Stuardistische Freimaurerei

Aus Freimaurer-Wiki

Stuarts, der Prätendent, Stuartistische Freimaurerei

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder


1649 wurde König Karl I. (Stuart) von England auf Befehl Cromwells hingerichtet. Am 29. Mai 1660 hielt das Haus Stuart in der Person seines Sohnes Karl II. wieder seinen triumphalen Einzug in London. Karl II., der 25 Jahre den englischen Thron behauptete, wurde von seinem Bruder Jakob II. (als König von Schottland Jakob VII.) abgelöst, der 1655 die Regierung antrat.

Die franzosenfreundliche Politik des katholischen Königs und die daraus entstehenden Befürchtungen für die Störung des europäischen Gleichgewichtes veranlaßten den Kaiser und die protestantischen Mächte, die Ansprüche Wilhelms von Oranien auf den englischen Thron zu unterstützen. Wilhelm landete am 5. November 1688 in England und vertrieb Jakob II., der 1689 auch der schottischen Krone verlustig ging. Jakob flüchtete nach Frankreich wo ihn Ludwig XIV. mit allen Ehren empfing und ihm das Schloß von Saint Germain en-Laye als Wohnsitz anwies. Aus seiner Ehe mit einer Prinzessin von Modena ward 1688 ein Sohn geboren.

Jakob II. unternahm den Versuch, sich wieder in den Besitz der Herrschaft zu setzen. Mit Unterstützung Ludwigs XIV. landete er im März 1689 in Irland, unterwarf fast die ganze Insel, wurde jedoch 1690 von Wilhelm am Boynefluß geschlagen und mußte neuerlich nach Frankreich fliehen. Er starb 1701 in Saint Germain-en-Laye. Sein Sohn, der Prätendent Jakob III., versuchte neuerlich das Waffenglück. Er landete 1715 an der schottischen Küste. Aber dieser Versuch scheiterte ebenso wie Erhebungsversuche der Jakobiten in den Jahren 1717 und 1719.

Karl Eduard Stuard

Dessen Sohn, Karl Eduard, der dann — möglicherweise ohne sein Zutun — berufen war in der Geschichte der Freimaurerei eine eigentlich bis heute nicht bis ins letzte geklärte Rolle zu spielen, war am 21. Dezember 1720 in Rom geboren. Auch ihn ließ das Geschick seines Hauses nicht ruhen, er unternahm am 27. Juni 1745 einen Restaurationsversuch in Schottland, konnte sich auch einige Monate festsetzen, unterlag jedoch am 27. April 1746 in der Schlacht bei Culloden und mußte sich fünf Monate lang in seinem Vaterland von Versteck zu Versteck schlagen.

Im Oktober 1746 gelang es ihm wieder in Frankreich Sicherheit zu finden. Er lebte von da an als vielbeachtete Persönlichkeit, der sich nicht zuletzt wegen seines traurigen Geschicks eine gewisse mitleidige Aufmerksamkeit zuwendete, in Frankreich und in Italien, wo er in Rom 1788 starb. Da er selbst kinderlos, sein einziger Bruder Heinrich Benedict geistlichen Standes war, erlosch mit diesem letzteren 1807 der Mannesstamm der Stuarts.

An den Prätendenten Karl Eduard knüpfen sich die freimaurerischen Stuart - Legenden, die zahlreichen Versionen von der jakobitischen Freimaurerei. Der berühmte Chevalier Ramsay (s. d.) war kurze Zeit sein Lehrer. Dessen "Discours", auf den sich die gesamte Ritterüberlieferung der Freimaurerei stützt, schien also in den persönlichen Beziehungen zum Hause Stuart eine besondere Begründung zu finden. Karl Eduard Stuart wird in der Legende zum Freimaurer gemacht.

Eine aus Anhängern seines Hauses zusammengesetzte Loge in Rom um 1735, der u.a. der der Hinrichtung durch Flucht aus dem Tower entgangene Earl of Winton und der spätere Verräter an der jakobitischen Sache, John Murray of Broughton, der Sekretär Karl Eduards, angehörten, soll unter seiner persönlicher Leitung gestanden haben. Die Nachfahren des — angeblich ersten — Rosenkreuzerkapitels von Arras, das "Chapitre primatial et métropolitain de Rosecroix sous le titre distinctif d'Ecossais Jacobite", berufen sich auf einen Stiftsbrief vom Jahre 1745, den der Prätendent ausgestellt habe.

Ein solches Kapitel hat wahrscheinlich existiert, ein Zusammenhang mit Karl Eduard ist niemals bewiesen worden. Die "Ecossais fideles" (später "Sagesse") in Toulouse, die ähnliches wie Arras behaupteten, konnten wenigstens einen irischen Stuartisten, Jean de Barnwall de Tremlestown, den Ludwig XV. 1745 zum französischen Grafen gemacht hatte, als Gründer nachweisen. Auch der Templerorden der Strikten Observanz will sich seiner — allerdings verborgenen — Leitung erfreut haben. All die Verwirrung der Strikten Observanz wurde durch das Märchen von Karl Eduard als "geheimem Oberen" noch gewaltig vermehrt.

Die gedankliche Verbindung, in den zwischen 1740 und 1750 aufgekommenen "schottischen" Systemen stuartistische Organisationen zu sehen, die in einem gewissen Gegensatz zur englischen Freimaurerei standen und politische, von katholischer Seite sehr geförderte Zwecke verfolgen sollten, lag daher sehr nahe und ist niemals ganz verlassen worden. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn auch Albert Lantoine in seiner "Franc-Maçonnerie écossaise en France" (Paris 1930) zu folgenden, von der offiziellen Lesart abweichenden Schlußfolgerungen kommt:

Unter den mit den Stuarts nach Frankreich gekommenen schottischen und irländischen Gefolgsleuten und Offizieren befanden sich nach ihm zahlreiche Freimaurer. (Das ist immerhin wahrscheinlich, denn in beiden Ländern gab es ja gegen Ende des 17. Jahrhunderts auch "spekulative" Freimaurer.) Lantoine führt sogar eine "Regimentsloge" an, die 1688 in Saint Germain bestanden haben soll. Dieses Datum wurde wenigstens 1777 bei Aufnahme dieser Loge in den Grand Orient de France als Gründungsdatum anerkannt (!?!). Lantoine erwähnt auch einen Forscher de Loucelles, der in einem 1874 erschienenen Büchlein, aber die Loge "La Bonne Foi" von Saint Germain behauptete, die Gründung der Großloge von England sei lediglich eine Art Protestreaktion gegen die freimaurerische Politik der Stuarts, eine "Unabhängigkeitserklärung" gewesen.

Lantoine pflichtet dieser törichten Theorie nicht bei, glaubt aber ebenfalls, daß "die durch die Stuarts nach Frankreich verpflanzte schottische Maurerei" auch die englische wesentlich beeinflußt habe. So sei der Meistergrad, der ursprünglich nichts anderes vorstellen sollte als die Hinrichtung Karls I., unter den jakobitischen Freimaurern entstanden und von Frankreich aus in die englische Freimaurerei gelangt. Mit Recht macht hier Sonnenkalb den Einwand, das die Hiramlegende ihrem ganzen Aufbau nach eine echte Bausage ist, die ein Bauopfer in der Person des Baumeisters zum Mittelpunkte hat.

Lantoine führt u. a. auch als Beleg für seine Anschauung die freimaurerische Tätigkeit an, die sich 1734 in Paris im Haus der Herzogin von Porthsmouth und Aubigny abspielte. Sie war als Louise de Kéroual eifrige stuartistische Agentin am Hofe Ludwigs XIV., Gattin von Karl Lennox, einem [?] natürlichen Sohn Karls II., Mutter des Herzogs von Richmond, des englischen Großmeisters von 1724.

1734 wurde bei ihr Loge gehalten. Die damals vierundachtzigjährige Herzogin war eine leidenschaftliche Katholikin, und es wäre — nach Lantoine — unverständlich, dass sie sich trotz der freimaurerischen Tätigkeit ihres Sohnes mit Freimaurern abgegeben hätte, wenn hier nicht politische Beziehungen zugunsten der Stuarts bestanden hätten.

Diese Loge wurde aber 1735 vom Herzog von Richmond unter den Schutz der Großloge von England genommen. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die englische Großloge eine stuartistische Parteigängerloge in ihren Verband aufgenommen hatte. Lantoine übersieht zweierlei: Einmal bestand 1734 der Gegensatz zwischen Katholizismus und Freimaurerei noch nicht, zweitens war der Herzog von Richmond (s. d.) im Gegensatz zu seiner Mutter ein Gegner der Stuarts, trotzdem er sich Enkel Karls II. nennen durfte. 1745 kämpfte er als Generalleutnant unter dem Herzog von Cumberland in Schottland gegen Karl Eduard und die aufständischen Jakobiten.

Bei allen diesen mehr oder weniger legendären Überlieferungen wird aber ausdrücklich anerkannt, daß diese stuartistische Schottische Maurerei (s.d.) mit der Großloge von Schottland nicht das mindeste zu tun hat. Die schottische Hochgradmaurerei, die sich auf Ramsay als ihren Begründer (wider Willen) und auf den Prätendenten als die im Hintergründe agierende Person des "unbekannten Oberen" berufen zu können glaubte, war rein kontinentalen Ursprunges. Daher nennt sie ja auch Gould (V. 92) "Scots", nicht "Scottish". Sie ist gegen 1740 entstanden. Man hat sie, den Stuarts zuliebe, sogar als eine "katholische Freimaurerei" bezeichnet, an deren Schöpfung sogar die Jesuiten nicht unbeteiligt gewesen sein sollen. Wahrscheinlicher ist aber wohl, daß sie schottisch hieß, weil ihr erster Apostel, Ramsay, eben ein Schotte war und weil man seine Rede absichtlich oder unabsichtlich misverstand.

Der Prätendent wurde 1780 vom Herzog von Södermanland gefragt, welches Bewender es mit seiner Großmeisterschaft habe. Karl Eduard lehnte jeden Zusammenhang mit der Freimaurerei ab, nachdem auch schon 1778 Eberhard Waechter (s. d.), der ihn in Italien besucht hatte, die Kunde mitgebracht hatte, daß weder er noch sein Bruder je Freimaurer gewesen seien.

Da Karl Eduard in Rom von Unterstützungen des Papstes lebte, fanden die Stuart-Anhänger dafür die kurze Erklärung, der Stuart habe es sich mit dem Papste nicht verderben wollen. Zudem sei er damals bereits durch seine notorische Trunksucht geistig derart zerrüttet gewesen, daß auf seine eigene Aussage nicht viel zu geben gewesen sei. Diese "Historiker" des 18. Jahrhunderts wußten es besser als der Stuart selbst! Abschließend kann daher nur das eine festgestellt werden es gab eine stuartistische Freimaurerei, zumindest in dem Sinne als es Freimaurer gab, die sich auf die Stuarts beriefen.

Ob es auch eine politisch orientierte stuartistische Freimaurerei aus Parteigängern des Prätendenten gegeben hat, die den Bund für die Restaurationspläne ihres Herrn zu benutzen bestrebt waren, ist und bleibt mehr als fraglich. Die englischen Historiker lehnen sie ab, auf dem Kontinent finden sich immer wieder Verteidiger der Stuart-Legende. Ein Beweis liegt nicht vor, auch Lantoine hat ihn nicht überzeugend erbracht. Den Stuarts hat diese angebliche jakobitische Maurerei jedenfalls nichts genutzt (s. Schottische Maurerei).