Das Werden der ungarischen Loge Helikon in Wien

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Das Bijou (= Logo) der Loge Helikon

Ein Vortrag von Josef Corvinus am 10. Dezember 2024 vor den Mitgliedern der Loge Helikon
und zahlreichen ungarischen Gästen im Großen Tempel des Logenhauses der Großloge von Österreich.

Einführung von Rudi Rabe:

Die ungarische Freimaurerei blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Im österreichisch-ungarischen Einheitsstaat der Habsburger war sie seit den 1790er Jahren bis 1867 verboten. Dann wurde das Imperium in eine Doppelmonarchie mit autonomen innenpolitischen Gesetzen geteilt: In der ungarischen Reichshälfte waren jetzt Logen erlaubt, im österreichischen Teil blieben sie praktisch verboten, was zur Gründung österreichischer Grenzlogen in Ungarn führte.

Das blieb so bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zerfall der Habsburger Monarchie. In der neugegründeten Republik Österreich konnten nun Freimaurerlogen gegründet werden, hingegen wurden sie im rechts-diktatorisch geführten Ungarn nun bald verboten. Das setzte sich im kommunistischen Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Erst der Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus setzte dem 1989/90 ein Ende, und so konnte nun vor allem mit Hilfe Wiens wieder langsam eine selbständige ungarische Freimaurerei aufgebaut werden.

In seinem Vortrag schildert der seit 1956 in Wien lebende ethnisch ungarische Freimaurer Josef Corvinus die Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der Zeit nach 1945.

Der Vortrag von Josef Corvinus

Ungarn gibt es auf der ganzen Welt – egal, wohin ich auch kam, ich kam immer mit Ungarn in Berührung, und sei es auch nur als Touristen, früher hätte man zu den Ungarn wahrscheinlich „Zigeunervolk” gesagt, heute geht das überhaupt nicht mehr ohne Konnotation; die Welt hat sich aber auch verändert, denn mittlerweile sind wir alle mobil geworden.

Und so gab es und gibt es auch überall auf der Welt ungarische Freimaurerbrüder, die Mitglieder in unserer Weltenkette sind.

1920 wurde die Freimaurerei in Ungarn verboten, die Wanderung der glimmernden Lichter durch die Wüste dauerte bis 1945. Aufnahmen waren nur in Österreich möglich. Die in Wien arbeitende ungarische Loge hieß damals „In labore virtus”. Mit Hilfe der Brüder dieser Loge und vor allem mit jener der ungarisch-sprachigen Loge „Ehlers Nr. 953“ in New York konnte nach dem Ersten Weltkrieg das alte Logenhaus in Budapest instandgesetzt werden, womit einer intensiven freimaurerischen Arbeit nichts mehr im Wege stand. Das funktionierte bis 1949. Bis zu diesem Jahr haben sich 1300 Brüder in der wiedererweckten ungarischen Großloge zusammengefunden. Schon winkte auch die Anerkennung durch die „United Grand Lodge“ (UGLE). Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, weil das neue kommunistische Regime alles Freimaurerische ab 1950 in Ungarn verbot.

Die geschichtlichen Ereignisse in Ungarn, die vielen Ups und Downs, zeitigten immer wieder Emigrationswellen, die auch zahlreiche Brüder mit sich rissen. Entwurzelt in der Fremde suchten viele Kontakt zu anderen Brüdern, die es auch dorthin verschlagen hatte oder zu lokalen Logen, in denen sie bald Aufnahme und vielfach auch Hilfe bei der Existenzgründung fanden. Allerdings: Da die Großloge von Ungarn von der UGLE nach 1945 noch nicht anerkannt war, verweigerten viele ausländische Obödienzen und Logen den Übertritt ungarischer Brüder, weshalb viele von ihnen gezwungen waren, wegen der leichteren Aufnahme eine neue freimaurerische Heimat in französisch orientierten Orienten zu suchen und zu finden.

In diesen Jahren wurden dann im Ausland etliche ungarisch-sprachige Logen gegründet. So etwa Loge „Resurrektio“ in Sao Paolo, die Loge „Martinovics” in Paris, in Argentinien die Loge „Kossuth” (hier war übrigens der für uns bekannte Bruder Töhötöm Nagy Mitglied, der die mehrfach aufgelegte und in Fremdsprachen übersetzte Biographie „Jesuiten und Freimaurer“ schrieb), in Toronto die Loge „Andor Gerő“.

Dennoch war die Lage in Österreich wohl wegen der historischen und grenznahen Beziehungen anders. Hier konnten die ungarischen Brüder schnell in österreichische Logen übertreten, und so gab es am Ende der fünfziger Jahre an die 80 Brüder ungarischer Abstammung in österreichischen Logen. Begegnungen mit in Ungarn verbliebenen Brüdern fanden in der Regel im privaten Rahmen statt. Aber schon damals entwickelte sich Wien für die ungarischen Brüder hüben wie drüben zu einem freimaurerischen Kristallisationspunkt. Weltweit trafen sich die Brüder auch in sogenannten freimaurerischen Zirkeln. Diese wurde jedoch von den ortsansässigen Großlogen nicht anerkannt, hatten also eher privaten Charakter. Bekannt war zum Beispiel ein Zirkel in Sydney und einer auch in Israel, die ihre Arbeiten jedoch bald wieder eingestellt haben.

1968 fand in Buenos Aires sogar ein sogenannter „allgemeiner ungarischer Freimaurerkongress“ statt, an dem Brüder aus zahlreichen Ländern teilnahmen, so aus Montreal, Toronto, Sao Paolo und Paris. An diesem Treffen nahm auch der stillschweigend anerkannte ungarische Großmeister György Takács teil.

Die Zeit blieb jedoch nicht stehen. Das Schicksal vieler dieser Logen war entweder das Erlöschen des Lichts oder das Aufgehen in einer ansässigen Loge, in der das Ungarische nicht mehr die Kommunikationssprache war. So wird in unserer Loge Helikon heute auch nur mehr fallweise in Ungarisch gearbeitet.

1981 war die Zeit gekommen, dass die ungarischen Brüder der österreichischen Kette eine eigene Struktur entwickelten, um – wie etliche meinten - das glimmernde Licht in Ungarn nicht ausgehen zu lassen und die Kontinuität irgendwie zu wahren, nicht zuletzt auch auf Ansuchen der im Land verbliebenen Brüder in Ungarn. Die Idee, die Deputationsloge „Helikon“ zu gründen, wurde von der Großloge von Österreich (Großmeister Alexander Giese) voll unterstützt, und so kam es am 11. Dezember 1982 auf Basis der zahlreichen in den Wiener Logen beheimateten ungarisch-sprachigen Brüdern zur Lichteinbringung und somit zur Gründung der Deputationsloge Helikon. Stuhlmeister war Otto Balázs. Weitere Gründungsbrüder waren u. a. Otto Balázs, Stefan Orbán, György P., István O., Andreas W., Thomas Kálmán, Oscar Asboth, István Pálffy und György Sebestyén.

Die neugegründete Loge war keine Exil-Loge, sondern eine Deputationsloge, das heißt, Aufnahmen hatten die Mitgliedschaft in einer anderen österreichischen Loge zur Voraussetzung. Aufgabe der „Helikon“ war die Weiterführung der ungarischen Freimaurer-Tradition in Wien, von wo sie einst ausging. Die „Helikon“ ist auch nicht als Platzhalterin für die seit 1950 verbotene ungarische FM gegründet worden, sondern quasi als eine Brücke zur Weltenkette. Ziel war auch, das alte ungarische Ritual in der Muttersprache zu erhalten, die Arbeit in der Muttersprache zu praktizieren und nicht zuletzt sollten die Brüder mit den verstreuten ungarischen Brüdern in der freimaurerischen Diaspora leichter Kontakt halten.

Doch die Entwicklung ging rasant weiter. Wegen des weiterhin gültigen Freimaurer-Verbots in Ungarn sollte Ende der achtziger Jahre auf Initiative der Wiener Loge „Gleichheit“ dann doch auch eine ungarische „Exil-Loge“ gegründet werden, eine ungarische Grenzloge in Österreich. Und so nahm die Loge Gleichheit 1988 als ersten Schritt in einem Schnellverfahren 14 ungarische Brüder aus verschiedenen Logen auf, in einer Zeit als man noch nicht im Entferntesten daran denken konnte, dass das kommunistische System bald zusammenbrechen würde. Doch die Ereignisse haben sich kurz danach überstürzt. Bereits am 27. Dezember 1989 kam es unter Beteiligung der von der Loge „Gleichheit“ aufgenommenen Brüder zur Neugründung der Großloge von Ungarn in Budapest. Erster Großmeister war Bruder Galambos. Beim feierlichen Gründungsakt gab es ein zweisprachiges Ritual.

Die wiedergegründete Großloge von Ungarn wurde mit Hilfe Österreichs schon 1990, also schon wenige Monate danach, auch von der UGLE anerkannt: Damit sollten die Wanderjahre der ungarischen Brüder in der der Wüste für immer zu Ende sein.

Und zum Schluss: Woher rührt der Name Helikon? Helios steht im Altgriechischen für Sonne und Sonnengott, Quelle des Lichts, und Helikon heißt der fast 1.800 Meter hoher Gebirgszug nördlich des Golfs von Korinth, der für die alten Griechen der Sitz der Musen war. Somit steht „Helikon“ für Licht und für Musentempel. Und in Siebenbürgen gibt es in ungarischer Sprache auch aktuell eine angesehene Zeitschrift für Kultur und Literatur, die seit 1955 viermal im Jahr erscheint.

(Quellen: Forschungsarbeiten der Brüder Frigyes B., Alfred N., Günter Kodek sowie Protokolle der Großloge von Österreich und der Loge Helikon)

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