Marcell Herczeg
Inhaltsverzeichnis
Ein Schicksal wie viele:
Vom verdienstvollen Logengründer zum jüdischen Flüchtling vor Hitlers Schergen
Dieser Eintrag im Freimaurer-Wiki kam zustande, weil sich Marcell Heczegs Urenkelin Sandra Herczeg-Wedl, die in München wohnt, im Frühjahr 2023 mit Erinnerungen an ihren Urgroßvater, der ein Freimaurer war, bei der GROSSLOGE VON ÖSTERREICH meldete: „Ich bin sehr stolz auf meine Familiengeschichte und besonders auf Marcell.“ Autor: Rudi Rabe
Der erfolgreiche Manager und engagierte Freimaurer Marcell Herczeg kam am 27. Oktober 1873 in Ungarn zur Welt, und er wuchs auch dort auf. Als Erwachsener übersiedelte er vor dem Ersten Weltkrieg mit seiner Frau Riza sowie ihren beiden Kindern von Budapest in den österreichischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie, wo er die Leitung einer Gummifabrik im niederösterreichischen Traiskirchen übernahm. Unter seiner Führung wuchs diese Firma ständig. Er fusionierte sie mit anderen Unternehmen bis daraus der einstmals berühmte Semperit-Konzern wurde. Aber nicht genug: daneben war er auch noch Landwirt in Zogelsdorf im niederösterreichischen Waldviertel. Ab 1917 wohnte die Familie im dritten Wiener Bezirk in der Veithgasse 4 in einem Haus, das er gekauft hatte.
Marcell Herczegs masonische Laufbahn
Diese verlief in logenbezogenen Etappen. Aufgenommen wurde er 1911 in Budapest in die Loge REFORM. Fünf Jahre nach deren Schließung im Jahr 1919 als Folge des Freimaurerverbots durch die ungarische Nachkriegs-Diktatur gründete er 1924 gemeinsam mit anderen ungarischen Freimaurern in Wien die Loge LABOR. Er war dort von 1925 bis 1927 der erste Meister vom Stuhl und danach Ehrenmitglied.
Aus dieser Loge ging dann 1934 die Loge IN LABORE VIRTUS hervor. Deren Sitz war gemeinsam mit mehreren anderen Wiener Logen die Schwindgasse 8 bei der Wiener Karlskirche. Marcell Herczeg war wieder eines der Gründungsmitglieder und von 1937 bis 1938 Stuhlmeister: der letzte - wie sich leider bald herausstellen sollte als die Nationalsozialisten im März 1938 nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland alle Freimaurerlogen innerhalb weniger Tage schlossen und deren Besitztümer beschlagnahmten.
Seine erfolgreiche Flucht nach dem Hitler-Einmarsch
Marcell Herczeg war Jude, und es wurde ihm und seiner Frau Riza nun rasch klar, dass das Nazi-Regime gefährlich für sie war. Also emigrierten sie zurück nach Budapest. Zwar war Ungarn dann im Krieg mit Deutschland verbündet, dennoch waren die ungarischen Juden in ihrem Land vorerst einigermaßen sicher. Doch als Hitler 1944 auch Ungarn besetzen ließ, mussten sie untertauchen. Das gelang der Familie Herczeg mit Hilfe von Kornélia Bücher (später verheiratete Fekete): in deren großem Haus konnten sie sich gemeinsam mit anderen Juden verstecken.
Um jeden Verdacht zu zerstreuen, wurde über dem Eingangstor des Gebäudes mit stillschweigender Zustimmung des Hausmeisters ein Schild mit der Aufschrift „Hier wohnen nur Christen“ angebracht. So überlebten Marcell und Riza Herczeg den Judenterror der Nazis mit Glück und mit Hilfe humanitär gesinnter Menschen. Als Dank und Anerkennung für ihre Rettungsaktionen wurde Kornélia Fekete geborene Bücher später von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel «Gerechte unter den Völkern» ausgezeichnet.
Im selben Jahr wie Marcell und Riza Herceg war 1938 auch ihr Sohn Stefan mit seiner Familie und mit nicht mehr als einem Koffer nach Argentinien geflüchtet; ebenso Marcells und Rizas Tochter Bobby mit ihren Kindern nach Boston. Nach dem Krieg besuchten Marcell und Riza ihre Kinder. Nach einiger Zeit landeten sie wieder in Wien, wo Marcell 1950 im Alter von 77 Jahren verstarb.
Marcell und Riza Herczegs Nachfahren sind heute über die halbe Welt verstreut. Ein emotionaler Bezug zu Österreich scheint Ihnen jedoch geblieben zu sein, wurde doch Rizas Asche von deren Enkelin auf Wunsch der Großmutter 1962 im Wienerwald verstreut.
Quellen:
- Marcell Herczegs Urenkel Sandra Herczeg-Wedl und Stephan Herczeg
- Die Freimaurerbücher von Günter Kodek
Siehe auch
- Österreich 1938-1945: 692 Freimaurer wurden Opfer des Nazi-Terrors
Dazu eine Information: Auf dieser Wiki-Seite werden alle 692 österreichischen Freimaurer, die vor den Nazis flüchten mussten oder von ihnen ermordet wurden, namentlich genannt. Der Name Marcell Herczeg ist jedoch nicht angeführt, weil er in den Unterlagen, welche die Basis dieser Liste waren, als ungarischer Freimaurer geführt wurde. - 1938: Wie Hitler die österreichische Freimaurerei auslöschte
- Robert A. Minder: VERFOLGT. VERTRIEBEN. ERMORDET
- Österreich
Links
- Eintrag für Kornélia Bücher-Fekete bei Yad Vashem:
https://righteous.yadvashem.org/?searchType=righteous_only&language=en&itemId=4044421&ind=0