Traktat: "Philosophie des Todes" von Eduard Frosch
Inhaltsverzeichnis
Philosophie des Todes
Von Bruder Eduard Frosch
Eduard Frosch ist ein Mitglied der Wiener Loge Zukunft. Von Beruf Spitalsmanager verfolgte und verfolgt er darüber hinaus die verschiedensten Interessen: „inspiriert von den Büchern Sven Hedins und Heinrich Harrers“ vor allem das Studium religiöser Gewohnheiten und Rituale in den verschiedensten Weltgegenden zwischen Himalaya und den südamerikanischen Anden. Dass er auch ein Mann der Tat ist bewies er mit der Einrichtung einer spendenfinanzierten medizinischen Versorgungsstation im schwer zugänglichen Simikot auf 3000 Metern Seehöhe in Nepal.
Wir Frm. sehen den Tod nicht als das Ende des Lebens an, sondern interpretieren ihn als eine Wandlung zu einem anderen Leben. Der irdische Tod eines Menschen kann gleichzeitig eine Wiedergeburt im hohen Licht, im Ewigen Osten sein, ohne dass unser Vorstellungsvermögen etwa konkrete Bilder davon zu erfassen vermag.
Der Tod ist ein Teil unseres Lebens und Bestandteil der FM. Schon bei der Aufnahme in den Bund wird durch ein Symbol der Vergänglichkeit darauf hingewiesen, dass wir sterben müssen.
Besonders im 3. Grad setzen wir uns mit der eigenen Endlichkeit auseinander, „im Anblick des Todes erweist sich des Meisters Stärke“, aber auch mit dem Wiedergeboren werden, dem Übergang vom Tod in ein höheres Leben. „Unsere Reise von der Geburt bis zum Tode soll eine Wanderung zur Vollkommenheit sein“. Wer Meister wird, hat einen neuen Weg beschritten, den Weg vom gesicherten Wissen hin in das Gebiet des Nichtwissens, der Metaphysik, des Unbekannten. Wer Meister wird, ist über seine Geburt und die Erteilung des Lichtes, die er bei seiner Initiation symbolhaft erlebt hat, sowie über die Beziehung zur Welt in seiner Lebensmitte am Ende des Weges angekommen, der ewige Kreislauf hat sich geschlossen.
Wenn ein Br. stirbt und wir sagen, er ist in den Ewigen Osten vorangegangen oder wurde zu höherer Arbeit abberufen, dann sind das 2 deutliche Aussagen. Zum einen haben wir es mit einem überzeitlichen Ewigkeitsbegriff zu tun und akzeptieren hiermit eine Zeit außerhalb der menschlichen Zeitrechnung. Zum anderen bedeutet „zu höherer Arbeit abberufen“, dass es nach dem Tod aus frm. Sicht weiter geht und zwar nicht mit einem paradiesischen ewigen Nichtstun, sondern mit Arbeit, welcher Art auch immer. Das ist eine mir persönlich viel sympathischere Vorstellung.
Die Furcht vor dem Ende des Lebens und die Ungewissheit darüber, was nach dem Tod kommen würde, haben die Menschen seit jeher beunruhigt, bedrückt oder gequält. Die zahlreichen Jenseitsvorstellungen, die sich in Mythen und Religionen finden, stellen je nach Kultur verschiedene Reaktionen auf die grundlegende Angst des Menschen vor dem Tod dar. Gleichzeitig handelt es sich bei ihnen um Versuche, den Tod als etwas Sinnvolles zu begreifen. Bei meinen Recherchen stieß ich auf einen Hinweis, dass beim deutschen Großmeistertag 1870 betont wurde, dass die FM „von ihren Mitgliedern den Glauben an die Unsterblichkeit voraussetzt.“
Man hat sich bei dieser Feststellung vermutlich an die großen Freimaurer des 18. Jh. gehalten: So vertritt Lessing die Ansicht, dass ein Gedanke, der so weit verbreitet ist, eine tief verwurzelte Ursache, und dass die Veredelung eine umfassende, über die Welt hinausgehende Gültigkeit haben muss - oder aber gar keine.
So sagt auch Herder, dass der Mensch „zur Hoffnung der Unsterblichkeit gebildet“ ist und Goethe, „dass alle diejenigen auch für dieses Leben tot sind, die kein anderes hoffen.“ Denken wir auch an die Hiram – Legende, die den Unsterblichkeitsgedanken symbolisiert und daran, dass der Unsterblichkeitsglaube im Grunde die Voraussetzung des Meistergrades ist. Der MvSt. bei der Erhebung: „Br. VM, lass den Neuerhobenen im Meisterzeichen um das Grab wandern, damit er noch einmal das ernste Bild der Stätte des Todes in sich aufnehmen möge, des Todes, der nur durch die Kraft der fünf Punkte der Meisterschaft überwunden werden kann“.
Ich persönlich sehe in Natur, Leben und Sterben einen (hoffentlich nicht) ewigen Kreislauf, ähnlich dem Rad des Lebens (auch Rad des Werdens) im tibetischen Buddhismus. Das Rad der Wiedergeburten wird von einem Dämon, nämlich Yama – dem Herrn des Todes, umklammert, bei Freud der griechische Gott des Todes „Thanatos“, wodurch die Zeit mit ihrem verschlingenden und ewigen Aspekt symbolisiert werden soll. Außerhalb des Rades sitzen Gautama Buddha und der Bodhisattva Avalokiteshvara, die dem Menschen helfen, durch ein ethisch- moralisches Leben aus dem leidhaften Wiedergeburtenkreislauf Befreiung zu finden.
Erst diese Befreiung ermöglicht neues Leben. Der Sokrates des Platon enthält Anklänge an die Lehre des Pythagoras, welche besagt „die Seele sei göttlichen Ursprungs; sie müsse eine Seelenwanderung, eine Reinigung im Kreislauf der Geburten durchmachen und vereinige sich schließlich wieder mit dem Göttlichen.“ Unsere frm. Stufenlehre (Lehrling – Geselle – Meister) ist etwa dem Lebenslauf des Menschen nachempfunden, so dass die Aufnahme als eine Geburt, die Gesellenzeit als der Ablauf des Lebens, die Erhebung zum Meister als der Tod, die Vollendung und letztlich die Befreiung verstanden werden kann.
Als ich nach dem plötzlichen und unerwarteten Ableben meines Weggefährten R.H. im August des Vorjahres in der Karl Lueger - Kirche vor dem aufgebarten Sarg saß, ich kam ca. 1 Std. vor dem „offiziellen“ Begräbnis, da ich in Ruhe unseren gemeinsamen Weg noch einmal nachvollziehen wollte, da war plötzlich der Tod des Nächsten ein Symbol meiner eigenen Sterblichkeit. (Inzwischen haben sich ähnliche Situationen bereits wiederholt.)
Was ist das – Tod?
Wie kommt es, dass mein eigenes Leben irgendwann einfach aufhören soll, während ich bisher nur seine Kontinuität erfahren haben? Ist der Tod das Ende oder gibt es ein Danach? Wenn ja, was vergeht und was existiert fort? Wie geht es weiter? Welchen Sinn macht es, DIE Menschen zu verlieren, denen ich tief verbunden bin? Ist der Abschied endgültig? Und so wollte ich mich diesem Thema eingehender widmen, ist man doch eher geneigt, sich mit anderen Dingen als der eigenen Sterblichkeit auseinander zu setzen. Ja, ich weiß, es gibt das unerbittliche Uhrwerk der Zeit, die Härte des biologischen Verfalls, den Tod, also den Tag, der, einzig demokratisch, wirklich für alle gleich ist. In der Jugend, wenn wir sozusagen den Berg des Lebens erklimmen, können wir den Tod nicht sehen, weil er am Fuß der anderen Seite des Berges wartet. Wenn wir aber den Gipfel überschritten haben, dann sehen wir den Tod, den wir bis dahin nur vom Hörensagen kannten, im Tal stehen, auf einer wunderschönen Blumenwiese. Sein Herannahen wird uns durch die langsame Ermattung der Kräfte des Organismus bewusst, für mich werden beim Mountainbiken die Berge auch immer steiler, aber auch durch die Tatsache, dass wir immer weniger zu Taufen und Hochzeiten gehen, sondern immer häufiger zu Begräbnissen. Das ist so meine ganz persönliche Sichtweise als Bergmensch.
Eines ist uns allen hier, glaube ich, von Vornherein klar: Der Tod ist ein Teil unseres Lebens und unumkehrbar. Das wurde auch in der Philosophie nie in Frage gestellt. Ob das Leben mit dem Tod gänzlich oder nur teilweise endet, war und ist jedoch philosophisch und auch unter uns Brr. umstritten.
Es ist hier nur möglich, einen kleinen Ausschnitt an philosophischen Werken zu zitieren bzw. die vier wichtigsten Fragen fragmentarisch zu beleuchten: Was ist der Tod? Ist der Tod ein Gut oder ein Übel oder keines von beiden? Ist es vernünftig, den Tod zu fürchten? Und wie soll ich mich meinem Tod gegenüber verhalten?
Johannes Kunz schreibt in seinem Buch „Der Tod muss ein Wiener sein“: Der Wiener macht sich eben zeitgerecht Gedanken über seine Beerdigung. Und er hat für den Tod und das Sterben Dutzende Bezeichnungen gefunden: Abkratzen, ein Bankl reißen, in die Gruab`n fahrn, die Patschen strecken, ins Gras beißen…uvm. Jedenfalls nimmt der Wiener – ganz zu Recht – den Tod als etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches und Vorbestimmtes an. Und wenn man dem Tod schon nicht entkommen kann, dann freundet man sich eben zu Lebzeiten mit ihm an, besingt und betrinkt ihn beim Heurigen und malt sich – ob man religiös ist oder nicht – die Zeit danach aus.
In Bezug auf dieses Problem stehen sich seit der Antike zwei konträre Positionen gegenüber: Die dualistische Anthropologie und die monistische, kurz Dualismus und Monismus genannt.
Der dualistischen Anthropologie zufolge ist der Mensch eine Verbindung aus zwei Substanzen, dem menschlichen Organismus einerseits und einer immateriellen Substanz, die meist Seele genannt wird, andererseits. Die Seele, kann man sagen, ist eine unkörperliche Substanz, die unteilbar und unzerstörbar ist, also ergibt sich, dass sie auch nach dem Tod des Körpers fortexistiert. Diese Auffassung wird schon von Platon vertreten.
Seele
Der Ausdruck SEELE hat vielfältige Bedeutungen, je nach den unterschiedlichen mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren, in denen er vorkommt. SEELE kann aber auch ein Prinzip bezeichnen, von dem angenommen wird, dass es Gefühlsregungen und geistige Vorgänge beim Menschen herbeiführt oder beeinflusst. Darüber hinaus gibt es religiöse und philosophische Konzepte, in denen sich SEELE auf ein immaterielles Prinzip bezieht. Oft ist damit die Annahme verbunden, die Seele sei hinsichtlich ihrer Existenz vom Körper und damit auch dem physischen Tod unabhängig und mithin unsterblich. Der Tod wird dann als Trennung von Seele und Körper gedeutet.
Wir kennen das KA, die Seele als Vogel dargestellt, bereits im alten Ägypten als einen bestimmten Aspekt des Seelischen, der sich trotz einer engen Bindung an den Körper von diesem ablösen und entfernen kann. Solche Seelen werden in Ethnologie und Religionswissenschaft als FREISEELEN bezeichnet. Aber zum Thema SEELE könnte man ein eigenes Bstk. legen. Gestattet mir nur einige Zitate zum Thema SEELE: Ein Herz und eine Seele. Die Österreichische Seele. Die Russische Seele. Rudolf Steiner in einem Text zu Wagners „Ring“ – „Als Wasser wird die Seele bezeichnet“. Goethe sagt „Glücklich allein ist die Seele, die liebt.“ In der Seele schwingt auch mit, was „Psyche“ nicht ausdrückt: das Gefühl, dass das, was man fühlt, den eigenen Wesenskern benennt. Der Schweizer Psychiater Daniel Hell sagt „Wenn Menschen in meiner therapeutischen Arbeit von der Seele reden, geben sie ihr zumeist die Bedeutung einer gefühlshaften Identitätsempfindung“. Eine besonders bildhafte Beschreibung stammt von Eichendorff: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die Stillen Lande, als flöge sie nach Haus“?
Anthropologie des Todes
Der Grundgedanke der monistischen Anthropologie hingegen ist, dass alle Eigenschaften des Menschen einschließlich seiner geistigen, seelischen und emotionalen Fähigkeiten Merkmale einer einzigen Substanz, nämlich des menschlichen Organismus sind. Daraus folgt, dass das Leben des Menschen mit dem endgültigen Ausfall der körperlichen Funktionen vollständig und ein für alle Mal endet. In diesem Fall entfällt die Möglichkeit, das Leben vor dem Tod mit der Existenz nach dem Tod im Hinblick darauf zu vergleichen, ob der Übergang von jenem zu dieser eine Verbesserung oder eine Verschlechterung darstellt. Auf den ersten Blick scheint aus naturalistischer Perspektive für die Bewertung des Todes allein die Qualität des Lebens entscheidend zu sein. Aus der optimistischen Annahme, dass das Leben alles in allem immer lebenswert ist, scheint zu folgen, dass der Tod in jedem Fall schlecht ist, weil er die Möglichkeit, weiterhin das Leben zu genießen, vereitelt. Hingegen scheint die pessimistische These, dass das Leben niemals lebenswert ist, zu implizieren, dass der Tod immer ein Gut ist, weil er dem Verstorbenen eine Zeit erspart, in der die Übel die Güter überwiegen würden. Die pessimistische und die optimistische Auffassung stimmen jedoch darin überein, dass der Tod für diejenigen, die sterben, gut oder schlecht sein kann.
Für mich, aber ich denke für uns Alle, zwingt die Tatsache des Todes nicht zu Resignation und Hoffnungslosigkeit, sondern war und ist immer Ansporn gewesen, den Geheimnissen des Lebens auf den Grund zu gehen und den Sinn des Daseins zu entdecken. Antworten haben Philosophie und Religion seit jeher geliefert: spekulative, begründete und unbegründete, partielle und umfassende; solche, die den Verstand, solche, die das Gefühl befriedigen.
Für mich interessant nachzulesen, dass die meisten gegenwärtigen Philosophen ausdrücklich von einer monistischen Annahme ausgehen. So z.B. J.P. Satre in „Die Absurdität des Todes“, Thomas Nagl in „Der Tod als Beraubung der Güter des Lebens“ und Bernard Williams in „Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit“. In der Einleitung dazu schreibt er „von den Vorteilen der Sterblichkeit“.
Dass die monistische und die dualistische Anthropologie keine bloßen Vorurteile oder Glaubenssätze, sondern philosophische Überzeugungen sind, für die Gründe angeführt werden, die sich kritisch prüfen lassen, verweist auf die philosophische Frage: „Was ist der Mensch?“ Die Beantwortung hängt wohl auch mit der thanatologischen (Thanatologie bezeichnet die Wissenschaft vom Tod, vom Sterben und der Bestattung) Frage zusammen, „Was ist der Tod?“ Ist nun der Tod etwas GUTES oder ein ÜBEL oder keines von beiden? Ungeachtet der zahlreichen Unterschiede, die zwischen den Todesvorstellungen in verschiedenen Epochen, Kulturen und Religionen bestehen, weist der Begriff des Todes einen kontextunabhängigen Bedeutungskern auf. Tod bedeutet mindestens „Ende des körperlichen Lebens“. Darüber sind sich die Anhänger der verschiedenen Religionen, mögen sie nun an die Seelenwanderung, die Unterwelt als Reich der Verstorbenen oder die Auferstehung der Toten glauben, mit den Naturalisten einig, denen zufolge der Tod das endgültige und vollständige Ende des Lebens ist. Jeder weiß um die Ausnahmslosigkeit des Sterbens und hofft doch im Stillen auf einen Ausweg. Doch Jugend ist Tod so gewiss wie das Alter.
Platon
Die Auffassung, dass der Tod etwas Gutes ist, wird etwa von Platon in seinem „Phaidon“ vertreten. Demnach widmet sich Sokrates in den letzten Stunden seines Daseins der Beschäftigung, die er Zeit seines Lebens als erwachsener Mann für wichtig gehalten hat – er führt mit seinen Freunden ein philosophisches Gespräch. Nach einer kurzen Einleitung kommen die Männer auf den Tod zu sprechen. Seine Freunde sind überrascht davon, dass er, Sokrates, seinem Lebensende so gelassen und furchtlos entgegensieht. Sie bitten ihn, ihnen darzulegen, was der Tod ist und ob die Seele nach dem Tod fortexistieren wird? Sokrates definiert zunächst den Tod als „Trennung der Seele vom Leib“. Dabei setzt er implizit voraus, dass die Seele etwas eigenständig Existierendes ist. (Denken wir an das Alte Reich in der ägyptischen Mythologie, wo KA, der die Seele als Quelle der Lebenskraft bezeichnet) Sokrates weiter: Es sagt nun ein alter, wohlbekannter Spruch, dass die Seelen von hier kommend, im Hades verweilen und dann wieder hierher zurückkehren und wieder werden aus den Toten.
Verhält sich dies nun wirklich so, dass die Lebenden wieder aus den Toten werden, muss dann nicht unserer Seele dort ein Sein zukommen? Denn wären sie nicht, so könnten sie nicht wieder werden und es ergäbe sich für dies Sein derselben ein voller Beweis, wenn es sich tatsächlich herausstellt, dass die Lebenden nirgends anderswo zum Werden gelangen als aus den Toten. Ist dies aber nicht der Fall, dann bedürfte es irgendeines anderen Beweises. (Anmerkung zur ägypt. Mythologie: Es steht außer Zweifel, dass Platon, mag er Ägypten selbst besucht haben oder nicht, über ägyptische Verhältnisse außerordentlich gut informiert war. Auch gewisse Analogien zwischen ägyptischer und platonischer Weltanschauung sind kaum zu übersehen.) Das Todesurteil annehmend, geht Sokrates davon aus, dass eine ungerechte Verurteilung seiner Person auf die Athener selbst zurückfallen werde, zumal für ihn „der Tod kein Übel ist: entweder ist er wie ein bewusstloser Schlaf ohne Traum, oder er ist ein Auswandern in ein glücklicheres Reich – beides wird ihm willkommen sein.“ Mit der Aufdeckung ihres Nichtwissens will er die Menschen zur Selbstprüfung und Selbsteinkehr aufrufen: „Erkenne dich selbst“ ruft er ihnen zu.
Argumente für die zweite Position, der zufolge der Tod weder gut noch schlecht sein kann, finden sich beispielsweise in Texten von Epikur und Lukrez. So schreibt Epikur in seinem Brief an Menoikeus: Wer jung ist, soll nicht zögern zu philosophieren und wer alt ist, soll nicht müde werden im Philosophieren. Denn für keinen ist es zu früh und für keinen zu spät, sich um die Gesundheit der Seele zu kümmern. Und weiter: Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei nichts, was uns betrifft. Denn alles Gute und Schlimme ist nur von der Empfindung gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis – der Tod sei nichts, was uns betrifft – die Sterblichkeit des Lebens erst richtig genussfähig, weil sie nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt.
Das Schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn WIR sind, ist der Tod nicht da; wenn der TOD da ist, sind WIR nicht. Er betrifft also weder die Lebenden noch die Gestorbenen. Ist es also vernünftig, den Tod zu fürchten?
Einerseits gibt es die akute Furcht vor dem Tod. Sie stellt sich angesichts einer konkreten Bedrohung des eigenen Lebens ein, beispielsweise bei mir nach dem Untergang unseres Expeditionsschiffes im Ross -Eismeer der Antarktis, auf einer Eisscholle stehend und darauf hoffend, dass Rettung kommt. Andererseits können Menschen aber auch ihren Tod fürchten, obwohl keine bestimmte Bedrohung ihres Lebens erkennbar ist, einfach weil sie darüber nachdenken, dass sie irgendwann notwendigerweise sterben werden und dass die Welt (Freunde, Verwandte und wer oder was sonst noch) irgendwann ohne sie auskommen wird müssen und die Welt eines Tages ohne sie existieren wird. Also eine situationsunabhängige Todesfurcht.
Angesichts der Tatsache, dass sich Philosophen seit Jahrtausenden mit der Frage, ob die Furcht vor dem Tod vernünftig ist, beschäftigt haben, darf man davon ausgehen, dass sie im Allgemeinen das Verhältnis zwischen der Vernunft und den Gefühlen anders beurteilt haben, als dies der gemeine Menschenverstand tut. Die gilt insbesondere für die situationsunabhängige Todesfurcht. Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir sterben werden, um dadurch die Furcht vor dem Tod zu mindern, sodass wir das Ende des Lebens, wenn es nahen wird, mit Gelassenheit erwarten können. Der Gedanke, dass man die Schrecken des Todes durch die philosophische Vergegenwärtigung der eigenen Sterblichkeit mindern kann, findet sich bei vielen Autoren. „Philosophieren heißt sterben lernen“ und Montaigne schreibt weiter eindrucksvoll, was es heißt, das Sterben zu lernen: „… da auch die stärkste Sicherung uns nicht vor ihm schützen kann, wollen wir lieber lernen, wie wir ihm entgegentreten und mit ihm fertig werden können. Wo der Tod wartet ist unbestimmt; wir wollen überall auf ihn gefasst sein.“
Die Schweizer Ärztin Dr. Kübler – Ross schreibt in ihrem Buch „Über den Tod und das Leben danach“: „Der Tod ist ganz einfach das Heraustreten aus dem physischen Körper, und zwar in gleicher Weise wie ein Schmetterling aus seinem Kokon heraustritt.“
Übergang
Dem Dualismus gemäß ist der Tod nichts anderes als der Übergang von einem erlebbaren Zustand in einen anderen, weshalb sich die Frage stellt, wie der Tod zu bewerten ist, ob dieser Übergang bzw. diese Veränderung der Existenzweise zu einer Verbesserung oder zu einer Verschlechterung führt. Aus der Sicht des Dualismus enthält also die Bewertung des Todes somit unweigerlich ein positives Element, eine Sichtweise, mit der ich mich sehr gut identifizieren kann. Die monistische Sichtweise habe ich bereits dargelegt und ich persönlich kann J.P.Satre nicht folgen, wenn er vom „Absurdheitscharakter des Todes“ spricht und ausführt: „Der Tod ist nicht nur ungeeignet, dem Leben Sinn zu verleihen, sondern er ist in Bezug auf die menschliche Existenz gänzlich sinnfrei, und zwar deshalb, weil er die Möglichkeit, weitere Möglichkeiten zu haben und zu verwirklichen, ein für alle Mal beseitigt. Der Tod ist die jederzeit mögliche Auslöschung meiner Möglichkeiten, er ist der Entwurf, der alle Entwürfe und sich selbst zerstört. Und – es ist absurd, dass wir geboren werden; es ist absurd, dass wir sterben.“
Unsterblichkeit
Ergänzend noch Ludwig Feuerbach in seiner Analyse des Glaubens an die Unsterblichkeit: Der religiöse Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod entsteht nach Feuerbach aus dem Zusammenwirken zweier Faktoren: Einerseits wissen die Menschen nicht, was die Verstorbenen nach dem Tod erwartet, und andererseits ist der Mensch in allem, was er tut, auf die Zukunft hin orientiert. Die Lebenden projizieren nun die Zukunft, in Bezug auf welche sie selbst ihr Leben führen, auf die Zeit nach dem Tod. Daraus entsteht der Glaube, dass das Dasein mit dem Tod nicht endet, sondern auf andere Weise fortgesetzt wird. Dieser Glaube verbindet sich häufig mit der Überzeugung, dass die Toten ihr Dasein an einem fernen, für Lebende unerreichbaren Ort fristen. Zusammenfassend schreibt Feuerbach: „Das Jenseits ist seiner psychologischen Genesis und Notwendigkeit nach nichts anderes als die Vorstellung der Zukunft, die aber der Mensch als einen von der wirklichen Zukunft unterschiedlichen Zustand vergegenständlicht.“
Oder frei nach Qualtinger: „In Wien muaßt erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst lang.“
Und Feuerbach weiter: „Der naturgemäße Tod, der Tod, der das Resultat der vollendeten Lebensentwicklung ist, ist kein Übel; aber wohl der Tod, der eine Folge der Not, des Lasters, des Verbrechens, der Unwissenheit, der Rohheit ist. Diesen Tod schafft aus der Welt, oder sucht ihn wenigstens so viel als möglich zu beschränken.“
In Übereinstimmung mit Vertretern anderer philosophischen Schulen der Antike gingen die Stoiker davon aus, dass ein glückliches Leben nichts anderes ist als ein auf sittlich gute Weise geführtes Leben. Es geht also darum, dass der Mensch alles in allem moralisch gut gehandelt und seinen Charakter beständig vervollkommnet hat. (Eine Sichtweise, die uns Frm. wohl vertraut sein sollte!) Dabei ist natürlich sittliches Handeln auch ohne Glauben an die Unsterblichkeit möglich, das beweist das Leben täglich zur Genüge. Die Stoiker waren wohl die konsequentesten Monisten des Altertums.
Die Frage nach der Fortdauer der menschlichen Seele erschien ihnen als unwesentlich. Unter dieser Voraussetzung kann der Tod tatsächlich nicht zu d e n Dingen gehören, die im Hinblick auf das gelingende Leben einen Unterschied ausmachen, weil es – wie Seneca häufig betont – nicht darauf ankommt, wie lange ein Mensch lebt, sondern darauf WIE GUT (im moralischen Sinn) er sein Leben führt. Seneca weiter: „Wer sich beschwert, dass das Leben zu kurz ist, muss sich fragen lassen, ob er denn bisher richtig gelebt hat. Das Leben ist nur für den zu kurz, der seine Zeit vergeudet, der sich hat okkupieren lassen von den letztlich unwichtigen Dingen. Wenn man es richtig zu nutzen weiß, ist das Leben lang im Sinne von lang genug. Leben lernen heißt nicht, den Tod fliehen, sondern sterben lernen. Bei diesem Lernprozess gibt es nur eine Kette, die uns gefesselt hält, nämlich die Liebe zum Leben. Wir dürfen sie nicht von uns weisen, aber wir müssen ihren Druck mindern, damit uns unter dem Druck der Umstände nichts zurückhalte und hindere bereit zu sein, wenn es soweit ist und es geschehen muss, uns von diesem Leben zu lösen.“
Für mich aber bedeutet dieses WIE GUT (Seneca) im moralischen Sinn zu leben auch, mir immer wieder zu vergegenwärtigen, dass ich sterben werde, weil es mir dabei hilft, richtig oder um mich nicht zu belügen, richtiger zu leben. Das Memento Mori ist Aufforderung, sich den eigenen Tod vor Augen zuhalten, um richtig leben zu können. Ich denke, es ist auch eine zentrale Herausforderung in dieser 2.Lebenshälfte, unsere narzisstischen Größenphantasien, die uns seit der Kindheit begleiten, zu überwinden, indem wir sie zu reiferen Formen transformieren, bis hin zu einer Haltung der Weisheit und des kosmischen Bewusstseins im Alter. Die FM hilft uns dabei, in unseren Ritualen das Sterben einzuüben und uns die Angst vor dem Tod zu nehmen. In einem Trauerritual heißt es: Wir sollen zu bedenken lernen, dass unser Leben ein Ziel hat: Fürchten wir den Tod nicht! Er ist nur ein Übergang. Wenn wir im täglichen Maurerleben bemüht sind, eine Verwandlung in uns zu vollziehen, wird beim Tod unsere Seele wie ein Schmetterling zu einem neuen, unbekannten ewigen Leben emporsteigen.
C.G. Jung hat mit 69 einen Brief für das Alter entworfen: Der Blick des Alten umfasst Fernen, die ins Unendliche entfliegen. Die letzten Stufen des Lebens sind die schönsten und kostbarsten, denn sie führen zu jener Fülle, zu der hin das innerste Wesen des Menschen geboren ist.
Einen Philosophen muss ich hier noch erwähnen, da das, was er über den Tod geschrieben hat, zweifellos zum Kanon der Philosophie des Todes gehört. Heidegger geht von der Frage nach dem „möglichen Ganzsein“ des Menschen aus. Damit, so Heidegger, wird man unweigerlich auf den Tod verwiesen, weil das Leben erst mit dem Tod zu einem zeitlichen Ganzen mit einem Anfang und einem Ende wird.
Solange der Mensch lebt, ist sein Leben kein Ganzes, sondern etwas noch nicht Abgeschlossenes: Aufgrund dieses Zusammenhangs wird verständlich, dass ein Ganzseinkönnen des Daseins eine Erfahrung vom Tod als Ende des Lebens voraussetzt. Weil Heidegger – wie viele andere Philosophen vor und nach ihm – gänzlich auf das Problem des eigenen Todes fixiert ist, schließt er die sogenannte „Fremderfahrung“ des Todes, d.h. die Erfahrung vom Tod anderer, als bloßes „Ersatzthema“ aus weiteren Untersuchungen aus: „Wir erfahren nicht im authentischen Sinne das Sterben der Anderen, sondern wir sind höchstens immer „dabei“.
Ich denke, es dürfte deutlich geworden sein, dass die philosophische Bewertung des Todes nicht nur von der Beantwortung der thanatologischen Frage „Was der Tod ist“ beeinflusst wird, sondern auch von grundlegenden moralphilosophischen Annahmen. Und – wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir sterben werden - um dadurch die Furcht vor dem Tod zu mindern, so dass wir das Ende des Lebens, wenn es nahen wird, mit Gelassenheit erwarten können oder wie Elias Canetti sagt: „Alles hat seine Zeit, nicht der Tod, er hat keine. Wo der Tod auf uns wartet, ist unbestimmt; wir wollen überall auf ihn gefasst sein.“
Auch W.A.Mozart , gerade mal 31 Jahre alt, hat sich intensiv mit dem Tod befasst, das lässt tief blicken. Er schreibt an seinen Vater: „Mein dreimal geliebter Vater! Diesen Augenblick höre ich eine Nachricht, die mich sehr niederschlägt. Nun höre ich aber, dass Sie wirklich krank seien. Wie sehnlich ich in einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegensehe, brauche ich Ihnen doch wohl nicht zu sagen; und ich hoffe es auch gewiss – obwohl ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, mir immer in allen Dingen das Schlimmste vorzustellen – da der Tod der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes“.
Literatur
DER TOD : Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart (Reclam)
Elias Canetti : Das Buch gegen den Tod
Platon in Bagdad – Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam
Karl Nawratil : Platon in Ägypten , Zeitschrift für philosophische Forschung
Lexikon der Psychologie : Leib – Seele – Problem
Norbert Elias : Über die Einsamkeit der Sterbenden (Suhrkamp)
Jacques Choron : Der Tod im Abendländischen Denken
Schopenhauer : Über den Tod
Raymond A. Moody : Leben nach dem Tod
Eisabeth Kübler – Ross : Über den Tod und das Leben danach
Hans Ebeling : Der Tod in der Moderne
Jürgen Grieser : Der Tod und das Leben, Vergänglichkeit als Chance zur Entwicklung von Lebendigkeit
Johannes Kunz : Der Tod muss ein Wiener sein
Philippe Aries : Geschichte des Todes
Vladimir Jankelevitch : Der Tod
Malte Wilke : Der Tod als Grenzsituation
Bernard Jakoby, Marie-Luise Nieberle : Ich lass dich nicht allein sterben, würdevoll Abschied nehmen
12.2.2020