitte der Gesellschaft rücken?

Von Rolf Keil 14. Juni 2017

Unser Ansinnen, und das ist als Appell zu werten, muss es insgesamt sein, zunehmend gesellschaftlich relevant zu werden.“

Ich gestehe, dass mich dieser Anspruch immer aufs Neue verblüfft. Die Freimaurerei soll also bedeutsam werden. Es gilt ein Zustand als erstrebenswert, in dem die Haltung der Freimaurerei zu bestimmten Themen der Zeit von der Gesellschaft wahrgenommen und bestenfalls sogar beachtet wird. Eine solche Freimaurerei, da wird immer gerne auf Frankreich verwiesen, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Damit verbunden ist die Erwartung eine solche „relevante“ Maurerei hätte eine größere Anziehungskraft. Womöglich hätten wir als „gesellschaftlich relevante Gruppe“ Sitz und Stimme im Rundfunkrat und entsprechenden Gremien.

Aber, liebe Brüder, ist das Ziel von gesellschaftlicher Relevanz denn wirklich anzustreben, bei einem „Bund der Ungleichen“, die zwar das Bekenntnis zur Menschenliebe und die ernsthaft übernommene Verpflichtung an der Verbesserung des eignen Ichs eint, die aber naturgemäß in allen Fragen der Staatspolitik ein sehr breites Spektrum an Meinungen vorweisen. Ich glaube, wenn die Freimaurerei als Freimaurer Stellung bezieht, dann verliert sie ihren Wesenskern.

Selbst wenn dem nicht so wäre, ich möchte keiner Gruppierung angehören, wo ich mir beim Treffen fremder Brüder immer erst Gedanken machen muss, ob das Gegenüber aus Überzeugung oder weil es „in“ ist, Freimaurer ist. Die Gefahr sehe ich bei allen „relevanten Gruppen“ durchaus.

Es ist natürlich aber auch falsch in Selbstzufriedenheit zu verharren. Es gibt schon das eine oder andere zu überdenken. Anbei ein paar Gedanken von Eberhard Panne (FO) und mir (AFuAMvD):

Die Aufgabe der Freimaurerei, wie ich sie verstehe ist schon im Generalabschied des Wilhemsbader Konvents treffend zusammengefasst. Die Aufgabe der Freimaurerei , heißt es dort, sei es: „ein jedes ihrer Glieder der menschlichen Gesellschaft nützlicher zu machen“ Und zwar durch Liebe und die Erforschung der Wahrheit. Deshalb darf sich die Freimaurerei nach meiner Auffassung nicht in falsch angewandter Exklusivität darauf beschränken ein jedes ihrer Mitglieder besser zu machen. Oder um in der Sprache unserer Symbolik zu sprechen, den Bruchstein zum Baustein zu glätten und darüber den Schlussstein, der erst den Bau vollendet, zu vergessen.

Die Freimaurerei ist das, was wir aus ihr machen. So ist auch die uns umgebende Gesellschaft das, was wir – hier im Zusammenspiel mit allen Anderen – aus ihr machen. Der Freimaurer muss zu dem Freimaurer werden, der er im Grunde schon ist, er muss seinen Ursprung (wieder-)finden, den er in der Trennungsphase der Geburt verloren hat. Er muss zu dem werden, der er werden will – entscheidend ist dabei der Wille. Freimaurer wird er nicht schon durch seine Aufnahme in den Bund, sondern er betritt hier einen Weg, auf dem er es werden kann, und zwar dann, wenn er sich so weit entwickelt hat, dass seine „Gesellen und Meister ihn dafür erkennen“.

Der Freimaurer sieht nun seine Erziehungsarbeit dann als gelungen an, wenn nicht nur „seine Brüder Gesellen und Meister ihn als Freimaurer erkennen“, sondern wenn er darüber hinaus Nicht-Freimaurern durch sein Verhalten und sein Handeln mindestens als „edel, hilfreich und gut“ auffällt, ohne dass er ein Schild mit der Aufschrift „Freimaurer“ vor sich herträgt.

Wenn wir in unseren Ritualen erklären: „Geht hinaus in die Welt und bewährt euch als Freimaurer“, dann verbindet sich die Arbeit am rauen Stein des eigenen ich’s mit dem Auftrag durch Beispiel zu wirken und somit den Bau des Tempels der Humanität voranzutreiben.

Was kann jeder einzelne eigentlich bewirken? Nun, im Ritual verpflichte ich mich allezeit zu erkennbarer, unbedingter Treue, zu Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit, nicht nur meinen Brüdern gegenüber, sondern auch in der Welt. Indem ich in unseren Ritualen vor den versammelten Brüdern als meinen Zeugen immer wieder laut und vernehmbar zu jenen Tugenden bekenne, versichere ich, dass das, wozu ich mich verpflichte, für mich Gültigkeit besitzt, dass es unverrückbar ist und dass ich es für mich vorbehaltlos übernehme.

Es reichte schon aus – und dies allein ist ein großes Programm – wenn der Einzelne sich beharrlich als Vorbild erkennbar machte und sich nicht nur als Vorbild – „performierte“. Wenn das erfolgreich praktiziert wird, dann wirkt der einzelne in der Gesellschaft, er ist also relevant!

Um in der Welt zu wirken, müssen wir die Welt bis zu einem bestimmten Grad bei uns einlassen und wir müssen uns auf die Welt einlassen. Die Freimaurerei darf sich nicht als eine Organisation zur Pflege gehobener Geselligkeit umrahmt von ehrwürdigen Gebräuchen begreifen, sondern wir müssen uns gewiss sein, dass es um Arbeit an uns selbst geht und damit um den Bau am Tempel der Humanität, dessen Baustein und Baumeister der Freimaurer sein will.

Die Freimaurerei darf nicht der Versuchung erliegen, aus dem Bedürfnis nach Frieden und Ruhe heraus, alles aus den Leben der Logen fernzuhalten, was auch nur im Geringsten geeignet erscheint, gegensätzliche Auffassungen in Erscheinung treten zu lassen und am Ende gar Streit zu erzeugen.

Vielmehr bietet die Loge ein Alleinstellungsmerkmal, dessen wir uns bewusster werden müssen: Wir alle – und Facebook verstärkt das- bewegen uns in Filterblasen, die unsere Sichtweise verstärken, aber den Diskurs entscheidend erschweren. Und so ist es auch im realen Leben. Ganz gleich ob Wirtschaftsklub, Gewerkschaft, politische Partei oder Religionsgemeinschaften, alle machen sich der gleichen Sünde schuldig: der des Selbstgesprächs. Sozialdemokraten gehen in sozialdemokratische Versammlungen, CDUler zur CDU, Gewerkschaftler besuchen ihre Zusammenkünfte und Geschäftsleute die ihren.

Sie hören dort Rednern zu, deren Ansichten sie ohnehin teilen, und die Redner freuen sich, weil sie so herzlichen Beifall finden. Aber ein Austausch findet nicht statt, ihre Glaubenssätze werden nicht hinterfragt.

So einfach darf es sich die Freimaurerei nicht machen. Wir müssen weiterhin versuchen die Angehörigen aller der genannten Gruppen zusammenzuführen. In großer Weisheit hat Anderson es schon in den Alten Pflichten aufgezeigt, wenn er schreibt, die Freimaurerei sei eine Stätte „der Einigung und ein Mittel, wahre Freundschaft unter Menschen zu stiften, die einander sonst ständig fremd geblieben wären.“ Grade in einer Zeit in der die Zentrifugalkräfte an Stärke gewinnen, braucht es einen Raum, in dem der Mensch dem Menschen begegnet.

Politische Zankereien sind in der Loge tabu, ebensolche über die Konfessionen. Aber, wo wenn nicht in unseren Logen können wir in Offenheit sprechen, unsere Standpunkte überprüfen und das tun, was laut Lessing eine der größten Freuden ist: Laut Nachdenken mit einem Freund! Die Loge bietet einen geschützten Raum, der erst Entwicklung und das aufeinander zubewegen ermöglicht. Der geschützte Raum der Logen ermöglicht es, die eigene Position zu hinterfragen, ohne das dies als Schwäche ausgelegt wird. In unseren Diskursen geht es nicht darum zu gewinnen, sondern es geht darum möglichst viele Sichtweisen kennenzulernen, sie abzuwägen und vielleicht den eigenen Standpunkt weiter zu entwickeln.

Hier können wir uns auch dem zuwenden, was uns und der Gesellschaft auf den Nägeln brennt. Wir können im konstruktiven Sinne Gesellschaftskritik üben. In diesem Sinne sollten wir nach meinem Empfinden politisch sein. Auch wenn wir am Ende eines Bruderabends nur darin übereinstimmen, dass wir nicht übereinstimmen. Nutzen wir die Diskussion im Bruderkreis um an unserem Standpunkt zu arbeiten und tragen in gestärkt in die Gesellschaft zurück. Wenn wir weiter darauf achten, dass wir einander in brüderlicher Liebe begegnen, den geistigen Kampf nicht zum Streit, die Diskussion nicht zur Disharmonie werden lassen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Der Freimaurerbund zur Aufgehenden Sonne forderte von seinen Mitgliedern für „ihre Ideen jederzeit furchtlos und unerschrocken einzutreten, Unrecht an Schwachen und Unterdrückten nicht zu dulden, für Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschenliebe jederzeit die blanken Waffen des Geistes tatkräftig zu gebrauchen. Denn den wahren Freimaurer ziert der Wille zur Leistung, seine wahre Feier ist die Tat.“ Wie ich finde, auch heute noch ein ehrenwerter Auftrag!

Meine Mutterloge Lessing eröffnet jede rituelle Arbeit mit den drei programmatischen Sätzen aus Ernst und Falk. Sie beschreiben unsere Aufgabe treffend: „Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaften hinweg wären und genau wüssten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhört.“ Wie ungeheuer aktuell sind jene Zeilen heute, wo der große Verführer, der Nationalismus wieder sein Haupt erhebt.

„Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, die dem Vorurteile ihrer angeborenen Religion nicht unterlägen, nicht glaubten, dass alles notwendig gut und wahr sein müsste, was sie für gut und wahr erkennen.“ Auch hier liegt die Aktualität auf der Hand. Wir Freimaurer sind aufgerufen Brücken zu bauen. „Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, welche bürgerliche Hoheit nicht blendet und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt, in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herablässt und der Geringe sich dreist erhebet.“

Erneut ein Handlungsauftrag an jeden einzelnen von uns. Arbeiten wir jeder für sich – aber getragen von der Kette an einer Gesellschaft , die sich auf Augenhöhe begegnet.

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