Freimaurerei und Transgender

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Freimaurerei und Transgender

Ein für viele Menschen immer noch ziemlich neues Thema hat spätestens 2018 auch die Freimaurerei erreicht: Transgender. Vor allem der sogenannten Single-Sex-Freimaurerei bereitet diese Entwicklung Probleme, weil sie darauf festgelegt ist, entweder nur Männer oder nur Frauen aufzunehmen. Wie geht sie aber künftig damit um, dass in der Vorstellung der heutigen Gesellschaften und in deren Folge der verschiedenen Gesetzgeber die Grenze zwischen den Geschlechtern durchlässig und fließend geworden ist? Die beispielgebende United Grand Lodge of England hat dazu Mitte 2018 ein Positionspapier veröffentlicht.
Von Rudi Rabe.

Was heißt Transgender?

Versuch einer Begriffsklärung, obwohl die Terminologie nicht scharf abgegrenzt ist und sich entwickelt. Sie ist auch keineswegs nur biologisch, sondern vor allem auch psychologisch. Und so beziehen sich die Begriffe „Geschlecht“, „Männer“ und „Frauen“ in diesem Text vor allem auf den Phänotyp, also das Erscheinungsbild. Die genetische Ausstattung, der Genotyp, kann ja nicht verändert werden, und er wird ja bei der Aufnahme in eine Loge auch gar nicht kontrolliert.

  • Transgender kann Menschen meinen, deren gefühlte Geschlechtsidentität oder die von ihnen gelebte Geschlechtsrolle aus verschiedenen Gründen anders ist als das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht.
  • Gender Reassignment: Einen Schritt weiter bezieht sich Transgender auf Menschen, die ihr bei der Geburt festgestelltes Geschlecht mit oder ohne Operation gewechselt haben, und zwar rechtsverbindlich, also von der zuständigen Behörde bestätigt (Transmänner oder Transfrauen).
  • Transgender kann schließlich auch als Überbegriff verstanden werden und dadurch intersexuelle Menschen einschließen; diese passen nicht in die binäre Einteilung, weil sie weder weiblich noch männlich sind oder sein wollen ("drittes Geschlecht").

Ergänzend sei angemerkt: Das Gegenteil von Transgender ist Cisgender (cis = diesseits; trans = jenseits). Und: Mit der sexuellen Orientierung hat das nichts zu tun; ebenso nicht mit Travestie oder ähnlichem.

Bis vor etwa zwei, drei Jahrzehnten war das alles kein Thema. Es galt die binäre Geschlechterordnung, alles andere wurde als eine Art Unfall der menschlichen Natur verstanden, war stigmatisiert und wurde eher versteckt. Das hat sich jedenfalls in der westlichen Welt langsam geändert. Die Akzeptanz ist gestiegen, das Stigma ist auf dem Rückzug, und die Gesetzgeber reagierten durch Normenanpassungen, wie etwa in Deutschland, wo seit 2017 bei der Geburt eines Kindes dessen Geschlecht offen gelassen werden kann. Ebenso ist es Erwachsenen inzwischen möglich, ihr Geschlecht auch rechtlich zu ändern - seit einigen Jahren ohne Operation; es bedarf nur eines entsprechenden Gutachtens. Man spricht dann auch eher nicht mehr von "Geschlechtsumwandlung", sondern von Geschlechtsangleichung, also Angleichung des bei der Geburt "behördlich festgelegten" an das gefühlte Geschlecht. Der Geburtsschein dann wird nicht geändert, sondern rückwirkend neu ausgestellt.

Was bedeutet Transgender für die Freimaurerei?

Für sie ist das Thema höchst brisant, weil die meisten Großlogen nur einem Geschlecht offen stehen (Single-Sex-Freimaurerei): Die große Mehrheit nimmt nur Männer auf, eine Minderheit nur Frauen, und nur eine weitere Minderheit sind sogenannte gemischte Logen (Co-Freimaurerei). Durch die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz und die nachfolgenden neuen Rechtsvorschriften für Transgender-Menschen haben sich vor allem für die beiden ersten Gruppen Probleme aufgetan.

Am Beispiel der Männerlogen: Das Selbstverständnis als Single-Sex-Organisation und die daraus folgende Nichtaufnahme von Frauen ist trotz aller Anti-Diskriminierungs-Gesetze zwar rechtlich akzeptiert, aber was ist zu tun, wenn ein Bruder nach seiner Aufnahme durch eine Geschlechtsumwandlung zur Frau wird? Sie zum Austritt zu nötigen, kann in vielen Ländern eine gesetzwidrige Diskriminierung sein. Oder was ist zu tun, wenn ein Bruder ohne körperliche Veränderung in seinem Selbstverständnis zur Frau wird, was sich nach aussen etwa in der Bekleidung äußern kann? Was ist zu tun, wenn sich ein Transmann als Suchender bewirbt, also ein Mann, der eine Frau war aber sich einer rechtsverbindlichen Geschlechtsumwandlung unterzogen hat? Oder ein Suchender, der körperlich weiterhin eine Frau ist, sich aber als Mann versteht? Und schließlich: Was ist zu tun, wenn sich ein Mensch bewirbt, der weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugeordnet werden kann und/oder will?

Fragen über Fragen, die man in der konkreten Wirklichkeit noch weiter auffächern könnte. Je nachdem wie breit man Transgender definiert, nur eng anatomisch oder breiter in das gefühlte Geschlecht hinein, sind allein in Deutschland nach vorsichtigen Schätzungen tausende bis zigtausende Menschen betroffen.

Die UGLE (Großloge von England) positioniert sich

Die englische ‘United Grand Lodge’ (7.000 Logen und 200.000 Brüder) hat Mitte 2018 einen Anfang gesetzt. Unter dem Titel „Gender Reassignment“ (Neuzuweisung des Geschlechts) hat sie ein Positionspapier veröffentlicht, das sich so zusammenfassen lässt:

  • Ein Suchender, der in eine Loge der UGLE aufgenommen werden will, muss ein Mann sein. Menschen, die nach dem Gesetz Frauen sind, werden in den UGLE-Logen weiterhin nicht aufgenommen; sie können einer Loge der beiden englischen Frauen-Großlogen beitreten. Aber Achtung: Eine Loge darf einem Suchenden auf sein Geschlecht bezogen nicht Fragen stellen, die ihm unangenehm sein könnten.
  • Wenn sich ein Transmann als Suchender bewirbt, also einer, der eine Frau war und eine Geschlechtsumwandlung durchgemacht hat, wird er behandelt wie jeder andere Mann.
  • Ein Freimaurer, der nach seiner Aufnahme aufhört, ein Mann zu sein, eine Transfrau also, bleibt ein Bruder. Sie muss also die Loge nicht verlassen.
  • Jede Loge kann aus wichtigen Gründen weiterhin Mitglieder ausschließen. Keine wichtigen Gründe wären jedoch: Wenn ein Bruder legal zur Frau wurde, oder wenn ein Bruder seine Geschlechtsumwandlung eingeleitet hat. Eine Loge darf einen Bruder, auf den das zutrifft, auch nicht zum freiwilligen Austritt überreden.
  • Wenn ein Bruder Freimaurer sein Geschlecht ändern möchte, steht ihm das Recht auf seine Privatsphäre und brüderlicher Beistand ganz besonders zu. Überredungsversuche wären gesetzwidrig und unfreimaurerisch. Alles was damit zusammenhängt, soll in Treue zu den Gesetzen, in Toleranz, Sensibilität und in Liebe zu den Menschen entschieden werden.
  • In einer zusätzlichen Klarstellung (FAQ) heißt es: Transfrauen, die in der Loge bleiben, werden weiter als „Bruder“ angeredet. Sie dürfen sich bei den rituellen Tempelarbeiten anders kleiden als es in den UGLE-Logen für die Männer üblich ist, etwa mit einem eleganten dunklen Rock und einem entsprechenden Oberteil („smart dark skirt and top“).
  • Die UGLE versteht ihre Positionierung derzeit nicht als bindende Regeln für ihre Logen. Es sind Empfehlungen, die den Verantwortlichen in den Logen helfen sollen, wenn sie entsprechende Entscheidungen treffen müssen. Es ist der UGLE auch klar, dass weitere Fragen auftauchen werden, dass sich das Thema Transgender weiter entwickeln wird, und dass auch diese ihre Transgender-Grundsätze von Zeit zu Zeit erneuert werden müssen.



Auffallend im Detail: Der UGLE-Text bezieht sich nur auf amtlich bestätigte Geschlechtsumwandlungen. Menschen mit einer bloß gefühlten anderen geschlechtlichen Identität, als es der Feststellung bei der Geburt entspricht, kommen darin nicht vor. Ebensowenig intersexuelle Menschen bzw. Menschen mit einer „non-binären“ Haltung, also Menschen, welche die Einteilung in zwei Geschlechter aus welchem Grund auch immer überhaupt ablehnen. (Bitte das nicht als Kritik an der UGLE lesen, sondern als wertfreie Beobachtung, die ja bei diesem sehr komplexen Thema durchaus von Belang ist.)

UGLE im Original

Gender Reassignment Policy

1. SCOPE: This policy sets out UGLE’s approach to the issues raised for Freemasonry by gender reassignment. It is intended to help guide Lodges in their decision making. It does not impose binding rules and although it gives some general guidance on discrimination law it does not constitute legal advice. This Policy does not attempt to address all the issues relating to gender which may arise as gender reassignment and gender transition become more prevalent in a changing society and when they do they will need to be addressed in accordance with Masonic principles of lawfulness, kindness and tolerance.

2. GENERAL: It is important that any situation involving gender reassignment of a Freemason is treated with the utmost compassion and sensitivity and that the individual is supported throughout the process. If a Freemason who is a member of UGLE wishes to change gender and become a woman we expect that the Freemason would receive the full support of their brethren. The privacy of the individual should be respected and there will normally be no requirement to inform the applicable Metropolitan, Provincial or District Grand Secretary or the Grand Secretary about this change.

3. APPLICATIONS FOR ADMISSION: A candidate for admission to Freemasonry under the jurisdiction of UGLE must be a man. Should a person who has undergone gender reassignment and has become a man apply to become a Freemason then his application must be processed in the same way as for any other male candidate. Any qualified candidate for admission may be proposed for membership of a private lodge in accordance with the provisions in the Rules contained in the Book of Constitutions. No candidate should be subjected to questions about their gender which could make them feel uncomfortable.

4. CONTINUED MEMBERSHIP: A Freemason who after initiation ceases to be a man does not cease to be a Freemason. We expect that Freemasons will act with compassion and sensitivity towards their fellow Freemasons.
We hope that no Freemason would engage in unwanted conduct relating to another Freemason’s actual or perceived gender reassigment or gender transition. Such conduct would not only be unmasonic but is also unlawful if it has the purpose or effect of violating the dignity of, or creating an intimidating, hostile, degrading, humiliating or offensive environment for, the victim.

5. RESIGNATION FROM THE CRAFT: A Freemason who becomes a woman is not required to resign from the Craft. If a person resigns from the Craft then they and their dependants might no longer be eligible for some of the benefits provided by the Masonic charities now or in the future.

6. EXCLUSION FROM A LODGE: A Lodge may vote to exclude any member for sufficient cause. The following grounds would constitute unlawful discrimination and so could never constitute sufficient cause:

  • The fact that a member has legally become a woman;
  • A mistaken belief that a member has legally become a woman;
  • The fact that a member is in the process of transition from male to female; or
  • A mistaken belief that a member is in the process of transitioning from male to female.

Similarly a Lodge must not attempt to persuade a member to resign from the Lodge or discriminate against a member based on any of these grounds. A Lodge must not at any time require a member to prove that they are legally a man.

7. AMENDMENT: The law and what is considered best practice in this area are developing rapidly. This policy may be amended from time to time and so please ensure that you are referring to the latest version.

Date adopted: 17 July 2018

Resümee 2018

Freimaurer können sich der gesellschaftlichen Entwicklung und der Änderung von Einstellungen über das richtige Leben nicht entziehen. Das war schon in der Vergangenheit so, und das wird auch in Zukunft so sein. Man kann also die Positionierung der UGLE in dieser schwierigen Frage als rechtzeitige Klarstellung verstehen - getrieben allerdings auch von Gesetzen gegen Antidiskriminierung. Diese lassen zwar die grundsätzliche Single-Sex-Politik der UGLE bei Neuaufnahmen weiter zu, sie schützen aber Mitglieder, die bereits aufgenommen wurden. Die Klarstellung soll wohl verhindern, dass in irgendeiner der siebentausend UGLE-Logen irgendwann etwas passiert, was dann zum großen Skandal werden könnte, der alle Vorurteile gegen die (Männer-)Freimaurerei scheinbar bestätigte. Kurz gesagt: aktive strategische Kommunikationspolitik.

Man kann es zusätzlich aber auch so sehen, dass die Single-Sex-Freimaurerei durch diese Entwicklung in völlig neue vor allem innere Schwierigkeiten hineinrutschen wird, und dass die Positionierung der UGLE dies eher verstärkt. Vor allem die Festlegung darauf, dass Transfrauen Brüder bleiben können, kann zu inneren Zerwürfnissen bis hin zur Spaltung inklusive aller medialen Folgen führen. Diese Meinung scheint auch der ebenso kundige wie einflussreiche amerikanische Freimaurer-Blogger Christopher Hodapp zu vertreten. Hier ist sein Blogeintrag vom 2. August 2018 zu diesem Thema:
https://freemasonsfordummies.blogspot.com/2018/08/england-issues-transgender-policy.html

Siehe auch

Links

Weitere Medienberichte zum Thema in den Tagen nach Veröffentlichung des UGLE-Positionspapiers:

Andere Links: