Rezension: Michael Heinrich Weninger - Loge und Altar

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Michael Heinrich Weningers Buch „Loge und Altar - über die Aussöhnung von katholischer Kirche und regulärer Freimaurerei“ wurde am 11. Februar 2020 in Wien öffentlich vorgestellt: rechts der Autor; in der Mitte Georg Semler, Großmeister der Großloge von Österreich; und links der Verleger Erhard Löcker (Foto: Kathpress).

Großmeister Georg Semler: „Dieses Buch ist sehr wichtig. Auch wenn es den Konflikt mit der Kirche praktisch nicht mehr gibt, haben wir von der Großloge ein vitales Interesse, dass es zu einer Versöhnungsgeste kommt.“

Wie wichtig Weningers Buch international genommen wird, zeigen zwei Begebenheiten: Zur Buchvorstellung „aus dem katholischen Köln eigens angereist“ ist Christoph Bosbach, Großmeisters der Vereinigten Großlogen von Deutschland. Und noch bedeutsamer: Die päpstliche Universität Gregoriana hat den Autor, als man dort von seinen Recherchen erfuhr, ausdrücklich ermuntert, das Buch bei ihr als Dissertation einzureichen. Die Gregoriana wird von Jesuiten geführt; der gegenwärtige Papst Franziskus ist auch einer.

Michael Heinrich Weninger:
Loge und Altar

Über die Aussöhnung von katholischer Kirche
und regulärer Freimaurerei



Das Buch beschreibt zuerst das Wesen der Freimaurerei und konzentriert sich dann auf die konfliktreiche Beziehung der Katholischen Kirche mit den Logen seit jetzt fast dreihundert Jahren. Zwar hat sich das im 20. Jahrhundert beruhigt, doch es gibt unaufgelöste Restbestände bis heute.
Eine Rezension von Rudi Rabe.

Michael Weninger ist ein österreichischer Priester und Vatikandiplomat. Er kennt beide Seiten gut, und das Thema liegt ihm spürbar am Herzen. Seine Darstellung des Konflikts könnte auf zwei Punkte konzentriert werden.

Erstens: Warum war (ist?) die Katholische Kirche gegen die Freimaurerei

Das ist die erste wichtige Botschaft Michael Weningers: Natürlich gab es von Seiten der Kirche vor allem früher theologische Einwände, die Angst vor Konkurrenz oder gar die Sorge, durch die Freimaurerei entstehe eine neue Religionsgemeinschaft, was sie weder ist noch sein will, wie Michael Weninger immer wieder ausdrücklich klarstellt. Doch die Hintergründe der oft massiven Verurteilungen, welche mehrere Päpste gegen die Logen ausgesprochen haben, waren letztlich doch mehr politisch als theologisch motiviert. Es begann schon im frühen 18. Jahrhundert mit dem Kampf um den britischen Thron, in den Freimaurerlogen verwickelt waren, setzte sich dann mit den Ängsten vor Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in der Französischen Revolution und der napoleonischen Ära fort, und erreichte den Höhepunkt im 19. Jahrhundert mit dem Ringen um den italienischen Nationalstaat, dem der vom Papst regierte Kirchenstaat weichen musste. Entweder wurden Freimaurer in Unkenntnis oder zu Unrecht beschuldigt, oder sie mischten tatsächlich mit wie vor allem im Risorgimento: der italienischen Staatswerdung. Da kämpften beide Seiten rücksichtslos mit ihren eigenen Waffen gegeneinander: die Garibaldi-Freimaurer mit dem Gewehr und die Päpste mit dem Bannstrahl. Michael Weninger schildert das alles detailreich in einem großen Bogen über die Jahrhunderte hinweg.

Zweitens: Die Kirche übersah (übersieht?) jedoch, DIE Freimaurerei gibt es nicht

Seine zweite wichtige Botschaft: In dieser Auseinandersetzung verlor die Katholische Kirche aus den Augen, dass es die Freimaurerei schlechthin gar nicht gibt. Während nämlich italienische aber auch französische Freimaurer und Großlogen entgegen den freimaurerischen Grundprinzipien gegen die Kirche oft politisch-kämpferisch oder gar militärisch agierten (Weninger: "Pseudofreimaurer"), trifft das für die englisch ausgerichtete Freimaurerei ganz und gar nicht zu. An dieser orientieren sich aber bis heute die meisten Logen der Welt, auch die meisten im deutschen Sprachraum. Diese sogenannte reguläre Freimaurerei - siehe den Buchuntertitel - ist politisch sehr zurückhaltend. Sie hält die Toleranz hoch und ermuntert ihre Mitglieder auch zu einer gewissen Spiritualität, die mit dem Christentum absolut kompatibel ist. Michael Weninger geht in seinem Buch immer wieder darauf ein.

Ist eine Verständigung möglich?

Im 20. Jahrhundert ließ die Intensität des Konfliktes nach, und es gab wiederholt hoffnungsvolle Ansätze für eine Verständigung, allerdings nach dem Muster zwei Schritte vor und einer zurück: zuletzt 1983 durch eine unfreundliche Erklärung der damaligen vatikanischen Glaubenskongregation unter Kardinal Josef Ratzinger, obwohl zur gleichen Zeit der "Freimaurerparagraph" aus dem damals neugefassten "Codex Juris Canonici" (CIC), dem Grundgesetz der Katholischen Kirche, entfernt wurde. Seit dieser Zeit steht die Entwicklung wieder. Michael Weninger könnte und will sie mit seinem Buch neuerlich in Gang bringen.

Die Kirche ist mehr als eineinhalb Jahrtausende alt, die Freimaurerbewegung auch schon ein paar Jahrhunderte. Solche alten Entitäten nehmen sich gewöhnlich viel Zeit, wenn es um die Reformen nach innen aber auch in ihren Außenbeziehungen geht.

IM BUCH: der große Bogen über die Jahrhunderte

Die Kämpfe im 19. Jahrhundert markieren den Höhepunkt des Konflikts. Auch wenn Michael Weningers Darstellung dieser Eskalation besonders spannend zu lesen ist, sein Buch beschreibt den ganzen Bogen der Entwicklung: vom Beginn der Freimaurerei bis heute.

Um das anschaulich zu machen, folge ich nun im zweiten Teil dieser Rezension dem Inhaltsverzeichnis: angereichert mit ein paar erklärenden Bemerkungen.

Erster Teil: Im Stand der Unschuld

  • Kapitel I: Freimaurerische Identität 14

1. „Ein freier Mann von gutem Ruf“ 14
2. „Ist etwas zwischen Dir und mir? – Ja, ein Geheimnis!“ 16
3. „Hochmitternacht“ 23
Im ersten Kapitel geht es um freimaurerische Basics. Das Thema „Geheimnis“ taucht im Buch wiederholt auf. Es war immer wieder ein Anlass für Misstrauen in der Kirche. Michael Weninger beschäftigt sich in seinem Buch an mehreren Stellen damit und stellt klar, dass das freimaurerische Geheimnis nichts mit dem religiösen Mysterium zu tun hat. Vielmehr besteht es „einzig und allein in der persönlichen Erfahrung, dem ganz personalen Erleben der rituellen Arbeit, in der Verinnerlichung freimaurerischen Erlebens. … Es ist so wenig verbalisierbar wie es die tiefen menschlichen Erfahrungen von Liebe und von Leid sind, so wenig kommunizierbar wie die ekstatischen Gebets- oder Meditationserlebnisse.“ (156)

  • Kapitel II: Der Zauber des Anfangs 33

1. Im Dunkel der Geschichte 33
2. Vom Suchen und Finden 42
3. Bauleute von Gottes Gnade 49
Dieses Kapitel beschreibt die Entstehung der Freimaurerei: „Die historischen Anfänge der Bruderschaft der Freimaurer verbergen sich im Dunkel der Geschichte. Die zeitgenössische freimaurerische Geschichtswissenschaft ist jedoch weitgehend darin einig, dass die Wurzeln der modernen Freimaurerei nach Arbeitsweise und äußeren Organisationsformen in den mittelalterlichen Bauhütten des eigenständigen Steinbaugewerbes zu finden sind.“

Zweiter Teil: Wandel und Selbstbehauptung

  • Kapitel III: Vom operativen zum spekulativen Maurer 59

1. Vom Verdämmern des Alten 59
2. Dem Neuem einen Namen geben 65
3. Triebkräfte der Geschichte 69
Wie waren die Zeiten des Übergangs von der sogenannten operativen Maurerei, als die Mitglieder der Bauhütten noch wirkliche Dome aus Stein bauten, zu den sogenannten spekulativen Logen, die sich mit der Verbesserung der Gesellschaft und (heute vor allem) des einzelnen Logenmitglieds beschäftigten?

  • Kapitel IV: Im Dickicht der Einflüsse 79

1. Rosenkreuzer, Illuminaten, Templer und andere Paradiesvögel 79
2. Hermetisches Denken und allegorische Formensprache 99
3. Freimaurer im Zwiespalt von König und Altar 108
4. Theisten, Deisten und Atheisten: Von Gott und Religion der Freimaurer 125
5. Eingeweihte Geheimnisträger? Ein Geburtsfehler? 163
6. Reguläre und irreguläre Freimaurerei, Seiten- und Hochgrade 178
Das vierte Kapitel bezieht sich auf das erste Jahrhundert der modernen Freimaurerei, auf die frühe Entwicklung der Logen in diesen bewegten Zeiten, auf das vielfältige und teilweise absonderliche gesellschaftliche Umfeld und auf Auswüchse in der Freimaurerei selbst.

Dritter Teil: Verwerfungen in Religion, Politik und Recht

  • Kapitel V: Nicht frei von Irrtum und Gefahren 206

1. Auch die weltliche Autorität verurteilt 206
2. Kirchliche Autoritäten greifen ein 210
3. Der Sturm bricht los 214
4. In eminenti (Clemens XII.) 229
EXKURS: Jakobitische Freimaurerei oder freimaurerische Jakobiten, ein dynastisch-katholisches Problem? 248
5. Providas (Benedikt XIV.) 254
6. Päpste, Französische Revolution, Freimaurer 274
EXKURS: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung und Freimaurerei 293
In diesem Kapitel beginnt die Zeit der päpstlichen Verurteilungen der Freimaurerei: ab 1738 eine nach der anderen fast eineinhalb Jahrhunderte lang. Sehr spannend ist die genaue Schilderung der jeweiligen Hintergründe, die immer wieder politischer Natur waren.

  • Kapitel VI: Verdächtigungen, Aversionen, Verurteilungen 295

1. Sollicitudo und Ecclesiam a Iesu (Pius VII.) 295
EXKURS: Carbonarismus und Freimaurerei 302
2. Ubi primum und Quo Graviora (Leo XII.) 305
3. Traditi humilitati nostrae (Pius VIII.) 310
4. Mirari vos (Gregor XVI.) 313
Nun beginnen die Jahrzehnte der nationalen Einigung des bis dahin politisch völlig fragmentierten italienischen Territoriums - getragen von national-progressiven Ideen gegen das Alte: so auch gegen den Kirchenstaat, der außerdem geographisch genau in der Mitte lag und so ein doppeltes Hindernis war. Die Bewegung wurde ganz wesentlich von den italienischen Freimaurern getragen.

  • Kapitel VII: Phase einer erbitterten Gegnerschaft 328

1. Pius IX. 328
2. Leo XIII. 356
Die stufenweise Beseitigung des Kirchenstaates fiel in die Zeit Pius IX. Entsprechend waren seine Verdikte gegen die Freimaurer. Unter seinem Nachfolger Leo XIII. wurde dann mit der Enzyklika „Humanum Genus“ der Höhepunkt erreicht. Beide Seiten schenkten sich nichts. Die wechselseitigen und oft gehässigen Angriffe dauerten bis zur Jahrhundertwende, dann verebbte der Sturm langsam. Aber zur Erinnerung: Auf freimaurerischer Seite kämpften nur die romanischen Logen, vor allem die Italiener. Doch weil die Päpste keinen Unterschied machten, trafen ihre Verdikte alle katholischen Freimaurer, auch die der englischen Richtung, obwohl diese mit dem italienischen Einigungskampf und den französischen Kulturkämpfen nichts zu tun hatte.

Vierter Teil: Versuchslabore der Versöhnung

  • Kapitel VIII: Licht und Schatten auf einem langen Weg 383

1. Die Ausgangslage: Unterscheidung der Geister 383
2. Der globale Dialog führt zur Versöhnung (1968-1980) 414
3. Der Partikulardialog in Deutschland (1974-1980) 430
4. Der CIC 1983 und die Freimaurerfrage 448
5. Versöhnung. Welcher Art und wie? 457
Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich die Lage zu beruhigen. Allerdings wurden die Freimaurer 1917 im neuen Codex Juris Canonici (CIC), dem kodifizierten Grundgesetz der Katholischen Kirche, noch einmal mit Exkommunikation bedroht. Doch nach dem Ersten Weltkrieg und verstärkt nach dem Zweiten und vor allem dem Zweiten Vatikanischen Konzil folgten immer wieder Dialoge, die spätestens in den 1980er Jahren zu großen Hoffnungen Anlass gaben. Und tatsächlich: Bei der Novellierung des CIC 1983 verschwanden die Freimaurer aus dem entsprechenden Artikel. Allerdings: Die Glaubenskongregation veröffentlichte gleichzeitig einen Text, dass sich für die katholischen Freimaurer dennoch nichts geändert habe. Die Rechtsnatur dieser Deklaration wird jedoch unterschiedlich bewertet, worauf das Buch im Detail eingeht.

Michael Weninger: „Der Zeitpunkt für eine Versöhnung war noch nie so günstig“

MICHAEL HEINRICH WENINGER

Michael Weninger schrieb dieses sehr lesenswerte Buch nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse. Er will damit auch einen Anstoß geben, dass die eingeschlafenen Versöhnungsversuche wieder aufgenommen werden. Und er scheint durchaus optimistisch zu sein, sieht er doch - wie er in der Einleitung zu seinem Buch schreibt - „sowohl für die Freimaurerei als auch für die katholische Kirche eine ganz entscheidende Wahrheit: Beide sind, zu- mindest gesellschaftspolitisch, nicht mehr die, die einander besonders im 19. Jahrhundert so konfliktreich und feindlich gegenüberstanden. Die im Verlauf der geschichtlichen Entwicklungen erfolgten Veränderungen und eben gerade jene der Bruderschaft der Freimaurer und jene der katholischen Kirche gleichermaßen innewohnenden Reflexions- und Reformkräfte haben eine Wirklichkeit geschaffen, die eine neue Zuordnung von beiden ermöglicht, und sie haben die Notwendigkeit für und die Chancen zu einem klärenden Austausch über jene Fragen, die vielleicht noch Hindernisse darstellen und daher klärungsbedürftig sind, deutlich aufgezeigt. Noch nie war der Zeitpunkt zu einem befreienden Dialog und einer endgültigen Versöhnung so günstig wie heute.“


Das Buch erschien im Februar 2020 im Löcker-Verlag, Wien.

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